Читать книгу Feenfuchs und Feuerkuss - Lara Kalenborn - Страница 5

2 Farbenrausch

Оглавление

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie Richtung Schülercafé ging. Sie entdeckte Sams Wuschelkopf, der hinter der Lehne eines Sofas hervorragte. Er hatte Kopfhörer in den Ohren und der Sound des Liedes brachte seinen Körper in leichte Bewegung. Luisa schlich sich näher heran. Leise hörte sie die Musik, es war ein wilder Beat, der wenig zu Sams ruhiger Fassade passte.

Plötzlich flog sein Kopf zu ihr herum. Luisa schrak zurück und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

„Hi“, sagte sie.

Sam zog an dem weißen Kabel seiner Kopfhörer. Er nickte ihr zu. „Sollen wir hier bleiben?“

Seine dunkle Stimme, die einen bezaubernden englischen Akzent hatte, nebelte Luisa augenblicklich ein.

Sie blinzelte. „Hier?“

„Hier. Im Schülercafé.“

„Oh.“ Luisa lächelte verlegen. „Klar, wieso nicht. Kommt bestimmt niemand während der siebten Stunde her.“ Sie ließ sich neben Sam auf das Sofa fallen - und kippte gegen ihn, weil die Federn altersschwach waren und einfach nachgaben.

„Tschuldigung“, nuschelte sie und drückte sich hastig von ihm ab.

Ihr Kopf musste rot wie eine Tomate sein. Dass Sam sie still von der Seite anblickte, machte es nicht gerade besser. Schnell versteckte sie ihr Gesicht hinter ihren Locken.

Wie sollte sie die nächsten zwei Stunden mit Sam Weston bloß überstehen?

„Hast du Hausaufgaben auf?“

Sie nickte, kramte ihr Matheheft hervor und zeigte ihm die Aufgabenstellungen, die sie für den nächsten Tag vorbereiten sollten.

„Schöner Wal“, bemerkte Sam.

Nun war es endgültig um ihre Gesichtsfarbe geschehen. Würde das Feuerlöscherrot jemals wieder verschwinden?

Nach dem dritten Graphen waren ihre Wangen wieder etwas blasser, dafür rauchte nun ihr Schädel. Die Schulleiterin hatte nicht übertrieben, als sie Sam angepriesen hatte: Er konnte ihr aus dem Stehgreif alle Fragen beantworten und wie durch einen Zauber erkannte er immer, wo es gerade in ihrem Gehirn hakte.

Ihre Konzentration litt nur leider sehr unter seiner unwiderstehlichen Stimme: Sie war dunkel und ruhig und zog sie in die mathefreien Untiefen ihres Gehirns hinab. Dennoch schaffte er es irgendwie, ihr zum ersten Mal seit Jahren richtige Antworten zu mathematischen Fragen zu entlocken.

Gerade war ihm das wieder gelungen.

„Gut“, meinte er und nickte zufrieden.

„Du bist ein Genie“, entfuhr es Luisa und sie ergriff seinen Unterarm. „Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals etwas Richtiges über Zahlen gesagt zu haben.“ Sie lachte ausgelassen. Dieser Junge war Gold wert!

Plötzlich wurde ihr seine warme Haut unter ihrer Handfläche bewusst. Hastig beendete sie den Körperkontakt, der ihr plötzliches Herzrasen verursacht hatte. Sie band ihre widerspenstigen Locken zu einem losen Zopf zusammen.

„Vielleicht liegt es daran, dass du lieber Meerestiere zeichnest, als den Matheunterricht zu verfolgen?“, fragte Sam und blätterte kurz durch ihr Heft.

Überall Wale, Fische und Muscheln … Das war ihr vorher gar nicht bewusst gewesen. Luisa legte die Stirn in Falten und schlug das Matheheft zu. „Mein Papa ist Meeresbiologe“, sagte sie zerstreut.

„Cool“, erwiderte Sam.

„Es geht. Er ist eigentlich immer weg und im Moment wissen wir nicht einmal, wo er ist.“

„Wie kommt das denn?“

„Der Empfang auf hoher See lässt leider zu wünschen übrig.“ Luisa lachte auf. „Und mein Papa vergisst im Kampf für bedrohte Meerestiere bedauerlicher Weise alles andere.“

„Also, ich kann’s verstehen. Ich liebe das Meer auch. Ich bin an der Küste aufgewachsen und war jeden einzelnen Tag surfen.“

Luisa versuchte zu lächeln, aber wie immer, wenn sie an ihren Vater Ansgar dachte, fiel ihr dies schwer. Sie hätte Sam gerne erklärt, dass sie ihren Vater unheimlich vermisste. Jetzt, wo ihre Mutter ihr Ophelia weggenommen hatte, sogar noch mehr. Aber irgendwie war ihre Kehle wie zugeschnürt.

„Okay, dann lass uns jetzt mit deinen Englischaufgaben beginnen.“ Sam sah regelrecht begeistert aus.

Luisa bemerkte, dass ihre Augen an seinem Mund hängen geblieben waren, der mit einem verführerischen englischen Akzent so intelligente Dinge sagen konnte. Aber dann riss sie sich von dem Anblick los und sagte: „Das wird jetzt peinlich. Ich bin eine absolute Null in Englisch. Ich würde am liebsten im Boden versinken.“

„No one is born a master“, beruhigte Sam sie.

Luisa blinzelte. Nie zuvor hatten englische Worte so schön in ihren Ohren geklungen. Natürlich liebte sie Lieder von amerikanischen oder britischen Bands, aber ohne Instrumente als Begleitung hatte sie Englisch nie zuvor als angenehm empfunden. Mit Sam könnte sich dies aber vielleicht in Zukunft ändern.

Eine halbe Stunde später hatte Luisa ein Pensum an Englisch-Hausaufgaben erledigt, für das sie sonst Stunden gebraucht hätte.

„Du solltest Lehrer werden“, meinte sie.

Sam sah sie überrascht an. „Findest du?“

„Ja, absolut. Du bist richtig gut.“

Einer seiner Mundwinkel hob sich schwach. Das musste Luisa sich merken, Komplimente schienen ihm zu gefallen. Oder zumindest belustigten sie ihn. Wenn sie also sein schönes Lächeln noch einmal sehen wollte, musste sie sich nicht wieder Stroh ins Haar stecken wie heute Morgen. Vielleicht reichte das ein oder andere Kompliment auch aus. Und wenn sie mal ehrlich war, Sam Weston bot genügend Gelegenheiten, um Lob auszusprechen. Allein in diesem Moment hätte sie gerne etwas Nettes über seine graugrünen Augen gesagt, die sie aufmerksam musterten.

„Ich will eher was im Kulturbereich machen. Oder Richtung BWL“, wandte Sam nun ein.

„Ich würde gerne Tierärztin werden.“

„Dann musst du aber dringend bessere Noten schreiben.“

Luisa machte große Augen. Aber wo er Recht hatte … „Ist ja schon in Planung.“

„Du wirst das auch schaffen. Bist ja nicht auf den Kopf gefallen. Höchstens ein bisschen unkonzentriert.“

Luisa verzog das Gesicht. Bis heute war sie sich nie unkonzentriert vorgekommen, aber Sam war einfach eine Ablenkung der besonderen Art. Sein Wuschelkopf, seine Stimme, sein Mund … Luisa erhob sich schnell, bevor ihre Schwärmereien noch auffielen.

„Wie hat es dich eigentlich nach Deutschland verschlagen?“ Luisa stellte sich vor, wie Jeska ihr bei dieser Frage zujubelte, weil sie die Neugierde ihrer Freundin etwas stillen würde.

„Mein Vater hat hier einen Job gefunden. Er ist Übersetzer und arbeitet jetzt für einen Energiekonzern in der PR-Abteilung.“

„Also nicht das MI6“, murmelte Luisa und musste lachen, als sie sich nun Jeskas enttäuschtes Gesicht ausmalte.

„Wie bitte?“

Luisa winkte ab. „Meine Freundin ist Verschwörungstheoretikerin.“

Sam schien nicht ganz folgen zu können. Sie versuchte ihn abzulenken und sagte: „Wenn du willst, zeige ich dir mal die schönen Seiten des Ruhrgebiets.“

Er ging auf das Angebot nicht ein, sondern lächelte nur und Scham durchfuhr Luisa. Hastig fragte sie: „Und was macht deine Mutter?“

Er sah auf die Uhr.

Langweile ich ihn? Plötzlich war ihr die Fragerei sehr peinlich.

„Ich bin zu neugierig“, entschuldigte sie sich. „Du musst nicht antworten.

„Schon okay.“ Sam lehnte sich zurück. Er trug eine Kette mit kleinen, gelblichen Perlen, die wie vom Meerwasser gebleicht aussahen. „Sie ist Erzieherin und konnte in einem Kindergarten anfangen. Meine Großeltern mütterlicherseits leben auch hier.“

„Da hast du es aber gut. Meine Großeltern leben auf Fuerteventura. Ich sehe sie eigentlich nie.“

Sam hob die Augenbrauen. „In England haben wir zusammen mit meiner Oma gewohnt. Sie konnte nicht mitkommen.“ Er sah gedankenverloren aus dem Fenster. „Vielleicht wollte sie auch nicht.“

„Ist sie jetzt alleine in England?“ Luisa biss sich auf die Zunge. Warum konnte sie nicht aufhören, Sam auszuquetschen?

Sein Kopf fuhr zu ihr herum und es sah aus, als legte sich ein Schleier vor seine Augen.

„Mein Cousin besucht sie jetzt häufiger.“

Luisa fuhr sich vor Verlegenheit durch die Haare und schaute nun ebenfalls auf die Uhr. Die Zeit war um. „Ich glaube, meine Franz-Sachen schaffen wir nicht mehr.“

„Franz-Sachen?“, wiederholte Sam irritiert.

„Französisch“, erklärte Luisa. „Sorry.“

„Ach so. Hast du morgen denn Franz?“

Luisa lachte auf. „Nein. Erst übermorgen.“

„Dann kann Franz ja noch warten.“

„Du lernst schnell.“ Luisa versuchte sich an einem Augenzwinkern, das in die Hose ging, woraufhin Sam leise lachte.

Natürlich hatte er ein wundervolles Lachen, das ihr fast die Schuhe auszog.

Sie stand auf, warf sich ihre Tasche über die Schulter und ging schon ein paar Schritte auf die Tür zu, damit er ihre Begeisterung nicht sehen konnte.

Zusammen verließen sie das Schülercafé. Sam holte seinen Motorradhelm aus einem der Spinde hervor. Schweigend traten sie auf den Hof, wo sich nur noch wenige Schüler aufhielten. Luisa genoss diesen Moment, in dem Sam Weston mit seinen langen Beinen neben ihr herlief und sein Schatten auf sie fiel.

„Bis morgen dann“, sagte sie am Schultor.

„Bis morgen, Luisa“, antwortete Sam, ging zu den Roller- und Motorradparkplätzen hinüber und setzte sich im Gehen seinen Helm auf.

Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, machte Luisas Knie ganz weich. „Hoffentlich schaffst du dumme Gans es bis nach Hause“, murmelte sie und war überrascht, wie sehr dieser Junge aus England ihr Herz berührte.

Zuhause wurde sie von Stille empfangen. Stille, die ihr sehr ungelegen kam. Denn mit der Stille kamen ihre Gedanken erst richtig in Schwung.

Sam, Ophelia, Sam, Sam, Ophelia … Immer im Kreis. Und weder Molly noch Jess, die sie aus diesem Gedankenchaos hätten retten können, waren zu erreichen. So blieb Luisa nichts anderes übrig, als sich an ihre Deutsch-Hausaufgaben zu setzen.

„Werther kann noch so viele Briefe an Lotte schreiben, ich werde ihn nie verstehen“, murmelte Luisa und legte ihren Kuli aus der Hand. „Geschweige denn, eine vernünftige Analyse zustande bringen.“

Entnervt kippelte sie auf ihrem Stuhl, betrachtete seufzend das Wirrwarr auf ihrem Schreibtisch und blieb dann mit ihrem Blick an dem Bild hängen, das in einem antiken Silberrahmen am Rande des Chaos auf ihrem Schreibtisch stand.

Die Fotografie zeigte Ophelia auf der Weide, kurz nachdem sie auf dem Valentinshof angekommen war. Ihr Fell schimmerte in wundervoll hellen Rottönen, was ihr zusammen mit ihrem filigranen Kopf und den zierlichen Beinen schnell den Spitznamen ‚Feenfuchs‘ eingetragen hatte. Luisa war so froh, dass ihr Vater vor etwas mehr als zwei Jahren endlich zugestimmt hatte, ihr ein Pferd zu kaufen. Bis dahin hatte Luisa eine Reitbeteiligung an einem älteren Wallach auf dem Valentinshof gehabt. Kingston, ein dunkelbrauner Anglo-Araber, hatte sie brav durchs Gelände getragen und mit Luisa geduldig seine Runden durch die Reithalle und über den Springplatz gedreht. Als seine Besitzerin der Liebe wegen nach Berlin zog und ihr Pferd von einem auf den anderen Tag vom Hof abholen ließ, hatte Luisa stundenlang bittere Tränen geweint. Nach zwei trostlosen Wochen war ihr Vater mit ihr zu einem Pferdehändler gefahren, den er noch aus Schulzeiten kannte. Ein Pferd nach dem anderen hatte Luisa an dem Nachmittag ausprobiert, doch der Funke wollte einfach nicht überspringen. Als sie das letzte Pferd zurück in die Stallgasse führte, fiel ihr Blick auf eine hübsche Fuchsstute, die nervös wirkte, aber Luisa irgendwie in ihren Bann zog. Als sie den Händler auf das Pferd ansprach, winkte der direkt ab. Es sei kein Pferd für ein vierzehnjähriges Mädchen, sondern ein Sportpferd. Nach Bitten und Betteln durfte sie die Stute jedoch reiten. Auch wenn sie nicht besonders gut mit der temperamentvollen Ophelia zurechtkam, konnte sie ihren Vater und den Händler davon überzeugen, dass es genau das richtige Pferd für sie sei. Ihr Vater, der ihren Dickkopf nur zu gut kannte, handelte mit seinem alten Schulkollegen einen Freundschaftspreis aus und als Ophelia die Ankaufsuntersuchung überstanden hatte, wurde sie auf den Valentinshof gebracht. In der Nacht davor konnte Luisa kein Auge zu kriegen und malte sich die gemeinsame Zeit mit ihrem neuen Pferd in den schönsten Farben aus.

Doch weit gefehlt! Ihr Feenfuchs war mit dem gemütlichen Kingston wirklich nicht zu vergleichen. Unzählige Male hatte Luisa den Sattel unfreiwillig verlassen und es hatte lange gedauert, das Vertrauen des sensiblen Pferdes zu gewinnen. Wenn sie an diese Zeit zurückdachte, musste Luisa immer etwas schmunzeln. Zuhause hatte sie von den Schwierigkeiten fast gar nichts erzählt, da ihre Mutter, die sowieso gegen den Kauf gewesen war, Ophelia sonst wieder zurück zum Händler gebracht hätte. Doch gerade weil die Anfangszeit mit ihrem Pferd so schwierig gewesen war, konnte Luisa sich über die ersten Turniererfolge umso mehr freuen.

Die zahlreichen Stunden, die sie am Stall verbrachte und die Verpflichtungen, die ein eigenes Pferd bedeuteten, nahm sie gerne in Kauf. Ophelia war ihr Ein und Alles.

Als Luisa die Ruhe im Haus nicht mehr aushalten konnte, ging sie hinunter ins Wohnzimmer und schaltete die Lampe ein, die neben dem Klavier stand.

Sie setzte sich an das in die Jahre gekommene Instrument, das sie von ihrem Großvater geerbt hatte. Sie klappte den leicht zerkratzen Deckel auf und ordnete die Noten.

Wo war denn bloß die erste Seite von Erik Saties Je te veux? Luisa durchsuchte einen Stapel loser Notenblätter auf dem Klavierdeckel.

Da sie schon seit längerer Zeit nicht mehr gespielt hatte, war ihr der Überblick über das Chaos verloren gegangen und es dauerte etwas, bis sie das Blatt gefunden hatte.

Luisa glättete die Eselsohren und stellte es auf den Notenhalter. Sie spreizte die Finger, legte sie auf die Tasten und hielt einen Moment inne.

Vorsichtig spielte sie die ersten Töne und atmete erleichtert auf, da das Klavier wie neu klang.

Der Klavierstimmer hat letzte Woche ganze Arbeit geleistet, dachte Luisa und musste grinsen, als sie sich an den korpulenten, rothaarigen Mann erinnerte, der drei Stunden für die Arbeiten gebraucht und dabei wie ein Rohrspatz geschimpft hatte.

Luisa und ihre Mutter hatten das Erbstück anscheinend etwas vernachlässigt und mussten sich eine Predigt anhören, die sich gewaschen hatte.

Trotz der wunderbar klaren Töne misslang ihr der erste Satz des Stückes. Sie war einfach zu abgelenkt.

Luisa schüttelte die Hände aus und versuchte ihren Kopf freizubekommen. Dann begann sie noch einmal von vorne.

Vielleicht hätte ich mir nicht direkt ein derart schweres Stück aussuchen sollen, ärgerte sie sich und nahm sich vor, in Zukunft wieder regelmäßig zu üben.

Nach einer Weile fand sie dann aber den richtigen Rhythmus und der Musik gelang es, sie davonzutragen. Ihre Finger bewegten sich wie von selbst und sie brauchte fast gar nicht mehr auf die Noten zu schauen.

Beschwingt von diesem Erfolg, versuchte sie sich an einer Improvisation, in der sie die einzelnen Motive neu anordnete.

Doch auch in dieser Hinsicht schien sie etwas eingerostet zu sein, da ihr die eigene Version des Stückes überhaupt nicht gefiel. Frustriert brach sie ab und blätterte durch die Notenblätter.

Aber irgendwann sah sie ein, dass ihr das Klavierspiel heute nicht die Ruhe brachte, die sie sonst sofort überkam, wenn sie auf dem abgenutzten Klavierhocker saß.

Luisa klappte den Klavierdeckel geräuschvoll zu und stand auf, um sich eine Beschäftigung zu suchen, die sie besser von ihren Gedanken an ihr Pferd und ihren Nachhilfelehrer ablenkte.

Sie ging schließlich hinaus in den Garten und schmiss den Rasenmäher an, um die Wiese zu kürzen, die eigentlich noch keinen Schnitt nötig hatte. Der Benzingeruch hüllte sie ein und der Lärm betäubte ihre Ohren.

Luisa wurde erst nachmittags aus ihrem Gedankenchaos erlöst, als endlich die Haustür aufgeschlossen wurde.

„Hey, Ma“, rief Luisa und eilte zu ihrer Mutter ins Erdgeschoss hinab.

„Hallo, Luisa. Wie war die Nachhilfe?“

„Gut“, sagte sie kurz angebunden. „Können wir zu Ophelia fahren?“

„Nein.“

„Bitte, Mama. Ich habe den ganzen Tag gelernt und Hausaufgaben gemacht. Ich hab sogar den Rasen gemäht. Bitte!“

Eva schob den Unterkiefer vor und betonte damit ihr spitzes Kinn. Viele Leute waren der Meinung, dass Luisa ihrer Mutter ähnlich sähe. Angeblich hatten sie die gleiche Gesichtsform und die gleiche Nasen- und Mundpartie. Aber wenn Luisa in den Spiegel blickte, fühlte sie sich eher an ihren Vater erinnert, denn Ansgar hatte ihr die dunkle Lockenmähne und die hellbraunen Augen vererbt.

„Ich habe noch viel zu tun“, sagte ihre Mutter jetzt.

„Dann fahre ich mit dem Rad hin. Ist kein Problem.“

Eva schüttelte den Kopf. „Nein. Dann sehe ich dich erst in ein paar Stunden wieder.“ Sie legte ihre Ledertasche auf das weiße Flurschränkchen. „Ich muss noch einige Akten durchsehen. Dann fahre ich dich. Du hast dann eine halbe Stunde. Nicht mehr!“

Luisa atmete tief durch. Besser als nichts, dachte sie sich. „Wenn du nicht mehr Zeit für mich entbehren kannst …“

Ihre Mutter sah sie streng an. „Hast du heute schon etwas gegessen?“

„Brot. In der Schule.“

„Kochst du uns ein paar Nudeln?“

„Kann ich machen.“

„Gut. Ich bin dann mal im Arbeitszimmer.“

Luisa antwortete nicht, denn diese Worte kannte sie nur zu gut aus Evas Mund. Ihre Mutter war Anwältin für Umweltrecht und hatte diesen Job zu ihrem Hauptlebensinhalt gemacht.

Luisa ging in die Küche und füllte Wasser und Salz in einen Topf.

„Wenigstens sehen wir uns gleich, Ophelia“, flüsterte sie und stellte den Gasherd an.

Feenfuchs und Feuerkuss

Подняться наверх