Читать книгу Feenfuchs und Feuerkuss - Lara Kalenborn - Страница 7
Оглавление3 Fabelwesen
Eva Frost lenkte den hellgrauen Hybridwagen rasant die Straße entlang, die aus der Stadt hinaus zum Lichthang Gestüt führte.
Luisa schaute abweisend aus dem Seitenfenster und versuchte ihre Mutter zu ignorieren, die ihr mal wieder einen Vortrag über Schule, schlechte Noten und ihr anmaßendes Verhalten im Allgemeinen hielt: „Versetz dich doch auch mal in meine Lage. Wenn du jetzt sitzenbleibst oder gar die Schule wechseln musst, dann verbaust du dir deine ganze Zukunft. Ich kann schon nachts nicht mehr schlafen wegen deiner Eskapaden.“ Eva Frost seufzte. „Wenn du all die Zeit und Energie, die du für dieses schwierige Pferd aufwendest, in die Schule investieren würdest, ständest du in jedem Fach mindestens zwei.“
Und wäre mit meinen sechzehn Jahren schon depressiv, dachte Luisa sarkastisch, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Wenn ihre Mutter sich erstmal in Rage geredet hatte, gab es kein Halten mehr.
„Manchmal wünschte ich, dein Vater würde mich mit diesen Entscheidungen nicht immer alleine lassen. Aber so ist er eben. Die Weltmeere sind wichtiger als wir.“
Luisa spürte, wie ihr dieser Kommentar bis ins Mark fuhr. Aus dem Mund ihrer Mutter zu hören, dass sie nicht das wichtigste in Ansgars Leben waren, schmerzte sehr, auch wenn sie ihr insgeheim zustimmen musste.
„Sag so was nicht, Mama“, flüsterte Luisa.
Eva sah zu ihr herüber. Sie sah plötzlich sehr müde aus. „Ich wünschte auch, es wäre anders“, erwiderte sie und legte kurz ihre Hand auf Luisa Knie.
Zum Glück tauchte endlich die Einfahrt zum Gestüt vor ihnen auf. Kaum hatte ihre Mutter angehalten, sprang Luisa auch schon aus dem Auto.
In den späten Nachmittagsstunden herrschte reges Treiben auf dem Hof des Gestüts. Jährlinge wurden von der Koppel zurück in die Laufboxen gebracht, zwei Reiter führten ihre Pferde in die Reithalle und Stallmeister Werner schob eine übervolle Schubkarre Richtung Misthaufen.
Luisa betrat die Stallgasse.
„Ophelia!“ rief sie erwartungsvoll.
Doch wie heute Morgen erhielt sie keine Antwort. Beunruhigt beschleunigte Luisa ihre Schritte und öffnete die Box.
„Das kann doch nicht wahr sein!“, entfuhr es ihr.
Schweißnass stand ihr Pferd in der hintersten Ecke. Auf der Kruppe sah man sogar noch die Striemen von einer Gerte.
„Jetzt reicht‘s!“ Luisa stürmte aus dem Stall und wandte sich zum Springplatz, auf dem sie beim Vorbeifahren einen Reiter beim Training gesehen hatte.
„Die werden was erleben!“
Aufgebracht erreichte sie den großzügig angelegten Platz. Die Abendsonne tauchte die bunten Hindernisse auf dem hellen Sand in ein goldenes Licht. Die Stille wurde nur durch das rhythmische Schnauben eines Pferdes gestört.
Ein Reiter galoppierte auf einem mächtigen Dunkelbrauen auf eine anspruchsvoll gebaute Hindernisreihe zu. Kraftvoll drückte sich der Hengst vor dem ersten Steilsprung ab. Der Reiter ging geschmeidig mit der Bewegung mit und fokussierte direkt den nächsten Sprung. Die beiden folgenden Oxer überwand das Paar ebenso mühelos wie elegant.
Luisa war beeindruckt, eine derartige Demonstration größter Harmonie hatte sie jetzt nicht erwartet. Sie beobachtete, wie der Reiter einen perfekten fliegenden Galoppwechsel ritt und auf die beängstigend hohe Mauer zusteuerte.
„Eins, zwei und drei!“, zählte Luisa leise die letzten Galoppsprünge vor dem Absprung mit.
Aber auch die Mauer bereitete dem eingespielten Team keine Probleme, ganz im Gegenteil. Es waren sogar noch einige Zentimeter Platz geblieben zwischen den obersten Mauersteinen und den Hufen des Hengstes.
Lobend parierte der Reiter sein Pferd zum Trab durch und ließ die Zügel etwas länger. Schnaubend dehnte der Dunkelbraune seinen Hals in die Tiefe und trabte losgelassen entlang des Hufschlags auf Luisa zu.
„Entschuldigung, ich muss mal kurz stören“, rief Luisa und trat an die Begrenzung des Platzes heran.
Direkt vor ihr kamen Pferd und Reiter zum Halten.
„Kein Problem, ich bin sowieso gerade fertig“, sagte der junge Mann, nahm seine Kappe ab und fuhr sich durch die kurzen, blonden Haare.
Das hat mir gerade noch gefehlt: Jonathan Lichthang!, schoss es Luisa durch den Kopf.
Jonathan war der Sohn des Gestütsbesitzers und mit seinen achtzehn Jahren schon ein phantastischer Reiter. Außerdem war er dermaßen charmant, dass es verboten sein müsste, denn Jonathan wusste seine Wirkung auf Mädchen nur zu gut einzusetzen. Es konnte einem regelrecht schwindelig werden, wenn man dem Gerede in der Reiterwelt glaubte. Und Luisa kannte Typen wie ihn nur zu gut, sodass bei seinem Anblick alle Alarmglocken in ihrem Kopf läuteten.
Aber von Jonathan Lichthang ließ eine Luisa Frost sich nicht einschüchtern.
Sie zwang ihre Befangenheit ihm gegenüber nieder, um sachlich bleiben zu können: „Ich muss mich leider beschweren!“
„Ach, beschweren möchtest du dich direkt? Willst du dich nicht erstmal vorstellen?“ Jonathan zog eine Augenbraue hoch und musterte sie amüsiert.
Luisa bemerkte, dass er sie mit seinem Blick leicht aus dem Konzept gebracht hatte. Sie setzte zum Gegenschlag an: „Excuse-moi, Monsieur Lichthang. Wenn ich mich vorstellen dürfte: Luisa Frost. Mir gehört die verstörte und misshandelte Fuchsstute am Ende der Stallgasse. Ich denke, professioneller Beritt sieht anders aus.“
„Das ist aber ein schwerer Vorwurf.“
„Zu Recht.“ Luisa merkte, dass sie kurz davor zu explodieren. „Und ich bin damit absolut nicht einverstanden.“
„Fräulein Frost, ich entschuldige mich hiermit“, er zwinkerte ihr zu, „und werde die Beschwerde selbstverständlich an meinen Vater weiterleiten. In Zukunft werde ich höchstpersönlich ein Auge auf das sensible Tier haben!“
Er lächelte, nahm die blaue Abschwitzdecke von der Umzäunung und warf sie geschickt über die Kruppe seines Pferdes. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren ritt Jonathan im gemächlichen Schritt davon.
So hatte Luisa sich das irgendwie nicht vorgestellt. Da wollte sie jemanden zur Rede stellen und Jonathan nahm ihr einfach gekonnt den Wind aus den Segeln. Wütend auf sich selbst, marschierte sie zurück auf den Hof. Ihre Mutter stand noch neben ihrem Auto und unterhielt sich angeregt mit Jonathans Vater, Friedrich Lichthang, der mit seinem Tweedjackett und den zwei Jagdhunde zu seinen Füßen wie ein englischer Gutsherr wirkte.
Plötzlich erschien eine auffällig gekleidete, rothaarige Frau neben Herrn Lichthang, legte demonstrativ ihre Hand auf seinen Arm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er verabschiedete sich von Eva Frost und ließ sich von der eifersüchtig wirkenden Frau wegziehen.
Luisa trat zu ihrer Mutter, die dem ungleichen Paar belustigt hinterher schaute.
„Ach, Luisa, da bist du ja. Konntest du alles klären?“ Sie blickte hektisch auf ihre Uhr. „Wir müssen leider schon wieder los. Ich hab eine Akte in der Kanzlei vergessen.“
Das ist mal wieder typisch, dachte Luisa. Erst eine Frage stellen und dann die Antwort nicht abwarten. Widerwillig stieg sie auf der Beifahrerseite ein.
Ihre Mutter schnallte sich an. „Ich muss schon sagen, dieser Friedrich Lichthang ist auf seine Art sehr charmant.“
Luisa schaute ihre Mutter perplex von der Seite an und murmelte: „Nicht nur der.“
Eva Frost drehte den Zündschlüssel um. „Wie geht es denn Ophelia?“
„Wie es ihr geht?“ Luisa merkte, dass sie kurz vorm Ausrasten war. „Ausgezeichnet! Völlig panisch, misshandelt und verstört ist sie!“
Während sie den Wagen um die Schlaglöcher auf der Auffahrt lenkte, schaute Eva Frost kurz zu ihrer Tochter. „Findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst? Herr Lichthang hat mir versichert, dass es völlig normal ist, wenn ein Pferd in fremder Umgebung anfangs etwas verunsichert ist.“
Luisa versuchte ihre Verzweiflung mit Sarkasmus zu überspielen: „Na, wenn dein geliebter Friedrich Lichthang das sagt, dann ist ja alles in Ordnung.“
„Luisa, ich verbitte mir diesen Ton! Nur weil ich gesagt habe, dass er sehr freundlich ist, heißt das nicht direkt, dass ich mich für ihn interessiere.“ Eva Frost runzelte die Stirn. „Wenn du so weitermachst, kannst du dir die nächsten Besuche bei Ophelia abschminken.“
Luisa sah ein, dass eine Diskussion jetzt sinnlos war und ging zu ihrer Lieblingsbeschäftigung über: schweigend aus dem Beifahrerfenster starren.
Der einzige Lichtblick an diesem Abend war die Telefonkonferenz mit Molly und Jess, wo sie Dampf ablassen konnte. Ihre Freundinnen verstanden nur zu gut, warum sie ihre Mutter am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Und auch ihrem Ärger über Jonathan Lichthangs eingebildete Art wurde die Spitze genommen, als Jeska sich herrlich über den verwöhnten Schnösel aufregte. Sie hatte sich gerade richtig in Rage geredet, als Luisa auch noch eröffnete, dass Sams Familie leider nichts mit dem englischen Geheimdienst zu tun hatte. Woraufhin Jeskas Redeflut sich zu einem wahren Wort-Tsunami steigerte.
Kurz nachdem sie einige Zeit später den Fernseher ausgeschaltet und sich in ihrem Bett eingekuschelte hatte, vibrierte ihr Handy.
„Sam“, flüsterte Luisa und plötzlich war sie gar nicht mehr müde.
‚Hey Luisa‘, schrieb er, ‚können wir uns morgen etwas später treffen? Ich muss dienstags kochen. Könnte dann auch zu dir kommen. Greets, Sam‘
‚Klar. Kein Problem‘, tippte Luisa in ihr Handy ein, ‚Schreib mir, wann du kommst. Meine Adresse: Platanenallee 17.‘ Dass sie sowieso nichts Besseres vorhatte, weil ihre Mutter ihr den einzigen Lebenssinn genommen hatte, schrieb sie nicht in die SMS.
Sie drückte auf Senden und lächelte. Das kam ihr jedoch mit einem Male komisch vor und sie zwang ihre Mundwinkel wieder herab.
Sie versuchte krampfhaft an etwas anderes als an Sam zu denken, aber als sie in den Schlaf fiel, schlich er sich wieder zurück in ihren Kopf.