Читать книгу Die Rechtlosen - Larry Lash - Страница 6
1.
ОглавлениеEs mochte Mitternacht sein, als Buck Jones ein eigenartiges, schabendes Geräusch an der Bretterwand der windschiefen Hütte hörte, in der er sich zur Ruhe gelegt und schon einige Stunden geschlafen hatte. Das Geräusch weckte ihn. Der Kopf brummte ihm von zu viel genossenem Brandy, den er drei Tage lang in sich hineingeschüttet hatte. Er war in den vergangenen Tagen in einen Brandyrausch gesunken, wie er ihn nie vorher erlebt hatte. Die Erinnerung war nach und nach ausgelöscht. Doch jetzt, als er mit einem Brummschädel erwachte, war es ihm, als schütte ihm jemand eine eiskalte Dusche über den Rücken. Er hockte sich auf und starrte in die Dunkelheit des Raumes hinein. Seine Hände tasteten seinen Körper ab, und er stellte fest, dass er keine Decke über sich ausgebreitet hatte. Es roch übel um ihn herum. Das Stroh unter ihm hatte Tieren als Ausschütte gedient. Es war nicht ganz trocken, doch die Feuchtigkeit, die aus dem Stroh stieg, war leichter zu ertragen als die Kälte, die mit beißender Schärfe durch die Ritzen der Hüttenwand eindrang.
Jetzt wurde er sich klar darüber, dass nicht nur das schabende Geräusch an der Hüttenwand ihn geweckt hatte, dass die Kälte, der üble Geruch und die Feuchtigkeit gleichermaßen daran beteiligt waren. Alle diese Umstände wirkten auf ihn ein und machten ihn munter, mehr noch, er war plötzlich hellwach. Er lehnte seinen Rücken gegen die Wand und blieb einige Minuten still hocken, darum bemüht, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
Was war geschehen? Wie kam er hierher?
Seine tastenden Hände hatten seinen Waffengurt noch nicht ausfindig gemacht. Seine Taschen waren leer, und sogar das Taschentuch fehlte, und damit die letzten fünfzig Dollar, die er vor Kurzem noch besessen hatte. Schrecken ließ ihn auffahren. Er richtete sich ein wenig überhastet auf, stieß aber sofort mit seinem Kopf gegen einen Balken und sank mit einem Fluch zurück auf das üble Lager. Sogleich kroch er weiter, bis seine Hände ins Leere tasteten.
„Wie komme ich nur in diesen Hühnerstall hinein“, sagte er laut, als er die Sitzstange des Federviehs ertastete. „Ich muss von Sinnen gewesen sein!“
Er tastete weiter, bis er mit seinen Händen eine kurze Leiter erwischte. Es gelang ihm, sich aus dem Verschlag zu winden. Schwer atmend stand er ein wenig später neben dem Verschlag und wischte mit der Hand über seinen brummenden Schädel. Tausend kleine Teufel schienen mit kleinen Hämmern unter der Schädeldecke zu meißeln. Die Schmerzen waren so stark, dass er es schließlich aufgab, Licht in das Dunkel der vergangenen Tage zu bringen. Im Augenblick war er froh, dass er aus dem Verschlag heraus war und aufrecht stehen konnte. Mit vorgestreckten Händen tastete er sich bis zu einer Tür hin, die unverschlossen war. Er atmete auf, als er feststellte, dass seine erste Annahme, ein Gefangener zu sein, sich nicht bestätigte.
Der Lichtschein einer an einem Deckenbalken im Zugwind hin und her baumelnden Karbidlaterne fiel auf Buck, der verwirrt stehenblieb und sich an den Pfosten der geöffneten Stalltür anlehnte. Die Übelkeit war jetzt so stark in ihm, dass er dagegen ankämpfen musste. Sein Magen revoltierte, die Augen brannten ihm. Er schauerte zusammen, als der Nachtwind ihn traf. Buck stand so eine Weile an den Pfosten gelehnt. Er war sehr bleich. Die Haare lugten unter der Stetsonkrempe hervor. Hätte er sich in einem Spiegel sehen können, er wäre sicherlich entsetzt zusammengefahren.
Er gab sich einen Ruck und setzte sich in Bewegung. Es war sehr kalt. Im Osten zeigte sich der erste graue Schimmer des kommenden Morgens. Die kleine Rinderstadt lag verlassen da. An der Hüttenwand stand ein an einem Haken festgebundenes Maultier, das sich den Rücken an der Hüttenwand rieb und Buck aus großen, verwundert dreinblickenden Tieraugen nachschaute. Der torkelnde Gang des davongehenden Mannes erinnerte an einen Volltrunkenen. Doch Buck war es nicht mehr. Er war stocknüchtern, dafür sorgte die Nachtkälte. Ein Reiter kam ihm entgegen, stutzte bei seinem Anblick und hielt mit einem scharfen Zügelruck sein Pferd an.
„Buck!“, wurde er angerufen. „He, Buck!“
Buck brauchte einige Sekunden, um den Reiter zu erkennen. Er war ebenfalls stehengeblieben, hatte mit beiden Händen das Bohlensteiggeländer erfasst und blickte aus verschwommenen Augen in das Antlitz des hartgesichtigen Reiters.
„Du bist es, Gail?“
„Danke Gott, dass ich es bin und nicht ein Reiter aus der Bruce-Mannschaft“, wurde ihm rau erwidert. Bei diesen Worten schwang sich der Reiter aus dem Sattel, nahm sein Pferd am Zügel und trat nahe an Buck heran. Seine hellen Augen musterten Buck schnell und eindringlich. „Ich bin nur deinetwegen hier“, sagte Gail Datrys, wobei er Bucks Arm nahm und ihn und sein Pferd in eine dunkle Gasse führte. „Als man mir sagte, was du Unglücksrabe hier angestellt hast, ließ es mir keine Ruhe. Jetzt scheinst du ein wenig zahmer geworden zu sein, mein Junge! Das blanke Elend steckt in dir. Du kannst dich kaum noch aufrecht halten. Das hat wohl alles so kommen müssen.“
„Rede nicht lange herum, Gail“, unterbrach ihn Buck, der zwar willig gefolgt war, sich aber jetzt losriss. „Was ist denn geschehen?“
„Himmel und Hölle, als man mir sagte, dass du stinkbesoffen Amok läufst, habe ich mir einiges denken können. Doch scheint es noch schlimmer um dich bestellt gewesen zu sein, als ich annahm. Buck, du hast Dan Bruce eine Kugel geschickt und seinem Vormann Parler die Nase schief gesetzt. Dann hast du den Tingel-Tangel-Saloon leergefegt, so dass einige Stühle, Tische, Spiegel und Regale zum Teufe! gingen. Ein Vandale hätte nicht schlimmer hausen können. Von tausend Teufeln musst du besessen gewesen sein. Die ganze Stadt stand Kopf. Ich will nicht erwähnen, was im Einzelnen geschah, doch sei froh, dass deine Kugel Dan Bruce nur leicht verletzte und ihn nicht tötete.“
„Es wäre besser, wenn Dan Bruce tot wäre, Gail“, unterbrach ihn Buck. „Seine Leute haben mich in die Gosse geworfen. Dann bin ich ihnen entkommen und bin in irgendeinen Stall gekrochen. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, Gail, doch an gewisse Dinge sehr genau, dass ich nämlich meinen Job los bin, dass Asa Melvis mich entlassen musste, weil er seine Ein-Kuh-Ranch gegen den Druck der Bruces nicht mehr halten konnte und sich von den Drohungen der Brüder einschüchtern ließ. Er verkaufte weit unter dem Preis an die Bruces.“
„Das ist kein Grund, um allein gegen Bruce anzugehen, Buck!“
„Das meinst du!“ Buck Jones stieß es böse hervor und trat einen Schritt von Gail Datrys fort. „Ich verstehe! Die Macht der Bruces ist zu groß, als dass sich ein Sterblicher dagegen auflehnen könnte. Man nimmt hin, was von ihnen kommt. Man duckt sich und hält den Mund. Man lässt sich einen Tritt versetzen und sagt noch danke schön! Alle zittern, wenn der Name Bruce fällt. Einer
misstraut dem anderen. Keiner möchte sich bei den Bruces in ein falsches Licht setzen. Die Leute ersterben in Achtung, wenn einer aus der hochmütigen Sippe daherkommt, und doch wissen sie alle, welche Methoden die Brüder anwenden. Es sind nämlich gemeine Methoden, die sie benützen, um ihre Macht auszuweiten und zu stärken. Wer sich ihnen entgegensetzt, muss das Land verlassen und ist im gleichen Moment ein Rechtloser und Ausgestoßener, ein Mann den man am besten meidet.“
„Du hättest mit Asa Melvis fortreiten sollen, Buck!“, unterbrach ihn Gail Datrys. „Asa hat dich darum gebeten, doch du hast es ihm abgeschlagen. Warum eigentlich?“
„Warum? Weil mein kranker Vater hier lebt, weil meine Mutter hier beerdigt ist, weil das Land meine Heimat ist, Gail. Ich komme nicht davon los. Jemand muss für meinen Vater sorgen. Er ist zu alt und zu krank. Ich kann ihn nicht im Stich lassen.“
„Ich komme von deinem Vater“, nahm Gail ihm das Wort. „Ida hatte angenommen, dass du dich bei ihm verstecken würdest.“
„Bei meinem Vater verstecken, ausgerechnet bei ihm?“
„Die Leute hier achten ihn. Es ist nicht vergessen, dass er der erste Sheriff im Orte war, dass er seinen Dienst nach einem schweren Gefecht mit Rustlern aufgeben musste, weil er so verwundet wurde, dass er ein Krüppel blieb. Er ist böse auf dich, Buck. Was mein Sohn tat, war nicht richtig, hat er mir gesagt. Er hat die ganze Stadt in Aufruhr versetzt. Man hätte ihn in der Gosse erschlagen, wenn ich nicht dazwischen gekommen wäre. Wie ein Hund kroch er davon; hoffentlich so weit, dass er mir niemals wieder vor die Augen kommt. So wüst spielt man sich nicht auf. Alles hat gewisse Grenzen, sie gelten auch für Buck. Sage ihm das, falls er sich wider Erwarten noch in der Nähe der Stadt herumtreiben sollte. Sage ihm, dass er vergessen soll, dass er einen Vater hat. Richte ihm das aus und auch, dass ich mich für ihn schäme. Er muss toll sein! – Das waren die Worte deines Vaters.“
„Toll soll ich gewesen sein? Lieber Himmel, ich kann mich nicht an alles erinnern. In meinem Gedächtnis ist eine große Lücke, die sich einfach nicht schließen will. Hat er wirklich gesagt, dass …“
„Ja“, unterbrach ihn Gail rau. „Wenn etwas dazu angetan war, dir die letzten Freunde zu nehmen, so war es dies.“
„Das heißt …“
„Dass auch ich von dir Abstand nehme“, antwortete Gail Datrys. „Man rennt nicht mit einem geladenen Colt wie ein Wilder herum, räumt die Ladenkasse von Bill Bloyds Store aus und wirft das Geld auf die Straße hinaus. Man öffnet nicht die Rindercorrals und jagt die zum Verladen bestimmten Tiere mitten unter die vom Gottesdienst heimkommende Gemeinde, dass sie in vollem Entsetzen auseinanderspritzen muss, um sich vor den rasend gewordenen Rindern in Sicherheit zu bringen. Man beleidigt auch eine Lady nicht.“
„Eine Lady?“
„Virginia Bruce“, sagte Gail mit grollend bewegter Stimme. „Sie hatte das Pech, mit der Stagecoach anzukommen, als du sinnlos betrunken aus einer der Brandyschänken herauskamst.“
„Ich entsinne mich nur, dass Virginia Bruce ein mageres, sommersprossenübersätes Mädel war, hager und knochig, ein Kind noch.“
„Das war sie vor fünf Jahren. Inzwischen hat sich das geändert. Sie ist eine Lady geworden und für immer nach hier zurückgekehrt. Sie muss ja ein schönes Bild von dir bekommen haben, Buddy. Doch Schwamm darüber! Wenn sie dich nicht in Schutz genommen hätte, würde man dich wahrscheinlich noch in ihrer Gegenwart zusammengeschlagen haben.“
„Das kann doch alles nicht wahr sein, Gail. So viel blödes Zeug kann ein Mann allein gar nicht anstellen!“
„Du hast versucht, sie zu umarmen und zu küssen. Du hast sie wie ein Tanzhallenmädchen belästigen wollen, und das mitten vor der Poststation. Himmel, du bist nicht wert, dass man dich überhaupt noch anschaut. Deine Freunde hast du verloren und deine Feinde so erbittert, dass sie für dich die Hölle loslassen werden. Deinen Vater hast du verloren, und das alles, weil du dich voll Brandy laufen ließest. Dich muss der Teufel selbst geritten haben. Niemand wird von nun an mehr noch etwas mit dir zu tun haben wollen, Buddy.“
„Dann verschwinde auch du, Gail!“, erwiderte Buck Jones mit rauer, brüchig klingender Stimme.
„Es wäre das Beste“, antwortete Gail mit grimmig verzogenem Gesicht, „doch dann müsste ich mir vorwerfen, dich zum Diebstahl getrieben zu haben. Du würdest dir auf diese Weise eine Ausrüstung, einen Colt, Munition und andere Kleinigkeiten besorgen. Nun – ich bin dir etwas schuldig, ich habe dir mein Leben zu verdanken …“
„Verschwinde!“, sagte Buck heiser vor Erregung. „Halte dich nicht länger auf und erspare dir weitere Worte. Ich kann mich nicht erinnern, dass du mir etwas schuldig bist. Verschwinde nur, ich komme ohne dich zurecht.“
„Nein, denn sie sind bereits hinter dir her, Buck“, unterbrach Gail Datrys ihn schweratmend. „Man wird dich jagen, bis du tot bist. Jean Parler, der Vormann der Bruce-Mannschaft, will sich deinen Skalp holen. Nichts auf der Welt könnte ihn davon zurückhalten, nicht einmal, dass du unbewaffnet bist und voller Katzenjammer steckst. Wenn er dich stellt, bist du erledigt, Buck. Bei allem, was geschah, hast du Glück gehabt, doch jetzt ist dein Glück endgültig vorbei.“
„Ich habe wohl zu viel herausgefordert?“
„Entschieden zu viel, Buck, mehr als du dir erlauben durftest“, sagte Gail Datrys. „Dein Amoklauf war umsonst. Du bist gegen eine Wand gerannt und liegst nun am Boden. Nimm mein Pferd, meinen Colt, Munition und ein wenig Proviant. Schwing dich in den Sattel und reite. Ja, reite, so weit du kannst, denn auch der Sheriff ist hinter dir her. Bill Bloyd und einige andere haben Anzeige gegen dich erstattet. Du wirst über hundert Dollar Schadenersatz zahlen müssen, wenn man dich erwischen sollte. Woher willst du das Geld nehmen?“
„Vom Mond, Gail“, erwiderte Buck mit einem zur Grimasse verzogenen Gesicht. „Ich nehme dein Pferd und deinen Colt.“
„Dann sind wir quitt, Buck“, erwiderte Datrys mit einem schmerzlichen Ausdruck im Gesicht. „Unsere Wege trennen sich. Vergiss, dass du einen guten Freund hattest, und bleibe meiner Ranch fern.“ Er schnallte seinen Revolvergurt ab und reichte ihn Buck hin. Der nahm ihn, ohne zu zögern.
„Gail Datrys“, sagte er heiser, „ich muss den Verstand verloren haben. Der Brandy hat mich toll gemacht, und ich habe mich wie ein Tier benommen. Nun gut, ich will und kann mich nicht entschuldigen. Ich kann mir auch deine Freundschaft nicht erhalten. Jahrelang hat sie bestanden. Jetzt ist das vorbei, vorbei wie mein Job bei Asa Melvis. Ich habe getrunken, ich habe eine Unmenge Brandy in mich hineingeschüttet, aber ich erinnere mich, dass einer der Saloonbesitzer sagte, als ich zahlen wollte: Das geht auf Rechnung des Hauses. Jemand hatte ein Interesse daran, dass ich meinen Kummer im Brandy ersticken sollte, jemand, der genau wusste, dass ich an Brandy nicht gewöhnt war. Das Teufelsgesöff musste mich also um und um krempeln. Ich war so schwach, dass ich mich dieser Schwäche schämen muss, aber auch meine Freunde sollten sich schämen. Wo sind meine Freunde geblieben?“
„Du hättest deine Freunde nicht erkannt, so total blau warst du. In Warso bist du erledigt, Buck Jones!“
„Ich weiß.“ Buck winkte ab, schnallte sich den Waffengurt um und rückte Halfter und Colt zurecht. „Bruce ist schlauer, als ich dachte. Er hat früh genug erkannt, wen er aus dem Rennen bringen muss. Dir gab er wohl Kredit und stundete dir deine alten Schulden. Er war großzügig und lässt dich noch einige Zeit im Rennen. Mein Gott, ich schaue geradewegs durch dich hindurch und in Dan Bruces höhnisch verzogenes Gesicht hinein. Immer hat er es verstanden, die Männer, die ihm gefährlich waren, in Misskredit zu bringen, um sie so auszuschalten. Ich weiß, du musst für deine Frau und Kinder sorgen. Dir sind die Arme gebunden. Jetzt hat man auch dir Fußfesseln angelegt, Gail Datrys. Nimm dich nur in Acht, dass Dan Bruce nicht erfährt, wer mir geholfen hat, oder wirst du dann sagen, Jones stahl mein Pferd?“
„Es könnte sein, dass ich es so auslegen muss, Buck Jones“, antwortete Gail Datrys mit dumpf
klingender Stimme. „Es trifft dich nicht mehr, denn du wirst dann aus dem Lande sein!“
„Ein Steckbrief mit meinem Bild und einer Unterschrift Pferdedieb gesucht wird mir folgen. Ein feines Geschenk, Gail. In der Tat, du hast es dir gut ausgedacht.“ Er lüftete bei diesen Worten den schweren Colt an. Mit verkniffenen Lippen und höhnisch verzerrtem Gesicht blickte er auf die Waffe in seiner Hand, um sie gleich wieder ins Halfter zurückzustecken. „Es ist so einfach für dich“, fuhr er dann fort. „Unsere Freundschaft besteht nicht mehr. Du bist mir nichts schuldig. Was jetzt kommt, daran bist du wohl nicht interessiert. Du denkst, dass ich mich schon irgendwie durchschlagen werde. Du glaubst, dass ich weit genug reiten werde. Irre dich nicht! Vielleicht sehen wir uns schon bald wieder.“
„Es wäre dein Untergang. Ich könnte nichts mehr für dich tun.“
„Wahrhaftig, etwas anderes habe ich auch nicht von dir erwartet. Du würdest sogar Stellung gegen mich nehmen. Wie tief bist du doch gesunken! Tiefer als ich! Glaubst du, dass es noch Sinn hat, wenn du dich duckst? Ich sage dir klar: Du bist rechtloser als ich! In diesem Lande haben die Männer der Bruce-Sippe die Macht unter sich aufgeteilt. Die größte Ranch mit einem Dutzend Nebenranches gehört ihnen. An der halben Stadt mit den Saloons, Bars und Spielhöllen, an den Transportunternehmen und auch an der Stagecoachlinie sind sie beteiligt. Sie haben ihren Sheriff ins Amt gebracht und sind die Hauptaktionäre der Bank. Ja, beuge dich nur! Beuge dich so, dass dein Rücken immer krummer wird und es leicht für die Bruces wird, mit der Peitsche darauf zu schlagen!“
Buck Jones riss Gail die Zügel des Pferdes aus der Hand. Gail wich zurück: Der unheimlich drohende Blick Bucks verwirrte ihn, steigerte aber auch die Abwehr in ihm gegen Buck.
„Ich könnte dir antworten“, sagte Gail, „aber ich schweige lieber. Du, der du die Bruces verurteilst, bist vielleicht noch schlimmer als sie. Es ist sicherlich gut, dass keine Mannschaft hinter dir steht.“
„Das kann noch werden“, unterbrach ihn Buck. Seine Worte hatten einen solchen Klang, dass Gail zusammenzuckte.
„Buck Jones, ich warne dich!“
„Wovor? Vor deinesgleichen? Oder vor dem Verrat, den du im Sinne hast?“
„Bleib auf der Seite des Rechts“, sagte Gail.
Buck antwortete mit einem Gelächter, das so schneidend klang, dass es Gail bis ins Mark drang. Buck beugte sich im Sattel weit vor, dass Gail das wilde, verwegene Gesicht des jüngeren Mannes sah.
„Welches Recht meinst du, Gail?“, fuhr Buck Jones fort. „Etwa das Recht, das Sheriff Ray Miland vertritt? Alle Welt weiß, dass er noch vor einem halben Jahr drüben in Mexico einer der gefürchtetsten Banditen war und bei den Yaquis, den Wölfen der Sierra, wohl gelitten war. Er raubte, plünderte und mordete mit den Wölfen der Wüstenberge. Er fiel mit ihnen brandschatzend in die mexikanischen Siedlungen ein. Er lebte mit ihnen und rauchte ihre Maishülsenzigaretten. Er kämpfte mit ihnen gegen die Papago und Apachen, gegen Weiße, gegen Reiche und Arme, gegen die mexikanische Armee und gegen die Grenzleute. Vielleicht glaubt er noch heute an Huitzilopochtli, den blutigen Gott. Schau ihn dir nur richtig an, er ist bis heute in seiner ganzen Art ein Indianer geblieben.“
Mit einem bösen Grinsen wandte Buck sein Pferd herum. Das Tier bewegte seine Hufe unruhig auf der Stelle, so als fühle es den neuen, fremden Willen.
Gail sagte scharf: „Du übertreibst! Sheriff Miland hat endgültig mit seiner Vergangenheit gebrochen.“
„Ein Wolf bleibt ein Wolf, auch wenn er in ein Schaffell schlüpft“, erwiderte Buck Jones rau. „Auch aus dir wird kein Löwe, du bleibst ewig eine Maus!“