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Zug 1 | Waggon 5

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Wenn Horst nicht mehr weiter weiß, geht er in seinen Hobbykeller – auf 3,5 mal 5,0 Metern steht dort sein ganzer Stolz: eine Modelleisenbahn in H0. Wenn er einmal in Rente ist, möchte er gern seine gesamte Strecke von Altona bis nach Westerland nachbauen. Doch dafür fehlt ihm im Moment noch die Zeit – und der Platz. Als er Gaby das erste Mal gefragt hatte, ob sie nicht das Schlafzimmer in den Keller verlegen könnten, damit er die erste Etage komplett für sein »Bahnprojekt 21« nutzen könnte, hatte die ihm nur wortlos einen Vogel gezeigt. Außerdem hatte sie ihm kurzerhand den »Frühlings-Sex« gestrichen.

»Vielleicht hätte ich mich damals einfach durchsetzen müssen«, dachte Horst nun, »vielleicht wäre das dann alles nicht passiert. Kai wäre bestimmt nicht in den Keller gegangen.« Er drehte den erstbesten Trafo am Führerstand seiner Modelleisenbahn voll auf, der daraufhin den Schnelltriebwagen »ST 800.5« in Rot von Märklin so stark beschleunigte, dass er aus der nächsten Kurve gegen die weißgekalkte Kellerwand flog.

Der dreiteilige Triebwagen hat einen Wert von rund 1.400 Euro, aber das interessierte Horst in diesem Moment nicht. Warum hatte er sich beim Thema »Ausbau der Marschenbahn« wie immer arrangiert, fragte er sich, stattdessen nur den Sackbahnhof Altona en miniature nachgebaut, das Stellwerk in Elmshorn, die Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal, die Hafenbrücke von Husum und den Hindenburgdamm? Er hätte viel mehr kämpfen müssen, sich gerade machen müssen, dachte er. Aber genau das werde er jetzt tun.


Seine Leidenschaft für das Reisen stammte noch aus DDR-Zeiten. Geboren wurde Horst 1975 im mecklenburgischen Wittenburg, wuchs unweit der Transitautobahn Hamburg – West-Berlin auf und schaute regelmäßig den dort fahrenden LKW hinterher. Gern hätte er nach dem Abitur studiert, doch die Wiedervereinigung machte seiner Schulkarriere einen Strich durch die Rechnung. Nach der Mittleren Reife begann er eine Ausbildung bei der Bundesbahn in Hamburg, heiratete mit 22 Jahren Gaby und zog ins Reihenendhaus nach Schenefeld, das seine Frau von ihrer Oma geerbt hatte.

An sich entsprach Gaby nicht wirklich Horsts Vorstellungen. Gaby ist einen Kopf größer als er, seiner Meinung nach zu dünn, und die langen, dauergewellten wie Wasserstoffperoxid-entfärbten Haare sind nicht im Ansatz so schön wie die an sich brünetten. Von den künstlichen Fingernägeln ganz zu schweigen. Geheiratet hat er sie, um nicht mehr allein zu sein, war seine Vermutung. Außerdem weckte Gaby in ihm irgendwie den Beschützerinstinkt, und das Reihenhaus hatte sicherlich auch seinen Reiz. Seitdem brachte Horst jeden Monat pünktlich das Geld nach Hause, Gaby verdiente ein paar Euro dazu als Aushilfskassiererin bei LIDL.

Horst war trotzdem glücklich: Der kleine Rasen hinter dem Haus war stets akkurat gemäht, die kleine Hecke vor dem Haus ordentlich gestutzt. Anders als Kai griff Horst immer erst nach Johanni zur Heckenschere, so wie es sich gehört. Zwei Mal im Jahr wurden die Regenrinnen vom Laub gesäubert, und auch um den Rest-, Bio- und Plastikmüll musste sich Gaby ebensowenig kümmern, wie um das Altglas. Und der Dank?


»Horst, geh’ einfach Eisenbahn spielen! Ja? Sei so gut, der Kai muss mir unbedingt noch eine weitere Beckenbodenübung zeigen ...«, hatte Gaby im Schlafzimmer zu ihm gesagt. Und beide haben gelacht, ihn ausgelacht: Becken – Boden – Übung. Ufff.

Die schönsten Wochen des Jahres

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