Читать книгу Fairview - Schleichender Tod - Lars Hermanns - Страница 4

Samstag, 28. Februar 2015

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Cherokee County Sheriff Department, Canton, Georgia


O.C. Thomas war wieder beizeiten in seinem Büro und saß über verschiedenen Aktenordnern. Samstags nahm er sich zumeist vor, zumindest bis mittags die Stellung zu halten. Doch heute war ihm nicht wirklich nach Arbeit zumute. Der gestrige Abend war anstrengend gewesen. Einem Polizisten fiel es nun einmal nicht leicht, einen Kollegen im Krankenhaus zu wissen; selbst dann nicht, wenn er ihn nicht besonders gut kannte. Oft genug war er in einer ähnlichen Situation gewesen, wie sie William gerade durchstehen musste. Nur hatte O.C. wenigstens seine ihn liebende Frau Mabel, die ihm in solchen Momenten unter die Arme griff. Waren Cynthia und William schon so weit, dass sie ihm eine Stütze sein würde? Vermutlich nicht…

Er legte den aktuellen Ordner beiseite, griff nach seiner kleinen Maiskolbenpfeife und stopfte sie mit einer Virginia-Perique-Mischung. Nachdem er sie angesteckt hatte, lehnte sich O.C. in seinem Bürosessel zurück und dachte nach. Ihm war klar, dass er William helfen wollte. Beistand würde er ihm derzeit nicht bieten, das konnte dessen alter Freund aus New York vermutlich deutlich besser. Doch er würde ihn später auf jeden Fall wieder besuchen. Mabel hatte samstags ihren großen Putztag – und O.C. tat daher an diesem Tag immer alles nur erdenkliche, um ihr ja nicht im Weg zu stehen. Wie oft hatte sie ihn schon aus dem Haus geworfen, weil er ihr angeblich im Weg war? O.C. schmunzelte bei dem Gedanken an seine Frau – und morgen würde er mit ihr vermutlich wieder zum Essen ausgehen.

Nachdem er so in Gedanken ein Weilchen vor sich her geraucht hatte, fasste O.C. einen Entschluss. William war vermutlich zu sehr in Gedanken – und mit den Eltern des armen Officers beschäftigt –, als dass er dazu kommen würde, sich um einen schnellen Ersatz zu kümmern. Und da fiel O.C. ein, worüber sie sich vergangene Woche erst unterhalten hatten.

Er setzte sich an seinen Computer und suchte nach der Email, die er William nach ihrem Gespräch hatte zukommen lassen … und da war sie!

Michael Luther White

O.C. konnte sich wirklich noch sehr gut an diesen jungen Mann erinnern. Und er war sich sicher, dass er auch William als neuer Officer zusagen würde. Also wollte er mal zusehen, dass er den Dingen ein wenig nachhalf. Er klemmte sich die Pfeife zwischen die Zähne und wählte die Nummer des Sheriff Departments in Cobb County.

Als sich am anderen Ende jemand meldete, sagte er bloß: »Hallo Deputy, hier ist Sheriff O.C. Thomas aus Cherokee County! Verbinden Sie mich bitte mit Deputy Michael L. White … danke, ich warte … er hat heute seinen freien Tag? … danke, die Nummer habe ich … ja, wünsche ich Ihnen auch.«

O.C. grinste zufrieden, als er auflegte und direkt danach die Privatnummer des Jungen in Kennesaw anwählte. Er vergaß manchmal, dass nicht jeder Polizist auch samstags im Dienst war. Es klingelte … und nach einem kurzen Moment meldete sich eine verschlafene Stimme am Telefon.

»Deputy White? Hier ist Sheriff O.C. Thomas aus Canton. Sind Sie noch immer an einer Anstellung im Cherokee County interessiert? … Ja? … Na, wunderbar! Wann und wo können wir uns treffen und miteinander reden?«

Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

Gordon und William wachten beide kurz nach 7 Uhr auf. Für William war 7 Uhr beinah schon die reguläre Zeit, um das Bett zu verlassen. Zumeist stellte er sich den Wecker auf 6:30 Uhr; war Cynthia die Nacht bei ihm, wollte sie vor dem Aufstehen oftmals noch ein wenig schmusen. Heute hingegen verbrachte sie die Nacht bei sich zu Hause und ließ William vorerst mit seinem Besuch allein. Er hatte darauf bestanden, Gordon erst einmal so zu sprechen, ehe er direkt auf Cynthia zu sprechen kam. Schließlich war Gordon auch mit Williams Frau Angela befreundet gewesen; und William wusste noch nicht, wie sein alter irisch-katholischer Freund auf diese neue, plötzliche Liaison reagieren würde. Zumal William sich immer noch nicht sicher war, als was er Cynthia vorstellen sollte. Nur als eine Freundin? Sie war definitiv mehr als das! Als seine neue Freundin? Nein, denn das war sie wirklich nicht. Zumindest noch nicht! Und solange William sich seiner Gefühle nicht sicher war, würde er an dieser Situation auch vorerst nichts ändern wollen.

So ging er in Gedanken versunken nach unten in die Küche, um für Gordon und sich Tee zu kochen. »Gordon, möchtest du gebratene Eier und Speck? Ich hätte sonst auch Kellogg's Fruit Loops mit Milch! Oder soll ich uns schnell ein paar Pfannkuchen machen? Maissirup habe ich unten im Keller!«

Gordon war zurzeit noch im Badezimmer. Als er William rufen hörte, öffnete er die Tür und antwortete: »Was hältst du davon, wenn wir stattdessen zum Cracker Barrel fahren? Anschließend müsste ich bitte zum Walmart – ich brauche unbedingt meine Zahncreme und mein Rasierwasser!«

»Können wir auch machen!« William stieg wieder nach oben, damit sie nicht brüllen mussten. »Ich wusste nicht, dass du keine Zahncreme mitgebracht hast.«

»Hatte ich schon«, entgegnete Gordon. »Doch am Flughafen in Newark hat man mir Zahncreme und Rasierwasser weggenommen, weil beide Behälter jeweils mehr als 100 ml fassten. Ist das zu glauben?«

»Du kannst Zahncreme und Rasierwasser von mir haben.«

»Danke, mein Junge. Doch ich brauche sowieso beides neu, da ich zu Hause in North Arlington auch nichts mehr habe. Und morgen werde ich meine Tasche als Gepäck aufgeben; dann bin ich diese Sorge los.« Er grinste und schlich an William vorbei ins Gästezimmer. »In fünf Minuten wäre ich soweit!«

William ging daher in sein Schlafzimmer und zog sich zu Jeans und T-Shirt noch ein Hemd über. Da es morgens noch knapp über dem Gefrierpunkt war, entschied er sich für ein kariertes Flanellhemd. Sein Holster mit der Pistole steckte er wieder in den Gürtel. Vor dem Schlafengehen hatte er die Waffe gründlich gereinigt und geölt, nun war sie wieder einsatzbereit.

Er war gerade unten und zog seine Cowboystiefel an, als Gordon die Treppe herunter kam. »Seit wann trägst du Cowboystiefel?«, fragte Gordon verwundert.

»Früher gelegentlich. Und hier? Mal sehen … vermutlich werde ich mir bald ein paar andere Stiefel zulegen. Biker Boots vielleicht.«

Beide Männer lachten und gingen zur Garage. William öffnete sie, und Gordon bewunderte den Truck, den er am Abend gar nicht so bewusst wahrgenommen hatte.

»Schicker Wagen!«

»Passt zur Gegend.« William grinste und öffnete für beide die Türen. »Hier weiß man nie, was auf einen zukommt. Und da ich nun ein Haus mit Bäumen und direkt am Creek gelegen habe, werde ich vermutlich immer wieder mal was Größeres besorgen müssen. Und da kommt mir die große Ladefläche gerade recht.«

Sie verließen das Grundstück, und William lenkte den Truck entspannt nach Fairview hinein. »Wir haben einen Cracker Barrel am anderen Ende der Stadt, direkt bei der Auffahrt zur Interstate.« Da William sich immer noch nicht so gut auskannte, programmierte er das Restaurant schnell in sein Navigationsgerät ein.

»Du hast ein Navi?«

»Glaube mir, Gordon, ohne ist man hier aufgeschmissen.«

So fuhren sie zum Frühstücken und kamen gegen 7:45 Uhr an. William parkte seinen Truck in der Sonne und nicht allzu weit vom Eingang entfernt. Als sie sich nun auf den Weg dorthin begaben, bemerkte Gordon die Schaukelstühle, die vor dem Restaurant zum Verkauf angeboten wurden. »Sowas wäre gut für deine Veranda, mein Junge.«

Sie schauten sich die Schaukelstühle an, die von robuster Qualität zu sein schienen. William stimmte Gordon zu – das wäre das Richtige für die Veranda. Doch zunächst wollten sie frühstücken.

Short Street, Fairview, Georgia

Brenda Lee klingelte um 8 Uhr an der Tür der Familie Lopez. Lois öffnete ihr und ließ sie hinein. José war bereits sehr früh wieder zur Arbeit gefahren, und auch Lois würde spätestens in einer Stunde wieder los müssen.

»Ich wollte nur kurz nach dir schauen, Lois«, sagte Brenda Lee und nahm ihre Freundin in den Arm. »Wie lange musst du heute arbeiten?«

»Von 9:30 Uhr bis 14 Uhr.«

Sie setzten sich hin und tranken Kaffee. Lois hatte sich einigermaßen beruhigt, doch Brenda Lee war sich sicher, dass es bloß Fassade war. »Kann ich irgendwas für euch tun?«

Lois schüttelte nur den Kopf und trank einen Schluck Kaffee. »Danke, das ist lieb von dir. Bete für meinen Jungen … mehr kannst du nicht tun.«

»Wer kümmert sich in der Zeit um King?«, wollte Brenda Lee wissen.

»Das tue ich. Er ist ein lieber Hund, doch er vermisst sein Herrchen. Vorhin war er das erste Mal mit mir Gassi, und José hatte ihn gestern ausgeführt, kurz bevor ich ihn zu Hause erreichen konnte.«

Wieder schwiegen beide und tranken ihren Kaffee. Brenda Lee hatte selbst einen Hund, der an ihr hing; einen weißen Beagle namens Snoopy. James, ihr Mann, hatte ihn ihr kurz nach der Hochzeit geschenkt. Da sie beide den ganzen Tag arbeiteten, hatte sich seither Brenda Lees Mutter Alice um den Hund gekümmert und diesen zu sich genommen. Doch da sie ebenfalls in Fairview wohnte, konnte Brenda Lee ihren Hund jederzeit sehen.

»Möchtest du, dass ich später bei dir vorbei schaue?«

»Danke, Brenda. Doch das ist nicht nötig. Ich habe viel zu tun … Haushalt und King. Und nachher kommt José von der Arbeit. Dann werden wir bestimmt im Hospital vorbeischauen.«

Sie tranken wieder schweigend ihren Kaffee, ehe Brenda Lee nach etwa einer halben Stunde das Haus der Familie Lopez verließ. Lois war eine starke Frau, das wusste Brenda. Doch die Angst um ihren Sohn setzte ihr mehr zu als sie selbst vielleicht zuzugeben bereit war. Brenda Lee stieg wieder in ihren blauen Toyota Tacoma und fuhr zu ihrer Mutter.

Fairview, Georgia

William und Gordon hatten gut gefrühstückt und fuhren nun bereits zum Walmart, damit Gordon sich mit Zahncreme und Rasierwasser eindecken konnte. Kurz nach 9 Uhr verließen sie den Supermarkt wieder und fuhren zurück zum Cracker Barrel. Während des Frühstücks, der Fahrt zum Walmart und sogar noch, während sie nach Gordons Rasierwasser suchten, hatte dieser William mit den Schaukelstühlen in den Ohren gelegen.

Gleich nachdem sie wieder auf dem Parkplatz standen, gingen sie zur Veranda des Restaurants und schauten sich die Schaukelstühle genauer an. Gordon fand zwei, die ihm auf Anhieb gefielen. Und auch William sagten diese beiden sehr zu. Dennoch war Gordon nicht schlecht erstaunt, als sein Freund noch zwei weitere Schaukelstühle auswählte. Die wetterfesten Schaukelstühle hatten ihren Preis, und für rund $1,200 wanderten sie auf Williams Ladefläche, auf der sich noch immer der Regalschrank befand, den er mit Juan am Abend zuvor im Home Depot gekauft hatte.

Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

Es war bereits kurz vor 10 Uhr, als William und Gordon mit den Einkäufen zurück zu Williams Haus kamen. Sie schafften zuerst die Schaukelstühle auf die Veranda, danach brachte Gordon seine Zahncreme und sein Rasierwasser nach oben und begab sich erneut ins Badezimmer. William wischte die Schaukelstühle ab, als ihm auffiel, dass er noch gar keinen passenden Tisch hatte. Doch diesen würde er sich irgendwann demnächst kaufen. Jetzt musste er erst mal die eben gezahlten $1,200 verdauen.

State Route GA-92, Woodstock, Georgia

Um 10 Uhr trafen sich O.C. Thomas und Michael Luther White in einem IHOP in Woodstock, einem Ort im Cherokee County. Sie aßen beide Pancakes, tranken Kaffee und unterhielten sich zunächst über die Arbeit im Cobb County. Das IHOP war ein klassisches Diner, das sich vor allem zur Frühstückszeit eignete. Hier gab es Pfannkuchen in allen möglichen Variationen, doch O.C. war nicht wegen des Frühstücks hier. Er wollte mit Deputy White sprechen.

»Sagen Sie mal«, wechselte O.C. nun das Thema, um auf den Punkt zu kommen, »wieso wollten Sie damals unbedingt zum Sheriff Department von Cherokee County?« Er nahm einen Schluck Kaffee und ließ sein Gegenüber dabei nicht eine Sekunde aus den Augen.

Deputy White kaute zu Ende, ehe er antwortete: »Es ist wegen meiner Freundin. Sie wohnt in Canton und arbeitet in Fairview. Ich dachte, wenn ich als Deputy in Canton arbeite, könnte ich mit ihr zusammenziehen und hätte dann einen kurzen Weg zur Arbeit.«

»Aha, verstehe …« Sheriff Thomas trank weiter Kaffee und blickte unentwegt Deputy White an.

»Der Posten in Cobb County ist gut, und es sind nur sieben Meilen bis zu mir nach Hause. Doch trennen mich stolze 21 Meilen von meiner Freundin; und das ist wirklich anstrengend.«

»Deputy White, vielleicht habe ich einen passenden Job für Sie.«

Michael White blickte erwartungsvoll auf: »Ist bei Ihnen wieder eine Planstelle frei geworden, Sir?«

»Nein, das nicht.« O.C. bemerkte, wie das Gesicht des Deputy schlagartig enttäuscht wirkte. »Doch ich habe eine – denke ich – sehr gute Alternative für Sie.«

Myers' Real Estate, Fairview, Georgia

Obwohl es Samstagmorgen war, saß Cynthia Myers in ihrem Büro in der Main Street und brütete über Immobiliengesuchen und möglichen, lukrativen Neuakquisen. William hatte heute keine Zeit für sie, zumindest nicht jetzt. Daher wollte sie die Zeit effektiv nutzen und schauen, ob sich nicht etwas Geld verdienen ließe.

Cynthia Myers war eine sehr attraktive Brünette, die sehr großen Wert auf ihr Äußeres legte. Mit immerhin 1,75 m Körpergröße, die sie zumeist mit hochhackigen Schuhen noch unterstrich, brachte sie nur knapp über 60 kg auf die Waage. Sie war sehr sportlich und ernährte sich zumeist gesund, was insbesondere hier, im Süden der USA, nicht alltäglich zu sein schien. Noch bis vor knapp zwei Wochen war sie morgens täglich joggen, und auch abends lief sie immer wieder ein Stückchen, um frische Luft zu tanken. Doch dann traf sie Chief William Justice … und dieser brachte ihr Leben durcheinander, was sie ihm jedoch nicht vorwarf. Schließlich war sie die treibende Kraft gewesen, und er hielt sich zumeist zurück. Und eben das war es, was sie so sehr an ihm reizte. Seit ihrer Scheidung 2013 liefen ihr die Männer hechelnd in Scharen hinterher. Doch keiner konnte ihr Herz gewinnen, und für einen One-Night-Stand war sie sich zu schade.

Dann traf sie den neuen Chief, und alles wurde anders. Seine ruhige, zurückhaltende Art machte sie neugierig. Und sie spürte, dass sie ihm gefallen wollte. Er war stets höflich, baggerte sie nicht an und lief ihr nicht nach. Das war neu! Und sie spürte tief in sich ein Gefühl, dass sie in dieser Form noch nie hatte. Zunächst hatte sie nicht weiter darauf geachtet, doch bereits während der ersten Hausbesichtigung mit ihm hatte sie Gewissheit: Sie wollte diesen Mann! Und dieser Gedanke erschreckte sie ebenso sehr, wie er sie erregte. Seit 2013 hatte sie an keinen Mann auch nur einen Gedanken verschwendet. Ihr Ehemann war in jeder Hinsicht ein Versager, doch sie hatte ihn geliebt. Glücklich hatte er sie nie machen können, doch er war ihr erster und bisher einziger Mann gewesen.

Bereits bei ihrem zweiten Treffen mit Chief Justice war sie in die Offensive gegangen. Sie hatte ihre Bluse dermaßen weit geöffnet, dass sie sich später selbst schon beinah schäbig gefühlt hat. Doch die zurückhaltende Art des Chief hatte sie nur mehr und mehr in Erregung versetzt. Als sie erfahren hatte, dass er allein war, wollte sie es genauer wissen. Er hatte ihr gesagt, dass seine Möbel erst nachgeschickt würden, und die erste Nacht wollte er bereits von Dienstag auf Mittwoch in seinem neuen Haus verbringen. So hatte sie sich dazu entschieden, alles auf eine Karte zu setzen. Sie hatte eine große Matratze per Same-Day-Delivery bestellt und als Lieferadresse Williams Haus angegeben. Da sie aus verschiedenen Gründen stets einen Nachschlüssel zu allen von ihr vermittelten Häusern besaß, konnte sie ohne Probleme die Tür öffnen, als der Lieferdienst die Matratze gebracht und nach oben in den ersten Stock getragen hatte.

Sie hatte für sich und den Chief ein romantisches Liebesnest vorbereitet und gehofft, dass er sie nicht abweisen würde. Dieser Mann verschlug ihr schier den Atem, und dieses Gefühl tief in ihr war brachial angewachsen. Und während sie noch das Bett vorbereitet und zahlreiche Kerzen im Zimmer verteilt hatte, spürte sie, was es war. Es war Lust! Nie zuvor hatte sie solch ein intensives Verlangen danach gehabt, einen Mann in sich zu spüren. Doch allein die Vorstellung daran, wie es vielleicht sein könnte, hatte sie beinah wahnsinnig werden lassen. Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt, und jetzt wollte sie nicht mehr zurück. Vielleicht mochte er denken, sie sei eine sexgierige Schlampe, und vielleicht schmiss er sie auch hochkant hinaus. Doch in diesem Moment, als sie das Bett herrichtete, war es ihr egal.

Umso mehr hatte sie sich gefreut, als er ihren beinah schon aggressiven Annäherungsversuchen nicht widerstehen konnte. Sie hatte sich selbst gewundert, wozu sie alles bereit war und sich ihm gänzlich hingegeben. Cynthia hatte es genossen, wie er sie liebte und dass er wusste, wie man eine Frau glücklich macht. Er hatte Sachen mit ihr angestellt, die sie nur aus Büchern und einigen wenigen Filmen her kannte. Und er hatte ihr etwas verschafft, was ihrem Ehemann in all den Jahren nie gelungen war … Orgasmen!

Zwischen den einzelnen Runden hatten sie immer viel miteinander geredet. Sie hatte ihm von ihrem Leben erzählt, von ihrem Beruf, von ihren Träumen und Vorstellungen. Doch auch in diesen Momenten war der Chief stets ruhig und zurückhaltend. Er sprach immer nur sehr wenig über sein Privatleben. William hatte ganz klar seine Geheimnisse, und das wiederum steigerte in ihr wieder das Verlangen nach mehr.

Erst am Samstag darauf hatte er ihr schließlich von seiner Frau erzählt, die in Manhattan erschossen worden war. Cynthia hatte erkannt, dass er seine verstorbene Frau sehr geliebt haben musste. Und sie hatte auch erkannt, dass er jetzt noch nicht bereit für eine neue Beziehung war. Doch seit sie sich ihm das erste Mal hingegeben hatte, stellte sie sich ebenfalls diese Frage. War sie bereit für eine neue Beziehung? War sie wirklich dazu bereit, ihr ansonsten durchorganisiertes Leben wieder dem eines Mannes anzupassen?

Da Cynthia William am liebsten jede Nacht neben sich liegen hätte, wäre ihr Antwort im Grund genommen sofort: Ja.

Doch auf der anderen Seite genoss sie seither stets ihre Unabhängigkeit und lebte für ihre Arbeit. Ihr Ehemann hatte die USA wegen eines betrügerischen Bankrotts verlassen müssen und sich in die Karibik zurückgezogen. Sie hatte sich scheiden lassen, und sein in Atlanta praktizierender Anwalt hatte dafür gesorgt, dass die Scheidungspapiere unterschrieben zu ihr gelangten. Ihr Mann hatte ihr Schulden, ein gebrochenes Herz und den Willen, etwas auf die Beine zu stellen, hinterlassen. Also hatte sie angefangen, als Immobilienvermittlerin für einen Makler zu arbeiten, und schon ein Vierteljahr später hatte sie sich selbständig gemacht. Ihr Aussehen und ihre Empathie hatten sie schnell recht erfolgreich werden lassen. Doch es war harte Arbeit und verlangte sehr viel Zeit und Einsatz.

Nachher würde sie zu William fahren. Er wollte ihr seinen Freund und Mentor aus New York vorstellen. Außerdem war anzunehmen, dass auch O.C. aus Canton wieder zu ihnen stoßen würde. Sie hatten letztes Wochenende einfach eine Menge Spaß zusammen, hatten viel geredet und viel gelacht. Daher nahm sie sich vor, nur bis etwa 12 Uhr mittags zu arbeiten. Danach würde sie nach Hause fahren, sich frisch machen, Wäsche für den nächsten Morgen einpacken und anschließend Budweiser für den Sheriff und Root Beer für ihren Chief besorgen. Gegen 14 Uhr würde sie dann bei ihm zu Hause klingeln, und darauf freute sie sich schon.

Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

Um 12 Uhr aßen Gordon und William Chicken Wings, die sie aus dem Walmart mitgebracht hatten, dazu gab es Potatoe Wedges und Sour Cream. Ein Snack, wie sie ihn beide mochten, da er nicht viel Arbeit machte. Nach dem Essen packten sie das Geschirr in die nun wieder existierende Spülmaschine und setzten sich in ihre Sessel vor dem Kamin, in dem William ein Feuer schürte. Er nahm sich seine neue Pfeife, die er von seiner Frau zu Weihnachten hätte bekommen sollen, stopfte sie mit Boswell's Peach 'n Cream und zündete sie an. Gordon und er hatten sich zuvor je eine Tasse Kräutertee gekocht und blickten nun in die Flammen.

»Kaum zu glauben, Billy, dass es gerade einmal etwas mehr als zwei Wochen her ist, seit wir beide zum letzten Mal gemeinsam vor deinem Kamin in North Arlington gesessen haben.«

William zog einige Mal an seiner Pfeife, ehe er antwortete: »Hmm … ja. Und dennoch kommt es mir wie eine Ewigkeit vor.«

»Ja, es ist seither sehr viel passiert.«

»Wisst ihr mehr über Angelas Ermordung?«

»Ja, ein bisschen.« Gordon nahm einen Schluck Tee, ehe er fortfuhr: »Das Morddezernat geht davon aus, dass man deine Frau vorsätzlich erschossen hat.«

William zog an seiner Pfeife, deren Rauch einen angenehmen Duft verströmte, und dachte über Gordons Worte nach. »Seid ihr sicher?«

»Ziemlich. Erinnerst du dich noch an die Worte des Pathologen?«

William konzentrierte sich und antwortete: »Ja. Zwei Schüsse … Kleinkaliber … .22 Magnum … einer traf das Herz, der andere drang in den rechten Lungenflügel ein.«

»Völlig korrekt, mein Junge. Und genau das ist der Punkt!«

William dachte über die Worte nach, dann fiel es ihm auch auf: »Er sagte, sie sei aus nächster Nähe erschossen worden. Hätte der mutmaßliche Räuber im Affekt geschossen, wären die Kugeln wohl eher dicht beinander in den Körper eingedrungen … und nicht eine in den rechten und eine in den linken Lungenflügel.«

»Ja«, bestätigte Gordon, »das sagt das Morddezernat auch.«

William dachte weiter nach und zog derweil bedächtig an seiner Pfeife. »Gordon, wer auch immer auf meine Frau geschossen hat … er wollte sicher gehen, dass sie stirbt!«

»Wie meinst du das, Billy?«

»Gezielte Schüsse in beide Lungenflügel … die Lunge kollabiert, das Opfer ist nicht mehr in der Lage zu schreien, erstickt und ertrinkt im eigenen Blut. Gordon, selbst wenn der eine Schuss nicht ins Herz getroffen hätte, wäre jede Hilfe zu spät gekommen!« William wurde wütend, Tränen stiegen ihm in die Augen, und er legte seine Pfeife behutsam auf den kleinen Tisch zwischen den Sesseln. »Es war ein eiskalt geplanter Mord.«

Gordon atmete langsam und ruhig ein. Williams Worte bestätigten ihm, was er und das Morddezernat vermutet hatten. Doch es gab noch einen weiteren Punkt, den er William nicht verheimlichen wollte: »Einige glaubten anfänglich, du stündest hinter dem Mord an deiner Frau.«

»Na klar, wegen der $250,000 von der Lebensversicherung. Ach, ehe ich es vergesse … das Geld ist seit gestern auf meinem Konto. Erinnere mich bitte nachher dran, sollte ich es vergessen.« William nahm sich wieder seine Pfeife, glättete die Oberfläche der Asche und zündete sie neu an. »Als ob ich meine Frau hätte töten lassen können. Das ist absurd!«

»Billy, der Verdacht ist aus der Welt geschafft. Das Morddezernat hatte mehrheitlich bereits gegen diese Theorie gestimmt, und eine Überprüfung der Policen ergab eindeutig, dass deine Frau ihre Police abgeschlossen hatte, nachdem du deine zugunsten Angelas veranlasst hattest. Und nichts deutet darauf hin, dass dies auf dein Geheiß erfolgt wäre. Ganz im Gegenteil! Die Versicherung hat mittlerweile bestätigt, dass deine Frau erwähnte, dich damit überraschen zu wollen. Und da beide Policen über jeweils $250,000 liefen und kein deutlich höherer Betrag eingesetzt wurde, hat man den Verdacht gegen dich fallen gelassen.«

»Fragt sich nur«, fuhr William nach zwei leichten Zügen an seiner Pfeife fort, »wer alles für den Mord infrage kommt.«

»Das fragen wir uns auch, mein Junge.«

Die beiden Freunde saßen schweigend vor dem Kamin, genossen das beruhigende Spiel der Flammen und tranken ihren Tee.

William rauchte weiterhin seine Pfeife, dann ergriff er wieder das Wort: »Gordon, ich glaube, mich hat ein dunkler BMW von New York aus bis nach Fairview verfolgt.«

Gordon zuckte sichtlich zusammen, als er Williams Worte vernahm: »Ein dunkler BMW? Mit dunkel getönten Scheiben?«

Jetzt wurde auch William hellhörig: »Ja. Woher weißt du …?«

Gordon erzählte ihm nun ausführlich von dem dunklen BMW, der ihn bereits seit Tagen in New York verfolgte, und er erzählte ihm von dem Zwischenfall vor der Citibank im chinesischen Viertel, ganz in der Nähe der Police Plaza. William hörte aufmerksam zu, dann erzählte er wiederum, was sich hier in Fairview mit dem BMW zugetragen hatte.

»Deine Maklerin wurde hier in deinem Haus auf den BMW aufmerksam?« Entgegen Williams Befürchtungen, lächelte Gordon ihn freudig an und fragte: »Möchtest du mir vielleicht verraten, was deine Immobilienmaklerin hier zu schaffen hatte? Nachdem sie dir dein Haus doch bereits verkauft hatte?«

Der schelmische Blick Gordons entging William nicht, der innerlich unmerklich aufatmete. »Sie wollte im Erdgeschoss ein wenig putzen.«

»So, so … erzähl mir von ihr!«

Und William begann zu erzählen … wie sie sich kennengelernt hatten, wie sie sich ihm gegenüber verhalten hatte. Wie sie aussah, was sie so alles tat, ihre offene Art und Weise …

»Liebst du sie, mein Junge?«

»Ich weiß es nicht, Gordon. Ich mag sie … sehr sogar. Doch ich weiß nicht, ob ich schon bereit zu mehr bin.«

»Weiß sie von deiner Frau?«

»Ja. Und sie akzeptiert es.«

»Nun, wenn ihr beiden euch arrangiert habt und wisst, woran ihr jeweils seid, ist es doch toll. Billy, ich freue mich für dich!«

William fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Dennoch hatte er seine Bedenken: »Ich weiß nur nicht, ob es richtig ist … Angela ist gerade mal seit zwei Monaten beerdigt.«

»… und sie hätte sicherlich nicht gewollt, dass du in Melancholie versinkst und dein Leben wegwirfst. Hör mir zu, mein Junge: Du warst deiner Frau stets ein liebevoller und treuer Ehemann … und das wusste sie auch. Sie würde mit Sicherheit wollen, dass du glücklich bist.«

An seiner Pfeife ziehend, blickte William während dieser Worte ins Feuer. Auch Cynthia hatte ihm bereits gesagt, dass es nicht schlimm sei, und sie musste immerhin akzeptieren, dass er seine Frau noch immer liebte und wohl auch immer lieben würde.

»Wirst du sie mir vorstellen?«

»Sie kommt nachher vorbei. Ich wollte erst mit dir allein sein …«

»… um es mir schonend beizubringen?« Gordon lachte. »Billy, du bist ein verdammt guter Cop … knallhart und nicht umsonst so erfolgreich. Doch in manchen Dingen bist und bleibst du einfach ein Kindskopf.«

William sah mit seinem Dackelblick zu Gordon, der sich sichtlich amüsierte, und zog wieder an seiner Pfeife.

»Hättest du etwas mit einer anderen Frau angefangen, während du mit Angela verheiratet warst, hätte ich dir wahrlich die Leviten gelesen. Du weißt, dass ich dich immer als Sohn und sie als Schwiegertochter betrachtet habe. Auch ich habe deine Frau geliebt … ihr wart so ein schönes Paar. Doch denke bitte daran, dass ich dich in den Süden geschickt habe, eben damit du ein neues Leben anfängst. Mache einen Neuanfang, werde glücklich!«

»Vielleicht hast du recht, Gordon …«

»Was heißt hier: vielleicht? Und ob ich recht habe!«

»Du hast doch aber seit dem Tod deiner Frau keine Beziehung mehr angefangen, Gordon.«

»Glaube nicht, Billy, dass ich es nicht gewollt hätte. Ich habe nur seither leider nicht die Richtige gefunden. Jeanne hatte sogar damals darauf bestanden, dass ich mich nach einer neuen Frau umsehen sollte. Im Gegensatz zu dir, mein Junge, war ich bereits 52 Jahre alt, als ich meine Frau zu Grabe tragen musste. Du bist zehn Jahre jünger und warst nicht bereits 27 Jahre lang verheiratet.«

»Und seit 2007 bist du nun allein?«

»Seit 2007 habe ich keine feste Partnerin, Billy. Das heißt aber nicht, dass ich deswegen immer allein war.«

William wusste, dass er mit Gordon stets über alles reden konnte. Doch bis eben hatten sie noch nie über Liebesdinge gesprochen. Und er war selbst überrascht, wie locker er mit seinem alten Freund darüber sprechen konnte. Daher sah er seinen Mentor nur noch fragend an.

»Guck nicht so, Billy. Natürlich habe ich hin und wieder Frauen kennengelernt und bin auch mit der einen oder anderen zu ihr nach Hause gegangen. Doch es war eben keine dabei, mit der ich es länger hätte aushalten wollen. Es gibt nicht mehr so viele, die einem Mann von über fünfzig ihr Herz schenken wollen. Bei einigen war es wohl eher kühles Kalkül mit der Aussicht auf ein angenehmes Leben, da ich Commissioner bin und nicht allzu schlecht bezahlt werde. Doch nicht eine war dazu bereit, außer ihrem Bett auch meine Sorgen mit mir zu teilen.«

»Das tut mir leid für dich, Gordon.«

»Das muss es nicht, mein Junge. Ich habe immer schnell gemerkt, woran ich war.«

»Danke, Gordon.«

»Wofür? Dass ich dir mal wieder den Kopf zurecht gerückt habe?« Gordon musste wieder lachen. »Das wird langsam zu einer lieben Angewohnheit.«

State Route GA-92, Woodstock, Georgia

Seit beinah zwei Stunden saßen O.C. Tomas und Michael Luther White bereits im IHOP, aßen ihre mittlerweile kalten Pfannkuchen, tranken Kaffee und unterhielten sich. Sheriff Thomas hatte dem jungen Deputy haarklein geschildert, um was für einen Posten es sich handelte. Weg vom Posten des Deputies und hin zum Officer eines Police Departments. Und er schilderte ihm auch, was in der Nacht zuvor passiert war.

»Sie sehen also, Deputy, dass eine möglichst schnelle Antwort von Ihnen dringend vonnöten ist.«

»Ich weiß doch gar nicht, ob Chief Justice mich in seiner Truppe haben möchte«, entgegnete der Deputy, der sich noch an seine Absage aus Canton erinnerte.

»Das lassen Sie mal ruhig meine Sorgen sein, Deputy! Ich werde nachher mit ihm reden. Doch vorher möchte ich wissen, ob ich mit Ihnen rechnen kann.«

Deputy White ließ sich einen Moment Zeit, um über die Worte des Sheriffs nachzudenken. Dann fragte er: »Wie sieht es mit den Arbeitszeiten aus?«

»Besser als beim Sheriff Department. Sie haben feste Arbeitszeiten von 8 Uhr morgens bis 17 Uhr nachmittags. Keinen Schichtdienst, keine Wochenendarbeit. Die Samstagsschichten haben Chief Justice und ich im Police Department abgeschafft, da diese durch mein Sheriff Department abgedeckt werden können.«

»Und sonst bleibt alles gleich?«

»Nun ja, über Ihre Bezüge kann ich Ihnen nichts sagen; das ist Aufgabe Ihres Arbeitgebers, der dann die Stadtverwaltung von Fairview sein wird und nicht mehr das County.«

Wieder überlegte Deputy White, und O.C. konnte sehen, wie sehr es hinter dessen Stirn arbeitete.

»Soll ich mit Chief Justice reden, Deputy? Sind Sie dabei?«

Michael White trank seine Tasse leer, die zwischenzeitlich immer wieder aufgefüllt worden war. »Ich muss mal kurz verschwinden«, antwortete er und begab sich in Richtung der Toiletten.

Myers' Real Estate, Fairview, Georgia

Cynthia fuhr um Punkt 12 Uhr mittags ihren Computer herunter. Sie hatte einige Interessenten ausfindig gemacht und per Email über Ihre Exposés in Kenntnis gesetzt. Am Montag würde sie dann merken, ob einer geantwortet hätte. Doch jetzt war es an der Zeit, das Büro abzuschließen und nach Hause zu fahren. Sie hatte sich überlegt, kurz ein Bad zu nehmen und die Beine zu rasieren. Danach würde sie sich etwas anderes anziehen, zum Walmart fahren und schließlich bei William vorbeischauen.

Beschwingt eilte sie zu ihrem roten GMC Yukon, startete den Motor, setzte den Blinker und fuhr zügig zu sich nach Hause. Wieder hörte sie ihren bevorzugten Radiosender Eagle 106.7 mit Country Music, sang lauthals mit und bemerkte dabei nicht, dass sie wieder von einem dunklen BMW verfolgt wurde.

State Route GA-92, Woodstock, Georgia

Deputy White kam nach einem kurzen Moment von der Toilette zurück und setzte sich wieder an seinen Platz. O.C. blickte ihn nur fragend an und wartete auf eine Antwort.

»Und Sie würden das dann auch mit meinem Sheriff klären?«, fragte Michael White plötzlich.

»Ja, das würde ich. Er schuldet mir noch mehr als bloß einen Gefallen …«

Wieder überlegte Deputy White und spannte O.C. auf die Folter.

»Was ist? Sind Sie dabei?«

Deputy White richtete sich auf seiner Sitzbank auf: »Ja, Sir, ich bin dabei.«

Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

Nachdem William und Gordon beinah anderthalb Stunden vor dem Kamin sitzend verbracht hatten, standen sie nun auf, brachten ihre Tassen in die Küche und räumten auch diese in die Spülmaschine. Gordon nahm sich wieder etwas Wasser aus dem Kühlschrank, und William reinigte seine Pfeife.

»Wann wollte deine Freundin vorbeikommen, Billy?«

»Ich weiß nicht. Sie meinte: Gegen Nachmittag.«

Plötzlich hörten sie einen Wagen, der auf die Auffahrt fuhr. Gordon nahm einen Schluck Wasser und schaute zur Tür.

Wenige Augenblicke später schloss Cynthia die Haustür auf und kam mit einer großen, braunen Einkaufstüte bewaffnet herein. Sie nahm direkt Kurs auf die Küche und erblickte Gordon, der noch immer vor dem Kühlschrank stand.

»Hi! Ich bin Cynthia Myers … Sie müssen demnach Commissioner Malone sein.« Sie stellte die Einkaufstüte ab, legte ihre Handtasche daneben und reichte Gordon die Hand.

»Hallo, Miss Myers … ja, ich bin Gordon Malone und äußerst glücklich, Sie kennenzulernen.«

William legte seine Pfeife auf den kleinen Beistelltisch und ging zu ihnen.

Cynthia trat ihm entgegen und gab ihm einen flüchtigen Kuss zur Begrüßung. »Hallo, Chief! Ich habe beim Walmart ein bisschen eingekauft. Budweiser für O.C., Root Beer für dich und dann noch etwas Toast, Wurst, Käse, Salat, Tomaten und Zwiebeln für Sandwiches.«

»Du bist ein Engel.« Er gab ihr nun seinerseits einen Kuss und ging wieder zum Kamin, um die Pfeife fertig zu reinigen.

Cynthia wandte sich wieder der Küche und Gordon Malone zu. »Leider weiß ich nicht, was Sie am liebsten trinken, Commissioner. Doch hätten wir jetzt genügend Budweiser und Root Beer.«

»Danke, Miss Myers, ich halte mich meistens an stilles Wasser aus Billys Kühlschrank.«

»Billy? Ich habe nie gehört, dass jemand Billy zu William gesagt hätte.«

»Nur Gordon nennt mich Billy«, antwortete William aus dem Kaminzimmer, »und auch meine Frau … manchmal.«

»Mögen Sie Sandwich, Commissioner?«

»Ja, sehr gern. Doch bitte, nennen Sie mich Gordon.«

Cynthias Gesicht strahlte, als sie antwortete: »Cynthia! Freut mich sehr, Gordon.«

William war gerade mit der Reinigung seiner Pfeife fertig und hatte sie soeben in einem Ständer auf dem Kaminsims verstaut, als vor dem Haus wieder ein Wagen zu hören war. Kurz darauf klingelte es an der Tür, und Cynthia lief nach vorn, um aufzumachen.

»Hey, O.C.! Komm doch rein …«

Es war tatsächlich Sheriff O.C. Thomas. Auch heute trug er wieder eine Jeans, diesmal mit einem bräunlichen Flanellhemd, an dessen linken Brust der Sheriffstern haftete. Unter seinem Arm trug er eine große Einkaufstasche.

»Howdy! Cynthia, Sie sehen von Mal zu Mal schöner aus.« Mit diesen Worten glitt er graziös an Cynthia vorbei, was man aufgrund seiner Körperfülle kaum angenommen hätte. Unter dem rechten Arm sah William, dass er noch eine weitere Umhängetasche bei sich trug und ging ihm entgegen.

»Hallo, O.C.! Kann ich Ihnen was abnehmen?«

»Danke, William, es geht schon.« Er stellte die Einkaufstasche auf der Arbeitsplatte der Küche ab und legte die Umhängetasche auf Gordons Sessel vor dem Kamin. »Ich wollte nur mal schauen, wie es euch geht. Habt ihr den Schock von gestern einigermaßen verwunden?«

Cynthia, die von dem gestrigen Vorfall noch nichts wissen konnte, blickte erschrocken auf: »Was für ein Schock?«

William führte sie im Arm in Richtung Kaminzimmer und erklärte ihr, was sich gestern Abend an der Tankstelle in der Commerce Street ereignet hatte. Er erklärte ihr, was nun alles auf Juan zukäme und dass noch nicht ganz sicher sei, ob er es überhaupt schaffen würde. Noch sei er auf der Intensivstation, und allerlei Schläuche würden aus seinem Körper hinausführen.

»Oh Gott, das ist ja schrecklich!«

»Das ist unser Beruf …«

Währenddessen hatte O.C. seine Einkaufstasche geleert und ging den Inhalt nun mit Gordon durch. Seine Frau hatte wieder gebacken, diesmal jedoch Muffins, die sie in eine große Papiertüte gepackt hatte. Gordon half ihm beim Auspacken, während William noch immer Cynthia erklärte, dass Gewaltverbrechen durchaus zu dem Job eines Polizisten gehörten.

* * *

Einige Minuten später saßen die drei Männer auf der Veranda in den Schaukelstühlen und sprachen über dies und das. Cynthia stand in der Küche, um Sandwiches zu schmieren, und würde sich gleich dazu gesellen.

Diesen Moment wollte O.C. nutzen, um kurz das Gespräch auf berufliche Dinge zu lenken: »William, mein Freund, wie weit sind Sie schon mit der Suche nach einem neuen Mitarbeiter gekommen?«

Die Frage war William etwas peinlich, weil er sich zwar fest vorgenommen hatte, mit Deputy White in Kontakt zu treten, dies dann aber doch auf die lange Bank geschoben hatte. Daher antwortete er auch leicht verlegen: »Noch nicht sehr weit. Ich wollte Deputy White schon längstens angerufen haben, habe es aber immer wieder aufgeschoben.«

O.C. grinste nur breit in seinen Bart hinein.

Gordon wusste gar nicht, worum es überhaupt ging. Daher fragte er: »Was für ein neuer Mitarbeiter? Und wer ist Deputy White?«

William antwortete ihm: »Die Stadtführung hat mir einen weiteren Mitarbeiter bewilligt, und O.C. war letzte Woche so nett, mir einen potenziellen Kandidaten zu empfehlen.«

»Und?«, bohrte Gordon nach.

»Ich würde ihn wirklich sehr gern einstellen. Seine Akte ist vielversprechend, und O.C. hatte ihn mir extra empfohlen.«

»Worauf wartest du dann noch?«

William überlegt kurz, wie er es ausdrücken sollte: »Gordon, Michael Luther White ist ein Schwarzer.« Er trank einen Schluck Root Beer. »Du weißt, dass ich nichts gegen Schwarze habe. Doch in meiner Truppe ist ein Mann, der bereits arge Probleme mit Juan hat; nicht auszudenken, wie groß die Probleme werden könnten, wenn nun auch noch ein Farbiger zum Team dazu stößt.«

Gordon hob beide Augenbrauen, trank einen Schluck Wasser und blickte abwechseln erst O.C. und dann William an, ehe er antwortete: »Billy, dann solltest du deinen Mitarbeiter zurecht stoßen! Du hast in all den Jahren doch schon öfters mit Rassismus zu tun gehabt. Zeig deinem Team, dass du der Chief bist! Zur Not wirst du deinen Mitarbeiter eben zur Kooperation zwingen müssen … oder ihn schlicht und ergreifend vor die Tür setzen. Du bist sonst doch auch nicht so zimperlich, Junge!«

Damit hatte Gordon mal wieder ins Schwarze getroffen. O.C. saß nur ruhig da, nippte ab und zu an seinem Bier und freute sich innerlich, weil William gerade in eine Richtung gedrängt wurde, bei der er, O.C., jeden Moment einspringen konnte.

»Gordon, ich habe diesem Mann bereits am Tag meines Dienstantritts zweimal das Nasenbein gebrochen …«

O.C. brüllte auf vor Lachen: »Ich hatte es mir schon fast gedacht!«

»O.C.«, entgegnete William, »das ist nicht witzig …«

Zu Gordon gewandt fuhr er fort: »Ich habe den Mann beinah soweit, dass man halbwegs vernünftig mit ihm arbeiten kann. Und ich möchte einfach nicht, dass mein neuer Mitarbeiter gleich wieder um seine Versetzung bittet, nur weil ich einen rassistischen Hinterwäldler aus Alabama bei mir beschäftige, der bereits wegen Gewalt Schwarzen gegenüber seinen Posten verloren hatte und nach Georgia gezogen ist.«

»William, wenn sich dieser Mann von einem einzelnen Kollegen dermaßen einschüchtern ließe, wäre er es nicht wert, bei dir zu arbeiten. Denkst du, er würde sich einschüchtern lassen?«

William dachte noch nach, da ergriff O.C. das Wort: »Ganz ehrlich, ich denke eher, dass Deputy White mit Officer Collister den Boden wischen würde als umgekehrt. William, haben Sie denn nicht seine Vitae gelesen?«

William hatte sie im Büro überflogen, konnte sich jedoch nicht mehr an Einzelheiten erinnern. »Nicht im Details, O.C.«, antwortet er daher, ehe er noch eine Schluck Root Beer trank. »Ich habe sie nur grob überflogen.«

O.C. lachte wieder, nahm einen Schluck aus seiner Bierdose und sagte bloß: »Er hat früher Football bei den Atlanta Falcons gespielt.«

Daran konnte sich William wirklich nicht erinnern. Verflucht! Er hätte sich das Dossier gründlich durchlesen sollen. Doch seine Gedanken waren da noch um den Umzug und die Lieferung seines Hausstandes gekreist.

»Denken Sie, O.C., er wäre vielleicht interessiert?«

Cracker Barrel, Fairview, Georgia

Er konnte es noch immer nicht glauben. Sheriff Thomas aus Canton hatte sich mit ihm in Woodstock getroffen, um über einen zeitnahen Wechsel nach Fairview zum Police Department zu sprechen. Das würde bedeuten, dass er Abigail jeden Tag sehen könnte, und an den Wochenenden hätte er jeweils frei.

Michael Luther White hatte im Cracker Barrel von Fairview am Fenster Platz genommen und studierte die Karte. Er wusste ohnehin, was er bestellen würde. Doch er brauchte etwa, das ihn ein bisschen ablenkte, während seine Gedanken noch immer um das Gespräch mit Sheriff Thomas und der Aussicht auf eine Anstellung in Fairview kreisten. Also studierte er die Karte und malte sich dabei aus, was wohl seine Freundin dazu sagen würde, die gleich Mittagspause hätte.

Pünktlich um 14 Uhr erschien Abigail und setzte sich zu ihm. Sie hatte jetzt eine halbe Stunde Pause, und diese Zeit würde er nutzen, um sie über die Neuigkeiten des heutigen Tages ins Bild zu setzen.

»Abi, man hat mir einen neuen Job angeboten.«

Abigail wusste, dass sich Michael einst auf den Posten eines Deputies im Cherokee County beworben hatte. Hatte es nun vielleicht doch geklappt? »Wo? Und als was?«

Michael lehnte sich etwas nach vorn und griff nach Abigails Händen. Dann schaute er ihr in die Augen und sagte: »Hier, in Fairview! Es gibt wohl eine vakante Stelle beim Police Department.« Michael strahlte förmlich vor Glück.

»Wann hattest du denn dein Vorstellungsgespräch?«

Wieso mussten Frauen immer so direkt sein? »Ich hatte noch kein Gespräch. Doch Sheriff Thomas aus Canton denkt, ich hätte die Stelle so gut wie sicher.«

»Und ab wann?«

»Keine Ahnung. Er meinte, er würde heute mit dem Chief sprechen. Als er mich fragte, wie und wo er mich erreichen könne, sagte ich ihm, dass ich hier sein würde.« Er nahm sich wieder die Speisekarte und blickte hinein, als wüsste er nicht, was er bestellen sollte.

»Denkst du, es wird sich jemand melden?«

»Der Sheriff klang sehr zuversichtlich. Doch lass uns was bestellen; ich habe seit dem Frühstück vorhin nichts mehr in den Bauch bekommen.«

Sie bestellten beide etwas zum Mittagessen und unterhielten sich dabei über die vielen Möglichkeiten, die sich ihnen böten, sollten der Sheriff oder der Chief sich melden und Michael die Stelle bestätigen.

Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

O.C. grinste wie ein Honigkuchenpferd. Diesen Moment wollte er vollends auskosten. Er sah die hoffnungsvollen Blicke Williams und auch den abwartenden Blick des Commissioners. »Ja, er ist interessiert.«

William konnte es kaum glauben. »O.C., danke!« William freute sich, trank einen Schluck Root Beer, als ihm etwas einfiel: »Ab wann könnte er anfangen? Und was wird der Sheriff von Cobb County dazu sagen?«

»Nun, am besten wäre es wohl, wenn er am 1. März anfangen könnte.« O.C. musste immer breiter grinsen.

»Am 1. März? Aber das wäre dann ja bereits …«

»… morgen!«, beendete O.C. Williams Satz und grinste weiter vor sich hin. »Ich bin von Woodstock aus direkt nach Marietta gefahren, um meinen Kollegen vor Ort zu konsultieren. Er schuldet mir so manchen Gefallen. Ich hatte Glück – er war im Büro. Also erzählte ich ihm von Ihnen, William, und von Michaels Wunsch, im Cherokee County tätig zu sein. Sollten Michael und Sie sich einig werden, genügt ein Anruf von mir, und der Mann gehört Ihnen.«

William war bar erstaunt, was der Sheriff für ihn heute alles auf die Beine gestellt hatte. »O.C., wie kann ich Ihnen danken?«

O.C. tat so, als überlegte er angestrengt. Dann lachte er kurz auf, stellte seine leere Bierdose neben sich auf den Boden und antwortete: »Ganz einfach … drei Gefallen: Erstens, wir sollten das ›Sie‹ lassen. Wir sind Pfeifenbrüder, wir sind Kollegen und wir sind Freunde! Zweitens, meine Dose Budweiser ist leer und drittens … ich habe einen Bärenhunger! Lasst uns Cynthia in der Küche helfen und das Essen auffahren.«

Die drei Männer lachten herzhaft, reichten sich die Hände und gingen zurück ins Haus, wo Cynthia bereits das Essen angerichtet hatte.

»Na, ihr habt ja eine blendende Laune!«, stellte sie vergnügt fest. »Gut, dass ihr rein kommt; das Essen ist soweit fertig.«

Cynthia hatte alles schön auf Tellern angerichtet und einen Haufen Sandwiches belegt. Daneben gab es Mabels Muffins. Genug, um eine halbe Kompanie zu verpflegen.

William nahm sie liebevoll in den Arm, gab ihr einen Kuss und sagte leise zu ihr: »Danke, du bist echt ein Engel.« Dann wandte er sich O.C. zu: »Wann und wo kann ich den Mann erreichen?«

»Am besten jetzt auf seinem Handy. Er hat mir gesagt, dass er bei seiner Freundin auf dich warten wolle; sie arbeitet hier, in Fairview … beim Cracker Barrel

»Er ist hier, in Fairview? Ich fahre sofort zu ihm …«

»Stop!«, rief auf einmal Cynthia. »Hier und jetzt fährt niemand irgendwohin! Zuerst essen wir etwas. Oder meinst du wirklich, ich stelle mich hier in die Küche, belege euch die Sandwiches und bleibe dann allein mit dem Essen daheim?«

O.C. lachte wieder, setzte sich hin und nahm sich einen Muffin. »William, das war ein Machtwort. Komm, lass uns erst etwas essen. Dann begleite ich dich und stelle euch beiden einander vor.«

Gordon, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, nahm neben O.C. Platz, griff sich ein Sandwich, sah Cynthia an und meinte dann: »Cynthia, während O.C. und William weg sind, können wir beide uns mal ein bisschen unterhalten.« Dabei zwinkerte er ihr verschwörerisch zu, was auch William nicht verborgen blieb.

»Okay, okay … ihr habt ja recht. Und Cynthia: O.C. und ich werden uns beeilen. Versprochen!«

Cracker Barrel, Fairview, Georgia

Michael saß nun schon seit mehr als zwei Stunden im Cracker Barrel und schaute immer wieder auf sein Handy, das er erwartungsvoll neben sich gelegt hatte. Abigail war bereits seit mehr als anderthalb Stunden wieder bei der Arbeit, und er bestellte einen Kaffee nach dem anderen. Es war bereits 16 Uhr durch, und noch immer hatte sich niemand gemeldet.

Doch auf einmal sah er Sheriff Thomas, wie er auf dem Parkplatz einem roten Pick-up entstieg und zusammen mit dem Fahrer des Trucks, einem kräftigen Mann mit blonden Haaren und einem Bart um den Mund herum, auf das Restaurant zuging. War dies vielleicht der Chief? Michael trank seine Tasse Kaffee leer und trocknete sich die Hände an einer Papierserviette ab.

Kurz darauf betraten die beiden Männer den Bereich des Restaurants, der sich hinter dem Country Store befand. Sie entdeckten ihn am Fenster und kamen auf ihn zu.

»Michael Luther White«, grüßte der Sheriff ihn, »darf ich Ihnen Chief William Justice vom Fairview Police Department vorstellen?«

Michael stand auf, gab William die Hand und stellte dabei fest, dass dieser zwar ein Stückchen kleiner war, dafür aber einen kräftigen Händedruck hatte. »Angenehm, Sir!«

Sie setzten sich hin, wobei O.C. und William sich nebeneinander Michael gegenüber setzten. William sah, dass der junge Deputy recht nervös war und beruhigte ihn: »Kein Grund zur Aufregung, Deputy White. Ich beiße nicht.«

O.C. musste angesichts der Worte grinsen, da er sie William gegenüber ebenfalls gebraucht hatte, als dieser ihn in Canton im Sheriff Department besucht hatte.

»Deputy White«, fuhr William unbeirrt fort, »Sheriff Thomas sagte mir, dass Sie gern bei uns in Fairview mitarbeiten würden. Ist das korrekt?«

»Ja, Sir!«

»Gut.« William blickte ihn lang und durchdringend an, und Michael White hielt seinem Blick stand. »Haben Sie ein Problem damit, wenn man Sie Nigger nennt?«

Michael starrte William erschrocken an. »Wie meinen Sie das, Sir?«

O.C., der Williams Grund für die Frage von ihrem Gespräch auf der Veranda her kannte, übernahm die Beantwortung von Michaels Frage: »Deputy, der Chief möchte wissen, wie Sie mit Rassismus umgehen, der Ihnen entgegenschlagen könnte.«

William fuhr entsprechend fort: »Ich habe einen Mitarbeiter in meiner Truppe, der gewisse … Abneigungen Latinos und Schwarzen gegenüber hat, um es mal gelinde auszudrücken.«

»Wie stehen Sie zu meiner Hautfarbe, Sir?«

»Ich habe mit Schwarzen keine Probleme, und auch nicht mit Latinos, Asiaten oder sonst einer Bevölkerungsgruppe. Mir ist nur wichtig, dass Sie Ihren Job gut machen. Und sollte man sich Ihnen gegenüber rassistisch äußern, dann erwarte ich, dass Sie mir das unverzüglich melden.«

»Jawohl, Sir!«

»Tun Sie mir bitte einen Gefallen, Deputy?«

»Gern, Sir! Was darf ich für Sie tun?«

»Nennen Sie mich bitte nicht Sir

»Gern, Sir … Chief!«

William musste grinsen. Der Junge gefiel ihm.

O.C. ergriff wieder das Wort: »Deputy, ich habe vorhin mit Ihrem Boss in Marietta gesprochen. Sollten der Chief und Sie sich einig werden, würden Sie bereits am Montag in Fairview anfangen.«

Michael wusste gar nicht, was er dazu sagen sollte.

Zum Glück ergriff William wieder das Wort: »Deputy, O.C. ist ein guter Freund von mir geworden, und ich vertraue seinem Urteil. Ihr erster Eindruck hat mich überzeugt, und ich denke, dass wir gut miteinander auskommen werden. Wenn Sie also bei uns in Fairview arbeiten wollen, sollen Sie den Posten haben.«

Deputy White war immer noch sprachlos. Stundenlang hatte er hier gesessen und auf einen Anruf gewartet, nun saßen Chief Justice und Sheriff Thomas ihm gegenüber und teilten ihm mit, dass er bereits übermorgen beim Fairview Police Department anfangen könne.

»Deputy White, haben Sie verstanden?«

»Äh … ja, Sir ... Chief! Bitte verzeihen Sie, ich war gerade in Gedanken. Ich wollte so gern zum Cherokee County Sheriff Department, da meine Freundin in Canton wohnt und hier, in Fairview arbeitet. Die ewige Fahrerei zwischen Kennesaw, Marietta und Canton war eine ziemliche Belastung. Und jetzt erfahre ich, dass ich bereits am Montag in Fairview arbeiten darf!?«

»Sie nehmen das Angebot also an?«, fragte William rein der Form halber. Er sah, dass Deputy White kurz davor stand, vor Freude zu tanzen.

»Ja, Chief, ich nehme das Angebot an. Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich Ihnen beiden danken möchte!«

»Wunderbar! Deputy White, ich erwarte Sie am Montagvormittag pünktlich um 8 Uhr vorm Rathaus von Fairview.«

»Ich werde da sein, Chief.«

O.C. holte sein Handy aus der Brusttasche und ging zum Telefonieren vor die Tür. William ahnte, dass er den Sheriff von Cobb County informieren würde.

»Sehr gut! Bitte kommen Sie in zivil. Denken Sie bitte daran, dass Sie bereits ab morgen nicht mehr beim Sheriff arbeiten und folglich die Uniform nicht mehr tragen dürfen.«

Michael nickte und hörte aufmerksam zu.

»Am Montag werde ich Sie zunächst dem Bürgermeister vorstellen. Dort werden wir die Formalitäten erledigen, bevor ich Sie Ihren Kollegen vorstellen werde. Anschließend werde ich Ihnen den restlichen Tag frei geben, damit Sie sich um eine neue Uniform kümmern können. Ist das soweit für Sie okay?«

»Ja, Chief.«

»Dann, Deputy White, freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen.« William stand auf und reichte Michael die Hand. »Und seien Sie am Montag bitte pünktlich!«

»Das werde ich, Chief. Worauf Sie sich verlassen können.«

Sweetwater Creek Drive, Fairview, Georgia

Gordon war begeistert von Cynthia. William hatte recht, sie sah nicht nur phantastisch aus, sie hatte auch das gewisse Etwas. Seit O.C. und William zum Cracker Barrel aufgebrochen waren, hatten Gordon und Cynthia es sich vor dem Kamin gemütlich gemacht. Und Gordon spürte, dass Cynthia William deutlich mehr als nur reine Sympathie und Freundschaft entgegen brachte. Er war sich sicher, dass sie ihn liebte. Hoffentlich würde das nicht in Tränen enden. William hatte ihm gesagt, dass er noch nicht wüsste, was er wollte. Und Gordon hoffte sehr, dass der Junge bald wieder klar sehen würde. Cynthia war so eine Frau, wie Gordon sie sich nach Jeannes Tod immer gewünscht hatte: Aufmerksam, verständnisvoll, liebevoll … und Williams Erzählungen nach wohl auch sehr zärtlich. Was für ein Glückspilz!

Es war beinah 17 Uhr als William und O.C. zurückkehrten. Beide schienen sehr zufrieden und lachten, während sie ins Haus kamen. Gordon und Cynthia standen von ihren bequemen Plätzen auf und gesellten sich zu den beiden Männern in der Küche.

»Und? Ist der Mann der Richtige?«, fragte Gordon, während er sich wieder Wasser aus dem Kühlschrank nahm.

»Ich denke schon, dass er der Richtige für mein Team sein wird«, antwortete William und nahm sich eine Sandwichecke. »O.C. hatte vollkommen recht – der Junge hat Potenzial.«

O.C. nahm sich einen Muffin und setzte sich neben William auf einen der Hocker am Küchentresen. »Mit dem Sheriff von Cobb County ist alles geklärt; Deputy White wird bereits übermorgen in Fairview anfangen.«

William erklärte Cynthia und Gordon, wie das Gespräch mit Michael Luther White verlaufen sei und auch, was dessen Beweggründe waren, sich nach Cherokee County zu bewerben. Anschließend sprachen die vier Freunde noch über alles Mögliche, was auch Mabels Backkünste mit einschloss.

Der Sheriff blieb noch gute zwei Stunden, ehe er sich zurück nach Canton aufmachen musste. Seine Regierung würde abends immer auf ihn warten; und wehe, es würde zu spät werden! Lachend verabschiedete er sich von allen und begab sich auf den Heimweg. William war ihm unendlich dankbar. Sobald das Wetter es zuließe, überlegte er, würde er sich einen Grill besorgen, damit sie draußen auf der Veranda und im Garten ein BBQ abhalten konnten.

Nachdem sie alles wieder weggeräumt und die Spülmaschine angestellt hatten, setzten sich William und Gordon mit Kräutertee vor den Kamin, in dem William diesmal auch wieder ein Feuer entzündete. Cynthia verzog sich nach oben. Sie wollte ein heißes Bad nehmen und die beiden Männer für sich lassen.

William stopfte sich wieder eine Pfeife, diesmal jedoch nur zur Hälfte mit Boswell's Chocolate Cream. Gordon schätzte den Duft sehr, da er ihn an frisch gebackene Fudge Brownies erinnerte. So saßen sie schweigend vor dem Kamin und betrachteten das Züngeln des Feuers.

Erst Gordon brach nach ein paar Minuten das Schweigen: »Sie gefällt mir.«

»Wer? Cynthia?«

»Natürlich! Wer denn sonst?« Gordon grinste und nippte an seinem Tee. »Sie mag dich sehr …«

»Ich mag sie auch.«

»Und?«

»Das ist nicht so einfach«, antwortete William nach einem kurzen Überlegen. »Du erinnerst dich doch, worüber wir bereits gesprochen hatten.«

»Da tue ich, mein Junge. Und du wirst dich sicherlich daran erinnern, was ich dir über mein Leben seit Jeannes Tod erzählt habe.«

»Dass du lange suchen musstest, und trotzdem niemals die Richtige dabei war?«

Gordon nickte bloß und trank einen weiteren Schluck von seinem Tee. Schließlich antwortete er doch: »Ich wünschte, mir wäre eine Frau wie deine Cynthia über den Weg gelaufen.«

»Ja, sie ist toll.«

»Und worauf wartest du dann? Frauen wie deine Angela und jetzt Cynthia wachsen nicht auf Bäumen!«

William sagte lange nichts, rauchte nur seine Pfeife und nahm ab und zu einen Schluck Tee, während er ins Feuer schaute und über Gordons Worte nachdachte. So vergingen mindestens zwei bis drei Minuten, ehe er Gordon beipflichtete: »Vermutlich hast du recht.«

Die beiden Männer saßen anschließend noch eine gute halbe Stunde schweigend und nachdenklich vor dem Kamin und schauten dem Feuer zu. Als William anfing, seine Pfeife zu reinigen, hörten sie, wie Cynthia oben aus dem Badezimmer ging und sich dem Schlafzimmer zuwandte.

Gordon erhob sich. »Ich werde mal nach oben gehen, mich im Bad fertigmachen und ins Bett gehen. Ich möchte noch ein bisschen lesen und wünsche dir eine gute Nacht, mein Junge!«

»Danke, Gordon. Ich dir auch.« William stocherte mit dem Schürhaken im Kamin herum, damit dieser schneller erlöschen konnte. Danach ging er ins Gästebad im Erdgeschoss, duschte und stieg anschließend die Treppe nach oben. Cynthia erwartete ihn bereits im Schlafzimmer, und keine zehn Minuten später schlief er mit ihr im Arm ein.

Fairview - Schleichender Tod

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