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Vorwort
ОглавлениеDer Zug fuhr mit einem Ruck los. Ich öffnete das Päckchen. Es enthielt ein fast 400 Seiten langes Manuskript. Der Titel lautete Kansbar, Beschützer des Grals, der Untertitel Alhambra 1001. Dann eine kurze Einleitung:
„Kansbar ist nicht mein richtiger Name. Aber aufgrund der Geheimnisse, die ich zu bewahren auserwählt bin, habe ich diesen alten persischen Namen gewählt. Kansbar, der Auserwählte. Kansbar, der Weise. Kansbar, der Seher. Kansbar, der Hüter des Grals. Ich bin bald ein alter Mann. Viele Jahre lang habe ich nach dem einen Menschen gesucht, der diese Aufgabe nach mir übernehmen soll – vergebens. Aber jetzt erinnere ich mich wieder an den Tag, an dem ich Flegetanis, einen fahrenden maurischen Sänger, auf einem Marktplatz in einer kleinen Stadt an der andalusischen Küste traf. Dieses Manuskript ist für ihn. Es ist die Geschichte des Grals.“
Nach Dänemark zurückgekehrt, begann ich sofort, das Manuskript zu schreiben, aus dem später das Buch Der Seher wurde. Einige Monate lang war ich so in diese Aufgabe vertieft, dass ich das alte andalusische Manuskript, das mir der Seher anvertraut hatte, ganz vergaß. Hätte die Sonne nicht eines Tages ihre Strahlen auf meinen Bücherschrank geworfen und mit einem auffordernden Finger auf das Manuskript gezeigt, dann wäre es noch wer weiß wie lange als Staubfänger dort liegen geblieben. Jetzt nahm ich es zur Hand, öffnete es mit klopfendem Herzen und begann zu lesen:
„Es war einmal eine Königstochter, die aus der Ferne kam, und niemand wusste, woher sie gekommen war. Doch sie sahen, dass sie einzigartig, schön und weise war in allem, was sie tat; und sie waren erstaunt zu sehen, dass sie von 32 Strahlen goldenen Lichts umgeben war. Sie sagten: ‚Sie ist wahrhaft aus dem Licht geboren, denn die Welt wird durch ihre Taten erleuchtet.‘ Sie fragten sie: ‚Woher kommst du?‘ Sie antwortete: ‚Von meinem eigenen Ort.‘ Sie sagten: ‚Dann muss dein Volk gesegnet sein. Gesegnet seist du und gesegnet sei dein Ort.‘ Sie sagte: ‚Mögen jene, die es nach diesem Segen verlangt, mir nachfolgen. Ich bin gekommen, um wahres Gleichgewicht in die Welt zu bringen.‘ Doch die meisten von ihnen zauderten, denn sie vermochten nicht, an eine Frau zu glauben. Erst als sie verschwunden war und die Welt nicht mehr erleuchtete, bereuten sie ihre Entscheidung und suchten nach ihr, doch vergebens. Dann gingen sie zum weisesten Mann des Landes und fragten ihn: ‚Was sind diese 32 Strahlen goldenen Lichts?‘ Er antwortete: ‚Diese 32 Strahlen sind Pfade. Ein jeder von ihnen steht für den König in der innersten Kammer seines Palastes, und die Zahl der Kammern war 32, und es gab einen Pfad, der zu einer jeden dieser Kammern führte.‘ Weiter befragten sie den weisen Mann: ‚Gewährte der König irgendjemandem Zugang zu seinen Kammern auf diesen Pfaden?‘ ‚Nein!‘ ‚Ließ er es zu, dass seine Perlen, seine verborgenen Schätze und seine göttlichen Dinge offenbar wurden?‘ ‚Nein!‘ ‚Was also tat der König?‘ ‚Er nahm seine Tochter und versammelte all diese Pfade in ihr und in ihrem Gewand, und wen immer es verlangte, den Fuß in die innerste Kammer zu setzen, der musste sie aufsuchen. In seiner endlosen Liebe zu ihr nannte der König sie ‚meine Tochter‘, denn sie war seine Tochter. Ein anderes Mal nannte er sie ‚meine Mutter‘ oder ‚meine Schwester‘, aber immer nannte er sie ‚meine Geliebte‘.“