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Der Fall eins

Hannovers Timo Hübers erzielt ein Tor, bekannter macht ihn Corona

Sein rechter Fuß ist der stärkere. Am liebsten spielt er in der Innenverteidigung, er ist aber auch schon als defensiver Mittelfeldspieler aufgelaufen. Die Webseite Transfermarkt taxiert seinen Marktwert auf 400.000 Euro. Bislang stehen für den 23-Jährigen fünf Erst- und drei Zweitligaspiele in den Leistungsdaten. Sein erstes Tor im Profifußball erzielt Timo Hübers am 6. März 2020 im Spiel gegen den 1. FC Nürnberg. Zu diesem Zeitpunkt können wahrscheinlich nur wenige Fußballfans in Deutschland überhaupt etwas mit dem Namen des Abwehrtalents von Hannover 96 anfangen. Fünf Tage nach dem Treffer gegen Nürnberg erlangt der ehemalige Juniorennationalspieler bundesweite Berühmtheit: Hübers ist der erste Profifußballer in Deutschland, der positiv auf das Corona-Virus getestet worden ist.


6. März 2020, Max-Morlock-Stadion, Nürnberg: Timo Hübers von Hannover 96 (links oben, grünes Trikot) köpft beim Zweitligaspiel in Nürnberg zum 1:0 ein (18. Minute). 96 gewinnt die Partie mit 3:0. Fünf Tage später ist Hübers der erste deutsche Profi, der positiv auf das Corona-Virus getestet wird.

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»Auf einmal befindet man sich selbst mittendrin«

»Zunächst war es wirklich sehr surreal für mich. Natürlich hat man über die Medien schon eine Menge von dem Virus mitbekommen, trotzdem wirkte es noch sehr weit weg. Ich hatte nicht wirklich das Gefühl, dass das Virus in Deutschland angekommen ist – und auf einmal befindet man sich selbst mittendrin. Wenn man sich jetzt die Berichterstattung anschaut, sieht man, wie ernst das Thema nun auch in Deutschland ist«, berichtet Hübers via Videoschalte auf den Kanälen seines Vereins. Er hat sich bei einer Veranstaltung in seiner Heimatstadt Hildesheim infiziert und handelt schnell. »Timo hat sich absolut vorbildlich verhalten. (…) Als er davon erfuhr, dass eine Person, die mit ihm auf der Veranstaltung gewesen war, positiv getestet wurde, meldete er sich direkt beim Arzt und begab sich provisorisch in häusliche Quarantäne«, lobt Gerhard Zuber, sportlicher Leiter bei 96. Einen Kontakt zu anderen Mitspielern des niedersächsischen Klubs habe es nicht gegeben, eine Ansteckung sei folglich unwahrscheinlich. Dennoch wird das Team des Zweitligisten samt Trainerstab vorsorglich auf das Virus getestet. Ergebnis: Hübers Mitspieler Jannes Horn hat sich ebenfalls mit Corona angesteckt. Daraufhin schickt Hannover 96 den gesamten Kader für 14 Tage in häusliche Quarantäne. Außerdem beantragen die Niedersachsen bei der DFL die Absetzung der anstehenden Zweitligaspiele gegen Dresden und Osnabrück.

Häusliche Quarantäne im deutschen Profifußball – ein absolutes Novum. Hübers beschreibt: »Die Aufgaben meines täglichen Lebens versuche ich an Freunde und Bekannte abzugeben, die nicht unter häuslicher Quarantäne stehen.« Sein wichtigstes Kommunikationsmittel: FaceTime-Anrufe. Damit versucht er, den sozialen Kontakt »virtuell aufrechtzuerhalten«. Um die Profis in der Quarantäne sportlich weiter zu fordern und im Rhythmus zu halten, verteilt Hannover 96 Trainingspläne für zu Hause. Noch ist den Beteiligten nicht klar, dass ihr Spiel in Nürnberg das letzte für einen längeren Zeitraum ist. Hübers hat beim 3:0-Sieg gegen den »Club« 90 Minuten auf dem Platz gestanden – der FCN handelt umgehend und testet vorsorglich alle Spieler, Trainer und Mitarbeiter auf Corona. Eine Maßnahme, die sich als richtig erweisen wird. Denn Nürnbergs Mittelfeldspieler Fabian Nürnberger hat sich ebenfalls mit dem Virus infiziert. »Mir geht’s sehr gut«, sagt der 20-Jährige. »Ich merke bislang keine Symptome oder Anzeichen des Virus und habe auch schon ein bisschen trainiert, um mich fit zu halten. Ich spüre bislang gar nichts. Ihr müsst euch um mich keine Sorgen machen.« Nürnberger rät den Club-Fans, am besten zu Hause zu bleiben. Der 1. FC Nürnberg ordnet auf Anweisung der Gesundheitsbehörden für sein gesamtes Zweitligateam 14 Tage Quarantäne an. Wie zuvor schon Hannover 96 beantragt auch Nürnberg die Absetzung des kommenden Spiels (gegen den FC St. Pauli). Außerdem geben die Club-Verantwortlichen ein Statement ab, wie es in den folgenden Tagen und Wochen mit ähnlichem Wortlaut von vielen Fußballvereinen verlautbart wird: »Wir stehen in dauerhaftem Austausch mit den Gesundheitsbehörden und der DFL. Unseren Spielern geht es so weit gut. Wir werden alle Maßnahmen ergreifen, um unsere Mannschaft sowie alle Mitarbeiter des 1. FC Nürnberg bestmöglich zu begleiten und unterstützen.«

Corona in der ersten Liga

Den ersten Verdachtsfall im Oberhaus des deutschen Fußballs gibt es am 13. März beim SC Paderborn: Trainer Steffen Baumgart hat kurz vor dem kurz darauf abgesagten Auswärtsspiel in Düsseldorf über Unwohlsein und typische Corona-Symptome geklagt. Ein umgehend erfolgter Test auf das Virus ergibt noch am selben Tag ein negatives Ergebnis. Über die offiziellen Kommunikationskanäle feiert der SC Paderborn die Entwicklung als »Wunderbare Nachricht von unserem Coach«. Und warnt zugleich vor zu viel Euphorie: »Es stehen noch Ergebnisse von Spielern aus.« Kurze Zeit später hat auch die erste Fußballbundesliga mit Luca Kilian ihren ersten Corona-Fall. Anders als Hübers hat der 20-Jährige schon eine längere Zeit nicht mehr bei einem Pflichtspiel auf dem Platz gestanden. Seit Mitte Januar ist Kilian durch eine Verletzung außer Gefecht gesetzt. Zuvor hat das Nachwuchstalent in der Saison 13 Bundesligaspiele absolviert.


13. März 2020, ein Hotelzimmer, Düsseldorf: Der Tabellenletzte SC Paderborn ist zum Erstliga-Kellerduell bei Fortuna Düsseldorf gereist. Das Freitagsspiel wird wegen Corona kurzfristig abgesagt. Steffen Baumgart, Trainer der Paderborner (Archivbild), klagt im Teamhotel derweil über die für das Virus typischen Symptome. Er wird getestet. Ergebnis: negativ.

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Spätestens nach diesen bekannt gewordenen Fällen gibt es für die DFL keine andere Entscheidungsmöglichkeit, als den Spielbetrieb vorerst einzustellen. Trotz leichten Krankheitsverlaufs bei den bisher infizierten Profis soll kein Risiko eingegangen werden. Die Auswirkungen wären auch über die Ansteckungsgefahr hinaus drastisch gewesen, wie Experten befinden: »Das mit Timo Hübers hast du als Mitspieler sicher immer im Hinterkopf«, sagt Sportpsychologe Matthias Herzog, der in der Vergangenheit auch mit Hannover 96 zusammengearbeitet hat. »Und dann stell dir vor, du hast mal besonders schwere Beine oder fühlst dich erkältet. Dann geht das Kopfkino los, du setzt alles damit in Verbindung. Beachtung bedeutet immer Verstärkung. Auch wenn es gar keinen direkten Kontakt mit Timo Hübers gab.«

Auf dem Weg der Besserung

Und Timo Hübers selbst? Er übersteht die Corona-Infektion nahezu unbeschadet. Zwei Wochen nach der Diagnose wird Hannovers Innenverteidiger mit Abstrichen in Mund- und Nasenraum erneut getestet. Das Ergebnis diesmal: negativ. Es sei alles wie bei einer Grippe verlaufen, erzählt der 23-Jährige, »aber nichts, was ich zuvor in meinem Leben noch nicht erlebt habe.« Ein bisschen heftiger erlebt Mannschaftskamerad Jannes Horn seine 14-tägige Quarantäne: »Mittlerweile geht es mir wieder gut, die ersten drei bis vier Tage war ich echt fertig und hatte Fieber. Es hat sich angefühlt wie eine Grippe. Seitdem ging es jeden Tag bergauf. Ich bin seit vier oder fünf Tagen schon wieder am Fahrradfahren.«

Nicht aufs Fahrradfahren, sondern eher »auf eine Runde Joggen« freut sich dagegen Timo Hübers, der als »Corona-Fall eins« in die deutsche Fußballgeschichte eingeht. Das Wichtigste für ihn nach der Zeit in der Isolation: »Ich freue mich, mich einfach wieder frei bewegen zu dürfen.« Und was ist für Sie am schlimmsten an der Corona-Infektion gewesen, Herr Hübers? »Die Langeweile. Es ist recht schwer, die Tage rumzubekommen.«



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