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Der Duft von Keksen

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Es war einfacher sich zurechtzufinden als Taps angenommen hatte. Es gab weniger Mülltonnen, baufällige Gebäude oder andere Verstecke, die er aus den dunkleren Gassen kannte und damit war alles übersichtlicher. Gestutzte Hecken, Bäume, die in Form geschnitten waren und Blumenbeete, die dazu einluden, ein Loch zu buddeln, um etwas darin zu vergraben, flankierten ihren Weg.

Taps fand durch die Grünzeugbesessenheit der Bewohner genug Möglichkeiten, um ungesehen von Garten zu Garten zu huschen. Na gut. Er war kein unsichtbarer Schatten, wie er es sich oft wünschte, aber zumindest schlug niemand Alarm. Also auftauchen, abtauchen und sich umsehen.

„Hier entlang“, ermahnte Faruun den Kater, als Taps einen Moment länger unter einem Busch hocken blieb, um die Umgebung zunächst mit den Augen zu erkunden.

„Psst“, zischte Taps dem Sittich zu. „Ich rieche etwas.“

„Warum muss ich deshalb leise sein?“ Faruun landete neben ihm im Gebüsch und schnüffelte. „Rieche nichts.“

„Doch.“ Aus der Richtung, die Faruun ihm gewiesen hatte, strömte Taps ein überaus verführerischer Duft entgegen. Vage erinnerte er sich daran, früher in seinem Leben Ähnliches gerochen zu haben. Aber dennoch konnte er den Geruch nicht zuordnen. Er wollte nachsehen, Gewissheit darüber erlangen, was die Quelle war. Allerdings kam er dann von seinem Ziel ab. Zwar konnte Susalu sicherlich noch warten, aber hatte Faruun dazu die Geduld? Jede Verzögerung verschlechterte die Laune des Vogels. Verständlich.

Taps war hin- und hergerissen. Faruun, Susalu und der Geruch seiner unbekannten Vergangenheit. Seine Neugierde siegte. Er musste wissen, was das war. Vorsichtig pirschte er sich in die Richtung, aus der der Geruch kam.

„Was hast du vor? Unser Ziel liegt woanders!“ Faruun trappelte hinter ihm her. „Ich will nicht noch länger warten. Es wird immer kälter!“

Taps blieb stehen und drehte sich zu Faruun um. „Noch sind die Blätter grün. Wir bringen dich nach Afrika, aber das ist meine Chance, mehr über mein früheres Leben herauszufinden. Ich habe dir doch erzählt, dass ich nicht weiß, woher ich komme. Irgendwann bin ich auf der Straße aufgewacht. Aber es gibt ein Davor und der Geruch erinnert mich daran!“

„Aber …“

„Bitte! Danach gehen wir zu Salu und dann in den Hafen.“

„Glaubst du wirklich, hier könntest du herkommen?“

Taps sah sich um. „Im Moment halte ich alles für möglich.“

„Also schön. Geh.“ Der Halsbandsittich flog in einen der nahen Bäume.

Ein wenig erleichtert, auch wenn ihn immer noch das schlechte Gewissen plagte, folgte Taps dem Geruch. Er war süßlich und angenehm. Erinnerungen überwältigten ihn. Menschliche Finger, die nach etwas griffen, das den Duft ausstrahlte.

Schnell verscheuchte Taps das Bild. Er musste bei der Sache bleiben. Wenn er entdeckt würde, wäre alles vorbei. Dann würde er verscheucht oder womöglich sogar …

Also schob er sich möglichst unauffällig durch das Gras, mit dem Bauch dicht über dem Boden. Flink huschte er voran, drückte sich schließlich an die Hauswand. Ein Fenster über ihm stand offen. Von dort kam der verführerische Duft.

Zwei Schritte wich er zurück, um ausreichend Anlauf zu nehmen. Faruuns Blicke konnte er dabei förmlich in seinem Nacken spüren. Der Vogel würde schimpfen über seinen Leichtsinn. Doch Taps brauchte Gewissheit. Aus dem Inneren des Hauses hörte er keine Geräusche und auch in der Nähe sah er nichts Verdächtiges. Er wagte es. Mit einem großen Satz sprang er auf die Fensterbank. Dabei stieß er gegen etwas Metallenes, Warmes. Davon ging der Geruch aus. Doch noch ehe er es sich genauer ansehen konnte, rutschte die glatte Fläche hinab und sauste im Inneren des Hauses auf den Boden. Laut scheppernd. Krachend.

Lauter helle Kekse verteilten sich über die Fliesen der Küche. Sie waren die Quelle des Geruchs. Da war er sich sicher.

Unsicher verharrte er einen Moment im Fenster. Dann riss er sich zusammen, spitzte die Ohren. Ihm blieben nur wenige Sekunden, bis die Menschen auf ihn aufmerksam werden würden. Also hechtete er los, schnappte sich zwei der Kekse mit den Zähnen und verschwand wieder zum Fenster hinaus. Hinter sich hörte er die wütenden Rufe einer Frau, doch die interessierte ihn nicht mehr. Er verschwand bereits durch die Hecke zum Nachbarsgarten.

Keuchend und zitternd blieb Taps unter den Büschen sitzen. Das war knapp. Alles für zwei lausige Kekse, die bereits in seinem Maul bröckelten und sich mit Speichel vollsogen. Dennoch legte er seine Beute vor sich auf die Erde, betrachtete sie eingehend.

„Was sollte das?“ Faruun kam aufgebracht zu ihm unter den Busch gekrabbelt. „Willst du endgültig bei einem der Tierfänger landen? Was glaubst du, was sie hier mit Streunern wie dir machen?“

„Nenn mich nicht so.“ Einen der Kekse schob Taps zu Faruun. „Das war es wert. Riech mal und probier’ das.“

„Wie bitte? Dafür? Da hättest du uns besser eine Ratte fangen können! Meinst du nicht?“

„Nein.“ Mehr sagte Taps nicht. Stattdessen betrachtete er die helle Oberfläche. Der Farbton war gelblich mit einem dunkleren Hauch. Beinahe wie die Sonne. Er hatte so etwas schon einmal gesehen. Auch davon gekostet. Daran erinnerte er sich genau. Alles andere ging jedoch in der Dunkelheit unter.

Auch als er den Keks wieder zwischen seine Zähne nahm, zeigten sich leider keine weiteren Bilder. Dennoch genoss er den Geschmack. So ganz anders als der von Ratten oder Mäusen. Süßer und zarter. Angenehm. Das wollte er wiederhaben. Vielleicht mit Hilfe von Susalu. Sie war schließlich eine Hauskatze und konnte ganz sicher dafür sorgen … Das war die Idee, die ihm gefehlt hatte! Verstohlen sah er zu Faruun. „Schmeckt‘s?“

„Ist okay.“

„Willst du mehr davon?“

Der Halsbandsittich hörte auf zu picken. „Was planst du?“ In seinen Augen leuchtete eine Mischung aus Zweifel und Ärger auf.

„Klar, ich habe dir versprochen, dass wir bald nach Afrika reisen. Aber wäre es nicht besser, wenn wir uns satt und vollgefressen auf eines der Schiffe begeben? Ich meine, die Reise kann lang werden. Hast du nicht gehört, wie die Schiffsratten von mehreren Wochen sprachen? Da müssen wir vorsichtig sein und …“

Faruun legte Taps eine seiner Krallen auf die Nase. „Komm zum Punkt.“

„Wir wollen nicht, dass Susalu uns vorliest. Da vertraue ich ihr nicht. Aber wir können trotzdem mit ihr handeln. Susalu kommt an Vorräte. An Kekse, an Futter, das wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht einmal vorstellen können. Sie will Baldrian, soll sie bekommen. Aber dafür bekommen wir, was uns zusteht.“

„Das wären Kekse?“ Faruun krächzte. „Die Dinger sind zwar nicht schlecht, aber dafür willst du dich verkaufen?“

„Ist doch nur ein Baldrianfläschchen. Wie schlimm kann das schon sein? Wir haben schon ganz anderes von den Menschen gestohlen.“

„Weißt du denn überhaupt, was das ist?“

Taps legte eine Pfote über die Augen. Dann widmete er sich wieder seinem Keks. Als er diesen verputzt hatte, sagte er selbstsicher: „Das wird sie uns schon erzählen. Ich glaube nicht, dass es so gefährlich wird, wie sie angedeutet hat. Vermutlich wollte sie mich nur loswerden. Aber so einfach wird man mich nicht los.“

„Also gut. Wir besorgen uns Futter von ihr. Und wer liest uns die Schilder vor? Wir brauchen ein Schiff, das uns nach Afrika bringt. Dort wird es dir gefallen! Außerdem kannst du dann den ganzen anderen Katzen in Guinea erzählen, dass du aus Paris kommst. Wird sie sicher beeindrucken!“

„Glaubst du?“

„Natürlich.“ Der Halsbandsittich breitete seine Flügel aus. „Das Fremde ist doch gerade eindrucksvoll. Aber wir sollten zusehen, dass wir dorthin kommen. Also, wie lesen wir Schilder?“

„Indem wir herausfinden, wie viel so ein Fläschchen wert ist. Hier gibt es sicher noch andere Katzen, mit denen wir handeln könnten.“

„Lass uns loslegen.“

Taps hob den Kopf und schob die Brust vor. „Ist es noch weit?“

„Nein. Gleich um die Ecke. Hätte dich dein komischer Keks nicht abgelenkt, wären wir längst bei ihr.“

„Ohne den Keks wüsste ich aber nicht, welchen Handel ich mit ihr schließen will.“

„Auch wieder wahr.“ Damit schob Faruun sich an Ästen und Blättern vorbei nach draußen. Vor der Hecke wartete er auf Taps. „Um die Hausecke ist ein Hund. Um ihn solltest du einen großen Bogen machen.“

„Stimmt. Wenn er bellt, könnte Susalu auf uns aufmerksam werden und uns für unfähig halten, ihren Auftrag auszuführen. Weil wir eben nicht unauffällig genug sind.“

„Pah!“ Faruun warf den Kopf in den Nacken. „Willst du sie ängstigen oder mit deiner Intelligenz beeindrucken?“

„Komm, flieg los.“

Taps ließ sich von Faruun in ausreichend Abstand zum Hund durch den Garten dirigieren. Riskieren würde er nichts. Außerdem blieb ihm so hoffentlich noch ausreichend Zeit, sein Fell herzurichten und entsprechend elegant vor Susalu zu treten.

Als er und Faruun den Garten der Hauskatze erreichten, lag Susalu auf einem Liegestuhl in der Sonne. Auf einem Tischchen neben ihr eine Schale mit Wasser. Aus Glas und mit edlem Schliff. Sie hatte tatsächlich nicht übertrieben, was ihre Herkunft anging. Immerhin war sie allein. Nirgendwo ein Mensch zu sehen, auch wenn eine zweite Liege und ein weiterer Tisch darauf hindeuteten, dass ihre Madame vermutlich plante, bald zu ihr zu stoßen.

Taps wusste, dass er vorsichtig sein musste. Faruuns Ermahnung überhörte er deshalb. Möglichst leise schlich er durch das Rosenbeet, so nah an die Katze heran, wie er es wagte. Leise miaute er. Doch sie rührte sich nicht. Nicht einmal ihre Ohren zuckten. „Hey, Salu!“, zischte er darauf ein wenig lauter.

Wieder nichts.

Darauf nahm Taps all seinen Mut zusammen und sprang unter ihren Liegestuhl. So konnte er sie zwar nicht sehen, aber wenigstens musste sie ihn nun hören. „Lu!“ Von unten stieß er mit dem Kopf gegen den Stuhl.

Da endlich streckte sie ihre Pfote hinab, gefolgt von ihrem edlen Gesicht. Sie rollte mit den Augen. „Was willst du?“

„Handeln. Du hast mich aus gutem Grund ausgewählt.“

„Der einzige Grund war, dass alle anderen Katzen von Rang abgelehnt haben. Aber sie hatten recht, du bist tatsächlich zu dumm für so eine Aufgabe.“

„Dumm? Wie bitte?“

„So ist es. Ich wollte dich nur loswerden. Leider ist dein Vögelchen cleverer als es aussieht.“

„Hey!“, ertönte darauf die Stimme von Faruun aus dem Rosenbeet. „Wenn du deinen Baldrian möchtest, wirst du niemanden in Paris finden, der besser dazu in der Lage wäre als wir.“

„Gut. Wenn ihr darauf besteht, dann zieht los und besorgt es mir.“

Dieses Mal behielt Taps sein Ziel deutlich vor Augen und ließ sich von ihr nicht beirren. „Wir besorgen dir deinen Baldrian. Dafür besorgst du uns Futter.“

„Wie bitte?“ Sie sprang neben den Liegestuhl und fauchte ungehalten. „Für Futter soll ich ein mickriges Fläschchen Baldrian bekommen? Ihr habt sie doch nicht mehr alle.“

„Handel ist Handel. Du hast von Gefahren gesprochen, die mich erwarten. Also sind mindestens eine Kiste Kekse, fünf Ratten und zehn Würste fällig. Außerdem ein Sack Nüsse für meinen Freund.“

„Tja, dann wird das wohl nichts.“ Sie drehte sich um und stolzierte mit hoch erhobenem Schwanz in Richtung eines Springbrunnens davon. Dort hockte sie sich auf den Rand und tappte mit ihrer Pfote ins Wasser. Vielleicht waren Fische drin, nach denen sie suchte, oder sie wollte ihn lediglich ablenken.

Das würde Taps aber nicht zulassen. Hatte er zu viel verlangt? Aber das glaubte er nicht. Vermutlich manipulierte sie ihn wieder. Sie wollte das Baldrianfläschchen. Mehr als alles andere. Er hatte es ganz deutlich in ihren Augen leuchten gesehen. Also brauchte sie nur den passenden Anreiz, um auf den Handel einzugehen. „Warte hier“, sagte er zu Faruun und lief zum Springbrunnen hinüber.

„Du lässt nicht locker, was?“ Über die Schulter sah sie ihn an.

„Nun, du hast uns nicht gebeten zu gehen. Dementsprechend ist dein Wunsch stark genug, den Baldrian zu erhalten. Wenn wir ins Geschäft kommen wollen, brauche ich einen passenden Gegenwert von dir. Wir geben dir drei Tage, damit du alles besorgst.“

Sie spritzte ihm Wasser ins Gesicht und lief in Richtung Terrassentür. „So dringend brauche ich den Baldrian nicht. Ich suche mir jemand anderen. Eure Forderung ist absolut überzogen!“

Das war sie nicht. Susalu versuchte, ihn herunterzuhandeln. Wahrscheinlich war der Baldrian noch viel wertvoller. Ansonsten hätte sie längst einen passenderen Handel vorgeschlagen. Damit hatte er sie am Haken.

Der Geist der Spiegelkatze

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