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3. Kapitel
Оглавление(Sheena)
Eine kalte, frische Prise und der Duft nach Nadelbäumen, feuchter Erde und noch etwas anderem, streifte mich plötzlich und ließ mich frösteln. Ich öffnete meine Augen und suchte in der Dunkelheit des Zimmers nach jemanden der hier eingedrungen sein konnte. Aber ich sah nichts. Keine offene Tür oder ein offenes Fenster was mich hätte wecken können. Aber dieser Duft schwebte immer noch leicht in dem Zimmer herum. Als ich Jedediah ansah, sah ich, dass er seine Augen geschlossen hatte und friedlich schlief. Ich setzte mich in meinem Bett auf und runzelte die Stirn. Woher kam dieser Geruch bloß?
Ich wollte gerade von meinem Bett herunter rutschen, als Jedediah mich unerwartet am Arm fest hielt.
„Sheena, wo willst du denn hin?“, murmelte er verschlafen. „Es ist mitten in der Nacht.“
Plötzlich war er hell wach, blinzelte und schnupperte in der Luft herum.
„Was riecht hier denn so komisch?“
„War hier etwa jemand im Zimmer und wir haben es nicht gemerkt?“, fragte ich argwöhnisch und ich nahm gleichzeitig meinen Ring vom Finger der zu einem Dolch wurde. Jedediah setzte sich im Bett auf und sah mich an.
„Das kann nicht sein. Wenn hier jemand in diesem Zimmer war, dann hätte ich das sofort bemerkt.“
„Wie wäre es wenn wir mal draußen nachsehen?“, fragte ich leise und öffnete die Tür unseres Zimmers. Jedediah folgte mir. Seine Haltung war angespannt. Draußen auf dem Flur war niemand zu sehen, nur einzelne Fackeln erhellten die Korridore der Festung. Als wir zusammen die Eingangshalle betraten, standen die Flügeltüren der Festung weit offen. Der kalte Luftzug der von draußen herein wehte, ließ die Fackeln flackern und das laute Heulen des Windes erschreckte mich. Auch die schweren Türen bewegten sich im Wind und knallten gegen die die Säulen die im Eingangsbereich standen. Ich hatte ein ganz merkwürdiges Gefühl. Jedediah ließ seinen Blick nach draußen schweifen.
„Hier war jemand, ich kann es riechen. Und es war keine von unseren Wachen. Der Geruch ist mir vollkommen unbekannt. Bleib dicht hinter mir.“
Ich hielt meinen Dolch fest umklammert und folgte Jedediah nach draußen.
„Wo sind bloß die Wachen? Und warum stehen die Tore offen?“ Jedediah blieb stehen.
„Da vorne!“, zischte er plötzlich. Ich folgte seinem Blick und sah wie sich eine Gestalt zu uns umdrehte. Zwei Augen starrten uns unter einer mit löchern besetzten, schwarzen Maske an. Im Licht des unerwartet aufkommenden Mondes, leuchteten sie rot. Der Umhang der Gestalt flatterte im Wind, als sie so schnell wie sie gekommen war einfach wieder verschwand. Und mit ihr der Duft von Nadelbäumen. Jedediah verzog sein Gesicht zu einer steinernen Maske, während mein Herz anfing schneller zu schlagen. Das war einer von ihnen. Ein Dunkelelf, dachte ich schockiert und umklammerte meinen Dolch fester.
„Sie haben mich gefunden.“
Jedediah drehte sich zu mir um und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Ich werde alles tun, damit sie dich nicht kriegen, okay? Vielleicht sollten wir von hier verschwinden, an einen Ort an dem ich dich besser beschützen kann.“
Plötzlich raschelte es neben uns und eine Wache kam getaumelt. Sie war voller Blut und brach vor uns zusammen. Mit letzter Kraft wisperte der Mann: „Es spielt keine Rolle wo ihr hingeht. Sie werden euch überall wiederfinden. Bis sie bekommen was sie wollen werden sie keine Ruhe geben.“
Jedediah kniete sich neben dem Mann. „Bitte, haltet durch. Hat er euch gesagt was er wollte?“ Der Mann hustete und krallte seine Fingernägel in Jedediahs Hemd. „Er...nein...sie...sie wollen Sheena, aber...“, brachte er quälend heraus, doch er konnte seinen Satz nicht beenden, denn er starb.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die Leiche der Wache an und ein kaltes Gefühl breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Ich fing an zu zittern. Jedediah nahm mich sofort in den Arm und ich drückte meinen Kopf an seine Schulter. Beruhigende Worte flüsterte er mir zu. Sanft führte er mich von der Leiche des Mannes fort. Die Worte von ihm wiederholten sich immer wieder in meinem Kopf. Als wir wieder in unserem Zimmer waren, hob mich Jedediah hoch und legte mich auf das Bett.
„Egal was sie auch gesagt haben“, flüsterte er mir ins Ohr, während er sich neben mich legte und mich fest in seinen Armen hielt. „Sie werden dich mir nicht wegnehmen. Dafür werde ich sorgen.“
Ich nickte und langsam beruhigte ich mich wieder, als ich die Stärke spürte die von ihm ausging und schlief ein. Am nächsten Morgen wachte ich auf und sah neben mich, aber Jedediah war fort. Ich kämpfte mich aus der Bettdecke und öffnete die Zimmertür. Anael und Kilian verstummten sofort, als sie die Tür aufgehen sahen.
„Was macht ihr zwei denn hier?“
Anael räusperte sich. „Jedediah hat uns aufgetragen auf dich aufzupassen. Er hat uns erzählt was gestern passiert ist. Du hast noch geschlafen und er wollte dich nicht aufwecken. Deswegen sind wir jetzt da, während er mit Ayyden spricht.“
„Er hätte mich ruhig wecken können. Und ich weiß nicht so recht, ob ihr mich vor ihnen beschützen könnt. Mir ist bewusst, dass ihr die besten Assassinen seid, aber die Dunkelelfen sind etwas vollkommen anderes.“
Anael legte den Kopf schief. „Sheena“, sagte er langsam, „jeder hat eine Schwachstelle, egal wie stark er auch sein mag. Und wir sind ausgebildete Killer und wir jagen unsere Opfer genauso wie sie es tun. Wer könnte dir einen besseren Schutz als wir geben?“
„Jedediah“, erklang Sams Stimme, als er aus einem Gang heraus zu uns trat.
Anael warf ihm einen bösen Blick zu. „Musst du eigentlich immer einen Kommentar abgeben, Sam?“
„Aber es ist wahr“, widersprach er. „Ich habe Ayyden und Jedediah reden hören. Die Dunkelelfen sind schneller als wir. Egal wie schnell wir auch sind, wir können ihnen nicht das Wasser reichen.“
„Wie immer der Pessimist. Willst du Sheena etwa noch mehr Angst einjagen?“
„Haltet mal beide die Luft an. Ich glaube auch, dass sie eine Schwachstelle besitzen. Und wir werden sie finden, davon bin ich überzeugt.“ Und wie so oft war Kilian derjenige der die beiden zur Vernunft brachte.
Ich lief ohne ein weiteres Wort an sie zu verlieren an den Dreien vorbei und machte mich auf den Weg zu Ayyden und Jedediah. Ich wollte unbedingt wissen was die beiden besprachen. Es gab nichts Wichtigeres im Moment. Anael, Kilian und Sam folgten mir mit etwas Abstand.
Ich hörte schon Jedediahs Stimme, als ich vor der Tür von Ayydens Arbeitszimmer stand.
„Ich hatte gedacht, dass es etwas bringen würde fort zu gehen, aber das ist nicht der Fall. Sie werden uns folgen. Egal wohin wir auch gehen.“
„Das denke ich auch. Wenn man den Geschichten glaubt, werden sie keine Ruhe geben. Was ist mit den Wachen? Werden sie noch mehr von ihnen töten?“
„Ich weiß es nicht“, entgegnete Jedediah. „Möglich wäre es, aber vielleicht dient es nur als Warnung.“
Nach einer kurzen Pause sagte er: „Du kannst übrigens reinkommen, Sheena.“
Ich stieß die Tür auf. Jedediah lächelte mich wissend an. Er hatte mich schon längst auf dem Korridor wahrgenommen. Ayydens Gesichtsausdruck war von Überraschung gezeichnet, aber er fasste sich wieder.
„Ich danke euch, ab hier übernehme wieder ich“, wandte sich Jedediah an meine Begleiter. Die Assassinen nickten ihm zu und verschwanden aus dem Raum
„Wissen wir denn überhaupt nicht mehr über sie? Wenn Geschichten über sie erzählt werden, dann muss es doch auch Überlebende gegeben haben.“
Jedediah fuhr sich durch seine Haare. „Vielleicht. Aber wir wissen nicht ob die Geschichten tatsächlich wahr sind.“
Er wandte sich an Ayyden. „Gibt es denn hier nicht irgendwo eine Bibliothek, wo man Aufzeichnungen über alle Lebewesen von Venjava finden kann?“
Ayyden legte die Stirn in Falten und sein Blick wurde düster. „Nicht das ich wüsste. Hier in der Festung gibt es keine Aufzeichnungen darüber. Da niemand genaueres über sie weiß, müssten die Aufzeichnungen in einem abgesperrten Teil verborgen sein.“
„Und du weißt hoffentlich auch, wo genau das sein soll?“
Nach einer langen Pause der Überlegung, dachte ich schon, Ayyden würde gar nichts mehr sagen.
„Wartet mal“, sagte er und sein Gesicht erhellte sich, „mein Großvater hatte mir einst Geschichten von einer prächtigen Stadt erzählt, wo es nach seinen Erzählungen die größte Bibliothek in Venjava gegeben haben soll. Allerdings wurde die Stadt nach einem brutalen Kampf durch Magier zerstört. Sie versank daraufhin im Erdboden und Jahrhunderte später legte sich wie durch Zauberei Wasser über die Stadt und es entstand ein See. Der Raum wo sich die vielen Bücher befanden, war ein meterhoher, mächtiger Turm von dem man angeblich nur noch die Spitze sehen kann.“
„Wo genau befindet sich denn dieser Turm?“, fragte ich aufgeregt.
Jedediah nahm meine Hand. „Ich möchte deinen Eifer nicht bremsen, Sheena, aber der Turm ist im Wasser versunken. Wenn wir Pech haben, wurden alle Aufzeichnungen durch das Wasser zerstört.“
„Ich glaube daran, dass wir etwas finden“, sagte ich mit fester Stimme und blickte erwartungsvoll Ayyden an. Es war der einzige Hoffnungsschimmer den wir hatten. Und ich werde alles tun, damit wir endlich etwas über diese Dunkelelfen in Erfahrung bringen, dachte ich. Vielleicht finden wir dann auch heraus was sie von mir wollen. Aber es konnte nichts gutes sein.
„Mein Großvater gab mir keine genaue Beschreibung. Wenn ich mich recht erinnere, dann befand er sich westlich von unserer Festung. Es ist ein tagelanger Fußmarsch über weite Wiesen und dichten Wäldern. Es gibt keine Städte oder Dörfer auf eurem Weg. Wenn ihr die Richtung beibehaltet, solltet ihr auf einen großen Stein treffen. Eine versteckte alte Inschrift, weißt auf den Aufenthaltsort der versunkenen Stadt hin. Weitere Informationen darüber, kann ich euch leider nicht geben.“
„Ich danke dir Ayyden“, sagte ich und lächelte.
„Seid vorsichtig. Es ist kein friedlicher Ort wo ihr hingeht“, ermahnte uns Ayyden noch, ehe wir uns von ihm verabschiedeten.
Wir begannen unsere Reise, nachdem wir uns Proviant eingepackt hatten. Anael, Sam und Kilian wollten uns begleiten, aber ich hielt es für das beste, wenn sie in der Festung blieben. Ich wollte nicht das ihnen etwas passierte. Jedediah allerdings war dagegen. Er fand es gut, wenn zwei von ihnen mitkamen, um uns den Rücken frei zu halten. Nach seinen Worten stimmte ich ihm schließlich zu. Es konnte ja nicht schaden sie mitzunehmen. Jedediah bildete in seiner Wolfsgestalt den Anfang und erkundete den Weg, während ich hinter im her ritt. Danach kam Anael und den Schluss bildete Sam. Ich hatte mich dazu entschieden, dass es diesmal besser wäre, wenn ich auf einem Pferd saß und mich so mit den beiden Assassinen unterhalten konnte. Bevor bei den zweien wieder einmal ein Streit eskalierte. Ich hätte es besser gefunden Kilian noch mitzunehmen, aber er fand es gut die beiden mal los zu sein.
„Haben wir denn irgendeine Karte dabei die uns sagt, wo genau wir lang müssen?“, fragte Sam gerade und zog sich seine Kapuze über den Kopf um sich vor der blendenden Sonne zu schützen.
„Nein haben wir nicht“, antwortete Anael und freute sich über Sams düsteren Gesichtsausdruck als er sich zu ihm umdrehte.
„Wenn du Angst hast, dass wir die Stadt nicht finden und uns verirren, kannst du auch gerne wieder zurück reiten. Jetzt sind die Türme der Festung noch zu sehen. Das ist also deine letzte Chance umzudrehen, Sam.“
„Das hättest du gerne, was?“, zischte Sam und zog die Zügel seines Pferdes fester zu sich heran.
Anael brachte sein Pferd abrupt zum stehen und sah Sam grinsend an. „Natürlich hätte ich das gerne. Dann muss mich mir dein Gejammer nicht den weiten Weg lang anhören.“
Dann gab er seinem Pferd die Sporen und schloss wieder zu mir auf.
„War das jetzt wirklich nötig?“, fragte ich als Anael sein Pferd neben mich lenkte. „Wenn ihr euch jetzt schon gegenseitig auf die Nerven geht, könnt ihr gleich beide wieder umdrehen.“
„Zu meinem Glück, Sheena, würde das deinem lieben Jedediah gar nicht gefallen. Also musst du uns beide ertragen. Wobei wir Sam auch ganz schnell los werden könnten. Vielleicht finde ich ja auf unserem Weg ein paar schöne Kakerlaken“, lachte Anael.
„Wenn du das tust, dann wirst den morgigen Tag nicht überleben!“, knurrte Sam und sein Pferd wieherte zustimmend.
Ich schüttelte den Kopf und musste grinsen. „Manchmal frage ich mich wie ihr zwei es bloß geschafft habt Assassinen zu werden.“
„Bei Sam frage ich mich das jeden Tag. Aber meine Geschichte kennst du ja bereits. Ich war ein kleiner Waisen Junge gewesen und geriet durch Zufall in die Obhut eines Assassinen-Meisters. Er nahm mich bei sich auf und unterrichtete mich in der Kampfkunst. Doch nur drei Jahre später, tötete dein Vater meinen Meister und ich landete wieder auf der Straße. Ich kämpfte mich durch so gut es ging und zum Glück hat mich Alistär rechtzeitig gefunden, sonst hätten mich die Banditen getötet.“
„Das ist eine ziemlich traurige Geschichte. Es tut mir leid was damals geschehen ist. Und was mein Vater dir angetan hat“, sagte ich zerknirscht.
„Ich bin jetzt ein Erwachsener Mann und was damals geschehen ist, kann niemand mehr rückgängig machen. Aber das macht auch nichts. Wenn das alles in der Vergangenheit nicht geschehen wäre, dann wäre ich heute nicht der der ich bin und wir beide wären uns auch nie begegnet.“
„Ich bin froh dir begegnet zu sein, Sheena“, fügte Anael mit einem zwinkern hinzu.
Sam räusperte sich. „Meine Geschichte ist das komplette Gegenteil von Anaels. Ich wuchs behütet bei meiner Familie auf und wir lebten gemeinsam auf einem Bauernhof. Als ich alt genug war, erkundete ich die Welt und mich zog es von meiner Familie fort. Sie waren traurig darüber, dass ich den Hof nicht übernehmen wollte, aber im Gegensatz zu mir, liebte mein kleiner Bruder den Hof. Ein letztes Mal besuchte ich meine Familie, ehe ich sie ganz verließ. Ich landete bei den Assassinen und schaute nicht mehr zurück. Wir ließen alle unsere Angehörigen hinter uns. Das war der Preis des Assassinen daseins. Die einzige Familie die es gab waren deine Brüder.“
Ein Gefühl der Traurigkeit breitete sich in meinem ganzen Körper aus. „Ich könnte es niemals ertragen Jedediah hinter mir zu lassen und ihn einfach zu vergessen. Diese Regel ist ja furchtbar. Du hast doch bestimmt manchmal den Drang verspürt deine Familie zu besuchen.“
„Den hatte ich auch. Ich besuchte sie einmal mit Anael zusammen und beobachtete sie aus der Ferne. Doch auch das war unter uns Assassinen verboten. Zwei Assassinen Brüder waren uns gefolgt. Kilian war einer von ihnen gewesen. Sie beobachteten uns und stellten uns zur Rede. Kilian empfand Mitgefühl für mich und er versprach, Amon, also deinem Vater, nichts davon zu erzählen. Doch Kilians Begleiter sah das anders. Er stempelte mich als Verräter ab, weil ich eine unserer Regeln gebrochen hatte. Er sagte, er würde dafür sorgen, dass ich eine Strafe für mein Verhalten erhielt. Nach seinen Worten ließ er sich vom Dach unseres Verstecks fallen und wollte Amon davon berichten. Doch nachdem er sich abgerollt hatte und vom Boden aufsprang, traf Kilians Messer ihn in den Rücken. Kilian tat es leid einen unserer Brüder getötet zu haben, aber er konnte es nicht zulassen, dass meine Familie bestraft wurde. Amon hätte sie töten lassen um mir zu zeigen das man seine Regeln nicht brach.“
„Und seit dem Vorfall sind wir drei zusammengewachsen und haben uns unter den Assassinen ausschließlich auf uns verlassen. Wir drei waren eine Familie.“
„Das stimmt nicht ganz. Wir sind immer noch eine Familie. Eine Familie, die nur aus Brüdern besteht“, ergänzte Sam und lächelte Anael an.
Die zwei haben einiges durchgemacht, dachte ich und ich war traurig darüber, dass mein Vater so viel Leid verursacht hatte. Und noch so viel mehr Leid von dem ich keine Ahnung hatte. Er war Jahrzehnte lang der Anführer der Assassinen. Da hatte er eine Menge Zeit gehabt um schlechte Dinge zu tun.
Der Tag neigte sich dem Ende zu und die Sonne war schon fast vom Himmel verschwunden. Ich merkte wie mein Pferd langsamer wurde. Und auch Anael und Sam fielen weiter hinter Jedediah zurück. Ich sah ihn gerade im hohen Gras verschwinden. Wir waren schon weit gekommen, aber der Wald durch den wir mussten, war noch weit entfernt und man konnte ihn nur als Schemen am Rande des Horizonts wahrnehmen.
„Jedediah!“, rief ich. „Die Pferde brauchen eine Pause.“
„Nicht nur die Pferde!“, schrie Sam und stieß die Luft zwischen den Zähnen aus. „Ich kann nicht mehr sitzen.“
Jedediah tauchte unerwartet in der Gestalt eines Menschen vor uns auf. Erschrocken zuckten unsere Pferde zusammen. Jedediah lächelte entschuldigend und Anael warf ihm einen bösen Blick zu. Sein Pferd hatte sich auf die Hinterbeine gestellt und er hatte Mühe es zum stehen bleiben zu überzeugen. Es wieherte ängstlich, aber es beruhigte sich langsam wieder, als ihm Jedediah vorsichtig über die Nüstern streichelte und ihm beruhigend zuflüsterte.
„Ich habe einen Platz zum Schlafen gefunden. Ein paar Meter weiter ist das Gras nicht so hoch wie hier und ein Baum bietet uns Schutz vor den Blicken anderer.“
Sam rutschte ächzend vom Rücken seines schwarzen Hengstes.
„Endlich“, stöhnte er.
Anael lachte und sprang elegant von seinem Pferd herunter. Als er sein Pferd festband und Decken sowie Proviant vom Pferd nahm, richtete er seinen Blick grinsend auf Sam. „Ich weiß gar nicht was du hast. Es ist immer noch besser, als den ganzen Weg zu laufen.“
„Deine Meinung interessiert hier niemanden“, knurrte Sam und machte sich daran die Taschen von seinem Pferd zu lösen.
Ich sah hinüber zu Jedediah, während ich mich selbst aus dem Sattel schwang. Aber er ignorierte die beiden gekonnt und hatte nur Augen für mich. Lächelnd lief er zu mir herüber und half mir meine Taschen vom Pferd zu nehmen und breitete eine Deck aus. Währenddessen, band ich das Pferd am Baum fest und sammelte ein paar heruntergefallene Äste, für ein schönes, wärmendes Feuer.
Jedediah winkte mich zu sich herüber und nahm mir das Holz aus der Hand. Er legte es auf einen Haufen und warf mir einen Blick zu.
Sam und Anael machten es sich in der Zwischenzeit auf ihren Decken bequem und kramten ihr Proviant aus den Taschen.
„Möchtest du, dass ich das anzünde?“, fragte ich leise.
Jedediah strich mir sanft über die Wange. „Das wäre nicht das erste Mal. Du konntest damals noch so viel mehr mit deiner Magie bewirken, als ein einfaches Feuer zu entzünden. Du schaffst das“, flüsterte er und hauchte mir einen Kuss auf meine Lippen.
„Aber meine Erinnerungen daran sind fort“, widersprach ich traurig.
„Nein das sind sie nicht. Alles was du wissen musst ist in dir. Die Magie ist noch da. Du musst sie nur wieder aufwecken. Fühle sie in dir fließen. In deinem Herzen.“
Jedediah legte seine Hand auf mein Herz. „Versuche es, Sheena. Glaube an dich.“
„Über was reden die beiden?“, fragte Sam Anael mit vollem Mund. Doch dieser zuckte nur mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen, wenn sie flüstern?“
Ich schloss die Augen und ignorierte Sam und Anaels Blicke. Ich ließ meine Hand über das Holz gleiten. Tief atmete ich durch und stellte mir vor wie das Holz unter mir anfing Feuer zu fangen. Ein paar Minuten lang geschah nichts, doch dann fühlte ich wie meine Handfläche warm wurde. Als ich die Augen öffnete, brannte in meiner Hand eine kleine Flamme. Das Gefühl war unbeschreiblich. Diese Energie die mich durchströmte, fühlte sich so vertraut an. Ich ließ meine Hand auf das Holz gleiten und das Holz entzündete sich sofort. Anael sog scharf die Luft ein, während Sam fast an seinem Brot erstickt wäre. Hart schluckte er es runter. „Du bist ein Wolf und...du kannst auch noch Zaubern?“, fragte Sam ungläubig und seine Augen weiteten sich.
„Wir waren so lange in der Assassinen Burg zusammen. Warum hast du uns nie davon erzählt?“
„Ich dachte es wäre besser, wenn ich es für mich behalte. Nicht nur ihr habt eine Vergangenheit. Auch zu meinem Leben gibt es eine Geschichte zu erzählen.“
„Lass dir Zeit damit, sie uns zu erzählen. Wir reiten morgen noch den ganzen Tag durch. Am besten gehen wir jetzt schlafen.“
Sam verzog das Gesicht. „Das aus deinem Mund zuhören, überrascht mich jetzt schon ein bisschen. Ich dachte du wärst jetzt ganz verrückt darauf ihre Geschichte zu hören.“
Doch als Antwort boxte ihm Anael nur auf die Schulter und drehte sich zum Schlafen um. Ich genoss Jedediahs Wärme, als ich mich neben ihn legte und sah ihn lächeln. „Deine Stärke war schon immer die Magie gewesen und nicht der Wolf zu dem ich dich gemacht habe“, flüsterte er mir zu und legte einen Arm um mich. Ich umfasste seine Hand und legte sie in meine. „Ich danke dir für dein Vertrauen und dafür, dass du mir immer Mut machst. Die ganze Zeit habe ich meine Magie nicht benutzt. Ich hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass ich sie besitze, seit ich meine Mutter besiegt habe.“
„Aber jetzt erinnerst du dich wieder an sie und kannst sie benutzen. Und das gibt mir Hoffnung, dass du dich eines Tages wieder an alles erinnern wirst.“
Am nächsten Morgen war Jedediah schon wach, als ich mich umdrehte und er begrüßte mich mit einem Kuss.
„Ich hoffe du hast gut geschlafen. Besser als die beiden da“, sagte er und deutete mit einem nicken auf Sam und Anael, die sich über irgendetwas aufregten und zu ihren Pferden stapften.
„So langsam bereue ich es die beiden mitgenommen zu haben“, schmunzelte Jedediah. „Sie sind wie kleine Kinder.“
Ich fing an zu Lachen. „Du wirst es mir nicht glauben, aber dasselbe habe ich auch gedacht, als ich dich und deine Freunde kennengelernt habe.“
Jedediah verzog das Gesicht, dann lachte er ebenfalls. „Da hast du nicht ganz unrecht. Aber ich werde mich hüten, es vor dir nicht zuzugeben.“
„Kommt ihr zwei? Wir sind so weit“, rief Anael.
Ich schwang mich auf das Pferd und Jedediah lief wieder voraus. Es dauerte einen halben Tag, ehe wir die dicht bewachsenen, grünen Wiesen hinter uns gelassen hatten.
Sam stieß einen Freudensschrei aus, als wir den Wald betraten. „Wurde auch langsam Zeit, das wir dieses blöde Gras hinter uns lassen.“
„Ich würde nicht sagen, dass der Wald besser ist. Die Pferde haben hier weniger halt. Außerdem kommen wir viel langsamer voran.“
Sam ließ sich durch Anaels Worte die Laune diesmal nicht verderben und grinste unentwegt.
Ich ließ meinen Blick durch den Wald streifen. Die Laubbäume waren von einem herrlichen, satten grün und ein leichter Wind wehte. Die Sonne schien durch die Baumkronen und die dicken Äste der Bäume hindurch. Es war schön, den Wald so voller Licht zu sehen. Ich sah ein Eichhörnchen über unseren Köpfen den Baum entlang huschen und eine Maus die durchs Unterholz jagte. Ein Reh schaute uns argwöhnisch nach und ein Bär ergriff die Flucht, als er Jedediahs große Gestalt kommen sah. Auch ein Rudel Wölfe, das unseren Weg kreuzen wollte, nahm eine andere Richtung.
„Jedediah ist echt der Wahnsinn. Jedes Tier, dass uns hätte angreifen können, ergreift die Flucht sobald es ihn sieht.“
„Das hat aber auch seine negativen Seiten“, erklang Jedediahs Stimme plötzlich neben uns. Erschrocken zuckte Anael zusammen und brachte sein wieherndes Pferd zum stehen.
„Wir sind ziemlich auffallend. Es gibt noch mehr gefährliche Wesen in diesem Wald, außer mich. Hört ihr das?“
Sam drehte seinen Kopf in alle Richtungen. „Ich höre gar nichts.“
Jedediah warf mir einen Blick zu und ich lauschte angestrengt in den Wald hinein. Es dauerte einen Moment, aber dann hörte ich es auch. Das rascheln im Unterholz und ein Wiehern. Ein reiterloses Pferd kreuzte plötzlich unseren Weg und preschte im Gebüsch davon. Unsere eigenen Pferde wichen angstvoll einen Schritt zurück und legten die Ohren an.
„Das ist doch bloß ein Pferd“, meinte Anael achselzuckend, während er versuchte, sein unruhiges Pferd zu kontrollieren. „Bestimmt hat es seinen Reiter abgeworfen.“
„Nein, das ist es nicht. Seht doch.“ Ich deutete in die Richtung, aus der das Pferd zu uns gerannt kam. Ein Rudel Wölfe näherte sich uns. Sie waren groß. Kein normaler Wolf hätte diese Größe besessen. Sams Augen weiteten sich und Anael erstarrte in seinem selbstgefälligen Lächeln.
„Was machen wir jetzt? Fliehen wir?“, fragte Sam und wollte seinem Pferd schon die Sporen geben.
„Dafür ist es schon zu spät und es hätte sowieso nichts gebracht“, erwiderte Jedediah. „Sie kommen aus allen Richtungen.“
„Hättest du uns nicht schon früher vor ihnen warnen können? Dann wären wir ihnen aus dem Weg gegangen!“
Jedediah sah Anael verständnislos an. Er hatte wirklich keine Ahnung. „Ihnen aus dem Weg gehen? Es ist unmöglich an ihnen unbemerkt vorbeizukommen.“
Die Wölfe näherten sich vorsichtig und ich sah wie sie vor Jedediah Abstand hielten. Etwas vertrautes lag in ihrem Geruch, aber da ich mich nicht in meinen Wolf verwandelte, konnte ich dem Geruch nicht näher auf den Grund gehen. Es war auch nicht nötig, denn Jedediah war bei uns und er fing an zu Lächeln. Anscheinend hatte ich mit meinem Gefühl recht gehabt. Den Wolf der auf uns zutrat kannten wir. Er verwandelte sich in einen braunhaarigen jungen Mann. Mein Gesicht erhellte sich, als ich ihn erkannte.
„Chris!“, entfuhr es mir und er richtete seinen Blick sofort von Jedediah auf mich. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.
„Sheena. Wie lange ist es her, seid wir uns das letzte mal gesehen haben?“
Ich sprang von dem Pferd herunter und achtete nicht auf die irritierten Blicke von Anael und Sam, sowie die der anderen Wölfe.
„Viel zu lange“, erwiderte ich und umarmte ihn. Als Chris mich wieder losließ, klopfte er Jedediah auf die Schulter. „Es freut mich auch, dich wieder zu sehen. Ihr habt neue Freunde gefunden“, stellte er fest. „Sie sehen ziemlich mitgenommen aus. Stammt das von euerer Reise, oder von den vielen Wölfen die sie umgeben?“
„Sie sind so viele Wölfe auf einmal nicht gewöhnt“, sagte ich entschuldigend. „Aber ich denke, wir sind alle etwas erschöpft.“
„Na dann lasst mich euch doch zu unserem Lager begleiten. Dort könnt ihr euch ausruhen.“
Das Lager bestand aus einem großen Zelt, indem ein Feuer in der Mitte knisterte. Sam und Anael überließen unsere Pferde einer Frau die sich vor ihren Augen in einen Menschen verwandelt hatte und ihre Hilfe anbot. Sie lächelte die beiden wohlwollend an, aber Sam erstarrte trotzdem mitten in der Bewegung.
„Jetzt gib ihr schon die Zügel Sam!“, knurrte Anael und zwickte dem erstarrten Sam in die Seite. Ein kleiner Junge den ich auf sieben Jahre schätzte, tauchte neben mir auf und zeigte mit dem Finger auf Anael und Sam.
„Du bist anders als die beiden. Eine von uns, nicht wahr? Ich kann es riechen.“
Ich lächelte ihn an. „Ja, du hast recht.“
„Aber wieso setzt du dich dann auf so ein lebendes Ding und reist mit den beiden? Du bist doch viel schneller dran, ohne diese Menschen.“
Seine Worte brachten mich zum Lachen. Die Frau die es geschafft hatte, Sam die Zügel aus der Hand zu nehmen schaute zu uns herüber. „Lass bitte die Frau in Ruhe und hilf mir lieber dabei die Pferde zu füttern.“
„Oh, Mama, ich bin diesmal niemandem auf die Nerven gegangen. Du hast mein Wort.“
Der Junge warf mir noch einen kurzen schelmischen Blick zu, dann verschwand er mit seiner Mutter und den Pferden hinter dem Zelt. Chris unterhielt sich währenddessen angeregt mit Jedediah. Dieser drehte sich trotz seines Gesprächs noch einmal aufmerksam zu mir um, um zu schauen, ob ich noch da und in Sicherheit war. Dann formte er mit seinen Lippen die Worte, dass er gleich wieder bei mir sein würde. Kurz hob ich meine Hand, damit er wusste das ich ihn verstanden hatte. Kurz darauf verlor ich die beiden aus den Augen, als ein schwarz-weißer Wolf mir durch seine Größe die Sicht versperrte. Ich betrat das Zelt das vor mir lag und sah Anael und Sam auf ihren ausgebreiteten Decken sitzen. Anal schüttelte den Kopf, als Sam den Mund aufmachte. „Ich will nichts dummes mehr aus deinem Mund hören, kapiert? Also sei besser still.“
Doch Sam fuhr unbeeindruckt fort und ignorierte Anaels Worte. „Glaubst du, sie werden unsere Pferde essen?“
Anael spukte den Schluck Wasser den er eben in den Mund genommen hatte, direkt in Sams Gesicht.
„Um Himmels Willen, warum sollten sie das tun, Sam! Hast du Sheena schon mal ein Pferd essen sehen, oder einen Menschen?“
„Es war eine einfache Frage. Das ist kein Grund mir gleich ins Gesicht zu Spucken.“ Angeekelt wischte sich Sam übers Gesicht.
„Du hast sie doch nicht mehr alle. Ich schlafe heute nicht in deiner Nähe.“ Anael stand von seinem Platz auf und unsere Blicke kreuzten sich.
„Ihr beiden versteht euch ja wieder einmal prächtig. Möchtest du wirklich außerhalb des Zeltes bei den Wölfen schlafen?“, fragte ich mit hoch gezogener Augenbraue.
„Oh glaube mir, die machen mir am wenigsten Sorgen“, knurrte Anael und stapfte an mir vorbei aus dem Zelt.
„Mach dir keine Sorgen Sam, die werden weder uns noch unseren Tieren etwas antun.“
„Eigentlich ist es gar nicht das was mir Sorgen bereitet. Ich fühle mich hier so fehl am Platz. Seit wir hier eingetroffen sind, spüre ich die Blicke der Wölfe in meinem Rücken. Es sind einfach so viele von ihnen hier und Anael und ich sind die einzigen, die es nicht mit euch aufnehmen können. Im Vergleich zu euch sind wir kleine, schwache Menschen.“
„Das ist nicht wahr“, widersprach ich und setzte mich neben ihn. „Ihr habt unter den besten Assassinen meines Vaters gedient. Und ihr wart die besten. Das seid ihr auch heute noch. Ich wette, dass keiner der Wölfe sich traut, sich mit euch anzulegen. Es gibt hier niemanden der euch in Sachen Waffenkunst das Wasser reichen kann.“
Sams Mine hellte sich auf und er brachte ein Lächeln zustande. „Ich danke dir Sheena.“
Ich reichte ihm meine Hand. „Komm mit. Zeigen wir den Wölfen da draußen, dass wir uns auch anders wehren können.“
„Wir?“, fragte er irritiert.
Ich legte den Kopf schief. „Soll ich dir mal was verraten? Streng genommen bin ich gar kein richtiger Wolf. Ich bin etwas dazwischen, etwas das es vorher noch nie gegeben hat. Mein Aussehen ist wie ihres und ja, ich rieche sogar wie sie. Aber ich werde nie vollständig zu ihnen gehören. Und das ist nicht alles. Ich bin noch dazu zur Hälfte eine Elfe und noch nicht einmal eine ganze Magierin. Aber das heißt nicht, dass ich schwächer als die anderen bin. Und wenn du magst, werde ich dir nachher meine ganze Geschichte erzählen. Aber jetzt werden wir ihnen erst einmal zeigen wie stark wir sind.“
Sam nickte und ließ sich von mir hochziehen. Gemeinsam verließen wir das Zelt.