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Als der Hubschrauber auf dem Rasen im Vorgarten ihrer Großmutter landete, verstand Martine, dass etwas Außergewöhnliches im Gange war. Etwas Unwirkliches. Etwas Wunderbares.

Die glänzende rote Tür des Hubschraubers öffnete sich, und in einem Wirbel aus Gras und Erde, der durch die Luft flog, stiegen fünf Passagiere aus. Sie duckten sich, um den Rotorblättern auszuweichen, die sich noch drehten. Gwyn Thomas sagte etwas, aber im betäubenden Lärm der Maschine verstand Martine es nicht. Sie erhob die Stimme und versuchte das Getöse zu übertönen. «Entschuldigung, was hast du gesagt?»

«Ich kann dich nicht hören!», rief ihre Großmutter und hielt sich eine Hand ans Ohr. Die Rotorblätter rauschten noch einmal laut auf und wirbelten Staub in Martines Augen. Sie konnte nichts mehr erkennen.

«Ich fasse es nicht», sagte Ben ungläubig. «Martine, sieh, wer da kommt.»

«Würde ich gern, wenn ich nur könnte», murmelte Martine. Ihre Augen tränten. Sie rieb sich mit den Fäusten über die Lider, bis sie endlich die verschwommenen Umrisse von ihrer Großmutter, Ben und Tendai ausmachen konnte, die die Besucher begrüßten – einen silberhaarigen Mann, eine junge Frau und drei Jungs im Teenageralter. Etwas an ihnen kam ihr bekannt vor.

Schritte näherten sich, und ihre Großmutter sagte: «Martine, hier ist jemand, den du kennenlernen solltest.»

Martine blinzelte wie eine Eule. Der Junge vor ihr rückte ins Blickfeld. Er war um die fünfzehn und trug ein enges schwarzes T-Shirt und eine eingerissene Jeans, die zu seinen blassblauen Augen passte. Sein Haarschnitt wurde von Millionen Jungen – und ein paar Mädchen – auf aller Welt kopiert. Sie bekam gerade eben mit, dass Gwyn Thomas ihn vorstellte, aber das war gar nicht nötig. Sein Gesicht war ihr fast so vertraut wie ihr eigenes.

Martines Mund öffnete sich, aber alles, was sie hervorbrachte, war ein Piepsen.

Gewöhnt an stumme Anbetung, ließ Jayden Lucas ein einstudiertes strahlendes Lächeln aufblitzen und ergriff ihre Hand. «Angenehm.»

Zu Martines Verlegenheit sagte Gwyn Thomas strahlend: «Meine Enkelin ist dein größter Fan, Jayden. In ihrem Zimmer hat sie ein Poster von deiner Band an der Wand. Wenn du heute Abend ein Momentchen Zeit hast, würdest du dann so lieb sein, es für sie zu signieren?»

Er neigte seinen dunklen Kopf als Antwort und zeigte dabei das Wunder seines Stylings.

Martine stotterte: «Jayden, ich, äh, es ist eine Ehre, dich kennenzulernen. I-ich liebe deine Musik.»

Eigentlich wollte sie sagen, dass Jaydens Stimme und die Texte seiner Songs ihr über diese ersten schrecklichen Monate hinweggeholfen hatten, nachdem ihre Mutter und ihr Vater gestorben waren, die Zeit, als sie sich einsam und verlassen gefühlt hatte. Aber sie sagte es nicht, weil sein Blick über sie hinwegglitt. Er schien müde. Oder gelangweilt.

«Martine hat eine besondere Gabe», sagte Gwyn Thomas. «Eigentlich hat sie sogar ein paar besondere Gaben. Eine davon ist, dass sie eine Giraffe reiten kann.»

Jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit. Er wandte ihr seine blauen Augen zu. «Ehrlich? Du kannst tatsächlich eine Giraffe reiten? Vielleicht könntest du es mir …»

Ein Schatten fiel über die beiden. Martine schnappte eine Duftwolke von Eau de Cologne auf, als ein übermäßig gebräunter Mann dem jungen Sänger auf die Schulter klopfte. Sie erkannte ihn gleich, es war Dirk Carswell, Jaydens Manager.

«Entschuldigung, Leute. Kann ich unseren Star zu einem Fototermin entführen? Gwyn, würde es Ihnen was ausmachen, mit uns zu kommen? Ich würde Sie gern ein paar Dinge zum Ablauf von heute Abend fragen.»

Martine hatte kaum Zeit, Luft zu holen, bevor eine junge PR-Dame in aufsehenerregenden High Heels herüberkam und auch gleich Jaydens Bandmitglieder mitbrachte: den Schlagzeuger Liam Scott – ein kleiner, niedlicher Junge mit blonder Stachelfrisur – und den Gitarristen Lachlan Avery, der eine fantastische kastanienbraune Haartolle hatte. Zusammen mit Jayden bildeten sie Take Flight, eine der angesagtesten Boy Groups auf dem Planeten.

Martine hatte gehört, dass sie in Kapstadt gastierten, und hatte gebettelt, hingehen zu dürfen, aber ihre Großmutter hatte kategorisch abgelehnt mit der Begründung, es sei zu teuer, zu weit und zu laut.

«Du kannst deinen Mund jetzt wieder zumachen», neckte Ben sie, als die PR-Dame, die sich als Tiffany vorgestellt hatte, und die Jungs sich in Richtung des Hauses entfernt hatten.

«O mein Gott!», sagte Martine. «Habe ich Halluzinationen? Hat Jayden Lucas mich tatsächlich gerade gebeten, ihm zu zeigen, wie ich Jemmy reite?»

«Aber nur, weil er keine Ahnung hat, dass deine berühmte weiße Giraffe heute Morgen von einem einfachen Basotho-Pony geschlagen worden ist.»

«Das träumst du wohl», spöttelte Martine. «Als ob Jayden glauben würde, dass ein stummelbeiniges Pony eine schlanke großartige Giraffe überholen …»

«Ich wette, Jayden kümmert sich nur darum, dass bloß kein einziges Haar auf seinem Kopf in Unordnung gerät. Mit der Menge Schmiere, die er reintut, könntest du einen Traktor zum Laufen bringen.»

«Es ist Wachs», sagte Martine, «was du wissen würdest, wenn …»

Sie stockte mitten im Satz. Ein Aston Martin, ein mit Kakadufiguren dekoriertes Wohnmobil und ein riesiger SUV mit schwarz getönten Scheiben kamen gerade die Auffahrt herauf. Während sie hier Zeit mit Gekabbel verschwendete, trafen interessante Leute ein, und ihre Lieblingsband wurde von Leuten bewirtet, die sie unmöglich so zu würdigen wussten wie Martine.

«Wie wäre es, wenn wir diese Debatte auf später verschieben würden?», schlug sie vor.

Ben grinste. «Ich möchte sie um keinen Preis verpassen.»

Lachend liefen sie über den Rasen und gingen erst wieder gemächlich, als sie das Haus erreichten. In der Einfahrt wurden die Safari-Fahrzeuge mit Proviant für das abendliche Barbecue beladen. Die Besucher hatten sich auf der Veranda versammelt, wo die Tische mit allerlei Getränken und Snacks gedeckt waren. Die neuesten Ankömmlinge waren Mr und Mrs Chan, ein chinesisches Ehepaar, zwei kurze, rundliche Gestalten. Sie trugen Safari-Kleidung und dunkle Sonnenbrillen, standen schweigend da und nickten unaufhörlich.

Das VW-Wohnmobil gehörte einer Gruppe von fünf australischen Surfern, die die Szene mit ihrem sonnigen Lächeln und ihrem meersalzgebleichten Haar aufhellten. Unter den Gästen waren außerdem John und Olivia Johnson, ein Ärzteehepaar aus Cheshire in England. Zwei belgische Geschäftsleute namens Lars und Kobe vervollständigten die Gesellschaft.

Während Ben auf der Suche nach Erfrischungsgetränken ins Haus ging, drückte sich Martine unbehaglich an die Wand. Sie warf den Jungs von Take Flight heimliche Blicke zu. Liam und Lachlan posierten für Fotos mit den Australiern. Jayden war nirgends zu sehen.

Sie überlegte gerade, ob sie sich nach oben schleichen und ihr Poster holen sollte, damit er es signieren konnte, als sie ihn entdeckte. Er und sein Manager standen im Schatten des Mangobaums in einigem Abstand zum Haus. Von ihrer Körpersprache her zu urteilen stritten sie sich.

Ben brachte zwei Gläser mit spritzigem rotem Traubensaft, dekoriert mit Himbeeren und gezwirbelten zebragestreiften Trinkhalmen. Neben ihnen schwatzten die beiden Belgier mit dem Ärzteehepaar.

«Wir sind im Mobilfunkgeschäft», sagte Lars, «aber das ist nischt unsere wahre Läidenschaft.»

«Und die wäre?», fragte John Johnson.

Lars strahlte. «Vielleischt passt Ihnen das nischt. Wir lieben die Jagd.» Er schlug vor Entzücken seine Hände zusammen. «Bei uns zu Ause, in Europa, aben wir viele Trophäen. Isch selbst abe in Siebenbürgen gerade einen Braunbären geschossen.»

Martine verkniff sich einen Entsetzensschrei.

«Wie konnten Sie nur?», rief Olivia Johnson. «Was gibt Ihnen das Recht, einer solch wunderschönen Kreatur das Leben zu nehmen?»

«Bitte, Madam, regen Sie sisch nischt auf. Diese Bären in Rumänien und anderen Teilen des Kontinents sind weit verbreitet. Sie sind nischt gefährdet. Aber wir aben nie zuvor gesehen die wilden Tiere von Afrika. Wir visieren die Großen Fünf an. Keine Angst, wir können uns die Jagdlizenz für etwas Besseres als Büffel sowieso nischt leisten. Kein Leopard oder Elefant für uns. Für einen Nasornkopf wir müssten erst in der Lotterie gewinnen.»

«Oder eine Bank ausrauben», witzelte Kobe.

Martine war kurz davor, vor Wut zu platzen. Ben packte warnend ihren Arm. «Denk daran, was deine Großmutter gesagt hat. Nicht jeder, der nach Sawubona kommt, macht sich etwas aus wild lebenden Tieren. Es wird Zeit, dass wir ihnen zeigen, was sie verpassen.»

Sie wusste, dass er recht hatte. Alles Geschimpfe der Welt würde die Leidenschaft von Jägern nicht ändern. Das Beste, was sie und Ben sich erhoffen konnten, war wohl, dass das Erlebnis der afrikanischen Natur in ihrer ursprünglichen Form einige Gäste zum Umdenken bewegen würde. «Der afrikanische Busch ist ein mächtiger Muti», sagte Grace immer. «Wenn du ihn erst im Blut hast, verfolgt er dich für immer und ewig.»

Martine glaubte, dass das auch auf die wilden Tiere zutraf. Wenn man einmal das Glück gehabt hatte, einem Löwen oder Elefanten in die Augen zu schauen und den ungezähmten, mächtigen Willen darin zu erkennen, konnte einen das nicht unberührt lassen.

Dann kam Gwyn Thomas mit einem Buschbaby auf der Schulter aus dem Haus – als wollte sie Bens Argument bekräftigen, dass auch die weniger bekannten Kreaturen besonders sein können. Das Tier bestand fast nur aus Augen und mausartigen Ohren. Sie stellte es als «Echo» vor, ein Buschbaby-Waisenkind, das von Samson in Sawubonas Hospital für kleine Wildtiere von Hand aufgezogen wurde. Neugierig und zärtlich, wie es war, würde sich das Äffchen, sich selbst überlassen, in die Küche schleichen und alles verschlingen, was es mit den Pfötchen erreichen konnte, von Marmelade bis Krabben.

Jemand klopfte mit einem Löffel an sein Glas. Das Stimmengewirr verebbte. Jayden hatte sich wieder zu der Gruppe gesellt, war aber sichtlich aufgewühlt. Der Manager der Band, Dirk Carswell, stand auf der anderen Seite der Veranda und hatte ein starres Lächeln aufgesetzt.

«Ein herzliches Willkommen zu unserer ‹Stars-and-Stripes›-Safari!», begrüßte Gwyn Thomas die Gäste. «Sie wird so genannt, weil Sie später unter den Sternen essen werden und weil wenigstens einige der Tiere, die Sie heute sehen werden, Streifen haben.

Viele von Ihnen haben ihr Interesse geäußert, die Großen Fünf zu sehen: Löwe, Leopard, Elefant, Büffel und natürlich das Nashorn. Hier auf Sawubona lieben wir Tiere in jeglicher Form und Größe, und wir werden unser Bestes tun, Ihnen zu zeigen, warum andere Tiere genauso zählen. Wir möchten auch, dass unsere wilden Tiere die Freiheit haben, zu kommen und zu gehen, wie sie mögen. Seien Sie also bitte nicht enttäuscht, wenn sie heute Abend lieber im Unterholz stecken, als sich auf dem Rücken zu räkeln, um Sie mit niedlichen Fotos zu versorgen, die Sie Ihren Freunden zeigen können.»

Alle lachten.

«Aber machen Sie sich keine Sorgen. Unsere Führer gehören zu den Besten im Gewerbe. In den nächsten paar Stunden werden wir Ihnen erklären, warum wir so leidenschaftlich dafür kämpfen, wilde Tiere zu retten, die nichts von den Menschen verlangen, als sich in Ruhe bewegen zu können, gutes Futter zu fressen und ihre Familien zu lieben, so wie wir unsere lieben.»

Gwyn Thomas gab Echo eine Weintraube, und das Äffchen quiekte vor Vergnügen. «Nun, wenn meine Ohren mich nicht täuschen, sind jetzt auch unsere letzten Gäste angekommen.»

Um die Ecke bog eine Frau, deren Erscheinung so exquisit war, dass das Geplauder auf der Veranda verstummte – als ob jemand ein Radio ausgeschaltet hätte. Sie trug eine jadegrüne Seidentunika über einer wogenden weißen Seidenhose, und ihre Glieder waren so zart wie die eines Rehkitzes. Schimmernde schwarze Haare umrahmten ihr Gesicht. Als sie die Verandatreppe erreichte, glitt sie die Stufen geschmeidig hinauf.

Ein Mann mit teigigem Gesicht und einem Bauch, der fast sein Hemd sprengte, watschelte hinter ihr her. Er stützte sich schwer auf einen Stock. Der Ausdruck ‹Die Schöne und das Biest› kam Martine in den Sinn.

Gwyn Thomas begrüßte die beiden herzlich und wandte sich dann an die wie verzaubert dasitzende Gesellschaft. «Bitte begrüßen Sie mit mir einen weiteren Ehrengast auf Sawubona. Ich darf Ihnen An Nzuyen vorstellen, die von ihrem Onkel Huynh begleitet wird. An ist Vietnams renommierteste Ballerina. Jetzt, da alle hier sind, kann unsere Safari beginnen. Gehen Sie bitte nach vorne zu den beiden Safari-Fahrzeugen.»

«Stars unter Sternen», murmelte Ben zu Martine. «Das wird eine Nacht, die uns in Erinnerung bleiben wird – und hoffentlich in guter Erinnerung.»

Operation Rhino

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