Читать книгу Minarett - Leila Aboulela - Страница 14
Drei
ОглавлениеDie Party im American Club war in vollem Gang, als Omar und ich eintrafen. Wir tauchten in die aufreizenden roten und blauen Discolichter ein und in Oops Up Side Your Head von der Gap Band.
»Wo hast du bloss gesteckt?«, kreischte meine beste Freundin Randa und versuchte die Musik zu übertönen. »Komm mit mir auf die Toilette.«
»Aber ich bin gerade erst angekommen«, versuchte ich abzuwehren, doch sie packte mich am Arm und zog mich mit.
»Du siehst umwerfend aus«, sagte ich zu ihr. Sie trug ein rückenfreies schwarzes Shirt und einen mittellangen, weitschwingenden Rock. Ich hatte mir nicht halb so viel Mühe gegeben wie sie. Die Toilette war übelriechend und heiss. Randa legte Lipgloss mit Erdbeeraroma auf und strich ihre Brauen glatt. Sie trug Flitter im Haar und auf ihren nackten Schultern.
»Bist du beim Friseur gewesen?«
»Klar bin ich beim Friseur gewesen.«
»Meine Hose sitzt zu eng.« Ich verrenkte mich, um meine Hüften im Spiegel zu sehen.
»Deine Hose ist toll – wie hast du sie angekriegt?«
»Aaah …«
»War nicht ernst gemeint.«
»Ist er hier?«
»Ja, Hoheit sind vor zwei Minuten erschienen, dabei bin ich schon seit sieben hier!«
Hoheit war der rätselhafte Amîr, mit dem sie seit einem halben Jahr ausging. Er hatte sich in letzter Zeit seltsam benommen.
»Heute Nacht soll er mal endlich zur Sache kommen«, sagte sie.
Ich wich ihrem Blick aus. Man munkelte, dass Amîr einem Mädchen aus dem Arabischen Club schöne Augen machte. Ich hatte nicht den Mut, es Randa zu erzählen. Stattdessen sagte ich: »Du siehst wirklich klasse aus heute.«
»Danke, Liebes.«
»Raus hier jetzt, ich ersticke noch.«
»Wart.« Sie zauberte den unvermeidlichen Minzespray aus ihrer Handtasche. Sie machte den Mund auf und sprühte, dann wandte sie sich mir zu. Ich hasste den Geschmack und öffnete trotzdem den Mund.
Vor der Toilette war die Luft frisch, und ein paar Kinder schwammen noch im Pool. Aus der Küche roch es verlockend nach Kebab und Pommes.
»Ich hab Hunger«, sagte ich.
»Wer denkt denn jetzt ans Essen?«
Ich liess mich von ihrer Aufregung anstecken, und wir gingen Arm in Arm kichernd die Treppe hinunter und tauchten wieder in die flirrende Finsternis der Party ein. Mein Lieblingslied lief: Brown Girl in the Ring von Boney M. Ich begann mitzusingen. Mitten auf dem Dance-floor tanzte die Inderin Sundari mit ihrem Marine. Ihr glattes schwarzes Haar fiel ihr bis auf die Taille, und wenn sie herumwirbelte, flog es auf und nieder. Ich konnte mich nicht sattsehen an ihr. Ihr Tanzstil war so, dass sie sich weit von ihrem Partner entfernte und auf ihren Stilettos wieder zu ihm zurückhüpfte. Er sah so sudanesisch aus, dass man sich leicht täuschen könnte, aber Randa und ich hatten ihn genau inspiziert und entschieden, er müsse Amerikaner sein, was man nur schon an seiner Haltung erkenne – weil es ihm peinlich sei, dass er in eine so unattraktive Weltgegend abkommandiert worden sei.
Ich musste nicht lange warten. Einer von Omars Freunden forderte mich auf, und wir entfernten uns von Randa zur Mitte der Tanzfläche. Weisser Rauch stieg aus dem Boden auf wie in Saturday Night Fever. Ich wirbelte herum, dass meine Ohrringe schaukelten, und die Arme der anderen Tänzer streiften die meinen.
Leider kamen nach Boney M. die Bee Gees mit How Deep Is Your Love an die Reihe, und das Volk auf der Tanzfläche schrumpfte auf höchstens fünf Paare zusammen. Erhitzt vom Tanzen, kaufte ich mir eine Pepsi und lief grüssend an den Tischchen vorbei, bis ich Randa in Gesellschaft von Omar und dem ewig ernsten Amîr fand. Seine Brille blitzte im Dunkeln und verbarg seine Augen; Randa lächelte hoffnungsvoll.
»Und wie geht’s an der Uni?«, fragte sie ihn.
»Ganz gut«, sagte er einsilbig.
»Wann kriegt ihr dieses T-förmige Lineal?«, fragte ich. Die Architekturstudenten fielen auf dem Campus nämlich immer auf, wenn sie mit ihrem Lineal rumspazierten.
»Nächstes Jahr.« Sein Langweilertum war ansteckend. Ich gab auf, lehnte mich in meinem Stuhl zurück, goss Pepsi in mein Glas und schaute den Tänzern zu. Einige Paare tanzten engumschlungen, andere linkisch auf Armeslänge Abstand. Sundari und ihr Marine tanzten dicht an dicht – seine Hände umschlossen ihre schmale Taille, und ihre lange Mähne berührte sie. Sie hob den Kopf von seinen Schultern, warf ihn in den Nacken und flüsterte ihrem Freund etwas zu. Er lächelte. Ich stellte mir vor, ich würde mit Anwar so tanzen, und ermahnte mich gleich, nicht so dumm zu sein, denn für genau so was hatte er doch bloss Verachtung übrig: westliche Musik und westliche Sitten. Ich hatte Randa nicht von ihm erzählt. Sie würde es nicht begreifen. Zwar würde sie ihn auch attraktiv finden, aber er war keiner von uns, nicht wie wir … Und Mitglied der Demokratischen Front; sie wüsste nicht einmal, was die Front war.
Omar bot Amîr eine Zigarette an. Ein Windstoss kam plötzlich auf und blähte das Tischtuch. Bald kam der Winter, und wir würden Strickjacken tragen, und es wäre zu kalt zum Schwimmen.
»Nächsten Monat gehe ich weg«, stiess Randa plötzlich hervor.
»Was!«, riefen Omar und ich gleichzeitig. »Wohin gehst du?« Omar und ich bedrängten sie mit Fragen.
Amîr zuckte nicht mit der Wimper und sagte kein Wort. Sie antwortete uns und liess ihn dabei nicht aus den Augen, um seine Reaktion zu beobachten und ihn zu prüfen.
»Ich gehe nach England, um dort Abitur zu machen.«
»Aber wolltest du nicht die mittlere Reife noch mal versuchen, um es dann vielleicht doch an die Uni Khartum zu schaffen?«
»Meine Eltern wollen, dass ich gehe.«
»Wie bei meinem Cousin Samîr«, sagte Omar. »Er hat es nicht geschafft und darf ins Ausland. Und wir sitzen hier fest.« Er sah Amîr an, der ihm zustimmen oder wenigstens die Ironie des Schicksals würdigen sollte. Es kam keine Reaktion.
»Oh, Randa, ich bin völlig durcheinander.« In den ganzen höheren Klassen hatte ich gehofft, wir würden zusammen an die Uni gehen. Und als ihre Noten nicht gut genug waren, hatte ich gehofft, sie würde es noch mal versuchen und ein Jahr später nachkommen. Ich hatte geträumt, wir wären zusammen, und sie würde Anwar kennenlernen und endlich auch wissen, was die Front war.
»Ich kann ja nach dem Abitur wiederkommen.« Ein harter Ton lag in ihrer Stimme. Und auf einmal verloren der Flitter im Haar und das Lipgloss etwas von ihrem Reiz.
»Was meinst du dazu, Amîr?« Sie wandte sich erneut ihm zu, und ihre Stimme war fast schon schneidend und konzentriert.
Er zuckte die Schultern. »Warum nicht?«
»Genau, warum nicht?« Sie liess sich in ihrem Stuhl zurückfallen.
So, das war’s dann, sie war ihm egal. Es tat mir leid für sie, und dazu kam der Schock, dass sie fortgehen würde. Wollte sie jetzt mit mir zur Toilette gehen und weinen? Verzweiflung lag auf ihrem Gesicht.
»Komm, Omar, gehen wir tanzen«, sagte sie.
Es gab eine Pause, bis mein Bruder begriffen hatte, was sie sagte, und entschieden hatte, ob er seine Zigarette ausdrücken oder mitnehmen wollte. Ich starrte auf den Boden. Sie begaben sich auf die Tanzfläche und versperrten mir die Sicht auf Sundari und ihren Marine. Ich schaute ihnen nicht beim Tanzen zu und ergab mich stattdessen den süsslichen Gesängen der Bee Gees. Amîr sagte nichts, und ich trank meine Pepsi aus und biss auf den letzten Eisklümpchen herum. Ich wartete, bis die langsamen Songs zu Ende waren und Omar und Randa zurückkommen würden.
Nach der Party ging ich mit zu ihr. Omar brachte uns hin und fuhr dann zu einer anderen, diesmal privaten Party weiter – einer dubiosen Veranstaltung, an der er mich nicht dabeihaben wollte. Sie wurden zahlreicher, seine rätselhaften Eskapaden, und damit auch die Orte und die neuen Freunde, zu denen ich keinen Zugang hatte.
Randas Eltern hatten gerade Gäste zum Dinner. Um der Gesellschaft auszuweichen, gingen wir durch die Küchentür ins Haus, an den fieberhaft arbeitenden Dienstboten vorbei und über einen Fussboden, der von Frittieröl und Küchenabfällen ganz klebrig und rutschig war. Randas Zimmer im Obergeschoss war sauber, und die Klimaanlage blies sanft. Randa zog eine langärmlige Bluse über ihr rückenfreies Shirt. »Damit wir uns was zu essen holen können«, sagte sie. Ich zupfte meine Bluse aus meiner Hose, und obwohl der untere Teil ganz zerknittert war, bedeckte er wenigstens meine Hüften und machte meine Kleidung etwas schicklicher.
Randas Eltern waren ein wenig verrückt, fanden meine Eltern. Sie hatten aus England, wo sie studiert hatten und Randa geboren worden war, auch exzentrische englische Gewohnheiten mitgebracht. Sie gingen spazieren, luden zum Dinner mit Kartenspiel ein und hatten einen jungen Hund. Randas Mutter war eine der allerersten Professorinnen im Land. Darum war Randas Unvermögen, es an die Universität zu schaffen, eine herbe Enttäuschung. Und jetzt wollten sie sie nach England auf die Schule schicken – auch dies ein kühnes Unterfangen, denn nur wenige Mädchen gingen allein im Ausland studieren.
Die Erwachsenen hatten fertiggegessen und waren im Garten, wir mussten also nicht alle begrüssen und Konversation machen. Kurz bevor das Dienstmädchen im Speisezimmer abzuräumen begann, füllten wir unsere Teller mit Essen und verzogen uns wieder in Randas Zimmer. Sie hatte wohl Liebeskummer wegen Amîr und ass nicht viel. Ich jedoch putzte meinen Teller leer und ihren noch dazu.
»Hast du Sundari mit ihrem Marine gesehen?« Ich lachte. »Das wird allmählich ernst …«
»Stell dir vor, ich hab ihr Auto neulich auf dem Parkplatz vor dem Marine House gesehen.«
»Das soll wohl ein Witz sein?«
»Nein, und es war während der Siesta!«
Ich kreischte und Randa lachte. Sie wurde wieder sie selbst, und bald kicherten wir zusammen und hechelten alle aus der Disco durch (ausser Amîr, natürlich) – was sie anhatten, mit wem sie getanzt hatten und wie eng. Ich wartete, bis sie Amîr erwähnen würde, aber sie tat es nicht. Sie trug die leeren Teller in die Küche und sagte, sie werde ein Dessert mitbringen.
Allein in ihrem Zimmer, tat ich das, was Mama mir jahrelang vergeblich abzugewöhnen versucht hatte: Ich schnüffelte herum. Ich öffnete Randas Schränke und begutachtete ihre Schubladen. Ich fand ein Foto von uns beiden in der Schule in der gleichen Uniform – dunkelblaue Schürze und weisser Gürtel. Arm in Arm lächelten wir in die Kamera. Es war schön damals, Randa jeden Tag zu sehen; neben ihr in der Klasse zu sitzen, während der Stunden zu schwatzen und die Lehrer zu ärgern, Sandwiches auszutauschen und aus derselben Flasche Double Cola zu trinken.
Ich blätterte in einer Jackie7 und fand sie kindisch – warum Randa sie sich wohl noch immer aus London zuschicken liess? Ich stöberte in einem alten Time Magazine. Chomeini, der Iran-Irak-Krieg, Mädchen, die im schwarzen Tschador marschierten, Studentinnen … Eine Frau hielt eine Flinte in der Hand. Sie war von Kopf bis Fuss verhüllt und verborgen.
Randa kam mit zwei Schalen Karamellcreme, Äpfeln und Bananen ins Zimmer.
Ich legte das Heft auf den Boden und griff nach meiner Schale.
»Völlig zurückgeblieben«, sagte sie mit einem Blick auf das Foto und gab mir einen Löffel. »Wir sollten vorwärtsgehen und nicht ins Mittelalter zurück. Wie kann eine Frau in diesem Aufzug arbeiten? Wie kann sie in einem Labor tätig sein oder Tennis spielen oder irgendwas tun?«
»Ich weiss nicht.« Ich löffelte die Karamellcreme, starrte auf das Heft und überflog den Artikel.
»Die sind verrückt«, sagte Randa. »Im Islam heisst es nirgends, dass man das tun soll.«
»Was wissen wir schon davon? Wir beten ja nicht einmal.« Ich hatte manchmal Gewissensbisse deswegen.
»Ich bete ab und zu«, sagte Randa.
»Ach ja, wann denn?«
»Vor den Prüfungen … Hat mir viel genützt.« Sie lachte.
»Ich bete, wenn ich im Ramadan faste. Ein Mädchen an der Schule hat mir gesagt, dass Fasten nicht zählt, wenn man nicht betet.«
Randa zog die Brauen hoch. »Dabei behauptest du doch den halben Monat lang, du hast deine Tage und kannst nicht fasten!«
»Nicht den halben Monat. Ich schummle ein bisschen, aber keinen halben Monat lang.«
»Letztes Jahr waren wir in London und haben überhaupt nicht gefastet.«
»Wirklich?« Ich konnte mir den Ramadan in London oder London im Ramadan nicht einmal vorstellen.
»Wie kann man in London auch fasten? Der ganze Spass wäre dahin.«
»Stimmt.« Ich sah auf das Bild hinunter und dachte an all die Studentinnen, die den Hidschab,8 und an jene, die den Tob trugen, Haar und Arme von unserer Nationaltracht bedeckt.
»Würdest du je einen Tob tragen?«, fragte ich sie.
»Ja, aber ein Tob ist auch was anderes als das.« Sie stach mit dem Finger ins Time Magazine. »Er ist nicht so streng. Bei einem Tob sieht man den Haaransatz und die Arme.«
»Kommt drauf an, wie du ihn trägst und was du darunter anhast. So wie ihn manche Studentinnen tragen, sind sie wirklich verschleiert.«
»Pah«, schnaubte sie, und ich sah ein, dass ich nichts von der Uni hätte sagen sollen, denn das tat weh. Ich legte das Heft weg und ass meine Karamellcreme auf.
»Ich hab nicht genug gelernt«, sagte sie verdrossen. »Ich hab diese Prüfungen einfach nicht ernst genommen.«
»Es ist so ungerecht. Du bist nämlich klüger als ich.« Ich hatte es bloss an die Universität Khartum geschafft, weil ich stundenlang auf meinem fetten Hintern sitzen und auswendig lernen konnte.
»Ich sollte wohl glücklich sein«, sagte sie leise. »Und ich bin ja wohl auch glücklich, dass ich nach London gehe, obwohl ich vielleicht gar nicht dorthin gehe. Vielleicht irgendwohin ausserhalb Londons.«
Ich wartete, bis sie von Amîr anfangen und sich beklagen würde, dass er sie den ganzen restlichen Abend geschnitten hatte. Das tat sie, und ich erzählte ihr die Gerüchte über ihn und das Mädchen vom Arabischen Club.
Es war nach drei Uhr morgens, als Omar mich abholte. Ich hatte mir allmählich schon Sorgen gemacht und nach ihm herumtelefoniert. In Randas Haus schliefen alle, nur wir blieben auf und schauten Dallas-Videos. Zum Glück waren Mama und Baba in Kairo, sonst hätte Omar Schwierigkeiten bekommen. Als er schliesslich erschien, um mich abzuholen, sah er müde aus und roch nach Bier und noch etwas, es roch süsslich.
»Du fährst«, sagte er, und das gefiel mir nicht. Ich fuhr nach Hause, und er legte nicht Bob Marley in den Kassettenspieler wie sonst. Er sass einfach neben mir, ruhig und abwesend, aber er schlief nicht. Er roch, und ich erriet den Geruch, bloss, dass ich es nicht glauben wollte. Haschisch? Marihuana?
Wir hörten den Ruf zum Morgengebet, als wir zu unserem Haus einbogen. Der Wächter erhob sich von seinem Schlafplatz am Boden und öffnete uns das Tor. Der Gebetsruf, die Worte und ihr Klang drangen in mich, durch den Geruch im Auto hindurch und durch den Spass in der Disco bis an einen mir unbekannten Ort. Eine hohle Stelle. Eine Finsternis, die mich einsaugen und auslöschen würde. Ich parkte den Wagen, und der Wächter schloss das Tor hinter uns. Er legte sich nicht wieder hin.
»Omar, wir sind daheim … Omar.« Ich lehnte mich hinüber und öffnete die Autotür für ihn. Er machte die Augen auf und sah mich mit leerem Blick an. Wir stiegen aus, und ich schloss den Wagen ab. Kein Hauch war zu spüren. Die Nacht war wie versiegelt, kühlte nicht, floss nicht. Ich konnte den Gebetsruf immer noch hören. Er ging immer weiter, und nun hörte ich in der Ferne eine zweite Moschee die Worte aufnehmen, und sie klopften an meine Trägheit, stupsten eine verborgene Taubheit an, wie wenn mir die Füsse eingeschlafen wären und ich sie dann berührte.
Die Dienstboten regten sich, und aus dem hinteren Teil des Hauses hörte ich das brausende Wasser, jemand räusperte sich und nieste, Pantoffeln schlurften über den Betonboden ihrer Unterkunft. Eine Glühbirne ging an. Sie machten sich zum Gebet bereit. Sie hatten sich aus dem Schlaf gequält, um zu beten. Ich war hellwach und betete nicht.