Читать книгу Janin - Lena Lindenwald - Страница 6

Оглавление

II

»Janin. Janin! Aufwachen, es ist schon kurz nach sechs. Wir müssen uns jetzt wirklich sputen!«

Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Hatte ich nicht vor einem Moment erst die Augen zugemacht?

»Ich hab mich schon um Feuer und Licht gekümmert, also los jetzt!«, flüsterte Elli drängend.

Widerwillig schälte ich mich aus dem Bett. Das Stubenmädchen hatte meine trockenen Sachen aus der Wäschekammer mitgebracht, dazu eine weiße Schürze sowie einen Satz fester Schuhe. Ich erledigte rasch meine Morgentoilette und folgte dann Elli hinunter in die Küche. Meine Hoffnungen auf ein hergerichtetes Frühstück erwiesen sich als naiv! Stattdessen wartete ein Berg an Arbeit auf uns, und Elli merkte mit einigem Stirnrunzeln schnell, dass ich nicht so recht wusste, was es zu tun galt. Daher übernahm sie kurzerhand das Kommando und scheuchte mich durch die Küche und in die angrenzenden Räume, gab mir eine Anweisung um die andere, und stellte sicher, dass ich alles nach ihren Vorstellungen erledigte. Daran änderte sich auch nichts, als Fräulein Jung auftauchte, welche mit strengem Blick nach dem Rechten schaute und gleich darauf wieder verschwand.

Elli hielt mich tüchtig auf Trab und gab mir keine Gelegenheit, über meine Situation nachzudenken. Erst als der gedeckte Tisch in der Küche die Hoffnung auf ein Frühstück neu erweckte, wurde das Arbeitsaufkommen weniger. Bald gesellte sich Fräulein Jung zu uns und gemeinsam genossen wir unsere wohlverdiente erste Mahlzeit des Tages.

»Elli wird dir heute Morgen zeigen, was du zu tun hast. Heute Mittag wirst du mit mir zusammenarbeiten.«

»Verstanden, Fräulein Jung«, nickte ich bestätigend.

»Ist das deine erste Anstellung hier?«

Elli schaute mich neugierig an.

»Ja, bis vor kurzem war ich noch bei meinen Eltern«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Ich wusste, dass es nicht unüblich war, dass Familien der aufkommenden Mittelschicht ihre Töchter länger bei sich zu Hause behielten und ihnen dort auch eine Ausbildung zukommen ließen. Natürlich verschwieg ich aber, dass eben jene mir fehlte. Ich hatte weder von Küchendienst noch von sonstigen Aufgaben, die ein Stuben- oder Zimmermädchen zu erledigen hatte, eine Ahnung, geschweige denn Erfahrung! So schwer konnte das aber nicht sein – war meine Überzeugung. Ich würde mich schon irgendwie durchmogeln. Außerdem hatte Elli mir heute Morgen ja auch kräftig Unterstützung zukommen lassen. Und während Fräulein Jung ihr die Anweisungen für den Vormittag gab, konnte ich mir die beiden Frauen etwas genauer ansehen.

Elli war ein Wirbelwind, bei der man sich wunderte, woher die ganze Energie kam, die das zierliche Mädchen versprühte. Sie bewegte sich noch schneller, als sie redete, und sie redete gerne und viel. Ihren flinken, hellwachen Augen, zwischen denen eine sommersprossengesprenkelte Stubsnase hervorspitzte, schien nichts zu entgehen. Das lange, hellblonde Haar hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten, deren Enden jeweils von einer kleinen Schlaufe zusammengehalten wurden. Wie für ein Stubenmädchen üblich trug sie eine weiße Schürze über einem dunkelblauen Kleidchen mit langen Ärmeln.

Fräulein Jung schätzte ich höchstens zehn Jahre älter als ich. Sie erinnerte mich an eine respekteinflößende Lehrerin: schlank, groß gewachsen und mit wohlwollend weiblichen Formen. In ihrem Blick lag immer eine Mischung aus fordernder Strenge und mütterlicher Wärme, und trotz ihrer weichen Gesichtszüge wollte man bei ihr mit Sicherheit keinesfalls in Ungnade fallen. Sie sprach mit klarer, heller Stimme, aus der nicht die leiseste Spur von Unsicherheit herauszuhören war. Ihre langen, dunkelbraunen Haare hatte sie kunstvoll geflochten, mit mehreren feinen Silbernadeln hochgesteckt und mit einem zartweißen, gestickten Diadem garniert. Das schwarz-weiß gesetzte Kleid, das sie trug, und welches vorzüglich ihre femininen Reize betonte, schützte sie mit einem passenden Vorbinder um ihre Taille.

»Was macht ihr denn da?«

Maries Stimme riss mich aus meinen Überlegungen. Sie stand in der Tür und machte einen besorgten Eindruck.

»Was ist denn los?«

Fräulein Jung blicke erstaunt zu ihr.

»Was los ist?« Marie schüttelte ungläubig den Kopf. »Die Herrin will das neue Stubenmädchen sehen, und das unverzüglich! Ihr sitzt hier tratschend beim Frühstück und mir macht man die Hölle heiß – das ist los!«

»Was hat sie es denn so wichtig mit einem einfachen Stubenmädchen?«, hakte Fräulein Jung sichtlich irritiert nach.

»Was weiß ich, spielt das eine Rolle? Die Herrin wartet!«, sagte Marie drängend und blickte mich auffordernd an. »Los jetzt, worauf wartest du denn noch?«

»Jetzt ganz langsam, Marie«, versuchte Fräulein Jung sie zu beschwichtigen. »Du setzt dich erst einmal hin und frühstückst. Ich bringe derweil Janin zur Herrin. Einverstanden?«

»Ganz egal wie, aber das Mädchen muss zur ihr, sofort!« Marie stemmte entschieden die Hände in ihre Hüfte.

»Du hast sie gehört, auf geht’s!«, sagte Fräulein Jung, die meinen fragenden Blick mit einem auffordernden parierte.

Wortlos stand ich auf und folgte ihr. Mich beschlich ein ungutes Gefühl, welches von Maries besorgter Miene kräftig geschürt wurde. Fräulein Jung hingegen strahlte weiterhin Ruhe und Gelassenheit aus, doch kaum hatten wir die Küche durchquert, wurden ihr Schritt schneller und mein Unbehagen größer. Wir eilten durch einen kurzen Flur und kamen rasch in den großen, hell erleuchteten Empfangsraum des Hauptgebäudes. Dieser erstreckte sich über drei Stockwerke, welche mit zwei leicht geschwungenen, ausladenden Treppen erreicht werden konnten. Aufwändige Holzvertäfelungen und exotische Pflanzen gaben dem großen Raum eine beeindruckende Aura. Hier kam die Kammerfrau abrupt zum Stehen, drehte sich zu mir um und packte mich an den Schultern.

»Du tust genau, was ich dir sage!«

Ihr Blick durchbohrte mich.

»Wenn wir die Gemächer der Herrin betreten, stehst du immer links von mir und einen halben Schritt hinter mir. Du sagst kein Wort, es sei denn, du wirst etwas gefragt. Solange du schweigst, blickst du leicht zu Boden, sobald du aber Antwort gibst, blickst du auf, aber nur so lange du sprichst, verstanden?«

Ich nickte erschrocken.

»Deine Hände faltest du vor dir! Du stellst keine Fragen und gibst nur zur Antwort, was du gefragt wurdest! Wenn wir die Gemächer betreten, sobald wir stehen, machst du einen Knicks - auch wenn wir gehen, vergiss das ja nicht!«

Fräulein Jung zögerte, visitierte mich ausgiebig, dann richtete sie den Kragen meines Kleides, drehte mich um, zupfte an den Ärmeln und band meine Schürze neu. Als ich mich wieder zu ihr drehte, hatte sie ihre Hände auf ihre Hüfte gestützt und betrachtete mich nachdenklich mit leicht geneigtem Kopf.

»Es … wird schon gehen … blamier mich ja nicht!«, sagte sie mahnend.

»Jawohl, Fräulein Jung«, gab ich kleinlaut von mir.

Sie machte kehrt und eilte, mit mir im Schlepptau, die hölzerne Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort war zu jeder Seite eine große, zweiflüglige Tür, welche von weiteren, kleineren Türen gesäumt wurde. Fräulein Jung machte vor der linken Haupttüre Halt, stellte sicher, dass ich gehorsam neben ihr stand, warf mir noch einmal einen eindringlichen Blick zu und klopfte dann dreimal.

»Herein!«

Eine resolute Frauenstimme drang durch die schwere, mit Intarsien geschmückte Tür, welche die Kammerfrau ohne Zögern öffnete. In ihrem Schatten betrat ich ein geräumiges Empfangszimmer, in dessen Zentrum ein mächtiger Schreibtisch den Blick auf sich zog. Schwere Vorhänge und kunstvoll verzierte Übergardienen säumten mehrere Fenster, welche es dem Tageslicht ermöglichten, den Raum großzügig zu fluten, wodurch die prächtigen Farben des Interieurs eindrücklich zum Leben erweckt wurden.

»Das neue Stubenmädchen, Madame«, sagte Fräulein Jung förmlich.

»Wurde auch Zeit!«

Wir fuhren beide überrascht herum, denn die harsche Stimme kam aus der Ecke zu unserer Linken. Eine Frau mittleren Alters fixierte mich durch schmale Brillengläser, welche das Tageslicht mit jeder ihrer Bewegungen bedrohlich reflektierten.

»Du kannst gehen, Clara«, sagte sie, ohne den Blick von mir zu lösen.

Vorsichtig schielte ich zu einem sichtlich verdatterten Fräulein Jung, welche sich aber rasch fing und mir mit einem eindringlichen Blick in Erinnerung zu rufen versuchte, was sie mir in der Eingangshalle eingebläut hatte.

»Aber …«

»Ich lasse dich rufen, wenn du sie holen kannst«, unterbrach sie meine Begleiterin ruppig.

»Sehr … sehr wohl, Madame«, antwortete diese gehorsam.

Nach einer angedeuteten Verbeugung verließ die Kammerfrau das Zimmer und schloss die Tür, was sich in der eisigen Stille anhörte, als würde man hinter mir eine Gefängnistür verriegeln. Nun war ich allein mit dieser Frau, welche bedrohlich langsam auf mich zu kam. Der Raum wirkte auf einmal um so vieles größer, und doch gab es kein Plätzchen, wo ich mich hätte verstecken können.

»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte mich die Frau scharf.

»Ich … mit niemandem, Madame«, stotterte ich, auf die Frage nicht vorbereitet.

»Hier im Haus, wem hast du etwas erzählt?«, hakte sie eindringlich nach.

»Ich verstehe nicht – ich habe niemandem was erzählt …«

Ich wich reflexartig einen Schritt zurück, als sie direkt vor mir stand, doch sie packte mich am Arm, zog mich zu sich her und zwang mich, indem sie fest mein Kinn fasste, ihr direkt in die Augen zu sehen. Ihr schneidender Blick durchbohrte den meinen auf der unerbittlichen Suche nach meinem innersten Selbst. Ich hörte mich selbst winseln, wagte aber keine Gegenwehr und ließ sie zitternd gewähren. Einen langen Moment später entließ sich mich aus ihrem Griff, seufzte resigniert und ging dann raschen Schrittes zu ihrem Schreibtisch, wo sie sich setzte, neu sammelte und mit verschränkten Armen mich mit ihren stechenden Augen erneut einfing.

»Weißt du überhaupt, warum du hier bist?«, fragte sie mit schneidender Stimme.

Ich schluckte und merkte, dass ich gegen aufkommende Tränen ankämpfen musste, weshalb ich nur den Kopf schüttelte. Niemand hatte mir etwas erklärt und ich wusste nichts, das ich jemandem hätte erzählen können! Warum ich in dieser beschissenen Situation steckte, davon hatte ich nicht den Hauch einer Ahnung!

»Ein kleines, dummes Mädchen …«, seufzte sie nach langem Überlegen. In ihrer Stimme war weder Hohn noch Spott, sondern eine Mischung aus Resignation und Bedauern. Die Wahrheit, welche sie eben ausgesprochen hatte, schlug mir unverhohlen ins Gesicht! Ich wusste nichts darauf zu erwidern, weshalb ich betreten schwieg, während ich aus dem Augenwinkel sah, wie sie eine Kerze auf ihrem Schreibtisch entzündete.

»Das Haus von Neubeck wurde des Landesverrats bezichtigt«, klärte sie mich auf. »Die Ländereien, Güter und das Vermögen wurden beschlagnahmt, und alle Familienmitglieder in Haft genommen – mit zwei Ausnahmen. Du bist eine davon, was niemand weiß und unter keinen Umständen jemand erfahren darf!«

In meinem Kopf brach Chaos aus: Landesverrat? In Haft? Mama und Papa? Die Frau nahm ein Stück Papier in die Hand.

»Dieses Telegramm erreichte mich vorgestern über einen Boten meines Vertrauens. Karl von Neubeck sowie sein Sohn Wilhelm sitzen in Haft, der Aufenthaltsort seiner Gemahlin ist derzeit noch ungewiss, ebenso der Verbleib … der jüngeren Tochter.«

Sie betrachtete das Papier kurz und hielt es dann schweigend in die Flamme der Kerze, deren Feuer sofort damit begann, ihr zerstörerisches Werk unbarmherzig zu verrichten.

»Nach beiden Personen wird natürlich gefahndet, die Steckbriefe werden bestimmt heute in den Zeitungen verbreitet. Es werden weitere Häuser des Verrats bezichtigt, geheime Informationen an die österreichische Seite übermittelt zu haben und natürlich wird nach Kollaborateuren gesucht … «

Sie legte den letzten Rest des brennenden Papiers vor sich in eine Schale und stellte sicher, dass es vollends zu Staub und Asche zerfiel. Dann blickte sie mich wieder durchdringend an.

»Und da stehst du jetzt, hier in meinem Haus …«

Ich war eine Flüchtige, ohne es zu wissen! Mama musste irgendwas geahnt haben. Darum hatte sie mich Hals über Kopf weggeschickt. Darum sollte ich unter falschem Namen reisen und mich als Janin Steinborn ausgeben. Und ich hatte nichts mitbekommen, rein gar nichts!

»Ich war deinem Vater etwas schuldig, das ist schon lange her … sehr lange …« Die aufkeimende Erinnerung wurde von der Frau sofort wieder unterdrückt.

»Was … soll ich jetzt machen, Madame?«, fragte ich vorsichtig.

»Die Frage stellt sich mir auch – was mache ich jetzt, was mache ich mit dir?! Ich beherberge hier eine flüchtige Person. Und wird diese bei mir aufgegriffen, wird man mich der Kollaboration bezichtigen!« Die Frau erhob sich wieder. Es war ihr anzumerken, wie sehr sie mit sich rang.

»Wenn ich dich hier behalte … falls ich dich hierbehalte: Niemand darf erfahren, wer du bist! Niemand darf erfahren, woher du kommst! Ich werde meine Familie keinem Risiko aussetzen, nur um ein verwöhntes, dummes Gör zu verstecken, hast du mich verstanden?«

Ich nickte hastig.

»Dein bisheriges Leben existiert nicht mehr«, fuhr sie fort. »Es darf dich nichts mit deiner Vergangenheit verbinden. Das bedeutet: Dein Name ist nicht länger Charlotte von Neubeck! Dieses Mädchen existiert nicht mehr, hast du das verstanden, Charlotte?«

»Ja, Madame, das habe ich!«, murmelte ich.

Ihr Gesicht wurde eisern.

»Ich … ich heiße Janin, Madame. Janin Steinborn«, sagte ich hastig.

Sie zögerte sichtlich, bevor sie wieder Platz nahm.

»Deine Tarnung muss uneingeschränkt glaubhaft sein. Daher kannst du deinen bisherigen Lebensstil nicht weiterführen. Du wirst dich, wohl oder übel, an den Gesindestatus gewöhnen müssen, nur so bist du sicher … und bleibst unerkannt. Du wirst hier im Hause Nissel als einfaches Stubenmädchen leben und wirst dich an die Regeln und Gepflogenheiten halten. Du wirst dir dein tägliches Brot mit harter Arbeit verdienen müssen und du wirst mit – niemandem – über – deine – Vergangenheit – oder Herkunft – reden!«

Das also war mein Schicksal: Aus einer verwöhnten Adelstochter würde ein einfaches Stubenmädchen ohne Vergangenheit werden. Aus Charlotte wurde Janin.

»Ich danke ihnen für diese großzügige Geste, Madame«, murmelte ich mit hängenden Schultern vor mich hin.

»Fräulein Jung wird dich einweisen, du wirst ihr gehorchen! Lerne schnell und sei immer auf der Hut, in deinem eigenen Interesse!«, fügte die Gräfin kühl hinzu.

Ich nickte, wortlos und kraftlos. Mein Kopf war leergefegt.

»Ich … kenne nicht einmal ihren Namen, Madame …«

»Du bist hier im Haus Nissel, ein Nebenzweig des Fürstenhauses Lothringen! Ich bin die Gräfin Luisa-Amalia von Nissel.«

Abwesend machte ich einen gepflogenen Knicks.

»Sehr erfreut, ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, Madame! Janin Steinborn, zu Ihren Diensten.«

Die Gräfin musterte mich noch einmal eingehend und zog dann an einem kleinen Pommel an ihrem Schreibtisch. Sogleich wurde die Tür geöffnet und jemand betrat den Raum.

»Madame, sie wünschen?«, fragte Fräulein Jung.

»Das Mädchen, wir werden sie dabehalten. Sie wird hier als Stubenmädchen arbeiten!«

»Jawohl, Madame.«

Ich machte einen weiteren Knicks und verließ mit der Kammerfrau wortlos den Empfangsraum. Kaum war die Tür wieder verschlossen, wirbelte Fräulein Jung herum.

»Das hat ja lange gedauert, was hast du mit der Herrin gesprochen?«, brach es voller Neugier aus ihr hervor.

Ich starrte sie an. Ihre Umrisse verschwammen, als ich den Kampf gegen die Tränen verlor und ich hilflos und ohne eine Antwort auf ihre Frage mich als Stubenmädchen ohne Vergangenheit in einem fremden Treppenhaus wiederfand. Da spürte ich, wie sich zwei Arme um mich legten und mich fest in wohlige Wärme drückten, mir Halt gaben, als mir meine Beine den Dienst zu versagen drohten und mir signalisierten, dass eine Antwort nicht mehr notwendig war!

»Das wird schon, keine Sorge, Janin. Ich werde auf dich aufpassen.« Ihre Worte und die Güte, die darin lag, rissen meine Mauern und Dämme nieder, so dass ich schluchzend und zitternd heulte, wie ein kleines, dummes Mädchen…

***

»Ja mei, wie schaust du denn aus?!«, brummte eine kräftige Frau mit lockigem Haar, als Fräulein Jung und ich in der Küche eintrafen. Die Frau mittleren Alters ließ alles stehen und liegen, kam raschen Schrittes auf mich zu und baute sich vor mir auf.

»Hast nen Namen, Kindchen?«, raunzte sie mich derb an.

»Janin, Madame … «

»Nix Madame, Kindchen!«, unterbrach sie mich. »Ich bin hier die Haushält‘rin und die Köchin, und i hab das Sagen hier drin. Frau Wagner mein Name, wenn`s genehm ist.«

Ich nickte stumm.

»Viel reden tust ja nicht, eh? Na, dann arbeitest hoffentlich mehr!«, stellte sie lapidar fest und ignorierte Elli, die mit einem Korb unterm Arm aus der Tür, welche in die Diele zum Hof führte, hereinstolperte. Als das Mädchen mich erblickte, kam sie eilig auf uns zu.

»Ich freue mich voll! Ist doch prima, wenn wir mehr Hilfe bekommen, dann gibt es für jeden von uns weniger zu tun«, zwitscherte sie fröhlich.

»Von wegen, Kindchen, das könnte dir so passen! Du schnatterst ohnehin schon für drei. Los, schäl deine Kartoffeln weiter!«, schnaubte Frau Wagner sie an. » Clara, du schaust, dass die hier weiß, was zu tun ist.«

Sie lehnte sich an eine nahestehende Kommode und verschränkte die Arme.

»Hier wird ordentlich gearbeitet, Kindchen. Sauberkeit ist bei mir in der Küche oberstes Gebot. Die Herrin will sich nicht für ihr Personal schämen müssen und daher herrscht hier Zucht und Ordnung! Bist noch unberührt?«

Von dieser Frage völlig überrumpelt starrte ich sie mit offenem Mund an.

»Ob`s noch unschuldig bist, will i wissen, Kindchen«, drängelte sie genervt.

Während mein Gesicht rot anlief, stammelte ich irgendetwas von Anstand und zu jung, doch Frau Wagner winkte ab.

»Wird sich zeigen, Kindchen. Hier bei uns gibt’s kei Unzucht, verstanden? Wirst scho lernen, bist hoffentlich nicht auf den Kopf g‘fallen!«

Sie rappelte sich auf und ging zu ihrem Herd, nicht ohne aber einen prüfenden Blick auf Ellis Arbeit zu werfen. Das Mädchen, das mittlerweile an einem großen Tisch in der Mitte der Küche Platz genommen hatte, winkte mich zu sich und drückte mir ein kleines Messer in die Hand.

»Los, kannst mir helfen«, flüsterte sie.

Von meiner ersten Kartoffel blieb nicht viel übrig. Dafür blieben wenigstens meine Finger dran. Dass ich keinerlei Übung hatte, bemerkte meine Mitstreiterin natürlich sofort, doch anstatt mich bloßzustellen, gab sie mir, von den anderen unbemerkt, Tipps und Anweisungen, was alsbald dazu führte, dass meine Ergebnisse sich denen Ellis anglichen.

»Du musst das Messer stillhalten und nur die Knolle drehen … so, schau!«, erklärte sie mir geduldig.

Dass ich dennoch deutlich langsamer war, konnte ich nicht verbergen und so spürte ich rasch die kritisch prüfenden Blicke der Haushälterin, welche uns in zuverlässiger Regelmäßigkeit zur fleißigen Arbeit ermahnte. Das Dampfen und Zischen am Herd nahm stetig zu und leckere Düfte erfüllten mit dem herannahenden Mittag die große Küche.

Kaum hatten wir den Berg an Knollen bezwungen, wurden wir zum Abwasch beordert. Auch hier war Elli deutlich schneller und ich war glücklich über jede Unterbrechung, zu welcher sie von der Köchin verdonnert wurde: Bring mir das, tu das weg, wo ist verflixt nochmal schon wieder das Messer hin?! Ich lenkte meine ganze Aufmerksamkeit darauf, nichts fallen zu lassen, doch Elli wollte mir zeigen, wo alles seinen Platz hatte, was dazu führte, dass der Abwasch sich zu einem aufkeimenden Chaos entwickelte, was Frau Wagner natürlich nicht entging und ihre Stimmung entsprechend auch nicht hob.

»Muss schneller gehen, muss besser laufen, los jetzt!«, fauchte sie uns an.

Erstaunlicherweise ließ sich Elli davon nicht einschüchtern. Sie flitzte von einem Eck zum anderen, besänftigte die mürrische Köchin am Herd, behielt mich fortwährend im Auge und blieb dabei unbeschwert und bestens gelaunt. Mir wurde rasch klar, dass das Mädchen mir den Hals rettete, denn so sehr ich mich auch mühte, es war nicht zu verbergen, dass ich mit den Arbeiten in der Küche nicht vertraut war. Immer wieder tauchte Fräulein Jung neben uns auf und sah nach dem Rechten, visitierte mich mit prüfenden Blicken, sprach kurz mit der Haushälterin am Herd und brachte etwas oder nahm etwas anderes mit. Auf dem Tisch standen zwei großen Tabletts, welche nach und nach mit dampfenden Schüsseln, Körbchen mit Brot und Kannen mit Milch und Kaffee beladen wurden.

»Das muss ins Häuslingshaus, pack mit an!«, forderte mich Elli auf.

Ich legte mein nasses Tuch zum Trocken über die Anrichte neben der Spüle und ergriff das Tablett, welches mir am nächsten war. Vorsichtig folgte ich Elli mit meiner köstlich duftenden Fracht hinaus in die Diele und in den Hof, der bei Tageslicht noch weitläufiger wirkte, als ich ihn in Erinnerung hatte. Eine beachtlich große Scheuer und ein ebenso imposantes Zeughaus lagen uns gegenüber. Links davon ragte eine große Linde gen Himmel empor, deren blattleeren Äste gleich starren Fingern nach den Nebelfetzen in der Luft zu greifen schienen. Ein weiteres, langgezogenes Gebäude konnte man in zweiter Reihe ausmachen. Elli hielt sich aber rechts und steuerte zügig auf ein kleineres Nebengebäude zu, welches weniger punktvoll als das Herrenhaus gehalten war.

»Wir müssen rasch machen, sonst schimpfen die Männer, wenn das Essen und der Kaffee kalt werden!«, drängte das Stubenmädchen.

Ich nickte und versuchte, mit Elli Schritt zu halten, ohne dass etwas zu Boden ging. Sie gab der Tür des Nebengebäudes mit dem Fuß einen kräftigen Stoß, wodurch diese sich tatsächlich schwungvoll öffnete. Eilig huschten wir hinein und betraten eine Stube, welche mit einem Kachelofen mollig warm beheizt war. Inmitten stand ein stolzer, aus schwerem Holz gefertigter Tisch, auf dem wir unsere Fracht absetzten.

»Hier sind die Männer untergebracht. Die kommen gleich zum Mittag«, klärte mich Elli auf.

»Die schlafen hier?«

»Mhm, oben«, antwortete Elli und zeigte auf eine Treppe. »Wir müssen noch den Tisch herrichten.«

Von einer Kommode holte sie Geschirr und Besteck.

»Da, mach du. Für vier Leute.«

Elli verschwand kurz nebenan und ich tat, was sie mir aufgetragen hatte. Als ich den Tisch deckte, stieg mir der Duft des frischen Brotes, der heißen Suppe und dem deftigen Eintopf in die Nase, was meinen Magen zu einem spürbaren Knurren anregte, das aus dem Nebenzimmer mit prustendem Lachen beantwortet wurde.

»Hast du einen Wolf verschluckt oder einfach nur Kohldampf?«, fragte Elli grinsend. »Komm, auf uns wartet man schon, wir kriegen auch gleich was.«

Zusammen verließen wir die warme Stube und machten uns auf zum Herrenhaus.

»Warum sind wir eigentlich beim Hauptgebäude und nicht in einer Gesindestube untergebracht?«, wollte ich wissen.

»Die haben hier strikte Regeln, was Männer und Frauen betrifft. Das Gesinde wird streng getrennt auf dem Anwesen Nissel. Für uns Mädchen eine feine Sache, denn wir haben es natürlich schöner so! Beeil dich, nicht nur du hast Hunger!«

***

Beim Mittagessen in einem großen, an die Küche angrenzenden Esszimmer, waren wir Mädchen unter uns. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann mir das letzte Mal ein einfaches Essen so gut geschmeckt hatte! Da störte es mich auch nicht, dass wir im Anschluss gleich wieder zum Abwasch verdonnert wurden. Natürlich musste davor das Geschirr aus der Häuslingsstube geholt werden und ich merkte, wie meine Beine allmählich schmerzten, auch weil man mich allein schickte und ich zweimal gehen musste. Von den Männern war nichts zu sehen. Die Schüsseln, Körbchen und Kannen waren geleert worden. Zurück in der Küche wartete ein Berg an Geschirr auf mich und ich gab mir jede erdenkliche Mühe, neben Elli nicht als fauler Tollpatsch dazustehen.

»Kindchen, wo hast du nur gelernt? Zwei linke Hände, kann man nicht mitansehen!«, murrte die Köchin mich an. »Wenigstens redest ned so viel«, ergänzte sie mit einem vorwurfsvollen Blick auf Elli.

Schweigend bestätigte ich ihre Feststellung und auch Elli gab zur Abwechslung mal keinen schnippischen Kommentar von sich, sondern tat es mir gleich.

»Marie, du nimmst die Neue nachher mit auf die Zimmer – und mach ihr Beine. Sowas kann i in meiner Küch heut ned gebrauchen. Elli bleibt bei mir, sonst wird mehr getratscht als g‘arbeitet!«, rief die Haushälterin der Frau, die sich noch nebenan im Esszimmer befand, zu. Meine Besorgnis wuchs, denn mir war klar, dass das pfiffige Stubenmädchen mich bislang fürsorglich von jeglichem Ärger ferngehalten hatte. Marie hingegen konnte ich nicht einschätzen. Wie Frau Jung schien sie eine Kammerfrau zu sein, deren Aufgaben aber vermutlich vorwiegend bei der hohen Gesellschaft lagen. In der Küche jedenfalls war sie bislang nicht tätig gewesen.

»Schau, dass du hier fertig wirst, dann gehst mit mir mit«, flüsterte sie mir im Vorbeigehen zu.

Die Küchenarbeit zog sich hin, auch weil Elli fortwährend ihre Arbeit an der Spüle unterbrechen und andere Aufgaben erledigen musste, wodurch ich vermehrt mich allein um den Abwasch zu kümmern hatte und meine Unerfahrenheit mehr und mehr ihren Tribut forderte.

Ihrem Unmut über meine Arbeitsleistung machte die Köchin mehr und mehr mit wüstem Geschimpfe Luft, was nicht nur mich, sondern auch Elli zunehmend beunruhige. Bald schien Frau Wagner dazu bereit, jedes Küchenutensil, welches sie in die Finger bekam, nach mir zu werfen, als Marie endlich auftauchte, um mich abzuholen. Einerseits war ich erleichtert, die angespannte Atmosphäre hinter mir lassen zu dürfen, andererseits musste ich aber meine kleine Beschützerin zurücklassen. Ein kurzer, um Vergebung bittender Blick war alles, was ich Elli zukommen lassen konnte.

»Wir halten hier zusammen, wenn du dich anstrengst«, versuchte mich Marie zu beruhigen. Sie strich sich eine Strähne aus ihrem Gesicht und lächelte mich voller Güte an. Sofort auffallend waren ihre großen, haselnussbraunen Augen, denen man ohne Zögern uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringen wollte. Ihre sanfte Stimme verschleierte geschickt, dass ihr Tun immer flink war, sie ihre Arbeit zielgerichtet und konsequent erledigte und dass ihr nichts, aber wirklich nichts zu entgehen schien, was ich rasch erfahren durfte. Sie nahm mich mit in den Haupttrakt, wo wir das Schlafgemach einer jungen Dame aufsuchten, und ich bekam den Auftrag hier für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Meine Hoffnung, dass ich nun endlich ein wenig für mich sein und in Ruhe meiner Arbeit nachgehen könnte, zerschlug sich jedoch rasch, denn Marie gab mir detaillierte Anweisungen und ließ mich nicht für den kleinsten Moment aus den Augen, obwohl sie selbst keineswegs untätig war, sondern mit erstaunlicher Effizienz ihre eigenen Vorgaben und Erwartungen umsetzte, was von mir leider zu behaupten nicht möglich war. Fortwährend korrigierte sie mich, ließ mich eine Arbeit noch einmal machen, zeigte mir auf, was ihr nicht gefiel und dann hieß es: gleich noch einmal! Das sanftmütige Wesen entpuppte sich als pingelige Offizierin, welche nicht den kleinsten Fehl durchzugehen lassen gedachte und mich den vollen Nachmittag über sanft, aber kontinuierlich vorwärtstrieb.

»Die Gemächer der jungen Dame herzurichten, wird von nun an mit eine deiner Aufgaben sein«, teilte mir Marie mit.

Ich nickte stumm und blickte mich in dem nun tadellos hergerichteten Zimmer um. Es glich dem Meinen – aus meinem verlorenen Leben. Nur sagen konnte ich das nicht.

»Carolina von Nissel ist die jüngere Tochter des Hauses. Sie ist in Ellis Alter, nur ist sie bei weitem nicht so aufgedreht wie unser Wirbelwind. Trotzdem - schau, dass du beim Fräulein vorsichtig bist. Auf Neulinge und Fremde reagiert sie mitunter recht abweisend. Und ich will keine Klagen hören!«

»Ich werde mir Mühe geben«, versuchte ich zu versichern.

»Die allergrößte Mühe, hoffe ich!«

Marie stemmte ihre Arme in die Hüfte und schüttelte langsam den Kopf. »Wo hast du denn nur gelernt!? Auch wenn das deine erste Anstellung ist, in deinem Alter, da muss doch die Hausarbeit von der Hand gehen!«

»Ich war bislang immer zuhause«, gab ich wahrheitsgemäß zur Antwort.

»Dort hast du aber wohl nicht viel arbeiten müssen«, stellte Marie tadelnd fest. »Ich merke schon, dass du willig bist, aber das müsste man dir alles schon längst beigebracht haben. Was hast du denn immer den ganzen Tag gemacht? Geschlafen?«

Ich schwieg betreten und zuckte mit den Schultern. »Lesen, Schreiben, Rechnen gelernt, sowas eben …«

Marie blickte mich ungläubig an.

»Aha, die Magd ist in Wahrheit ein Fräulein und stammt wohl aus Adelskreisen, wie?«

Ich erschrak. Hatte ich mich eben verplappert? Noch bevor ich mir eine passende Antwort zurechtlegen konnte, streckte mir Marie ein Buch entgegen, welches sie wahllos von Carolinas Sekretär genommen hatte.

»Ließ!«, forderte sie mich mit strengem Blick auf.

Zögerlich nahm ich das Werk und betrachtete den Einband. Sollte ich meine Behauptung beweisen oder mich als Lügnerin hinstellen? Als mir der Titel des Buches ins Auge fiel, huschte unwillkürlich ein Lächeln über mein Gesicht.

»Was ist denn so lustig daran?« In Maries Stimme klang echte Neugier.

»Das Fräulein liest wohl gerne Literatur für Jungs. Das ist Robinson Crusoe von Daniel Defoe«, klärte ich sie auf, während ich das Buch aufschlug.

Als ich es, vor Jahren schon, selbst gelesen hatte, war ich gefesselt gewesen von der Geschichte des gestrandeten Seemanns. Ich hatte das Buch heimlich aus dem Bestand meines Bruders, der es mit dem Lesen nicht so hatte, stibitzt und die Seiten bei Kerzenschein förmlich verschlungen, was meine Mutter gar nicht gutgeheißen hatte, damals. Nie hätte ich mir jedoch träumen lassen, selbst einmal eine Gestrandete zu sein. Was damals meine Fantasie beflügelt hatte, entpuppte sich jetzt, in der nüchternen Realität, als unwirklicher Traum.

»Soso … dann ließ mir doch einfach mal etwas vor«, sagte Marie und setzte sich auf den Stuhl beim Sekretär. »Behaupten kann man viel!«

Ich lehnte mich an die Fensterbank, blätterte, und wählte dann eine beliebige Stelle nach den ersten Seiten.

»Jetzt war ich bereits zwei Jahre hier, und die Aussicht, erlöst zu werden, war ebenso gering wie am ersten Tag. Aber früher geschah es zuweilen, wenn ich hinauszog zur Jagt oder um das Land zu erkunden, dass plötzlich die Qual ausbrach und über mich zusammenschlug: Ich war gefangen zwischen Wäldern, Bergen und Ödmark, und ringsum lag unendlich und unüberwindbar das Meer. Es ergriff mich jedesmal wie ein Sturm. Ich rang die Hände und weinte wie ein Kind …«

Meine Stimme quittierte den Dienst.

Hastig wischte ich mir eine Träne weg, klappte das Buch zu und reichte es einer verdutzten Marie. Ich war noch nicht einmal zwei Tage hier auf dem Anwesen, aber wer sollte mich erlösen, heute oder in zwei Jahren? Was würde sich ändern? Ich war eine Gestrandete. Nur, was mich von meinem bisherigen Leben trennte, war kein Meer, welches man mit einem Floß oder einem Schiff überqueren konnte. Es war das verfluchte Schicksal, welches mich in den Untergrund verdammt hatte und das ich nicht überwinden konnte, mit keinem Schiff dieser Welt!

»Heimweh, hm?« Marie ergriff meine Hand und stand auf. »Kein Grund, Trübsal zu blasen. Es ist Zeit, dass aus dir eine selbstständige Frau wird, meinst du nicht? Außerdem kannst du deiner Familie schreiben, das finde ich echt toll!«

Ich lächelte gequält und Marie legte das Buch an seinen angestammten Platz zurück. Dabei kam mir ein Gedanke: Marie hatte recht! Ich konnte schreiben und Nachforschungen anstellen. Aber wie würde ich Antwort erhalten ohne meinen Aufenthaltsort zu verraten? Das musste gut überlegt sein.

»Komm schon, die Arbeit wartet! Du musst wieder in die Küche und beim Abendbrot helfen.« Marie riss mich aus meinen Überlegungen. »Nicht, dass dir Frau Wagner noch den Kopf abreißt«, fügte sie lächelnd hinzu.

»Ist sie so schlimm?«, fragte ich vorsichtig, während wir Carolinas Gemach verließen.

»Das nicht, aber in ihren Augen darf es für Neuankömmlinge unter ihrer Riege keine Schonfrist geben«, klärte mich Marie auf.

Der Weg zurück in die Küche fiel mir schwer. Einerseits freute ich mich auf Elli, andererseits wusste ich nicht, wie ich die Köchin milde stimmen sollte.

»Da bist ja endlich!«, knurrte die Frau am Herd und mein Herz sank ins Bodenlose. Elli war nirgends zu sehen. »Da drüben, du schneidest das Brot auf und tust es in die beiden Körbe da! Jeweils sechs Scheiben. Die kleinen Stücke lässt auf dem Brett liegen.«

Ich legte mir eines der Brote zurecht und nahm das bereitgelegte große Messer. Ein Brot aufschneiden, das würde ich ja noch hinbekommen. Aber wo war Elli? Wenn ich eine andere Arbeit machen müsste und sie wäre immer noch nicht da, wäre ich schnell in echten Schwierigkeiten. Trödeln konnte ich auch nicht. Ich schaute mich vorsichtig um, ob ich irgendwo eine angefangene Arbeit entdecken konnte, irgendetwas, das mir verriet, ob Elli nur kurz weg war oder vielleicht doch länger fehlte.

»Aua

Ein stechender Schmerz in meiner Hand ließ mich zurückschrecken und das Messer fallen. Ich hatte mich geschnitten und blutete an meinem linken Zeigefinger.

»Du dummes Ding, was machst du denn da?!«

Hastig wischte sich Frau Wagner ihre Hände an der Schürze ab und eilte herbei. »Du bist ja wirklich zu gar nichts zu gebrauchen!«, schimpfte sie lauthals, während sie sich meinen Arm schnappte und meine Wunde beäugte.

»Ist nicht tief, Schwein gehabt«, grummelte sie und zog mich quer durch die Küche hinter sich her. Aus einer Schublade kramte sie eine dunkle Schatulle hervor, welche vollgestopft war mit Binden, kleinen Tüchern und einer bedrohlich rot schimmernden Flasche. Ohne meine Hand loszulassen nahm sie den Stopfen von derselben, tränkte damit ein Stück Stoff und presste es auf meinen Finger.

»Jautsch!«, wimmerte ich und schnappte nach Luft.

»Selbst schuld, du Schussel, halt still!«, knurrte sie mich an.

»Was ist passiert?« In der Tür stand Fräulein Jung mit besorgter Miene.

»Da hat man uns was Schönes aufgehalst, kann i dir sagen!«, schimpfte die Köchin, während sie damit beschäftigt war, das Stoffband um meinen Finger zu wickeln. Ein zunehmendes Zischen ließ sie aufblicken.

»Ja mei, DER SPECK!«, schrie sie auf.

Hastig zog Fräulein Jung die qualmende Pfanne vom Herd. Ihr Blick verhieß nichts Gutes.

»Das darf jetzt‘a wohl ned wahr sei!«, sagte die Köchin mit bebender Stimme und ihr Gesicht wurde noch finsterer, als dunkler Qualm aus der Pfanne emporstieg und der Geruch von verbranntem Speck die Küche erfüllte.

»Ich hole gleich Neuen«, versuchte Fräulein Jung sie zu beschwichtigen.

»Lass, i mach des!«, erwiderte die Köchin zornig und ließ mich stehen. »Schneid du das Brot, diesem Nichtsnutz hier geb i so schnell kei Messer mehr in‘d Hand.«

Während Fräulein Jung meine Arbeit aufnahm, räumte die Köchin die Schatulle weg, nahm ein Stück Kreide aus der Lade und stapfte durch die Küche. Dort, wo die Kannen und das Frühstücksgeschirr in einem großen Regal aufbewahrt wurden, hing links neben dem Türrahmen eine kleine Tafel an der Wand, welche mit Strichen in mehrere Abschnitte unterteilt war. Energisch teilte sie mit der Kreide am rechten Rand einen Abschnitt ab und kritzelte was hinein, ehe sie zu mir zurückkam und, ohne mich eines Blickes zu würdigen, das Stück Kreide zurück in die Lade warf.

»Was stehst du hier so rum!? Hol g`fälligst die Tabletts von heute Morgen oder denkst du, die Männer wollen nix zum Essen?«, schnauze sie mich an. »Wegen dir muss i neuen Speck machen!«

»Das hast du ja fein hinbekommen«, raunte mir Fräulein Jung im Vorbeigehen zu. »Mach jetzt, was Frau Wagner dich geheißen hat, ich helfe dir.«

»Was ist passiert?«

Elli tauchte neben mir auf und starrte in mein tränenverschmiertes Gesicht. Wortlos zeigt ich ihr meinen provisorisch verbundenen Finger, worauf sie sich auf die Unterlippe biss und eine Grimasse zog, welche deutlich machte, was sie davon hielt.

»Nicht gut«, murmelte sie mit einem vorsichtigen Blick zur Köchin, welche immer noch schimpfend am Herd neuen Speck zubereitete.

»Ihr beide schaut, dass das Abendbrot fertig wird und in die Häuslingsstube kommt, und das bitte ohne weitere Zwischenfälle.«

»Jawohl, Fräulein Jung!«, antwortete Elli auffallend gehorsam.

Bald waren wieder zwei Tabletts hergerichtet: Brot, Butter, Käse und der neu gebratene Speck fanden sich neben Kannen mit Kaffee und Bier. Als ich mein Tablett vorsichtig hochhob, stellte ich erstaunt fest, dass es leichter war als jenes am Morgen. Ein Blick zu Elli verriet mir, dass sie ihr Tablett schwerer beladen hatte, wohl aus Rücksicht auf meinen schmerzenden Finger. An der Tür hielt sie für einen Moment inne, schaute kurz, dann forderte sie mich auf, ihr rasch zu folgen.

»Hast du gesehen?«, fragte sie mich, als wir den dunklen Hof überquerten.

»Was meinst du?« Ich schaute Elli verwundert an.

»Zwei Striche, da waren zwei neue Striche auf der Tafel!« Ihre Stimme klang besorgt.

Ich schaute sie immer noch fragend an und machte deutlich, dass ich nicht verstand, was sie mir sagen wollte.

»Beeil dich, das muss ich dir in Ruhe erklären!«

Gemeinsam eilten wir durch die Dunkelheit in Richtung der Häuslingsstube, welche mit mehreren Öllampen mollig warm ausgeleuchtet war. Kaum hatten wir sie betreten und Elli ihr schweres Tablett auf dem Tisch abgestellt, platzte es aus ihr heraus. »Du steckst in Schwierigkeiten!«

»Was ist mit den Strichen?«, fragte ich besorgt. »Du hast gestern Abend was von Strichen gesagt, oder?«

Elli verschränkte die Arme und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du bist noch keine zwei Tage hier, und hast schon zwei Striche, das hab nicht einmal ich geschafft, wo ich hier angefangen habe.«

»Ich hab mir halt in den Finger geschnitten, das ist doch keine große Sache.«, entgegnete ich genervt. »Kann ja jedem mal passieren, außerdem ist das ja mein Problem!«

»Nicht bei Frau Wagner, das sag ich dir! « Elli schaute besorgt. »Wer sich verletzt, kann nicht mehr voll arbeiten, drum gibt es da gleich Striche.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Und? Dann hab ich halt zwei Striche … ist doch bestimmt kein Weltuntergang.«

»Nö, ganz bestimmt nicht«, grinste Elli schnippisch. »Du kriegst halt ne Strafe dafür, das ist alles.«

»Ne Strafe, weil ich mir in den Finger gesäbelt habe?«

Ich überlegte. Stubenarrest würde bei einem Stubenmädchen wie mir keinen Sinn machen. Ohne Abendbrot zu Bett gehen, das wäre hingegen echt übel, denn mein Magen war gähnend leer. Oder man würde mir was vom Lohn abziehen, was erst mal auch nicht so schlimm wäre.

»Hast wohl Erfahrung, was?« Elli beäugte mich neugierig.

»Ich … hoffe nicht, dass man mir … heute das Abendbrot streicht«, antwortete ich nachdenklich.

Elli prustete los und füllte die Stube mit gackerndem Gelächter.

»Du … wovon träumst du nachts?«, lachte sie und japste nach Luft.

Ich schaute irritiert, während sie damit begann den Tisch zu decken.

»Das … Abendbrot … streichen …! In was für einer Welt lebst du?« Elli wollte sich kaum beruhigen.

»Du kannst wieder normal tun«, sagte ich eingeschnappt. »Schließlich hast du ja auch Striche. Wenn du das so komisch findest, werden sie uns den Kopf schon nicht abreißen.«

»Ne, das nicht«, gab sie grinsend zu Antwort, »aber du bekommst ne Tracht Prügel auf deinen Hintern!«

»Haha… sehr lustig!« Ich schaute Elli auffordernd an und wartete darauf, endlich eine vernünftige Erklärung von ihr zu hören. Da schien die Zeit unvermittelt für einen kleinen Moment einfach stillzustehen.

Elli schaute mich fragend an, ich schaute fragend zurück, ihr Blick wurde ernster, meiner ungläubiger. Dann wurde Ellis Blick ungläubig, während ich zu kichern anfing, was Elli wiederum ansteckte. So standen wir beide kichernd in der Stube – ich auf der einen Seite des Tisches, Elli auf der anderen.

»Das ist ein Scherz!«, stellte ich lapidar fest.

»Glaub mir, ich wünschte, es wäre einer …«, antwortete Elli.

Unser Gekicher verstummte.

»Du … WAS?«, brach es aus mir hervor.

Elli holte Luft und wollte etwas erwidern, als wir auf dem Hof die Einfahrt eines Gespanns hören konnten.

»Au scheiße, die Männer! Schnell, wir müssen uns beeilen«, raunte Elli und schnappte sich ihr leeres Tablett, während ich wie angewurzelt an meinem Platz verharrte und sie mit offenem Mund anstarrte.

»Worauf wartest du?«, fragte Elli voller Ungeduld. »Soll ich dir das vor den Jungs erklären? Das gäbe ein Gegröle, also los jetzt!«

Sie packte mich am Arm, drückte mir mein Tablett in die Hände und zog mich hastig hinter sich her aus der Häuslingsstube hinaus und in den dunklen Hof. Ein offener Zweispänner hatte neben dem Gebäude Halt gemacht. Auf dem Kutschbock konnte ich den älteren Mann ausmachen, der mich gestern vom Bahnhof abgeholt hatte. Zwei andere Gestalten waren bereits abgestiegen und machten sich an der Lade zu schaffen.

»He, Elli! Wie geht’s deinem Arsch?«, grölte eine Jungenstimme höhnisch zu uns herüber.

»Halt einfach die Klappe, Freddie!«, schnauzte Elli zurück. »Los, komm! Diese Trottel lassen wir nicht in unsere Nähe!«

Ich folgte ihr eilig, mit tausend Fragen im Kopf und noch mehr in meinem Herzen. Wortlos, und ohne den Ankömmlingen einen weiteren Blick zu würdigen, eilte Elli mit ihrem Tablett davon und ich hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Kaum waren wir wieder im Haupthaus, zog sie mich beiseite.

»Lass dir von Freddie ja nichts gefallen, das ist ein blöder Hund, ein saublöder!«, riet sie mir mit ernster Miene.

»Warum hat der das gefragt?« Ich war außer Atem und mir schwante Übles.

»Er war vorgestern in der Küche – mit nem Vorwand. Normalerweise haben die Jungs da nichts zu suchen, weißt du? Und da hat er natürlich die Striche auf der Tafel gesehen. Fand das saulustig, der blöde Kerl. Bestimmt hat ihm Hannah etwas gesteckt, der werd ich`s zeigen!«, knurrte Elli wütend.

»Wo seid ihr denn?«, hallte es aus der Küche.

»Kommen schon!«, rief Elli hastig und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.

Beim Betreten der Küche nahm ich zum ersten Mal die kleine Tafel an der Wand in Augenschein. Sechs Bereiche waren mit zittrigen Buchstaben markiert. Im fünften Bereich waren drei Striche eingezeichnet, im sechsten Bereich standen zwei, die restlichen waren leer. Ganz oben, über den Strichen, standen die Lettern E und J, weiße Kreide auf schwarzem Schiefer.

»Beeil dich, Janin, sonst streicht man dir wirklich noch das Abendbrot!«, feixte Elli.

***

Obwohl ich großen Hunger hatte, konnte ich mich kaum auf die Mahlzeit konzentrieren. Elli war wieder sie selbst, quasselte am Stück über Belangloses und ließ ihrem Appetit freien Lauf. Marie und Fräulein Jung ließen sich davon nicht beirren und tauschen sich in aller Ruhe über die Erlebnisse des Tages aus, und auch darüber, welche Aufgaben es morgen zu erledigen galt. Nur mein Missgeschick mit dem Messer wurde nicht erwähnt, von niemandem. Der Finger schmerzte nur noch leicht, die Köchin hatte wohl Recht gehabt. Auf meine Nachfrage, wo sie sei, wurde mir erklärt, dass sie immer nur tagsüber hier auf dem Anwesen wäre und für Gewöhnlich zum Abendessen zu ihrer Familie nach Hause ging.

Da Fräulein Jung heute mit Abenddienst dran war, half uns Marie beim Saubermachen in der Küche. Das Geschirr der Herrschaften war bereits von ihr in die Küche gebracht worden und so konnten wir uns ohne lange warten zu müssen an die Arbeit machen. Diese zog sich länger, als ich gedacht hatte, und weil Marie in der Küche dafür sorgte, dass wir Mädchen die nötige Sorgfalt beim Abwasch und Saubermachen an den Tag legten, konnte ich mit Elli nicht so reden, wie ich es nur allzu gerne getan hätte. Auch galt es für den morgigen Tag einiges herzurichten und vorzubereiten, was unseren Feierabend in weitere Ferne rücken ließ. Die Müdigkeit ergriff von Elli und mir zusehends Besitz, aber auch Marie waren die langen Stunden des Tages langsam anzumerken.

Endlich wurden wir von der Kammerfrau auf unsere Stuben entlassen und gemeinsam schleppten wir uns, nachdem wir in der Waschküche unsere Abendtoilette verrichtet hatten, ausgelaugt und schlapp die Treppe hoch. Oben angekommen winkte mich Elli zu sich in ihr kleines Schlafgemach. Vorsichtig entzündete sie das Öllicht, zog sachte die Tür hinter uns zu und deutete mir an, auf ihrem Bett ein gemütliches Plätzchen zu suchen.

»Du willst wissen, was es mit den Strichen auf sich hat, hab ich recht?«, fragte sie mich leise.

Ich nickte trotz meiner Müdigkeit eifrig, während Elli den einzigen Stuhl im Zimmer nahm und sich zu mir ans Bett setzte.

»Normalerweise erklärt das Fräulein Jung den Neuen bei der Einstellung, so war es zumindest bei mir, und bei Hannah glaub ich auch«, begann sie. »Tust du was Verbotenes oder machst nicht, was man dir sagt, bekommst du eine Strafe, ganz einfach!« Elli gähnte.

»Die Striche …?«, hakte ich nach.

»Ja, richtig. Die Strafe gibt es nicht sofort«, erklärte Elli weiter. »Du darfst dich ein paar Tage darauf freuen. Je mehr Striche, desto strenger die Strafe, sammeln ist daher keine gute Idee.«

Ich schwieg und starrte Elli an. Die eine Frage, sie brannte mir unter den Nägeln und ich war dennoch zu feige, sie laut auszusprechen. Elli schien meine Gedanken zu erraten.

»Du hast vorher schon richtig gehört. Ein leerer Magen arbeitet nicht gut, daher brauchst du keine Angst zu haben, dass du verhungern wirst.«

Bei den Worten musste Elli wieder grinsen.

»Im Haus Nissel ist man der Überzeugung, dass Stock und Rute bei den Mädchen die beste Form der Erziehung darstellen und gerade beim Gesinde auch notwendig sind, um Anstand und Folgsamkeit zu wahren.«

Elli sprach nasal und imitierte eine typisch arrogante Herrschaft, was ihr derart treffend gelang, dass auch ich kichern musste. Elli nahm einen ihrer Zöpfe in die Hand und spielte mit dessen Ende.

»Woanders wird dir auch schon mal der Lohn gestrichen oder deine freien Tage. Das finde ich noch viel schlimmer, passiert hier aber nicht. Dafür bekommst du zur Strafe ordentlich was hinten drauf!«

Elli zuckte mit den Schultern.

»Ist anderswo doch auch so, oder nicht?«

»Ich bekomme … wirklich … den Hintern verhauen?«, flüsterte ich ungläubig.

»Jep!«

»Und du? Hat man dir schon …?«, hakte ich vorsichtig nach.

»Nee, meine Striche stehen ja noch, hast nicht gesehen? Ich bin morgen dran – und du dann wohl auch!«, antwortete sie.

Ich hatte wohl einen urkomischen Gesichtsausdruck, denn Elli konnte sich nicht mehr halten und lachte schallend los.

»Du schaust ja, als hätte ich dir grad dein Todesurteil überbracht!«, japste sie. »So schlimm ist das auch wieder nicht, bei dir sind es ja nur zwei Striche und keine drei.«

»Aber Schläge sind doch Schläge?«, entgegnete ich besorgt.

»Naja, nicht ganz. Bis zu zwei Strichen kriegst du es nur mit dem Lederriemen. Den dritten Strich aber gibt’s mit dem Stock, jeweils immer sechs.«

»… echt jetzt?«, stammelte ich und spürte, wie Panik in mir hochkochte. Elli musterte mich eingehend. Dann stand sie wortlos auf, schlüpfte rasch aus ihren Kleidern und zog sich ihr Nachthemd über den Kopf.

»Wann hat man dir denn zuletzt den Hintern verhauen?«, fragte sie mich unvermittelt, während sie aufstand, den Stuhl beiseiteschob und sich neben mich aufs Bett setzte.

»Naja, noch nie«, gab ich wahrheitsgemäß zur Antwort. Jetzt war es Elli, die mich anschaute, als habe sie das größte Wunder auf Erden erblickt.

»Du nimmst mich auf den Arm?!«, raunte Elli ungläubig und schüttelte den Kopf. »Du hast es wirklich noch nie gekriegt?«, hakte sie nach.

Ich schüttelte verstört den Kopf.

»Mama hat mir mal nen Klaps gegeben, aber nichts Wildes. Das ist schon ewig her …«

»Wo hast du denn bloß vorher gearbeitet? Hat man denn die Mädchen da nicht gezüchtigt, so gar nicht?«, wollte Elli erstaunt wissen. Auf ihre Frage erwachte plötzlich eine Erinnerung in mir und ich schaute Elli überlegend an, was ihr nicht entging.

»Aha, los, erzähl schon!«, forderte sie mich mit einem triumphierenden Grinsen auf.

»Es ist schon eine Weile her«, begann ich, »da habe ich in der Küche bei uns ein paar Apfelbrötchen stibitzt. Ich wollte noch mehr holen und – tja, wurde dabei überrascht, weshalb ich mich schnell hinter einem halbgeöffneten Schrank versteckt habe. Unsere Köchin hat schimpfend ein Zimmermädchen, das in meinem Alter jetzt gewesen war, hinter sich hergezogen und sie beschuldig, besagte Apfelbrötchen geklaut zu haben, was diese natürlich verneinte.«

Ich schwieg kurz, als die alten Schuldgefühle wieder in mir hochbrodelten.

»Kein Wort hat die Köchin ihr geglaubt. Und dann hat sie mich gesehen!«

»Die Köchin?«, hakte Elli ein.

»Nein«, ich schüttelte den Kopf, »Das Zimmermädchen! Die hat kurz überlegt, vielleicht, ob sie mich verraten soll, aber dann hat sie den Diebstahl auf einmal zugegeben, einfach so.«

Ich zögerte, ob ich weitererzählen sollte, doch Ellis neugieriger Blick ließ nicht von mir ab. Ich gab nach und erzählte weiter:

»Sie sollte sich über den Tisch vor ihr legen und die Köchin ging nach nebenan. In aller Ruhe hat derweil das Mädchen ihre Schürze abgelegt und ihren Unterrock hinten aufgemacht. Und dann kam die Köchin zurück mit was Langem, Dunklen in der Hand, ich konnte nicht genau erkennen, was es war. Jedenfalls hat sie dann dem Mädchen damit auf den nackten Hintern geschlagen, wieder und immer wieder, und das Mädchen hat mir dabei immer wieder in die Augen gesehen. Sie hat keinen Ton gesagt, keinen Laut von sich gegeben …«

Meine Stimme stockte.

»Ja, weiter? Und du hast keine Strafe bekommen?«, fragte Elli aufgeregt.

»Verdient hätte ich es, damals«, gab ich kleinlaut zu.

»Dann freu dich auf morgen«, säuselte Elli vergnügt. »Bin gespannt, wie du dich anstellen wirst.«

»Wie läuft das ab?«, fragte ich eingeschüchtert.

»Also, wenn wir Glück haben, macht es Marie. Die ist nicht ganz so streng. Wir müssen ganz nach hinten in den Raum neben der zweiten Vorratskammer und da darfst du dich dann über den Tisch legen. Ich denke mal, du wirst zuerst dran sein«, klärte mich Elli auf.

»Du schaust dabei zu?«, fragte ich entsetzt.

»Ja klar, was denkst du denn! Du darfst bei mir dann ja auch zusehen«, antwortete Elli lapidar. »So, den Rest bequatschen wir morgen, ich bin furchtbar müde!«

Ich wünschte Elli abwesend einen guten Schlaf und machte mich auf in meine Kammer, wo ich dann aber kein Licht machen konnte, einfach weil ich nicht herausbekam, wie das ging. Das zweite Bett im Zimmer war noch immer unberührt. Diese Hannah war demnach heute nicht eingetroffen. Vorsichtig schälte ich mich aus meinen Kleidern und während ich in mein Nachtkleid schlüpfte, strich ich mit meinen Händen über meinen Hintern. Seit jenem Erlebnis damals war dieser rund und fest geworden, und ich ertappte mich dabei, wie ich mir meine Strafe morgen ausmalte. Unwillkürlich fiel mein Blick auf den kleinen Tisch inmitten des Raumes. Wie würde es sich wohl anfühlen? Vorsichtig ging ich zu dem Möbelstück, hob dann vorsichtig mein Nachtkleid über meinen Po und legte mich mit meinem Oberkörper über den Tisch, so wie ich es bei unserem Zimmermädchen damals in Erinnerung hatte. Das kalte, harte Holz fühlte sich befremdlich an, doch wie die Kante des Tisches meine Hüfte nach oben hob und sich meine Backen leicht öffneten, war berauschend. Ich erschrak über meine ungeschützte Situation, doch wie ich mir dann vorstellte, wie jemand hinter mir stand, mich so sah, versetzte mich in eine Verwirrung, welche meine Atmung und meinen Herzschlag spürbar beschleunigte. Rasch rappelte ich mich wieder hoch. Die Hitze meines Temperamentes schoss mir ins Gesicht und dort unten, wo meine Beine sich trafen, zwängte sich feuchtheiße Erregung durch die verschlossenen Lippen. Was, zum Himmel, war bloß los mit mir?

Rasch schlüpfte ich in mein kaltes Bett und zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch. Das Erlebnis in unserer Küche damals, es hatte mich unbarmherzig verfolgt. Viele Male hatte ich mir fest vorgenommen, das Zimmermädchen aufzusuchen und mich bei ihr zu entschuldigen, mich dafür zu bedanken, dass sie mich gedeckt hatte! Doch ich hatte gekniffen, wieder und immer wieder, auch weil ich Angst gehabt hatte. Hätte sie mich damals aufgefordert, die verdiente Strafe nachzuholen? Und dann war da immer wieder dieser Moment, wo ich mir vorgestellt hatte, wie ich mich über den Küchentisch hätte legen müssen, wie man mir meinen Hintern ….

Morgen wäre es soweit, falls Elli Recht behalten sollte. Morgen würde ich es kriegen, zum ersten Mal. Ich bekam Angst, aber da war noch mehr! Ich konnte es nicht begreifen, aber ein kleiner Teil von mir – ein ganz, ganz kleiner Teil, konnte es kaum erwarten. Ich musste verrückt geworden sein! Wieder stellte ich mir vor, wie es geschehen würde, wie es wäre, wenn ich mich über den Tisch beugen und meinen nackte Hintern präsentieren müsste. Meine Hand glitt zwischen meine Schenkel und meine Finger teilten vorsichtig die Lippen, welche weich und freudig ihre Berührungen ersehnten. Die Hitze, welche zwischen ihnen hervorquoll, überraschte mich. Noch mehr erstaunte mich meine Erregung, welche sogleich feucht und warm meine Finger umschloss. Dieser Zustand war mir nicht fremd, die Intensität aber war mir ganz neu, und das Verlangen, welches meine Finger nun antrieb, die empfindlichste meiner Stellen zu liebkosen, war derart berauschend, dass ich mich nur zu gerne dem Kitzel hingab, was in kürzester Zeit meinen Körper zucken und erbeben ließ mit einer Kraft, welche ich so noch nie zuvor verspürt hatte. Und während ich noch die Erlösung in vollen Zögen genoss, ergriff der Schlaf unvermittelt von mir Besitz.

Janin

Подняться наверх