Читать книгу White Moon - Leni Anderson - Страница 9
5 Kapitel
ОглавлениеWir fahren mit seinem schwarzen Audi in die Stadt. Der Wagen liegt wie ein Brett auf der Straße und der Motor schnurrt vor sich hin. Sein Inneres ist erfüllt mit Chris' Geruch und ich schwelge dahin. Ich habe meinen Ellenbogen ans Fenster gelehnt und stütze mein Kinn auf die Hand. Nachdenklich blicke ich aus dem fahrenden Auto, während wir durch die Straßen fahren. Nur wenige Menschen sind an diesem Sonntagmorgen unterwegs.
Chris reißt mich aus meinen Gedanken. „Ist alles okay?“, fragt er in seinem maskulinen Basston und schaut dabei mit erhobenen Augenbrauen zu mir rüber. „Du bist so ruhig.“
„Alles ok. Ich bin nur etwas nachdenklich.“
Wie könnte ich auch an irgendetwas anderes denken, als an die Geschehnisse der letzten zwölf Stunden? Vampire? Hier? Jetzt mal ehrlich ...
Ich komme mir ein wenig vor wie in einem schlechten Film. Aber dieser kleine Summton in mir lässt sich nicht leugnen. Und er versichert mir, erneut, dass ich all dem hier Glauben schenken darf. Zugegeben, mein Wissen über Vampire war eher rudimentär und klaffte mit dem, was ich bisher von Chris und den anderen beiden erfahren hatte, weit auseinander. Nicht, dass ich mich je für Vampirismus interessiert hätte. Mein Buchgenre war bisher eher die klassische Frauenliteratur.
„Was hast du vorhin gemeint, als du sagtest, ihr seid geborene Vampire. Ich dachte immer, Vampire können keine ... Na ja, also ... Sie können nicht ... Also sich nicht fortpflanzen, sondern nur andere erschaffen oder so. Eben durch ihre Bisse.“
Himmel, ich fasele vor mich hin. Je mehr Wörter aus mir heraussprudeln, desto lächerlicher klinge ich. Wie sehr würde ich es in diesem Moment begrüßen, wenn der Boden sich einfach unter mir auftäte, damit ich darin versinken kann. Chris amüsiert sich sicher königlich.
Doch als ich einen verstohlenen Seitenblick wage, um seine Reaktion in seinem Gesicht ablesen zu können, ruht sein Blick nur konzentriert auf der Straße.
„Wer behauptet denn, Vampire können keine Kinder bekommen?“
Fuck.
Er blieb wirklich ernst. Kein Auflachen, kein vorwurfsvoller Blick, kein Sarkasmus.
„Ähh, die Literatur?“
„Hmm. Die Belletristik also. Na gut, dann kläre ich dich jetzt mal auf.“ Seine Stimme ist ruhig und gefasst, kein Unterton herauszuhören. „Vampire gibt es schon ziemlich lange, fast schon so lange, wie es Menschen gibt. Viele Jahre haben wir im Verborgenen gelebt, doch das wurde mit der Industrialisierung zunehmend anstrengender, so dass wir schließlich andere Wege finden mussten. Seitdem leben wir unter euch, gehen meist sogar normalen Jobs nach. Wir haben unser Leben soweit angepasst, dass wir praktisch nicht auffallen. Nur das mit dem Sonnenlicht war quasi schon immer ein Problem. Und das mit dem Blut.“
Er zwinkert mir zu.
„Ein paar von uns fällt es schwer, sich zu kontrollieren, was das Leben unter Menschen natürlich nicht einfach macht. Gegen das Sonnenlicht haben wir für die Transformierten ein Serum entwickelt. Nehmen sie es regelmäßig, verbrennen sie in der Sonne nicht. Für uns geborene Vampire war Sonnenlicht nie ein Problem.“
Noch bevor ich Zeit habe, etwas zu erwidern, fährt er fort: „Ja, Vampire können Kinder bekommen. Idealerweise finden sich dafür zwei geborene Vampire. Die Kombination aus Geborenem und Transformierten ist dafür eher ungünstig, aber unmöglich ist es nicht. Unsere Kinder kommen selbstverständlich ebenfalls als Vampire zur Welt und wachsen genauso wie eure Kinder auf. Nur sind sie meist etwas wilder und impulsiver und werden direkt als Abhängige geboren. Na ja, eigentlich ähnlich wie ihr.“
Wir halten vor einer roten Ampel.
Ich denke nach. In meinem Kopf rattert es. Ich kneife die Augenbrauen zusammen und schauen ihn fragend an.
„Wie meinst du das?“
„Jeder ist von irgendetwas abhängig“, erklärt Chris weiter, „und so wir ihr Menschen von der Sonne und Wasser abhängig seid, so sind wir Vampire auf Blut und den Mond angewiesen.“
Das bringt mich noch mehr zum Grübeln. „Okay, Blut verstehe ich ja, aber eine Abhängigkeit vom Mond?“
„Weißt du, eigentlich ist es ganz logisch. Wir Vampire sind Wesen der Nacht und auch wenn es uns auf Grund unseres Geburtsstandes oder Einsatzes von Technologien möglich ist, im Sonnenlicht zu wandeln, so fühlen wir uns bei Nacht immer noch am wohlsten. Die meisten Vampire haben ihren Tagesrhythmus dem der Menschen angepasst. Aber es gibt immer noch kleine Gruppen, die das Tageslicht meiden und ihr Leben im Schein des Mondes führen.“
Das ergibt Sinn. Irgendwie.
„Sorry, ich hatte keine Ahnung. Das ist ... Nun ja, das ist viel mehr, als ich erwartet hätte. Das klingt, als hättet ihr eine eigene Geschichte, die sogar Jahrtausende alt ist?“
„So ist es.“
„Seid ihr trotzdem unsterblich?“
Fuck, die Frage konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
Chris lacht laut auf. „Hannah, niemand ist unsterblich. Auch Vampire können sterben. Zugegeben, wir werden ziemlich alt, weil unser Alterungsprozess extrem verlangsamt ist. Das erklärt auch, warum sich unser Aussehen im Laufe der Jahre nur langsam verändert. Trotzdem ist noch niemand an Altersschwäche gestorben.“
„Darf ich fragen, wie alt du bist?“ Ich platze fast vor Neugier.
„Fragen darfst du schon.“ Er grinst in sich hinein.
Chris parkt den Wagen in einer Seitenstraße, die mit ihrer Grünbepflanzung fast wie eine kleine Allee wirkt. Das Café, in das er mich führt, wirbt mit einem herrlichen Frühstücksangebot.
Wir suchen uns einen etwas abseits gelegenen Tisch und bestellen ein ausgiebiges Frühstück, das nur kurze Zeit später auf einem Servierwagen herangefahren wird. Ein Kellner bringt uns außerdem eine Flasche Champagner und Erdbeeren. Fragend werfe ich einen Blick zu Chris, der nur belustigt mit den Schultern zuckt.
„Fehlt ja nur noch die Sahne“, murmle ich vor mich hin, während der Kellner alles auf unserem Tisch abstellt.
„Tut mir aufrichtig leid, Miss. Ich bringe Ihnen die Sahne sofort.“ Und schon eilt er davon.
Chris prustet los.
„Mist, hab ich das etwa laut gesagt?“
„Hmmm“, murmelt Chris zustimmend, „unser Kellner scheint neu hier zu sein und dementsprechend wohl etwas, na sagen wir überbemüht.“ Grinsend schiebt er sich eine Erdbeere in den Mund.
„Bist du öfter hier?“, frage ich und suche mir eins der Brötchen aus.
„Eigentlich nicht. Vampire gehen nicht so oft Essen, weißt du.“
Neugierig schaue ich von meinem Brötchen auf.
„Nun, versteh mich nicht falsch“, fährt er fort. „Unser Hunger wird nur auf eine Weise gestillt, aber ein kleiner Snack gegen den Appetit hat noch keinem geschadet.“ Er zwinkert mir zu und nimmt sich eine weitere Erdbeere.
Ich träufle etwas Honig auf mein Brötchen. „Woher weißt du dann, dass der Kellner neu hier ist?“ Ich beiße vorsichtig ab und könnte vor Genuss dahinschmelzen. Himmel, war das lecker. Das Letzte, was ich gegessen hatte, war gestern Abend ein Rest der Fettuccine, die ich zum Mittagessen hatte. Erst jetzt bemerke ich, wie hungrig ich bin.
„Nur beobachtet. Er huscht wie ein nervöses Wiesel durch die Gegend und der Chef hat ihn schon mehrfach angefahren. Ergo: neu hier.“
Wie auf sein Stichwort erscheint der Kellner mit einer Schale Sahne.
„Danke.“ Ich lächle ihn freundlich an und habe ein wenig Mitleid mit ihm. Mit Stress auf der Arbeit kenne ich mich schließlich auch aus.
Nachdem ich mein Honigbrötchen verspeist und eine weitere Tasse Kaffee getrunken habe, kann ich meine Neugier und Nervosität nicht länger zurückhalten.
„Chris?“, setze ich vorsichtig an. „Ich glaube, du schuldest mir noch eine Erklärung.“
Nun ist es an ihm, von seinem Brötchen aufzublicken und mir in die Augen zu sehen. Langsam schluckt er seinen letzten Bissen herunter und wischt sich den Mund mit einer Serviette ab.
„Ich weiß, dass das alles mit Worten nur schwer zu fassen ist“, fängt er zögerlich an. „Darum bitte ich dich, hör auf dein Summen.“
Das Summen.
„Ich weiß, dass du Angst hast. Aber das brauchst du nicht. Es ist alles okay. Hör einfach hin.“ Chris bedeckt mich mit einem sanften Blick.
Ich horche in mich hinein. Das Summen war allgegenwärtig. Zugegebenermaßen hatte ich schon versucht, es zu ignorieren. Aber es ließ sich nicht abstellen. Es war in meinen Zellen verankert. Und es sagte mir mit jeder Schwingung, dass Chris und auch Angel und Liam die Wahrheit gesagt hatten. Aber das auch zu akzeptieren, fällt mir nicht leicht.
Ich atme seufzend aus und nehme einen Schluck Orangensaft. Nachdem ich das Glas wieder abgestellt habe, versuche ich meine Gefühle in Worte zu fassen.
„Okay. Es gibt also Vampire. Hier bei uns und überall. Und du bist einer von ihnen. Der Szeneclub der Stadt wird in Wirklichkeit von deinesgleichen betrieben, was ihn zu einer Art Vampirtreffpunkt macht, den aber auch Menschen besuchen, deren Gedächtnis nach ihrem Besuch mittels eines Serums gelöscht wird. Hab ich es soweit zusammen?“ Ich sehe ihn fragend an.
Er nickt zustimmend, schaut aber betreten in seine Tasse. Ich hatte wohl etwas vergessen. Oder übersehen.
Und dann dämmerte es mir.
„Oh mein Gott, ihr trinkt von uns.“ Wie Schuppen fällt es mir von den Augen. „Ihr holt uns jede Woche in euren Club, um von uns zu trinken, oder?“
Chris schaut von seiner Tasse auf. „Ja, das stimmt.“ Ein Lächeln legt sich auf seine Lippen. Hatte er gar kein schlechtes Gewissen?
„Doch, ein wenig schon.“ Er grinst mich an.
„Bist du etwa schon wieder in meinem Kopf?“ Ich fasse es nicht!
„Du bist gerade etwas aufgebracht und das kommt einer außerordentlichen Situation ziemlich nahe. Und in solchen Momenten kann ich ...“
„Lass das!“, fauche ich ihn an. „Das ist unfair! Ich komme nicht in deinen Kopf. Oder?“
Vielleicht konnte ich ja auch ...
Abwehrend hebt er die Hände. „Schon gut. Bin schon raus. Und: Nein, kommst du nicht.“ Er zwinkert mir zu.
Empörung macht sich in mir breit.
Chris grins weiter vor sich hin.
„Okay“, versuche ich mich soweit zu beruhigen. „Wir Menschen sind also euer“, ich zögere, „Abendessen. Oder, vermutlich der Dramaturgie geschuldet, eher euer Mitternachtssnack. Du unterbrichst mich, wenn ich falsch liege?“
Er nickt zustimmend und gießt sich ebenfalls einen Orangensaft ein.
„Du sagtest, ich käme seit zehn Wochen ins All in, ohne dass ich mich daran erinnern kann. Das bedeutet, ich lasse mich seit zehn Wochen von irgendjemanden dort aussaugen, ohne dass ich es weiß?“
Er setzt sein Glas ab. „Nicht von irgendwem.“ Sein Blick wird ernst.
Fuck.
Ich verschlucke mich fast an der Erdbeere, die ich mir gerade mit etwas Sahne in den Mund gesteckt habe.
Chris lehnt sich über den Tisch und flüstert mir ins Ohr: „Und ohne angeben zu wollen: Du schmeckst köstlich.“ Er lehnt sich wieder zurück und prostet mir mit dem Rest seines Orangensaftes zu.
Ich bin sprachlos. Ich schwanke zwischen Ekel und Erregung. Chris hatte gerade nicht nur zugegeben, dass er von mir getrunken hatte, nein, er hatte auch noch gesagt, ich sei ... köstlich.
Fuck.
Das war irgendwie ... heiß. Ein Kribbeln macht sich zwischen meinen Beinen breit.
Himmel ...
In aller Ruhe tupfe ich mir mit einer Serviette den Mund ab und starre ihn provokativ an. Ich verschränke mit hart erkämpfter Gelassenheit die Arme vor der Brust und versuche, etwas Empörtes herauszubringen. Ich öffne den Mund, kann ihn aber nur schnappatmend wieder schließen.
Chris grinst. Ohne den Blick von mir zu wenden gießt er uns ein Glas Champagner ein. Er reicht mir ein Glas.
„Cheers!“
Wir stoßen an.
Ja, Champagner schien mir in dieser Situation doch genau das Richtige sein.
Ich wende den Blick von ihm ab. Nachdenklich lasse ich meine Gedanken durch das Café schweifen und bleibe schließlich an einem kleinen Bild an der Wand nahe des Eingangs hängen. Es zeigt eine alte typisch englische Landschaft mit einem kleinen Cottage.
„Hannah?“
Ich schaue zu ihm zurück. „Warum mussten wir das All in gestern so schnell verlassen?“
Dieses Mal lässt er mit seiner Antwort nicht so lange auf sich warten. „Weil Eric da war.“
„Und wer ist Eric?“
„Er ist einer unserer Anführer und der Besitzer des All in. Wenn Eric anwesend ist, wird unser Mitternachtssnack, wie du es so treffenderweise formuliert hast, meist ziemlich blutig. Ich wollte nicht, dass du dabei bist.“
„Anführer? Heißt das, ihr seid Eric unterstellt?“
„In gewisser Hinsicht schon. Jede Gruppe, ob groß oder klein, braucht jemanden, der sie führt und die Richtung vorgibt. Eric ist eben unser Anführer. Und er hat seinen Job viele Jahre gut gemacht.“
Chris wirkt nachdenklich. „Aber in den letzten Jahren ist er stark vom Weg abgekommen.“
„Wie das?“, frage ich nach. „Hat das mit euren blutigen Snacks zu tun?“
Chris winkt ab. „Das muss ich dir ein anderes Mal erklären. Wir sollten langsam aufbrechen.“ Aus tiefen dunklen Augen schaut er zu mir herüber.
Erschrocken weiche ich auf meinem Stuhl zurück. „Was ist mit dir?“
Mein Herz rast.
Er wendet den Blick ab. „Nichts. Ich bin nur ... Verdammt! Ich bin einfach so ... hungrig.“
„Hungrig? Wir hatten gerade Frühstück. Ein Ausgiebiges möchte ich meinen.“ Verwundert schaue ich ihn an.
„Sorry, Babe, aber da war nichts dabei, was meinen Hunger hätte stillen können.“ Er zieht seine Worte in die Länge.
Es dauert einen Moment. Dann verstehe ich.
„Wie lange hast du schon nichts getrunken?“
Er schweigt.
„Chris! Wie lange?“, frage ich fordernd nach.
„Etwa drei Tage“, gibt er zögernd zu.
„Drei Tage? Ist das nicht etwas lange? Nicht, dass ich mich da auskenne, aber hey, es sollte dir nicht gerade schwerfallen, jemanden zum Aussaugen zu finden, oder?“ Ich klinge etwas gereizter als beabsichtigt.
„Wir trinken nicht immer frisches Blut. Ich muss mir also nicht zwingend jemanden zum Aussaugen suchen. Wir ernähren uns durchaus auch von Blutbeuteln, weißt du.“
„Und warum hast du dir keinen gegönnt?“, hake ich nach. „Weißt du eigentlich ... Fuck ... Chris, deine Augen ... Ich ...“
Er sieht mich mit einem Blick an, der mir im Normalfall Angst eingejagt hätte. Doch ein kleines vertrautes Summen in mir beruhigt mich und normalisiert meinen Herzschlag.
„Ich wollte warten“, gibt er zähneknirschend zu.
„Warten? Worauf denn? Wenn ich vor Hunger fast umkomme, fällt mir das Warten echt schwer.“
„Hannah, ist das nicht offensichtlich, auf was ich warten wollte? Oder besser gesagt, auf wen?“
Ich schlucke.
Ach so.
Und dann weiß ich, was ich tun muss. Das Summen in mir verrät es mir.
„Komm“, sage ich zu ihm und nehme ihn an die Hand. Ich führe ihn erst in Richtung Toiletten und anschließend in den Keller, wo ich die Personalräume des Cafés vermute. In einer abgedunkelten Ecke bleibe ich stehen und betrachte den schwer atmenden Chris. Mit tiefen dunklen Augen starrt er auf mich herab.
„Hannah ...“ Mehr bringt er nicht hervor.
Ich stelle mich dicht vor ihn und lege mir die braunen Locken über die Schulter, so dass er eine freie Sicht auf meinen Hals hat.
„Hannah, nicht ...“
„Nimm dir, was du brauchst.“
Chris atmet noch einmal tief durch, dann senkt er seine Fangzähne in meine Halsschlagader.
Ein Keuchen entfährt mir, als er meine Haut durchbohrt und den ersten Schluck aus meiner Ader nimmt. Ich bin wie berauscht. Taumele. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Er umfasst mit einer Hand gekonnt meine Hüfte und drückt mich an sich. Mit der anderen Hand stützt er meinen Kopf, den ich ihm bereitwillig übergebe. Er brummt bei jedem Schluck an meinem Hals, während mein Unterleib sich dabei auf die süßeste Art und Weise zusammenzieht.
Mir bleibt nichts anderes übrig als mich fester an ihn zu pressen und meine Hüften gegen seine zu drücken.
„Chris, oh Gott, ich ...“ Ich stöhne auf.
Sein Saugen an meinem Hals raubt mir den Verstand und bringt mich weiter an eine Schwelle, die mehr als nur Lust bedeutet. Ich kralle meine Hände in seinen Rücken. Seine Muskeln sind gespannt. Ich spüre, wie sie arbeiten, während er mich an sich drückt.
„Chris, bitte! Ich ...“, bringe ich atemlos hervor, doch just in diesem Augenblick löst er seine Fangzähne aus meiner Haut und haucht mir einen flüchtigen Kuss auf die Bisswunde.
„Ich weiß, Babe“, flüstert er mir ins Ohr, „und es wäre nicht das erste Mal.“
Erschrocken schaue ich auf und er zwinkert mir zu. „Aber dieses Etablissement ist eindeutig nicht der richtige Ort für einen ...“
„Hey, was haben Sie hier zu suchen?“
Verdammt. Der überbemühte Kellner von vorhin.
Ich will gerade zu einer Erklärung ansetzen, da hat Chris auch schon das Wort ergriffen. „Hey, tut mir leid. Ich wollte mit meinem Mädchen kurz alleine sein. Bitte verzeihen Sie. Wir sind sofort weg.“
Schweigend schaut er uns an. Schließlich nickt er und verschwindet.
Den Wink mit dem Zaunpfahl muss er uns nicht zweimal geben. Verstohlen schauen wir uns an, machen uns dann aber grinsend auf den Weg zurück nach oben.
Sacht streiche in mit den Fingern über die Bisswunde an meinem Hals. Fühle nach, ob sie noch blutet. Doch als ich meine Hand betrachte, ist dort ... nichts.
„Keine Sorge. Vampirbisse heilen innerhalb von Sekunden ab. Und Narben hinterlassen sie auch nicht.“ Chris hat sanft die Hand an meinen Rücken gelegt, als wir die Treppe hochgehen.
Mein Herz pocht noch immer wie wild in meiner Brust. Ich versuche, ruhiger zu atmen, doch es gelingt mir kaum. Auch wenn die Bisswunde an meinem Hals längst abgeheilt ist, so hat sich doch in eine kleine pochende Erinnerung verwandelt, die wohlige Schauer durch meinen Unterleib jagen lässt. Himmel, was hatte er nur mit mir gemacht?
Auf halber Treppe nach oben bleibt Chris stehen und presst mich an die Wand. Der Handlauf drückt sich schmerzhaft in meinen Rücken und für einen Moment bin ich wie erstarrt. Große blaue Augen durchdringen die meinen. Erst jetzt wird mir bewusst, wie schnell auch seine Atmung noch immer geht. Er öffnet den Mund, vermutlich um mit irgendeiner Erklärung anzusetzen, bekommt aber kein Wort heraus und leckt sich stattdessen flüchtig über die Lippen. Wie gerne ich jetzt diese Zunge wäre. Oh mein Gott, diese vollen Lippen, umrahmt von seinem Dreitagebart, der auch an meinen intimsten Stellen ein herrliches Kratzen hervorrufen würde ...
„Hannah“, bringt er schließlich mit rauer Stimme hervor, „das war ... Ich ...“, stammelt er weiter. „Danke.“
Dann senkt er sein Gesicht auf mich herab.
Als unsere Lippen sich berühren, gehe ich für einen Moment in die Knie. Seine starken Arme fangen mich auf und halten mich, bis ich aufhöre zu schwanken. Langsam wandert eine seiner Hände meinen Rücken hoch und verursacht dort die schönste Gänsehaut, die mir je widerfahren ist. Ich biege meinen Rücken durch, wölbe mich ihm entgegen. Als sein Mund sich öffnet und sich seine Zunge vorsichtig aber bestimmt ihren Weg sucht, entfährt mir ein heiseres Stöhnen.
Der Geschmack meines Blutes macht sich zwischen unseren Zungen breit und für einen Moment bin ich irritiert ob der metallischen Note. Doch auf irgendeine verruchte Art und Weise heizt mich dieser Geschmack total an und lässt mein Herz noch etwas schneller schlagen.
Seine Hände umfassen mein Gesicht und er intensiviert seinen Kuss. Alles um uns herum scheint zu verschwimmen. Vergessen sind alle Sorgen und Zweifel, alle Wut und Unverständnis. Wir sind nur noch im Hier und Jetzt. Und verdammt, ich will nicht, dass das je wieder aufhört.
„Ich dachte eigentlich, ich hätte mich klar ausgedrückt!“
Der Kellner.
Fuck.
Nur widerwillig löst sich Chris von mir. Mit verschränkten Armen steht der Situationssprenger am Fuße der Treppe. Chris hebt beschwichtigend die Arme und wir gehen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zurück an unseren Tisch.
Chris grinst mich schelmisch an. Noch bevor ich mich wieder hinsetzen kann, hat er sich die angebrochene Flasche Champagner geschnappt und flüstert mir ein verschwörerisches „Komm, lass uns von hier verschwinden“ ins Ohr.
Die Vorstellung, bei ihm zu Hause an der Stelle weiterzumachen, an der wir auf der Treppe aufgehört hatten, lässt meine Libido wild herumhüpfen. Und so sehr ich mir auch wünsche, genau das zu tun, so sehr sollte, nein, so sehr muss ich mir genau in diesem Moment eingestehen, dass ich nach Hause gehöre. Jetzt. Allein.
Er scheint meine Zweifel zu spüren und streicht mir vorsichtig über die Wange.
„Chris“, setze ich an und schmiege dabei mein Gesicht in seine Hand. „Das geht mir alles zu schnell. Der Abend gestern. Das Gespräch in der Küche. Fuck, das eben ...“
„Schon okay“, erwidert er sacht und streicht mir mit dem Daumen über die Lippe, „ich bin gut im Warten.“
Ich löse mein Gesicht aus seiner Hand, was mir alles andere als leicht fällt, und verliere mich kurz in seinen Augen. „Du bist mir wirklich nicht böse, wenn ich jetzt gehe?“
„Nein. Du brauchst sicher Zeit zum Nachdenken, eine Flasche Chardonnay und deine Lieblingsserie auf DVD. Oder streamst du jetzt endlich?“
Fassungslos starre ich ihn an. Er lacht laut auf und wirft dabei seinen Kopf in den Nacken.
„Hey“, beruhigt er sich schließlich, „ich hatte zehn Wochen Zeit dich kennen zu lernen. Da erfährt man schon einiges.“ Er haucht mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. „Bin gleich wieder da.“ Er stellt die Champagnerflasche ab und geht strammen Schrittes zum Tresen des Cafés.
Ein schlechtes Gewissen macht sich in mir breit. Sollte ich jetzt wirklich gehen? Sollte ich nicht vielleicht doch mit zu ihm? Nein, das wäre zu früh. Ich kenne ihn doch kaum. Und doch ...
„Komm, ich fahr dich nach Hause.“
Ich schnappe mir meine Jacke und wir verlassen das Café. Auf dem Weg zum Auto schweigen wir. Mein Gedankenkarussel rast. Wann werde ich ihn wiedersehen? Will ich ihn überhaupt wiedersehen? Oder sollte ich es besser lassen? Immerhin ist er ein Vampir. Fuck, er ist es definitiv. Und er hatte von mir getrunken. Mehr noch, ich hatte mich ihm hingegeben. Und unser kleines Making Out auf der Treppe war so ziemlich das Heißeste, was mir in letzter Zeit widerfahren war.
Ja, ich will ihn wiedersehen. Aber zuerst muss ich mich sortieren. Meine Gedanken in den Griff bekommen.
„Vielleicht nehme ich doch lieber ein Taxi.“
Chris bleibt überrascht stehen. Er zieht die Augenbrauen hoch.
„Es ist nur ...“
„Ich verstehe schon.“ Chris winkt einem vorbeifahrenden Wagen.
Ist dort ein Hauch von Enttäuschung in seinem Tonfall zu hören?
Der Wagen hält neben uns am Bordsteinrand. Bevor ich einsteige, zieht Chris mich in seine Arme. Mit einem tiefen Seufzer drückt er mich an sich. Als er seine Umarmung löst und sein Blick dem Meinen begegnet, findet er beruhigende Worte: „Ich weiß, dass die letzten zwölf Stunden alles andere als normal verlaufen sind. Und dass dir das eine Scheißangst eingejagt haben muss. Ruh' dich aus, Babe. Denk über alles nach und hör auf das Summen in dir. Es wird dir helfen, das alles zu verstehen. Meine Nummer ist in deinem Handy.“ Er haucht mir einen Kuss auf den Haaransatz.
„Ich ruf dich an“, verspreche ich ihm. Dann steige ich ins Taxi und fahre nach Hause.