Читать книгу Finale der Vernichtung - Lenka Sindelarova - Страница 7
Einleitung Thema, Fragestellung und Aufbau der Arbeit
ОглавлениеEnde August 1944 wurde im Auftrag des Berliner Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) die Einsatzgruppe H aufgestellt und zusammen mit deutschen Truppen in die Slowakei geschickt. Anlass zur Besetzung des bis dahin vom Krieg weitgehend verschonten „Schutzstaates“ war der Ausbruch des Slowakischen Nationalaufstands, der sich gegen das Dritte Reich und das mit ihm kollaborierende Tiso-Regime richtete. Obwohl der Aufstand offiziell nach zwei Monaten niedergeschlagen war, verblieb die Einsatzgruppe H bis zum Kriegsende in der Slowakei. Ihr vorrangiger Auftrag bestand darin, die „Endlösung der Judenfrage“ in der Slowakei zum Abschluss zu bringen. Deportationen in die Vernichtungs- und Konzentrationslager, öffentliche Hinrichtungen, Massenerschießungen, das Niederbrennen von Gemeinden gehörten seit Spätsommer 1944 zum slowakischen Alltag. Zu Opfern wurden außer Juden auch zahlreiche Roma sowie festgenommene Partisanen und Aufständische. Neben den Aufgaben auf sicherheitspolizeilichem Sektor wurden von der Einsatzgruppe H noch weitere Tätigkeitsbereiche wahrgenommen. So beteiligte sie sich oftmals an offenen Kampfhandlungen und war zudem mit einer regelmäßigen Berichterstattung über jegliches Geschehen in der Slowakei betraut. Sie etablierte sich von Anfang an als einer der wichtigsten Faktoren im slowakischen Staat und griff in nahezu alle seine Bereiche entscheidend ein. Da hierbei der Anschein der Souveränität der Slowakischen Republik nach außen hin aufrechterhalten bleiben sollte, war sie in der Regel bemüht, Kontakte zu einheimischen Stellen zu knüpfen und diese in ihre Arbeit einzubeziehen. Bei ihren Aktionen fand sie unter Slowaken und Volksdeutschen trotz des nahenden Kriegsendes zahlreiche willige Helfershelfer, vor allem aus den Reihen der Bereitschaftsabteilungen der Hlinkagarde (POHG) und des Deutschen Heimatschutzes.
Die Einsatzgruppe H war in ihrer Struktur und ihrer Funktion keinesfalls ein Novum auf dem europäischen Kriegsschauplatz. Sie ging zurück auf die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, die seit 1938 in verschiedenen Ländern Europas tätig waren und deren Angehörige vor allem in Polen und der Sowjetunion zahlreiche Massenverbrechen begingen. Die Einsatzgruppe H bestand aus dem Stab in Bratislava und insgesamt sechs Kommandos, die sich weiter in Teilkommandos bzw. sogenannte Stützpunkte gliederten. Zum Chef wurde der damalige Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) in Lemberg, Josef Witiska, ernannt. Auch weitere Angehörige der Einsatzgruppe, die sich unter anderem aus den Reihen der Gestapo, der Kriminalpolizei und des SD rekrutierten, wurden in vielen Fällen vor ihrer Versetzung in die Slowakei bei verschiedenen Dienststellen und Einheiten in Osteuropa eingesetzt.
Nach Kriegsende blieben die durch die Einsatzgruppe H in der Slowakei begangenen Verbrechen zum großen Teil strafrechtlich ungesühnt. Nur wenige NS-Täter hatten sich nach 1945 vor Gericht zu verantworten, und die Angehörigen der Einsatzgruppe H stellten hier keine Besonderheit dar. Sie fanden zumeist ohne größere Probleme Aufnahme in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft und wurden nur selten mit ihrer Kriegstätigkeit konfrontiert. In der Bundesrepublik wurden seit den 1960er Jahren zwar mehrere Verfahren zur Einsatzgruppe H eingeleitet, doch ihre Ergebnisse entsprachen im Großen und Ganzen dem allgemeinen Trend auf dem Gebiet der Strafverfolgung von NS-Verbrechen durch die bundesdeutsche Justiz. Die mit unterschiedlicher Gründlichkeit durchgeführten Ermittlungen wurden bis auf eine Ausnahme ohne Anklageerhebung eingestellt. Rechtskräftige Urteile gegen SS-Führer der Einsatzgruppe H wurden ausschließlich wegen außerhalb der Slowakei verübter Taten gefällt oder aber vor Gerichten außerhalb der Bundesrepublik.
Die Darstellung der Tätigkeit und des Personals der Einsatzgruppe H sowie der Strafverfolgung ihrer Angehörigen nach 1945 ist von erheblicher wissenschaftlicher Bedeutung. Die in der Slowakei begangenen Verbrechen stehen stellvertretend für die Spätphase der Shoah und zeichnen das Bild einer in den letzten Kriegsmonaten improvisierten, aber dennoch schonungslosen Verfolgung bzw. Vernichtung der slowakischen Juden. Die vorliegende Studie trägt zudem zur Erforschung der Einsatzgruppen als Instrument der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in Europa bei und bietet einen wichtigen Aspekt der Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und seinem slowakischen „Schutzstaat“. Außerdem stellt sie einen Beitrag zur in den letzten Jahren intensiv betriebenen Täterforschung sowie zur strafrechtlichen Aufarbeitung von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik und in anderen Ländern dar.
Das Hauptziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, die folgenden drei zentralen Fragen zu beantworten: Wie genau sah die Tätigkeit der Einsatzgruppe H in der Slowakei aus? Wer waren ihre Angehörigen? Wurden die in der Slowakei begangenen Verbrechen nach 1945 strafrechtlich aufgearbeitet bzw. wurden die Angehörigen der Einsatzgruppe H strafrechtlich verfolgt? Entsprechend diesen Themenkomplexen ist die Studie in drei größere Teile – Tätigkeit, Personal und Strafverfolgung – gegliedert. Es erwies sich als sinnvoll, der eigentlichen Untersuchung noch eine Vorgeschichte hinzuzufügen, um die Entstehung der Einsatzgruppe H in einen breiteren Kontext zu bringen. Geboten wird ein Überblick einerseits über die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD sowie andererseits über die Entwicklung in der Slowakei bis zum Spätsommer 1944. Anhand der Literatur werden die an verschiedenen Orten Europas eingesetzten mobilen Sondereinheiten des RSHA und ihre Tätigkeit umrissen. Danach folgt eine kurze Darstellung der wichtigsten Ereignisse im slowakischen Staat vom März 1939 bis zum Ausbruch des Aufstands, wobei besondere Aufmerksamkeit der Situation der Juden gewidmet wird.
An die Vorgeschichte schließt der erste Teil der Arbeit an, der den Schwerpunkt der vorliegenden Studie bildet. In insgesamt sieben Kapiteln wird hier verschiedenen Fragen bezüglich der Tätigkeit der Einsatzgruppe H nachgegangen. Im ersten wird die innere Struktur der Einsatzgruppe anhand einer Beschreibung ihres Chefs und seines Stabes sowie der einzelnen Kommandos und ihrer Stützpunkte untersucht. Da die Einsatzgruppe im Zuge des slowakischen Aufstands entstand, wird im nächsten Kapitel überprüft, in welchem Maße sie sich unmittelbar an dessen Niederschlagung beteiligte und wie die Kampfhandlungen ihre Tätigkeit beeinflussten. Eine Übersicht über die in der Slowakei eingesetzten deutschen Truppen sowie über die Aufständischen und Partisanen wird dieser Fragestellung vorangestellt. Thema des dritten Kapitels ist die Judenverfolgung, wobei zunächst die wichtigsten Rahmenbedingungen nachgezeichnet werden. Anschließend wird untersucht, wie die Einsatzgruppe H bei ihren Aktionen gegen Juden vorging und wie andere Stellen, deutsche und slowakische, auf dieses Vorgehen reagierten. Ausgewählte Razzien und Festnahmen werden beispielhaft angeführt und die Deportationen aus dem Konzentrationslager Sered eingehender beschrieben. Da Juden sowie andere tatsächliche oder vermeintliche Gegner des NS-Regimes auch auf slowakischem Boden ermordet wurden, bietet das vierte Kapitel einen Überblick zu diesen Exekutionen. Die Massenerschießungen mit den meisten Opfern werden dabei genauer geschildert. Mit Berichterstattung und Propaganda folgt ein Kapitel zu einem weiteren wichtigen Tätigkeitsfeld der Einsatzgruppe H. Es geht vor allem um die Frage, wer wem und zu welchen Themen in der Regel zu berichten hatte, ob diese Berichte auch eigene Ansichten und Vorschläge der Einsatzgruppe H beinhalteten und wie sie in einem konkreten Bereich (Stimmung der einheimischen Bevölkerung) aussahen. Im sechsten Kapitel werden die verschiedenen slowakischen Akteure betrachtet. Slowakische Staatsführung, Armee und Polizei sind hier ebenso Thema wie die Hlinkagarde und ihre im September 1944 neu aufgestellten Bereitschaftsabteilungen. Es wird untersucht, wie die Zusammenarbeit mit der Einsatzgruppe H und ihre gegenseitigen Beziehungen in konkreten Fällen aussahen und wer sich bei den Aktionen der Einsatzgruppe als besonders hilfsbereit erwies. Im letzten Kapitel wird dann das Augenmerk auf die Volksdeutschen in der Slowakei gerichtet. Im Mittelpunkt stehen hierbei vor allem zwei Themen, nämlich erstens die Beteiligung des Deutschen Heimatschutzes an den Aktionen der Einsatzgruppe H und zweitens die von Partisanen und Aufständischen an den Volksdeutschen im Spätsommer 1944 begangenen Verbrechen, mit deren Ermittlung und ‚Bestrafung‘ in der Regel die Angehörigen der Einsatzgruppe beauftragt wurden.
Somit stehen in diesem ersten Teil primär die Tätigkeit der Einsatzgruppe H und das Umfeld, in dem sie wirkte, im Vordergrund. Um die Untersuchung nicht unnötig in die Länge zu ziehen, können einige Aspekte hingegen nur am Rande behandelt werden. So ist es etwa nicht Ziel der hier vorliegenden Arbeit, den militärischen Verlauf des Aufstands oder die allgemeine Entwicklung im slowakischen Staat eingehend zu analysieren. In dieser Hinsicht kann die Studie keinesfalls den Anspruch einer detaillierten Darstellung erfüllen, da eine solche den Rahmen der Arbeit deutlich sprengen würde. Thematisiert werden hier demzufolge vielmehr nur solche Bereiche und Fragen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit der Einsatzgruppe H stehen oder zu interpretieren sind.
Der zweite Teil der Arbeit ist dem Personal der Einsatzgruppe H gewidmet. Der Grundgedanke, der sich durch die ganze Studie zieht, war der, dass es sich bei diesem Personal nicht um eine anonyme Masse handelte, sondern dass es konkrete Menschen mit Namen und eigenen Lebensgeschichten waren. Bei der hier beabsichtigten ausführlichen Behandlung der Einsatzgruppe H erschien es deshalb vor diesem Hintergrund als unbedingt notwendig, sich ebenfalls mit ihren Angehörigen näher zu befassen und diese vor allem zu benennen. Im ersten Kapitel wird ein kurzer allgemeiner Überblick über die Täter der NS-Zeit geboten, indem anhand der Erkenntnisse der neueren Täterforschung bestimmte Tätertypen, mögliche Motive sowie verschiedene Interpretationsmuster dargelegt werden. Danach wird das Führungspersonal der Einsatzgruppe H vorgestellt. Es werden die Lebenswege des Chefs und der 13 Kommandoführer aus der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit geschildert und gemeinsame Merkmale hervorgehoben. Im dritten Kapitel wird mittels sozialstruktureller Untersuchungen das Profil der SS-Führer präsentiert, das anhand der Daten von 100 Angehörigen der Einsatzgruppe H mit dem Dienstgrad des Untersturmführers aufwärts erstellt wurde. Eine vergleichbare Analyse für die niedrigeren Dienstränge bietet das nächste Kapitel, wobei jedoch in diesem Fall das Sample auf Grund fehlender Quellen lediglich aus 50 Mann bestand und deshalb vielmehr als Trend zu interpretieren ist. Zum Schluss folgen noch Kurzbiographien von vier ausgewählten Unterführern der Einsatzgruppe, die in verschiedenen Funktionen direkt an der Judenvernichtung in Osteuropa beteiligt waren.
Im letzten Teil wird die strafrechtliche Ahndung der Angehörigen der Einsatzgruppe H in der Nachkriegszeit eingehend untersucht. Um diese richtig einordnen und bewerten zu können, erwies es sich als nötig, ebenfalls das entsprechende Umfeld zu skizzieren, das heißt den Verlauf der Strafverfolgung von NS-Verbrechen in den einzelnen Ländern zumindest in Grundzügen zu beschreiben. Im ersten Kapitel wird so die tschechoslowakische Volksgerichtsbarkeit in den Jahren 1945 bis 1948 behandelt. Es werden unter anderem konkrete Fälle von verurteilten Angehörigen der Einsatzgruppe H angeführt und am Rande auch solche Verfahren erwähnt, bei denen es letztendlich zu keinem rechtskräftigen Urteil kam. Im zweiten Kapitel wird ein detailliertes Bild der Situation in der Bundesrepublik geboten, wobei zunächst die allgemeine Entwicklung auf dem Gebiet der Strafverfolgung und die wichtigsten Prozesse gegen Angehörige anderer Einsatzgruppen geschildert werden. Anschließend folgen eine nähere Beschreibung des einzigen Urteils zur Einsatzgruppe H sowie insbesondere eine Darstellung der übrigen durch die Staatsanwaltschaften eingestellten Verfahren. Kurz angesprochen werden hier zudem Urteile gegen Angehörige der Einsatzgruppe H, die vor bundesdeutschen Gerichten in anderen Ermittlungszusammenhängen gefällt wurden, also nicht das Geschehen in der Slowakei zum Gegenstand hatten. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in Österreich, Polen, Jugoslawien und Frankreich, wo ein Urteil zur Einsatzgruppe H erfolgte bzw. wo vier Kommandoführer wegen außerhalb der Slowakei begangener Verbrechen verurteilt und hingerichtet wurden.
Die wichtigsten im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse werden in Schlussbetrachtungen zusammengefasst dargestellt. Im Anhang finden sich unter anderem die Listen von 100 SS-Führern der Einsatzgruppe H sowie von weiteren 50 Angehörigen mit niedrigeren Diensträngen, zu denen die oben erwähnten Analysen durchgeführt wurden. Neben den vollen Namen sind in diesen Listen das Geburtsdatum, der Dienstrang und die Verwendung in der Einsatzgruppe H verzeichnet. Wie bereits angedeutet, war es hier eines der vorrangigen Ziele, die Angehörigen der Einsatzgruppe H zu ermitteln und zu benennen. Sie wurden als konkrete Menschen angesehen und sollen als solche in der vorliegenden Studie auch betrachtet werden. Eine Geschichte der Einsatzgruppe H ohne Nennung ihrer Mitglieder wäre ohne Zweifel unvollständig. Weiter befindet sich im Anhang ein Verzeichnis, in dem alle in der Arbeit erwähnten Orte in der Slowakei mit ihren slowakischen und deutschen Namen vermerkt sind. Im Text wurden, außer in Zitaten, ausschließlich die slowakischen Namen benutzt. Bei weiteren Orten fanden grundsätzlich die in den einschlägigen Quellen enthaltenen Bezeichnungen Verwendung.
Zuletzt sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass in der ganzen Arbeit einfachheitshalber die Bezeichnung „Einsatzgruppe H“ bzw. „EG H“ benutzt wird, auch wenn diese mit Wirkung vom 15. November 1944 offiziell in die Dienststelle eines Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) umgewandelt wurde. Nur bei den angeführten Zitaten, die durchgehend in ihrer Originalfassung wiedergegeben sind, wurde das Kürzel „BdS“ belassen. Fremdsprachige Quellen- und Literaturzitate wurden, soweit nicht anders angemerkt, von der Verfasserin ins Deutsche übersetzt.