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Kapitel I – Wahrheit

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Jefferson City, Missouri

Der Tag, der alles veränderte, war ein Tag im Sommer des Jahres 1856. Zusammen mit einigen Jungs trieb ich mich nach der Schule in der Nähe des damals noch jungen Städtchens am Ufer des Missouri herum.

Wie so oft vertrieben wir uns die Zeit damit, mit unseren Slingshots1 Ratten und andere kleine Nager zu jagen. Während die Anderen ein Kaninchen aufgestöbert hatten und nun fleißig und lautstark versuchten, es zu treffen, saß ich am Rande des Wassers, stocherte mit einem Stock im Schlamm und dachte über das nach, was wir an jenem Tag im Unterricht gehört hatten.

Die deutschstämmige Lehrerin Mrs. Smith, die eigentlich „Schmidt“ hieß, hatte ein neues Thema begonnen – Indianer! Die noch junge Geschichte der amerikanischen Nation sei unteilbar und in besonderer Art und Weise mit den Stämmen der Ureinwohner des Kontinents verbunden, sagte sie. Daher betrachte sie es als besonders wichtig, auch deren Schicksale näher zu beleuchten.

Also hatten wir über die Indianerstämme gesprochen, die früher auch hier, im Gebiet des Staates Missouri, gelebt hatten und nun noch weiter nach Westen ausgewichen waren. Mrs. Smith hatte viele interessante Dinge über die Indianer berichtet.

Wenn man es ehrlich betrachte, meinte sie, habe man die Ureinwohner nach und nach immer weiter nach Westen verdrängt. Wo sich der Indianer das nicht habe gefallen lassen, sei man rücksichtslos gegen ihn vorgegangen. Der Weiße Mann habe sich das Recht herausgenommen, überall im Indianerland seine Siedlungen zu errichten, Farmen anzulegen, nach Bodenschätzen zu schürfen und damit die Indianer immer wieder zu zwingen, auf ihre angestammten Rechte und Teile ihres Landes zu verzichten.

Auf dem Weg zum Fluss hatten wir über diese Ansichten unserer Lehrerin gesprochen. Die Anderen hielten es mit der Meinung Ihrer Eltern; es sei ja nun einmal so, dass Amerika genug Platz für alle biete. Wo Land nicht bestellt werde, Bodenschätze nicht gehoben oder Tiere nicht bejagt würden, sei es doch des Weißen gutes Recht, dieses zu tun. Wenn die Rothäute das nicht dulden wollten, müssten sie eben weichen.

Ich war mir da nicht so sicher. Wer gab uns denn das Recht, uns einfach zu nehmen, was der Indianer seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden sein Eigen nannte? Und auch wenn er dem Weißen Mann zunächst freundlich begegnete und ein friedliches Miteinander anstrebte, konnten wir doch daraus keine Ansprüche ableiten. Das war so ungefähr, was ich damals darüber dachte.

Ich hatte also, wie so oft, eine andere Meinung, als meine Kameraden. In der letzten Zeit war es häufig so gewesen, dass ich mich absonderte und über Dinge, die ich gehört oder gelesen hatte, nachdachte. Oft wurde ich damit aufgezogen, wieder einmal den Philosophen zu geben. Einer meiner Kameraden hatte mir schon den Spitznamen Diogenes verpasst, in Anlehnung an den griechischen Philosophen in der Tonne.

Vermutlich gaben sie sich nur noch mir ab, weil ich mit der Slingshot immer das Ziel traf. Nun, ich war wohl anders, als die anderen Jungs meines Alters, aber es machte mir nichts aus.

An diesem Nachmittag kreisten meine Gedanken also noch länger um die Ungerechtigkeiten gegenüber den Ureinwohnern Amerikas, wobei ich allerdings zugestehen muss, dass mich das Problem zuvor nicht sonderlich beschäftigt hatte.

Wir waren ja nur junge Menschen, die in diesem neuen Land aufwuchsen und die ihre Welt eben nicht in Frage stellten. Lediglich wenn, so wie heute unsere Lehrerin, jemand über den Roten Mann sprach, beschäftigten mich diese Dinge. Doch als ich am jenem Abend nach Hause kam, sollte sich das schlagartig ändern.

Nach Hause? – Nun, ich wohnte bei meinem Ziehvater –einem Mann namens Jonathan Wallace. Dieser war Bankier, dessen eigenes Bankhaus sich auf der Firestreet in Jefferson City befand.

Er war ein Verwandter, der mich nach dem Tode meines Vaters zu sich genommen hatte. So hatte ich jedenfalls bis heute geglaubt. Obwohl ich keine Erinnerung an meine Eltern hatte, hatte er nie versucht, den Eindruck zu erwecken, mein wirklicher Vater zu sein. Was meine Mutter betraf, dachte ich, dass sie meinen Vater und mich nach meiner Geburt verlassen hatte, um ein Leben in einer der großen Städte im Osten zu führen.

Bei Mr. Wallace hatte ich es immer gutgehabt, dennoch fühlte ich mich manchmal fehl am Platze. Er war alleinstehend und beschäftigte eine Haushälterin und anderes Personal, welches ihm Haus und Hof führte. Die Haushälterin, Mrs. Pittney, sollte sich neben ihren häuslichen Pflichten auch um mich kümmern und so war sie für mich so etwas wie ein Mutterersatz. Doch genau wie Mr. Wallace war auch sie eben nur das, … ein Ersatz. Obwohl beide sich wirklich Mühe gaben, spürte ich instinktiv das etwas fehlte --- nämlich das Gefühl von Familie.

An diesem Abend benahm Mrs. Pittney sich anders als sonst. Als sie mir die Tür öffnete, um mich einzulassen, schaute sie mich kaum an und war ganz in Gedanken versunken. Sonst schimpfte sie mich eigentlich immer aus, weil meine Stiefel schmutzig waren, ich unpünktlich war oder sonst irgendeine ungeschriebene Hausregel verletzt hatte. Sie meinte das zwar nie im Ernst, doch legte sie eben Wert auf bestimmte Regeln, was ja auch in Ordnung war.

Diesmal blieb ich jedoch von diesen Regeln verschont. Mit kaum zu deutender Miene, sagte sie mir nur, dass ich um sieben Uhr zum Abendessen erscheinen solle. Mr. Wallace sei auch schon zu Hause und wünsche heute mit mir gemeinsam zu speisen.

Dies war nicht zwar ungewöhnlich, aber auch nicht unbedingt die Regel. Mr. Wallace saß oft noch des Abends im Bankhaus über den Büchern. Die Aufforderung zum gemeinsamen Abendessen fiel mir aber nur auf, weil sie von Mrs. Pittney so betont wurde.

So wusch ich mir also zunächst die Hände und kämmte mir widerwillig das Haar, um zivilisiert, wie Mrs. Pittney sich ausdrückte, zum Abendessen zu erscheinen. Sie stand daneben und überwachte meine Bemühungen. Seit einiger Zeit ließ ich es mir nicht mehr gefallen, dass sie das Kämmen übernahm. Sie war darüber zwar nicht glücklich, aber es kam mir für den jungen Mann, als den ich mich inzwischen sah, albern vor.

Mr. Wallace saß bereits am Kopfende des langen Tisches und wartete auf mich. Als ich hereinkam, stand er nicht wie sonst auf, um meinen Stuhl am Tisch zurecht zu rücken und schon einige Fragen zu meinen Tageserlebnissen zu stellen. Er blieb dagegen sitzen und schaute abwesend aus dem Fenster. Anscheinend bemerkte er gar nicht, dass ich den Raum betreten hatte.

Ich ging also einige Schritte auf meinen Platz zu seiner Linken zu und endlich war er doch aufmerksam geworden.

„Junge“, sagte er, „schön, dass du kommst. Wie war dein Tag?“

„Gut!“, antwortete ich. „War mit den anderen Jungs am Fluss, haben Nager gejagt!“

„Und? Erfolg gehabt?“, fragte er.

„Hmh, einige von uns müssen wohl noch viel üben.“

„Nun, ich denke, das ist kein Beinbruch. Meister fallen eben nicht vom Himmel!“

Er lachte und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Meine Anstrengungen, zivilisiert zu erscheinen, waren damit zunichtegemacht.

Ich spürte, wie meine innere Anspannung nachließ, war ich doch zunächst auf der Hut gewesen, weil Mrs. Pittneys und auch Mr. Wallace‘ Verhalten so auffällig anders gewesen war. Es war wohl doch nur Einbildung gewesen.

Tom, der dunkelhäutige Diener, trug das Essen auf und Mr. Wallace fragte nach dem Unterricht und nach Mrs. Smith, der Lehrerin. Ich erzählte ihm von dem, was sie heute über die Indianer gesagt hatte. Dies tat ich, weil ich wusste, dass er viel lieber etwas über Mrs. Smith selbst erfahren hätte, wusste ich doch, dass er sie heimlich verehrte.

Sie war mit ihrem Mann aus Deutschland in die neue Welt gekommen. Wie all die anderen Auswanderer auch, hatten sie sich, in Ellis Island - New York - registrieren lassen und dort den Namen „Smith“ verpasst bekommen. Das deutsche „Schmidt“ wollte dem Beamten der Einwanderungsbehörde wohl nicht über die Lippen oder auf das Formular.

Auf dem Treck vom Osten nach Jefferson City hatte Mrs. Smith ihren Mann während eines Scharmützels mit einigen Kriegern der Osagen verloren. Bei der Begegnung mit den Indianern hatte einer der Scouts, die den Treck führten, die Nerven verloren, einen der Krieger angegriffen und verletzt. Bevor der Anführer der Osagen es verhindern konnte, hatte ein anderer der Krieger einen Pfeil abgeschossen, den Scout aber verfehlt und den dahinter haltenden Mr. Smith getroffen.

Trotz der Hilfe des Anführers der Osagen, erlag Mr. Smith seinen Verletzungen. All dies hatte sich vor ungefähr einem Jahr ereignet und es schickte sich einfach nicht, der Witwe schon jetzt „den Hof zu machen“. Also blieb Mr. Wallace zurückhaltend und wartete ab.

Jetzt versuchte er aber nicht, wie es sonst üblich war, mehr über Mrs. Smith zu hören, sondern folgte meinen Ausführungen über die Indianer. Als ich geendet hatte, nickte er vielsagend und schaute mich durchdringend an.

„Und was hältst du davon?“, fragte er mich. Ich gab zurück:

„Was soll ich sagen? Ich meine, dass wir uns hier auf dem Gebiet der Indianer breitgemacht haben, ohne erst um Erlaubnis zu bitten. Anfangs kamen ein paar Farmer, in denen die meisten Stämme wohl keine Feinde gesehen haben. Jetzt kommen immer mehr Weiße aus dem Osten und breiten sich aus. Wenn der Indianer sich beschwert, wird Ihm ewiger Friede angeboten, wenn sie sich in einem bestimmten Territorium aufhalten und ihr bisheriges Land für billigen Tand oder kleinste Geldsummen abtreten. Wehren Sie sich, so werden sie mit Gewalt vertrieben. Ich denke nicht, dass das gerecht ist.“

Wallace antwortete:

„Zumal dieser ewige Friede meist nur kurze Zeit hält. Bis der Weiße glaubt, er könne auch das nächste Stück Land besser nutzen als der Wilde. Dann zwingt man die Roten zu neuen Verhandlungen und drängt sie noch weiter zurück. Du hast recht, Junge; Gerecht ist das bei Gott nicht!“

„Warum fragst du so, Onkel?“ ... dies war meine übliche Anrede für Mr. Wallace.

„Nun, ich denke, ich muss mit dir über deine Familie und deine Herkunft reden! Du scheinst mir alt genug zu sein, um die Zusammenhänge zu verstehen.“

„Was für Zusammenhänge und was hat meine Familie mit deiner Frage nach den Indianern zu tun?“

„Hmh,“ machte er, „du bekommst jetzt Antworten auf diese Fragen, auch auf jene, welche du bisher gar nicht gestellt hast, die du aber wohl bald stellen würdest.

Ich möchte zunächst, dass du weißt, dass du für mich wie ein Sohn bist und dass ich hoffe, dass diese Antworten an unserem Verhältnis nichts verändern. Es wird Zeit reinen Tisch zu machen!“

Reinen Tisch? Muss ich mir Sorgen machen? Ich möchte lieber gar nichts hören, wenn du so etwas sagst.“

„Nun, so müssen wir es darauf ankommen lassen. Ich kann diese Geschichte nicht ewig verheimlichen und ich möchte mir später nicht vorwerfen müssen, dich zu lange im Unklaren gelassen zu haben. Ich möchte also, dass du mir jetzt genau zuhörst und mich nicht unterbrichst. Du kannst nachher Fragen stellen, wenn du das willst, in Ordnung?“

„Wenn es sein muss?“, gab ich zurück, obwohl ich jetzt doch neugierig geworden war.

Also erzählte er die Geschichte meiner Familie, soweit sie ihm bekannt war. Ich konnte erst gar nicht glauben, was ich da zu hören bekam, stellte es doch meine ganze bisherige Welt auf den Kopf. Ich gebe die Geschichte hier so wieder, wie Mr. Wallace sie mir an jenem Abend erzählte.

Er begann mit einem Indianer vom Stamme der Moqui2, die im nordöstlichen Arizona lebten und den Pueblo-Indianern zuzurechnen waren. Dieser Indianer war bei seinem Stamm ein heiliger Mann, also in etwa das, was man allgemein, auch bei den meisten Indianer-Stämmen, Medizinmann nannte.

Er hatte großen Einfluss auf sein Volk, den größten aber wohl innerhalb des Pueblodorfes in dem er lebte. Die Moqui lebten in einer Gemeinschaft, die aus fünfundzwanzig Dörfern bestand. Jener Stamm war nicht als sonderlich kriegerisch bekannt. Weiße Methodisten, Baptisten aber auch Mormonen und andere Scharlatane versuchten, die Moqui zu missionieren.

Weil Ikwehtsi'pa3, so hieß der Indianer, großen Einfluss auf sein Volk hatte, wurde er mehrfach Hauptziel solcher Bekehrungsversuche. Diese blieben aber alle fruchtlos - bis zu dem Tag, an dem er auf einer seiner Wanderungen in die Berge ging, um dort innere Einkehr zu finden und er einem Weißen das Leben rettete.

Diesem Weißen war an jenem Tag das Pferd durchgegangen. Er hatte den Halt verloren, war vom Pferd gefallen, wobei sein linker Fuß noch im Steigbügel feststeckte. So wurde er von dem Tier mitgeschleift. Das nicht mehr auf Zurufe reagierende Pferd sprengte auf den Rand einer Seitenschlucht des Grand Canyons zu, drohte darüber hinauszuschießen und seinen Reiter mit in die Tiefe zu reißen.

Ikwehtsi'pa erkannte die Lage schnell. Er trug eine von diesen alten einschüssigen Kentucky-Rifles, die bereits geladen war. Er steckte noch das Zündhütchen auf und legte auf das Pferd an. Sein Schuss traf das arme Tier durch die linke Flanke ins Herz. Es machte noch einige Sprünge weiter auf die Schlucht zu, brach dann aber doch kurz vor dem Abgrund zusammen.

Es begrub den Reiter halb unter sich, so dass die Befreiung des Mannes schwere Arbeit für Ikwehtsi'pa war. Der Weiße hatte nur leichte aber doch schmerzhafte Verletzungen davongetragen. So hatte er einige Prellungen erlitten und sein Fußgelenk war ausgerenkt worden.

Als Ikwehtsi'pa Anstalten machte, das Gelenk wieder einzurenken, bemächtigte sich des Mannes eine Ohnmacht, wegen der nun noch schlimmeren Schmerzen. Die sofortige Behandlung war aber dennoch notwendig gewesen, wenn der Reiter keine bleibenden Behinderungen behalten sollte.

Ikwehtsi'pa trug den Weißen den weiten Weg zu seinem Dorf und in sein Pueblo, um sich dessen Heilung anzunehmen. Der Mann erholte sich schnell unter den aufmerksamen Augen und Händen des Medizinmannes. Dieser Weiße hieß Martin Wagner und war ein Deutscher. Martin blieb länger bei den Moqui, als zu seiner Genesung notwendig gewesen wäre. Er erzählte Ikwehtsi'pa nach und nach seine eigene Geschichte.

In seiner Heimat war er zur Zeit der politischen Gärung als „Demokrat“ gegen die Restauratoren um den Fürsten Metternich offen auf dem sogenannten Hambacher Fest aufgetreten. Hier hatten die Oppositionellen im zersplitterten Deutschland getagt. Diese offene Opposition gegen die Mächtigen im Deutschen Bund betrieb er als Vertreter der katholischen Kirche, nämlich als Berater seines Bischofs. Darüber war er bei jenem Bischof in Ungnade gefallen und sollte deshalb das Bistum, oder noch besser gleich den Deutschen Bund, wie von der Kurie gefordert, verlassen. So wurde er in die Vereinigten Staaten geschickt, um hier die Wilden zu missionieren.

Zunächst war er in Michigan zu den Ojibwa4 gekommen. Die brutalen Methoden der Missionare waren ihm aber schon nach kurzer Zeit ein Gräuel. Briefe an seinen Bischof vermochten nichts an der Situation zu verändern. Dies veranlasste ihn letztlich, der Kirche den Rücken zu kehren und nach St. Louis zu gehen, um sich dort Arbeit zu suchen.

Solche war schnell gefunden – im Auftrag eines Pelzhändlers schloss er sich einigen Traders5 an, die von einem Scout auf dem Santa Fé-Trail, durch das Indianerland geleitet wurden. Sie wollten am Ende des Trails ihre Waren in Nuevo-Mexico und Texas an den Mann bringen.

Zwei Monate war der Treck unterwegs gewesen und zuletzt hatte man den Handelsposten Santa Fé aufgesucht. Als man diesen wieder verließ, um den Rückweg unter die Hufe zu nehmen, wurden die Pelzhändler kurz darauf von Capote-Utah angegriffen und aufgerieben. Martin äußerte die Vermutung, dass er den Utah als einziger entkommen war. Er streifte also hungernd allein durch die Berge und Täler und war dabei zu guter Letzt auf Ikwehtsi'pa gestoßen.

Warum sein Pferd durchgegangen war, wusste er nicht mehr. Er hatte einige Tage kein Wild mehr schießen können, weil ihm die Munition ausgegangen war und so war er kurz vor dem Verschmachten gewesen.

Zwischen Ikwehtsi'pa und Martin entwickelte sich eine tiefe Freundschaft und mehr und mehr übernahm der Indianer die Anschauungen seines weißen Freundes. Jenem kam es gar nicht darauf an, zu missionieren. Er gab einfach in seinem Verhalten und in den Gesprächen ein gutes Beispiel eines Christenmenschen im besten Wortsinne ab.

Waren alle bisherigen Versuche spanischer Missionare an Ikwehtsi'pa und den Seinen gescheitert, fand hier eine „schleichende“ Christianisierung statt, die umso tiefer und überzeugender wirkte, als dass sie nicht aufgezwungen wurde.

Ikwehtsi'pa entwickelte eine solche Überzeugung und einen tiefen Glauben an Gott, dass er Christ wurde. Als Martin die Moqui wieder verließ, hatte er mehr als nur eine Saat gepflanzt, hier ging bereits eine ganze Ernte auf. Indem er Ikwehtsi'pa zu einem Christen werden ließ, hatte er einen Streiter für die Gerechtigkeit und Güte in die indianische Wildnis gepflanzt, wie es keinen zweiten geben würde.

Ikwehtsi'pa wanderte in den folgenden Jahren, in der Begleitung seiner beiden Schwestern Tehua6 und Tokbela7 zu den Stämmen und den weißen und mexikanischen Siedlern, um dort Gerechtigkeit und das Christentum zu predigen. Bald war er im gesamten Südwesten der späteren Staaten als Padre Diterico oder Bruder Derrick bekannt. Denn den Namen Derrick hatte er sich selbst als christlichen Vornamen gegeben.

Hier unterbrach ich die Erzählung und fragte:

„Was willst du mir mit dieser Geschichte sagen? Was geht mich dieser Ikwehtsi'pa an?“

„Geduld, Leo! Du wirst gleich noch sehen, warum ich dir das alles erzähle!“

Er fuhr also mit der Erzählung fort und so vernahm ich das Folgende:

Eines Tages verschlug es die drei indianischen Geschwister nach Santa Fé, wo der Padre Diterico als Prediger auftrat. Tehua traf dort den Tuchhändler Bender aus Boston und verliebte sich in ihn. Als Derrick später beschloss, sich das Wissen und die Kenntnisse eines Weißen anzueignen, um als Prediger auch in anderen Teilen Nordamerikas ernst genommen zu werden, ging er zusammen mit seinen Schwestern, die die christlichen Namen Emily und Ellen angenommen hatten, an die Ostküste nach Boston, um dort an einem College zu studieren.

Emily-Tehua traf dort Edward Bender wieder und die beiden beschlossen zu heiraten, doch zuvor sollte die Indianerin die Umgangsformen einer weißen Frau erlernen. Zu diesem Zweck kam sie mit ihrer Schwester Ellen-Tokbela in eine Pension, wo Bender sie regelmäßig besuchte.

Noch vor der Hochzeit, die knapp ein Jahr später stattfand, brachte Emily einen Sohn zur Welt. Ein Jahr nach der Trauung bekamen sie ein weiteres Kind. Die Kinder trugen die Namen Leo und Fred. Es handelte sich, wie Mr. Wallace an dieser Stelle betonte, --- um meinen kleineren Bruder und mich selbst.

Hier erfuhr ich also nun, dass ich ein Halbblut war, der Sohn einer Moqui und eines Yankees aus Boston. Da ich an meine Eltern selbst keine Erinnerungen hatte - ich war kaum drei Jahre alt, als sich die im Weiteren beschriebenen Ereignisse zutrugen - hatte man mich bisher glauben gemacht, dass mein Vater, wie Mr. Smith, bei einem Indianerüberfall auf dem Treck in den Westen umgekommen sei und Mr. Wallace, als einziger erwachsener Überlebender dieses Trecks, mich adoptiert hatte.

Ebenso bekam ich nun zu hören, dass ich einen jüngeren Bruder - Fred - hatte. Wie ich aber gleich erfahren sollte, war der derzeitige Aufenthalt meines Bruders nicht bekannt. Nicht einmal wusste irgendjemand, ob er überhaupt noch am Leben war.

Es ist wohl leicht, sich vorzustellen, dass ich durch diese Eröffnungen meines Ziehvaters wie „vor den Kopf geschlagen“ war. Dies mochte auch er einsehen und so unterbrach er seinen Bericht an dieser Stelle und fragte mich, wie es mir gehe und ob er weitersprechen solle.

Ich schaute ihn nur an und stammelte:

„Wie konntest du -- mir das --- all die Jahre --- verschweigen?“

Er antwortete nicht direkt, sondern meinte, ich solle mir nun auch noch den Rest der Geschichte anhören, dann würde ich vielleicht verstehen und ihm, wie er hoffte, vergeben können.

Die Arme auf den Tisch gestützt und die Hände vor der Stirn geballt saß ich da und fühlte mich wie im freien Fall. Da ich nicht wusste, wie ich meine aufwallenden Gefühle in Worte fassen sollte, schwieg ich nur.

Er fasste dies als Aufforderung auf, mit der Geschichte fortzufahren.

Mit ihren Geschwistern Ellen und Derrick lebte meine Mutter Emily jetzt im Haushalt meines Vaters, des Tuchhändlers Bender. Zu dieser Zeit ging dort auch ein Stiefbruder meines Vaters, ein gewisser John Bender, ein und aus. Er arbeitete auch in dem Handel meines Vaters.

Er trug damals den Namen seines Stiefvaters –Bender- und den Vornamen nach einem verstorbenen Erstgeborenen des Stiefvaters. Eigentlich hieß er Daniel (oder auch Dan) Etters. Zur damaligen Zeit wurde er aber immer nur John Bender genannt. John begehrte meine Mutter und wollte sie meinem Vater abspenstig machen.

Meine Mutter wies den Nebenbuhler ab, was ihn neidisch und missgünstig gegen meinen Vater werden ließ. In der Folgezeit brachte er des Öfteren seinen Kumpan, einen Mann namens Lothair Thibaut, mit in das Haus meines Vaters. Thibaut bandelte mit meiner Tante Ellen (oder Tokbela) an und sie verliebte sich in ihn.

Später fand mein Vater heraus, dass jener Thibaut ein Trickbetrüger und Falschmünzer war und verwies ihn darum des Hauses. Etters und Thibaut verließen daraufhin das Geschäft und den Haushalt meines Vaters, wobei Etters ihm bittere Rache zuschwor.

Auf Betreiben Etters‘, war es für Thibaut ein leichtes, Dokumente zu fälschen und meinen Eltern und Derrick Beweise für Falschmünzerei unterzuschieben.

Die beiden Schurken zeigten meine Eltern und Derrick danach selbst an. Sie hatten die vermeintlichen Beweise so geschickt platziert, dass alle drei tatsächlich angeklagt und zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt wurden.

Das Geschäft wurde von Etters weitergeführt. Mein Vater hatte dies nicht verhindern können. Fred und ich kamen zu unserer Tante Ellen, die sich um uns kümmerte, als wären wir ihre eigenen Kinder.

Wir wohnten wieder in jener Pension, in der meine Mutter und Ellen vor der Heirat untergebracht waren. Thibaut machte sich wieder an meine Tante heran und diese versprach nun, ihn zu heiraten, wenn er meine Eltern befreite. Also bestach er, zusammen mit Etters, einen Gefängniswärter, welcher mit Derrick floh.

Dieser Wärter war --- Mr. Wallace, der damals noch Beckett hieß. Er hatte mit dem Häftling gemeinsam fliehen müssen, weil es ihm nicht gelungen war, die Flucht so einzurichten, dass kein Verdacht auf ihn fallen konnte.

Jetzt schaute ich auf, … was hatte Mr. Wallace da gerade gesagt? Er war der bestochene Gefängniswärter?

„Warum hast du nicht auch meine Eltern befreit? Warum nur Derrick?“, fragte ich erregt.

Er antwortete:

„Ich wusste zunächst gar nichts über deine Eltern. Und selbst wenn ich über sie Bescheid gewusst hätte, wäre es mir nicht möglich gewesen, auch sie zu befreien. Deine Mutter war in einem gesonderten Trakt für weibliche Gefangene untergebracht und dein Vater befand sich in einem anderen Gebäudeteil. Dort war ich nicht eingeteilt.“

„Aber du weißt, was aus ihnen geworden ist, oder? Du musst es wissen!“, rief ich flehentlich.

Er sah mich mit unergründlichem Blick an und bat mich, mit seiner Erzählung fortfahren zu dürfen, ich würde dann alles erfahren. Also nickte ich und setzte mich wieder wie zuvor an den Tisch und hörte angespannt zu.

Etters und Thibaut war es allein darauf angekommen, Derrick befreien zu lassen, weil Etters wusste, dass Derrick einige Goldfundstellen kannte. Sie wollten also über ihn an Gold kommen.

Als Derrick zusammen mit dem späteren Mr. Wallace floh, nahm er meine Tante Ellen und uns Kinder mit. Ziel der Flucht war Taos, damals noch auf mexikanischem Territorium, wo er uns unter dem Schutz Mr. Wallace‘ zurückließ. Er selbst ging noch weiter in die Felsenberge, um Gold zu holen. Damit wollte er seinen Retter belohnen und dann auch meine Eltern befreien.

Mr. Wallace ahnte nicht, dass Derrick ihn für seine Rettung belohnen wollte. Er gestand also dem „Geretteten“, dass er bestochen worden sei, um ihn zu befreien. Er sagte Derrick, dass Etters und Thibaut ihm erzählt hätten, sie seien von der Unschuld des als Padre Diterico bekannten indianischen Predigers überzeugt, könnten aber keine Beweise für dessen Unschuld erbringen. Daher hätten sie sich entschieden, zu versuchen, den Prediger auf diesem Wege frei zu bekommen.

Mr. Wallace hatte die Geschichte über den „Padre“ so überzeugend gefunden, dass er Etters und Thibaut geglaubt und sich zunächst nichts dabei gedacht hatte, an der Befreiung eines solchen Mannes mitzuwirken.

Schließlich hatte er Derrick ja in der Haft kennengelernt und so erschien es ihm nur allzu plausibel, dass es sich hier um einen Justizirrtum handeln konnte. Später seien ihm aber doch Zweifel gekommen, weil er Geld genommen hatte und weil dieser Umstand ihm ins Gewissen biss.

Derrick hatte auf dieses Geständnis nur erwidert, dass er die Zusammenhänge schon geahnt habe. Da Mr. Wallace das Bestechungsgeld nicht mehr haben wollte, redete Derrick ihm zu, dass er es behalten solle. Es seien üble Verbrecher und Verleumder gewesen, die ihm dieses angedient hätten und er brauche sich daher wegen des Besitzes nicht zu grämen. Dass er ein ehrlicher Mann sei, habe er soeben durch sein Geständnis bewiesen.

Derrick teilte ihm nun mit, dass er weiter hinauf in das Felsengebirge gehen wolle, um Gold zu holen und möglichst mithilfe desselben auch meine Eltern frei zu bekommen. Mr. Wallace, der jetzt gründlicher über die Zusammenhänge der Bestechung und der Flucht Derricks nachgedacht hatte, bat ihn, nicht in die Berge zu gehen. Er stand zu vermuten, dass die Schurken Derrick auflauern würden, um an das Gold zu kommen. Dies musste der wahre Grund sein, warum Etters und Thibaut nur Derrick hatten frei haben wollen.

Diese Bedenken zerstreute Derrick jedoch. Schließlich könne niemand wissen, wohin Mr. Wallace und er geflohen seien. Daher könnten Etters und Thibaut den von Mr. Wallace vermuteten Plan nicht in die Tat umsetzen.

Dagegen gab es zunächst nichts vorzubringen. Also ließ Derrick uns Kinder und Ellen in Mr. Wallace‘ Obhut und machte sich auf den Weg.

Wie Mr. Wallace später erfuhr, waren Etters und Thibaut uns sehr wohl auf der Spur gewesen, hatten aber bei der Verfolgung einen Zeitverzug durch eine Verletzung des Pferdes Thibauts hinzunehmen, sodass sie nicht rechtzeitig in Taos eintrafen, um Derrick in das Gebirge zu folgen.

Also nahmen sie in unserer Nähe Quartier und Thibaut versuchte erneut, sich an Ellen heran zu machen. Durch geschickte Täuschung brachte er sie soweit, dass sie die gleiche Lügengeschichte zur Befreiung Derricks glaubte, auf die auch Mr. Wallace zunächst hereingefallen war. Also verzieh meine Tante Thibaut die Verleumdung. Einwendungen von Mr. Wallace wollte sie nicht hören.

Derrick war es inzwischen geglückt, mit dem Gold aus dem aus den Felsenbergen nach Boston zurückzureisen. Mithilfe des Goldes hatte er, ebenfalls durch Bestechung eines Wärters, meine Mutter frei bekommen können. Leider war mein Vater inzwischen im Gefängnis verstorben. Genauere Umstände über seinen Tod hatte Derrick nicht in Erfahrung bringen können. Meine Mutter wusste nichts darüber, weil sie während der Haft keinerlei Kontakt zu meinem Vater hatte.

Hier unterbrach ich die Erzählung erneut. Ich war wieder von meinem Platz aufgestanden und zum Fenster gegangen, schaute hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen und sagte:

„Also ist mein Vater wirklich tot, … als Falschmünzer im Gefängnis gestorben. Wegen der Verleumdung durch seinen eigenen Stiefbruder, diesem Dan Etters und seinem sauberen Helfer Thibaut.“

Ich raufte mir die Haare. Dann drehte ich mich zu Mr. Wallace um und fragte:

„Was wurde aus dem Rest meiner Familie? Sind meine Mutter und mein Onkel noch immer auf der Flucht? Durfte ich deshalb keinen Kontakt zu ihnen haben? Aber mein Bruder, Fred …, er und meine Tante waren doch bei dir? Wieso wusste ich bis heute auch von ihnen nichts?“

Wieder dieser unergründliche Blick von Mr. Wallace. Ich rief:

„Nun rede doch schon!“

Er holte tief Luft und setzte die unterbrochene Geschichte meiner Familie fort.

Derrick brachte meine Mutter nun auch nach Taos. Schließlich sollte sie wieder zu ihren Kindern. Sie kamen am Tage der Hochzeit Thibauts und Ellens dort an und platzen in die Trauungszeremonie. Derrick riss seiner Schwester den Kranz vom Kopf, woraufhin Etters und Thibaut über ihn herfielen. Es entspann sich ein Kampf, in dessen Verlauf Derrick Thibaut in den Arm schoss.

Meine Tante hatte sich über die Gefangenschaft ihrer Geschwister gegrämt; sie war krank und schwach dadurch geworden. Durch den Schreck über die plötzlich unterbrochene Trauung und den Schusswechsel erlitt sie einen Zusammenbruch. Sie sprach irr im Fieber, und verfiel dem Wahnsinn. Sie tobte und war nur dann ruhig, wenn sich mein Bruder Fred bei ihr befand, den sie sehr liebte.

Darum wusste Derrick sich nicht anders zu helfen, als seine Schwester einem Arzt anzuvertrauen. Fred musste bei Ellen bleiben, da eine Behandlung der Kranken ohne ihn wohl nicht möglich gewesen wäre. Meine Mutter, Derrick und ich wohnten bei Mr. Wallace. Und alle glaubten, Etters und Thibaut seien verschwunden.

Schließlich ging das Geld zur Neige und Derrick wollte erneut in die Felsenberge gehen, um Gold holen. Meine Mutter begleitete ihn. Ich blieb bei Mr. Wallace. Als nach mehreren Wochen Nachrichten Derricks und meiner Mutter ausblieben, wollte Mr. Wallace nach meiner Tante Ellen sehen und sich bei ihr erkundigen, ob vielleicht Nachricht vorläge.

Als er jedoch bei dem behandelnden Arzt nach ihr fragte, teilte man ihm mit, die Kranke sei von ihrem Ehemann abgeholt worden. Dieser habe Papiere vorgelegt, womit er die Eheschließung mit Ellen Bender habe beweisen können. Sie führe nun, wie er selbst, den Namen „Lassalle“.

Dieser „Lassalle“ war natürlich kein anderer, als der Fälscher Thibaut, der Ellen entführt hatte. Als der Arzt noch berichtete, jener Lassalle sei in Begleitung eines anderen Mannes gewesen, dessen obere Zahnreihe, je rechts und links, auffällige Zahnlücken aufwies, war auch der letzte Zweifel ausgeräumt. Denn bei diesem Mann musste es sich um Dan Etters handeln, der genau solche Zahnlücken hatte.

Mr. Wallace war jetzt überzeugt, dass meine Mutter und Derrick von Etters und Thibaut verfolgt worden waren. Diese Verbrecher hatten sich also seit der unterbrochenen Trauung versteckt gehalten, um auf die Chance zu lauern, doch noch an das ersehnte Gold zu kommen.

Weil meine Mutter und Derrick nicht zurückgekehrt waren, mussten Etters und Thibaut ihr Ziel erreicht und sie getötet haben.

Mr. Wallace selbst war, weil er sich auf die Seite meiner Familie geschlagen hatte, nicht mehr sicher. Er verwischte also alle Spuren, nahm den Namen Wallace an und floh mit mir nach Jefferson City, wo er sein Bankgeschäft gründete. Dazu verwendete er das Gold, welches er von Derrick als Belohnung für die Befreiung aus dem Gefängnis und die Inobhutnahme seiner Neffen erhalten hatte.

Hier endete der Bericht meines Ziehvaters. Ich hatte jedes Wort mit innerer Erregung aufgenommen und wollte noch weitere Details wissen.

Gab es keine Möglichkeit, dass meine Mutter und Derrick noch lebten? Hatte es nie ein Lebenszeichen von Fred und meiner Tante gegeben?

Leider musste Mr. Wallace beide Fragen verneinen. Da er damals jede Spur, die zu uns führen konnte, ausgelöscht hatte, konnte er zwar nicht völlig sicher sein, dass meine Mutter und Derrick nicht doch noch am Leben waren und vielleicht nach mir, Fred und Ellen geforscht hatten. Doch wie die Dinge lagen, musste er annehmen, dass Etters und Thibaut die beiden umgebracht hatten.

Seine eigenen Nachforschungen nach Ellen und meinem Bruder waren auch nicht erfolgreich gewesen. Niemand kannte in Taos Thibaut oder Etters. Niemand, außer dem Arzt Ellens, kannte einen Lassalle. Und so verliefen alle Spuren im Sande. Ich war so erregt, dass ich ihn anschrie:

„Du hast nicht gründlich genug geforscht. Es muss doch irgendwelche Hinweise gegeben haben.“

„Nein, mein Junge!“, antwortete er „Niemand konnte sich erinnern, zwei Männer und eine Frau mit einem einjährigen Knaben gesehen zu haben. Niemand konnte mir sagen, wie sie die Stadt verlassen hatten. Der Arzt hatte sich um die Leute, die seine Patientin abholten, nicht weiter gekümmert, weil er alles in Ordnung fand. Erst später, auf mein Betreiben, zeigte er Thibaut und Etters wegen Entführung an. Es gab keinerlei Spuren.“

„Was war mit meiner Mutter und Derrick? Du hast dich nicht nach ihnen erkundigt? Bist einfach aus Taos verschwunden?“

„Ich habe dir doch gesagt, wie die Sache stand. Etters und Thibaut waren wieder da und nahmen deinen Bruder und Ellen mit sich. Es war klar, dass sie deine Mutter und Derrick gehindert hatten, nach Taos zurückzukehren. Sie waren lange überfällig gewesen. Es musste ihnen etwas zugestoßen sein.“

„Nein, das musste es nicht. Sie waren in die Wildnis gegangen. Du musst doch wissen, dass da immer Dinge geschehen können, die nicht vorherzusehen sind und wodurch man aufgehalten werden kann. Sie waren sicher noch am Leben.“

„Mein Junge, … ich habe selber auch damals daran gedacht, dass ich vielleicht zu überstürzt aufgebrochen bin, aber ich habe dann noch Nachforschungen anstellen lassen. Der Detektiv, den ich anonym beauftragte, nachzuforschen, ob eine Frau namens Emily Bender oder ein Pater Derrick nach Taos zurückgekehrt waren, teilte mir mit, dass er auch drei Monate nach unserem Aufbruch keinerlei Spuren deiner Mutter und ihres Bruders finden konnte. Ich gab dann die Suche auf, weil ich nun sicher war, dass sie tot waren. Alles andere ist vollkommen unwahrscheinlich, Leo.“

„Nein, ist es nicht. Du warst nur zu feige! Du hattest nur Angst um dein eigenes, armseliges Leben. Der bestochene Gefängniswärter Beckett auf der Flucht! Du musstest ja nicht nur Angst vor Etters und Thibaut haben, du wurdest ja wahrscheinlich auch von den Behörden gesucht.“

„Ich kann es dir nicht übelnehmen, dass du mir solche Vorwürfe machst. Aber glaube mir, ich habe alles versucht, deine Mutter und Derrick oder Fred und deine Tante zu finden. Aber nichts!“

Ich konnte ihn nicht mehr ansehen, vor Wut stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich drehte mich also von ihm weg und rannte aus dem Raum, die Treppe hinauf, um mich in meinem Zimmer einzuschließen und niemanden sehen zu müssen. Er versuchte nicht, mich zu hindern.

Meine Gedanken rasten. Ich wusste nicht wohin mit meiner Wut und meiner Trauer. Ich wusste nicht mehr, wer ich war. Meine ganze Welt war ein einziger Scherbenhaufen. Mein Vater war also im Gefängnis als Falschmünzer gestorben. Meine Mutter war eine Moqui und … ich hatte einen Bruder!

Wir waren Halbblute! Mischlinge! Nicht gerade das, was man in Jefferson City haben wollte. Aber das war mir jetzt egal. Meine Gedanken waren wirr. Heute kann ich mich kaum daran erinnern, wie ich mich mit der neuen Situation zurechtfand. Aber nach einigen Tagen, in denen ich mein Zimmer nicht verlassen und kein Wort mit Mr. Wallace oder Mrs. Pittney gesprochen hatte, wurden meine Gedanken klarer.

Ich hatte also einen Bruder. Vielleicht hatte ich auch noch eine Mutter, eine Tante und einen Onkel. Ich musste nach ihnen forschen und ich musste die Männer finden, die meinen Vater auf dem Gewissen hatten. Dan Etters und Lothair Thibaut!

Aber wie sollte ich all dies anfangen? Ich war ja nur ein fünfzehnjähriger junger Kerl. Kein Alter, in dem man allein, einfach so, Nachforschungen anstellen und in die Welt hinausziehen konnte. Schon gar nicht, ohne die notwenigen Kenntnisse und Fertigkeiten. Ich musste also Geduld haben und warten. Irgendwann würde sich die Gelegenheit ergeben, mich auf den Weg zu machen und Nachforschungen anzustellen.

Dazu würde ich zuerst nach Taos gehen, um dort zu versuchen, Anknüpfungspunkte zu finden. So wie die Dinge lagen, waren mir aber zunächst die Hände gebunden. Alles, was ich tun konnte war, Mr. Wallace zu bitten, noch einmal zu versuchen, bei den Personen zu denen er, meine Mutter und Derrick zur damaligen Zeit Kontakt hatten, Informationen einzuholen.

Das nahm ich mir nun fest vor. Aber zunächst musste ich mich wieder in die „Außenwelt“ zurückbegeben und weitermachen. Was blieb mir sonst übrig? Ich ging also die Treppe hinunter zur Küche, wo Mrs. Pittney, vor Freude mich zu sehen, völlig aus dem Häuschen geriet. Sie bot mir als erstes etwas zu essen an. Während ich aß, schaute sie mich mit großen Augen an. Vermutlich fragte sie sich, ob ich böse mit ihr sei, weil sie doch schließlich auch Bescheid gewusst hatte. Wenn sie auch vermutlich nicht alle Details kannte.

Aber ich war ihr nicht böse. Wie auch? Sie war ja in keiner Weise verantwortlich für die Geschehnisse. Vermutlich hatte sie bis vor kurzem gar nichts gewusst. Mr. Wallace hatte sie ja erst eingestellt, als wir in Jefferson angekommen waren. Vorsichtig wie er war, hatte er die wahre Geschichte sicher, bis vor einigen Tagen, niemandem anvertraut. Letztlich hatte er Mrs. Pittney aber doch ins Vertrauen gezogen, sonst hätte sie sich an jenem Abend mir gegenüber nicht so seltsam benommen. Mr. Wallace hatte sie wohl vorwarnen wollen, dass sich mein Verhalten plötzlich ändern könnte.

Nun jedenfalls war ich doch froh, wieder von ihr umsorgt zu werden aber ich war noch nicht so weit, dass ich sie das auch spüren ließ. Doch wie sollte ich ihr weiterhin böse sein, wenn ich das noch nicht einmal Mr. Wallace gegenüber fertig brachte?

Ich hatte ihm im Grunde schon verziehen. Nein, … wenn ich es genau betrachtete, gab es gar nichts zu verzeihen. Er hatte so gehandelt, wie andere es in seiner Situation wohl auch getan hätten. Und er hatte versucht, Nachforschungen anzustellen. Er musste davon ausgehen, dass meine Mutter und Derrick tot waren. Meinen Bruder und meine Tante konnte er nicht ausfindig machen. Etters und Thibaut hatten keine Fährte hinterlassen.

Was mich aber am meisten für Mr. Wallace einnahm, war, dass er sich um mich gekümmert hatte, als wäre ich sein eigenes Kind. Was hatte er denn eigentlich mit mir zu schaffen? Ich war das Kind einer Frau, die er kaum kannte. Auch noch das einer Indianerin. Was auch immer der Grund war, ich war ihm dankbar. Aber das wollte ich vor mir selbst noch nicht wahrhaben, vielmehr wollte ich, dass er noch ein schlechtes Gewissen behielt, weil er mich so lange im Unklaren gelassen hatte.

Also war ich schweigsam und zurückhaltender, als dies sonst der Fall war. Aber Mr. Wallace und Mrs. Pittney beschwerten sich nicht darüber, sie waren wohl einfach nur froh, dass ich mich nicht weiter in meinem Zimmer verkroch.

So verging dann einige Zeit, bis ich wieder normal mit den beiden sprach. Wir vermieden aber zunächst, wieder über meine Familie zu sprechen. Mr. Wallace wird vielleicht gehofft haben, dass ich mich mit der Zeit mit den Geschehnissen abfinden und damit nicht weiter belasten würde, aber damit lag er natürlich falsch.

In all den Wochen, die nun vergingen, beschäftigte ich mich mit Plänen, wie ich die Spuren meiner Angehörigen und die der Verbrecher Etters und Thibaut finden könnte. Mein ganzes Streben ging in diese Richtung.

Äußerlich ließ ich mir davon nicht viel anmerken. Ich besuchte weiterhin den Unterricht bei Mrs. Smith und versuchte, diese möglichst unbefangen über die Indianer und insbesondere die Stämme im Süd-Westen der Staaten auszufragen, weil auch die Moqui zu diesen Stämmen gehörten. Von jenen wusste sie allerdings nicht sehr viel. Sie kannte die meisten größeren Stämme dem Namen nach und konnte diese, einiger Maßen genau, den Gebieten auf der neuen Landkarte, die in unserem Unterrichtsraum aufgehängt worden war, zuordnen.

Diese Karte zeigte das Gebiet der Vereinigten Staaten von Amerika nach dem mexikanisch-amerikanischen Krieg, der 1848, also vor ungefähr acht Jahren, mit dem Vertrag von Guadalupe-Hidalgo zu Ende gegangen war. Das Stammesgebiet der Moqui hatte zu der Zeit, als mein Onkel von dort wegging, noch auf mexikanischem Staatsgebiet gelegen.

Auch wenn ich nicht viel über den Stamm der Moqui in Erfahrung bringen konnte, waren Mrs. Smith‘ Lektionen in Geschichte meine Lieblingsstunden. Hier konnte ich immer wieder Fragen zu den Ureinwohnern, den Indianern, anbringen. Wusste ich doch nun, dass ich selbst ein halber Indianer war.

Leider war das verfügbare „Wissen“ um die Ureinwohner ausschließlich von Weißen geprägt. Die Bücher zur noch jungen Geschichte der Vereinigten Staaten enthielten vieles über jene Stämme im Osten, mit welchen man zusammen in den Reihen der Engländer und Franzosen oder gegen die man gekämpft hatte. Von diesen Stämmen war inzwischen nicht mehr viel übriggeblieben. Sie waren nach und nach verdrängt, getötet oder assimiliert worden.

Was man über diese Stämme wusste, waren Berichte von Seiten der Weißen. Nur wenige waren soweit in den Alltag, die Kultur und die religiösen Anschauungen dieser Indianerstämme eingedrungen, so dass man von „Wissen“ zu diesen Themen kaum sprechen konnte. Solches gab es zwar, es wurde aber damals und teilweise auch heute noch nicht für Wert gehalten, verbreitet zu werden.

Die Siedlungen an der Frontier8, wie das Gebiet an den großen Strömen Mississippi und Missouri genannt wurde, waren noch vergleichsweise jung und ebenso jung wie sporadisch war das Wissen um die Indianerstämme, die westwärts dieser Grenze im Süd-Westen der Staaten, den Great Plains, den Rocky Mountains oder jenseits davon, Richtung Pazifik lebten und umherstreiften.

Die Landkarte und die von Mrs. Smith angedeuteten Kreise mit den Gebieten, dieser noch weitgehend unbekannten Stämme, prägte ich mir umso mehr ein, als ich sonst wenig darüber in Erfahrung bringen konnte.

So kam ich auf die Idee, bei Mother Thick‘s Boarding House am anderen Ende der Straße um einen Job zu bitten. Mr. Wallace hatte nichts dagegen gehabt; er kannte die Wirtin seit Jahren und wusste, dass ich dort in guten Händen war. Er glaubte wohl, dass Arbeit die richtige Ablenkung für mich war. Schließlich konnte er ja nicht wissen, dass ich vor allem dorthin wollte, weil ich hoffte, dort mehr über die Indianer und die Gebiete zu erfahren, in die mich meine „Expedition“ unweigerlich führen musste.

Mother Thick‘s“ beherbergte immer wieder Leute, die von westwärts der Frontier kamen oder im Begriff standen, diese dorthin zu überqueren.

Es wurde da immer eine ganze Menge erzählt und besonders lebhaft und interessant ging es zu, wenn sich Prairiemänner und Jäger dort wiedertrafen. Es wurden dann die neuesten Geschichten aus dem noch reichlich unerforschten und damals noch vom Weißen Mann weitgehend unberührten Indianerland ausgetauscht.

Mrs. Thick war eine rundliche Dame Mitte vierzig, die ihr Schankhaus ordentlich führte und ein Herz für Ihre besonderen Gäste hatte. Allerdings zog ein Wirtshaus hier an der Grenze zum Indianerland auch einiges Gesindel an. Wenn es also mal etwas rauer zuging, stand sie resolut ihren „Mann“ und sorgte schnell für Ruhe. Rowdies mussten außerdem immer damit rechnen, dass Gesellen anwesend waren, die es leicht mit ihnen aufnehmen konnten, so dass sie schnell „den Kürzeren zogen“. So blieb es deshalb meist anheimelnd in der Gaststube.

Ich hatte es also geschafft, eine weitere Informationsquelle zu erschließen. Nach dem Unterricht bei Mrs. Smith ging ich nun immer erst nach Hause, um dort zu essen und gelegentliche Hausaufgaben zu erledigen. Nachmittags, ab fünf Uhr, fand ich mich bei Mrs. Thick ein, um dort auszuhelfen, wo immer gerade eine Hand gebraucht wurde. Da sie mich für meine Arbeit auch gut bezahlte, konnte ich mir ein schönes finanzielles Polster schaffen.

Inzwischen musste ich auf mein Vorhaben zurückkommen, Mr. Wallace zu bitten, noch einmal Nachforschungen zu meiner Familie in Taos zu veranlassen. Vielleicht hatten sich meine Mutter oder Derrick ja doch noch nach unserem Verbleib erkundigt und jemand konnte sich an diese Erkundigungen erinnern.

Dann hätte ich den Beweis, dass sie noch lebten und vielleicht auch einen Anknüpfungspunkt für spätere Nachforschungen nach dem Verbleib der beiden oder dem meines Bruders und meiner Tante.

Als ich also an diesem Abend nach Hause kam, fragte ich Mrs. Pittney gleich, ob Mr. Wallace heute Abend pünktlich sein und das Abendessen mit mir einnehmen würde. Sie bejahte und ich sah ihr an, dass sie sich nun sorgte, ich könnte doch noch Fragen im Hinblick auf meine Familie haben oder sogar weitere Vorwürfe gegen Mr. Wallace erheben. Nun, damit musste sie fertig werden. Ich hatte nicht die Absicht, sie einzuweihen. Zuerst wollte ich sehen, was ich bei Mr. Wallace erreichen konnte.

Als die Zeit des Abendessens gekommen war, begab ich mich also in das Speisezimmer, wo Mr. Wallace schon auf mich wartete. Heute gab er sich wie früher. Er stand sofort auf, rückte meinen Stuhl zurecht und schoss gleich die ersten Fragen nach meinen Tageserlebnissen ab. Ich beschloss, nicht lange mit meinem Anliegen hinterm Berg zu halten. Und so antwortete ich zunächst einsilbig auf seine Fragen.

Als Thomas das Essen aufgetragen hatte, sagte ich rundheraus:

„Ich muss dich um etwas bitten, Onkel!“

Er antwortete:

„Was immer du willst, mein Junge.“

„Nun denn“, gab ich zurück „es hat mit der Wahrheit zu tun, die du mir vor einiger Zeit berichtet hast“.

Ich merkte, wie er hörbar einatmete und sich versteifte, fuhr aber unbeirrt fort.

„Wie du dir sicher schon gedacht hast, habe ich viel über diese Geschichte nachgedacht.“

Er wollte hier schon einhaken, ich unterbrach ihn aber und sprach weiter:

„Ich möchte dir zunächst sagen, dass ich meine Worte an jenem Abend bereue. Ich halte dich weder für einen Feigling, noch werfe ich dir weiterhin vor, zu früh aufgegeben zu haben.“ Ein hörbares Ausatmen … „Ich möchte dir sagen, dass ich dir dankbar bin, für alles was du für mich und meine Familie getan hast. Nichts davon war selbstverständlich.“

Hier machte ich jetzt eine Pause, so dass er aussprach:

„Ich bin froh, dass du so denkst. Du weißt, ich bin für dich da!“

Ich konnte ihm seine Rührung ansehen und er konnte ein Seufzen nur schwer unterdrücken. Daher fuhr ich fort.

„Ich habe nur eine Bitte in dieser Sache, Onkel.“

Er schaute mich jetzt voll an und ahnte wohl, was ich nun fragen wollte.

„Ich möchte, dass du noch ein einziges Mal Nachforschungen in Taos anstellst und versuchst, in Erfahrung zu bringen, ob sich nicht doch noch jemand nach unserem Verbleib dort erkundigt hat.“

Er sagte:

„Das habe ich schon getan, Junge!“

Ich wollte gleich wieder aufbrausen, weil ich annahm, er wollte auf seine Erkundigungen vor nun schon zwölf Jahren hinweisen, aber er winkte ab und machte deutlich, dass ich ihn ausreden lassen solle. Also hörte ich zu und schluckte meinen Ärger hinunter. Er sprach also weiter:

„Gleich nach unserem Gespräch vor einigen Wochen, habe ich jemanden beauftragt, erneut in Taos nach Spuren deiner Familie zu suchen. Der Mann wird voraussichtlich nächste Woche wieder hier sein und mir Bericht erstatten. Er hat mir aus Albuquerque telegraphiert. Die Nachricht kam gestern mit einer Postfracht aus St. Louis.“

Die ersten Telegraphen waren inzwischen in den Staaten in Benutzung. Noch verfügte nicht jedes Nest über die notwenigen Stationen, aber zwischen St. Louis und Albuquerque gab es wohl schon solche Verbindungen.

Ich vergaß vor Aufregung über diese Neuigkeit zunächst, mich bei Mr. Wallace zu bedanken und fragte als erstes:

„Wer hat denn diesen Auftrag angenommen? Hat er schon etwas mitgeteilt? Gibt es eine Spur?“

Er antwortete:

„Eins nach dem anderen, zunächst das dringlichste, … ja es gibt ein Lebenszeichen!“

Ich sprang, ob dieser Neuigkeit, erregt von meinem Stuhl auf, fasste ihn am Arm und fragte:

„Wirklich, wirklich ein Lebenszeichen? Von wem? Von meiner Mutter? So sprich doch endlich!“

„Junge, beruhige dich doch, ich sprach absichtlich von einem Lebenszeichen, nicht von einer Spur. Lass‘ es mich erklären, soweit ich selbst darüber informiert bin. Also der Mann hat herausbekommen, dass eine Indianerin sich gut zwei Jahre nach unserem Weggang aus Taos bei unserem damaligen Vermieter nach uns erkundigt hat. Weil ich aber auch diesem Vermieter nicht gesagt hatte, dass wir weggehen würden und schon gar nicht wohin, lief diese Erkundigung wohl ins Leere. Jedenfalls hat der Vermieter danach niemals mehr etwas von der Indianerin gehört oder gesehen.

Ich mache mir nun noch größere Vorwürfe, nicht schon damals nachhaltiger geforscht zu haben. Vielleicht hätten wir deine Mutter noch finden können. Denn, dass diese Indianerin deine Mutter war, steht bei mir fest.“

„Aber du hast aus deiner Sicht damals alles getan, was zu tun war. Du kannst nichts dafür. Sie ist ja erst sehr lange nach unserem Weggang aus Taos dort aufgetaucht. Du musstest davon ausgehen, dass sie tot war. Das habe ich inzwischen verstanden.“

Nach einer kurzen Pause fuhr ich dennoch aufgeregt fort:

„Und doch ist es jetzt so, dass sie wohl zumindest damals noch lebte und nach uns geforscht hat. Hat der Mann denn noch weiteres in Erfahrung bringen können? Weiß man, wohin sich meine Mutter damals gewendet hat? Gab es Hinweise auf den Aufenthalt meines Bruders? Was war mit meinem Onkel Derrick?“

„Leo, ich kann dir noch nicht alle deine Fragen beantworten. Aber es ist so, dass es wohl einige Tage gedauert hat, diesen Vermieter ausfindig zu machen. Er wohnt längst nicht mehr an der mir bekannten Adresse. Er hat das Haus verkauft und lebt nun außerhalb von Taos auf einem Rancho. Er konnte sich nur noch an die Indianerin erinnern, die sich nach den seltsamen Leuten erkundigt hatte, die eines Tages einfach so über Nacht verschwunden waren. Mehr war aus dieser Quelle nicht herauszuholen.“

„Aber es gibt nun wenigstens Hoffnung, dass meine Mutter noch lebt und vielleicht sogar meinen Bruder gefunden hat. Vielleicht kann ich die beiden und auch meine Tante eines Tages finden, … ich muss unbedingt mit dem Mann sprechen, der in deinem Auftrag in Taos war.“

„Ja, das sollst du auch. Höre dir zunächst mal an, was er noch zu berichten hat. Dann sehen wir weiter!“

„Danke Onkel, danke, dass du noch einmal Erkundigungen eingeholt hast.“

„Das war das Mindeste. Unser Gespräch über deine Familie ließ mich nicht mehr los. Was, wenn ich doch einen Fehler gemacht hätte, indem wir zu früh von Taos fortgingen und ich meinen jetzigen Namen annahm, um keine Hinweise zu hinterlassen? Ich werde mir jetzt immer die Frage stellen müssen, ob ich falsch gehandelt habe, und dich damit um deine wahre Familie gebracht habe. Das tut mir leid und ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.“

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Einige Tage zuvor, hatte ich ihm insgeheim die gleichen Vorwürfe gemacht, jetzt hatte ich ihm aber verziehen. Dennoch hatte er wohl recht, es war ein Fehler gewesen und wir waren nicht in der Lage, diesen Fehler zu beseitigen. Ich umarmte ihn, weil mir vor Rührung die Tränen in die Augen traten und er schlang die Arme auch um mich. So standen wir einige Zeit und schwiegen. Was gab es auch zu sagen?

Als wir uns voneinander lösten, sah ich, wie er sich über die Augen wischte. Er holte tief Luft, setzte sich wieder und deutete mit einer Geste an, ich solle mich auch wieder hinsetzen. Dann sagte er:

„Der Mann, den ich beauftragt habe, ist in seinen jungen Jahren bereits ein berühmter Prairiemann. Er wird Old Firehand genannt. Bestimmt hast du schon von ihm gehört. Er ist erst vor wenigen Jahren aus Deutschland hier herübergekommen, hat sich den Pelzjägern angeschlossen und wohl auch einige Zeit bei den Indianern herumgetrieben. Er spricht einige indianische Sprachen und besitzt alle Fertigkeiten, die ihn zu einem guten Scout und Prairiemann machen.

Ich war der Ansicht, es sei besser, einen solchen Mann mit dieser Sache zu betrauen, als einen Polizisten oder einen Detektiv. Hätte er eine Spur gefunden, hätte er sich selbst auf dieselbe gesetzt, auch wenn sie ihn noch weiter in die dark and bloody grounds9 geführt hätte. Das konnte ich nur einem solchen Mann anvertrauen.“

Ich hatte natürlich schon von diesem Prairieläufer und Jäger gehört. Von ihm wurden sich die tollsten Taten berichtet. Er sollte schon einige Male aus der Hand feindlicher Indianerstämme entkommen sein. Er hatte, nach allem was erzählt wurde, auch das eine oder andere Mal ein, bei einigen Stämmen sogenanntes und praktiziertes, Gottesurteil, also einen Kampf auf Leben und Tod, überstanden.

Seinen Namen Firehand hatte er bei den Assiniboin erworben. Dort hieß er „Mann-mit-der-Feuerhand“. Diesen Namen gab man ihm, weil er mit Feuerwaffen so gut umzugehen wusste, dass er angeblich nie sein Ziel verfehlte.

Nun würde ich ihn also bald kennenlernen. Ich freute mich darauf. Insgeheim hoffte ich, dass ich von ihm einiges lernen und in Erfahrung bringen konnte, was mich dazu befähigte, auf eigene Faust auf die Suche nach meiner Familie und den Mördern Etters und Thibaut zu gehen.

Mr. Wallace sollte von diesem, meinem Wunsch aber zunächst nichts erfahren. Er sollte keine Gelegenheit bekommen, mich von diesem Vorhaben abzubringen.

Nun hieß es also zunächst -- warten! Firehand kam in der Woche darauf in Jefferson an. Er suchte Mr. Wallace aber erst einmal in dessen Kantor in der Bank auf, mit der Absicht, ihm dort in aller Ausführlichkeit zu berichten.

Mr. Wallace, der wusste, wie sehr ich darauf brannte, zu hören, was der Scout zu sagen hatte, komplimentierte ihn in unser Haus. Er führte ihn in die Stube und bat ihn Platz zu nehmen. Mrs. Pittney hatte einen Wink bekommen, mich dazu zu holen.

Firehand nahm also auf der Sitzbank am Kamin Platz. Mrs. Pittney informierte mich, dass ich in die Stube kommen solle, Mr. Wallace habe nach mir geschickt. Ich ahnte, dass der Prairiemann angekommen war. Es war schließlich mehr als ungewöhnlich, dass Mr. Wallace um diese Tageszeit im Haus war und mich sehen wollte. Außerdem war bereits fast eine Woche vergangen, seit er mir erzählt hatte, dass er Old Firehand nach Taos geschickt hatte.

Ich stürzte daher förmlich die Treppe hinunter und stürmte in die Stube.

„Ho, ho! Nicht so stürmisch, Junge!“, meinte Mr. Wallace. „Ruhig Blut!“.

Ich lief wohl ein bisschen rot an und empfand Scham, weil ich mich so wenig beherrscht hatte. Mr. Wallace lächelte mich aber freundlich an und stellte nun Firehand und mich einander vor:

„Mr. Firehand, dies ist mein Ziehsohn Leo, von dem ich Euch berichtet habe, der Sohn von Emily Bender oder auch Tehua, der Schwester des Padre Diterico, … Leo, dies ist der berühmte Scout Old Firehand!“

Firehand stand von der Bank auf, um mir die Hand zu reichen. Dabei schaute er mich lächelnd an und sagte:

„Nun weiß ich auch, weshalb Ihr wolltet,“ dabei schaute er zu Mr. Wallace, „dass ich Euch in Euer Haus begleite. Ich soll wohl meinen Bericht nicht zweimal erstatten müssen, was natürlich sinnvoll ist, mir aber keine Umstände gemacht hätte. Freue mich dich kennenzulernen, Leo.“

Ich erwiderte seinen kräftigen Händedruck und jetzt hatte ich Gelegenheit, mir diesen außergewöhnlichen Mann näher anzusehen.

Er war ein wahrer Riese von Gestalt und trug einen Anzug aus Büffelleder. Der Rock war an den Ärmelnähten ausgefranst und wurde von einem breiten Navajo-Gürtel aus Leder zusammengehalten, woraus der Griff eines großkalibrigen Colts ragte. An dem Gürtel hatte er einige Beutel befestigt. Ich nahm an, dass er darin jene notwendigen Utensilien aufbewahrte, die einem jeden Prairiemann unersetzlich waren.

Außerdem befand sich an diesem Gürtel eine lederne Messerscheide, aus der der Griff eines Bowie-Messers herausragte. Um den Hals trug er eine Kette aus den Zähnen des grauen Bären. Seine Füße steckten in kniehohen Schaftmokassins, die, wie ich heute weiß, auch die Apachen trugen. Sein Gewehr, eine langläufige Hawken-Rifle, lehnte an der Seite des Kamins. An dessen Mündung hing eine Waschbärenfellmütze, die er wohl abgenommen hatte, als er eingetreten war.

Dies also war Old Firehand, der berühmte Savannen- und Prairiejäger. Genauso hatte ich ihn mir vorgestellt, wenn bei Mother Thick‘s über ihn erzählt wurde.

Wir nahmen nun alle am Tisch in der Raummitte Platz und Thomas brachte einige Erfrischungen. Firehand bekam ein, bereits vor meinem Eintritt geordertes, Bier und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck. Anschließend sagte er:

„Wie gut, dass in Eurem Haushalt die gute deutsche Gemütlichkeit geschätzt und daher auch ein kühles Bier angeboten wird. Obwohl Ihr selbst nicht aus den Deutschen Landen stammt oder irre ich mich?!“

Mr. Wallace antwortete:

„Nein, ich bin ein waschechter Amerikaner aus Boston. Meine Geschichte kennt Ihr ja zum Teil schon. Ich floh damals aus meiner Heimat im Osten. Haben es hier aber gut angetroffen. Vielleicht wisst Ihr, dass sich in Jefferson City und der Umgebung viele Auswanderer aus Eurer Heimat niedergelassen haben? Nun, ich verkehre überwiegend mit solchen deutschstämmigen Einwohnern und einen guten Teil davon kann ich wohl als meine Freunde betrachten. So kommt es dann, dass ich mir auch einige Angewohnheiten jener Freunde und Bekannten zu Eigen gemacht habe. So ein fein gebrautes deutsches Bier ist jedenfalls eine Annehmlichkeit, auf die ich ungern wieder verzichten würde.“

Firehand gab zurück:

„Na, das ist doch mal ein Wort! Ein Yankee, verzeiht den Ausdruck, der ein gutes Bier zu schätzen weiß. Das muss ein guter Mann sein, … Prost!“

Er schmunzelte und hob sein Glas. Dann, ernster werdend, fuhr er fort:

„Nun, Ihr wisst, ich bin kein Mann der großen Worte und weitschweifiger Reden. Ich komme daher gleich zur Sache.

Ich war, Eurem Auftrag gemäß, in Taos, habe Erkundigungen eingezogen und versucht, eine Spur von Leos Familie oder vielleicht der Verbrecher Etters und Thibaut zu finden. Was ich in Erfahrung bringen konnte, war leider nicht sehr viel.

Nachdem ich Euren damaligen Vermieter ausfindig gemacht hatte, fragte ich ihn danach, ob er sich an Euren Aufenthalt in Taos erinnern könne. Er konnte sich darauf besinnen, vor Allem, weil Ihr so plötzlich verschwunden wart.

Nun fragte ich Ihn, ob später noch einmal nach Euch gefragt worden war. Als ich erwähnte, dass es sich bei den Personen, welche sich womöglich erkundigt hatten, auch um Indianer habe handeln können, erinnerte er sich an eine Indianerin, die bei ihm gewesen war. Seiner Erinnerung nach, muss das gut zwei Jahre nach Eurem Verschwinden gewesen sein.

Hierbei wird es sich wohl um Tehua, deine Mutter, gehandelt haben.“, sagte er zu mir gewandt. „Tokbela wird es nicht gewesen sein. Der Mann meinte, die Indianerin habe ihren Namen nicht genannt. Sie habe aber so klares Englisch gesprochen, dass er trotz ihres indianischen Habits glaubte, sie müsse lange unter Weißen gelebt haben. Ein weiteres Indiz für die Annahme, dass es sich um ein Mitglied deiner Familie handelte, Leo. Außerdem liegt dieser Schluss sowieso nahe, weil eine andere Indianerin kaum Interesse an Euch gehabt haben dürfte.

Dieser Hinweis führt mich aber auch zu der Annahme, dass es nicht Tokbela war. Wie wir wissen, war diese ja, in der Folge ihres Zusammenbruchs, zumindest damals kaum zu einem normalen Gespräch in der Lage.“

„Da stimme ich Euch zu, Mr. Firehand!“, meinte Mr. Wallace. „Leo und ich haben das auch schon so beurteilt, als Ihr telegraphiert habt. Seid Ihr noch weiteren Hinweisen nachgegangen?“

„Ja, wie Ihr Euch denken könnt, habe ich versucht, die Spur dieses Thibaut oder Lassalle aufzunehmen. Es ist mir dies aber nicht geglückt. Lassalle-Thibaut hatte auf den falschen Namen eine Kutsche gemietet und ist auch, nach Auskunft des Vermieters derselben, mit einer jungen Indianerin und einem Kind, mit der Kutsche vom Hof gefahren. Weitere Personen seien nicht dabei gewesen.

Die Beschreibung zu Dan Etters oder John Bender, wie der ja damals auch genannt wurde, sagte ihm leider gar nichts. Lassalle-Thibaut hatte die Miete für die Kutsche und zwei Zugpferde im Voraus bezahlt, die übliche Pfandzahlung von einigen Dollars hatte er ebenfalls entrichtet. Das Gespann sollte in Santa Fé abgeliefert werden, was aber nie geschehen ist. Hier verliert sich also auch diese Spur. Immerhin könnte man versuchen, auf der Route zwischen Taos und Santa Fé auf die alte Fährte zu stoßen.“

„Sie können da tagelang unterwegs gewesen sein,“ gab ich zu bedenken, „und irgendwo auf der Strecke von dem angegebenen Ziel abgewichen sein. Wahrscheinlich hatte Thibaut von Anfang an gar nicht vor, bis Santa Fé zu reisen“.

„Das denke ich auch,“ erwiderte Firehand, „ich nehme sogar an, dass er diese Richtung gar nicht eingeschlagen hat. Aber dennoch müsste man hier ansetzen, wenn man die Spur wiederaufnehmen wollte.“

Er schaute mich bei diesen Worten eigentümlich an. Ahnte er, dass ich selbst genau das tun wollte?

„Nun,“ sagte Mr. Wallace, „ich bin Euch jedenfalls sehr dankbar, Mr. Firehand, dass Ihr uns diesen Dienst erwiesen habt. Sicher war die Reise beschwerlich. Immerhin musstet Ihr durch die Gebiete verschiedener Indianerstämme reisen. Hoffentlich hatte es keine Gefahr dabei?!“

„Nein, gar nicht. Die Cheyenne, deren Jagdgebiete ich eigentlich durchqueren musste, habe ich gemieden. Das bedeutete zwar mehrere Tagesreisen Umweg, aber es wird besser so gewesen sein. Da bekannt ist, dass ich mit den Assiniboin auf guten Fuße stehe, ist anzunehmen, dass mich die Cheyenne als Feind betrachten würden. Die Ho-He, wie die Cheyenne die Assiniboin nennen, sind deren Todfeinde.“

„Wenn ich geahnt hätte, in welche Gefahr Ihr Euch da begeben habt, hätte ich Euch nicht nach Taos geschickt, Mr. Firehand.“

„Wie ich bereits sagte, hatte es keine Gefahr für mich. Da ich die Fährnisse auf diesen Wegen kenne, konnte ich ihnen leicht ausweichen. Wie Ihr seht, bin ich ja auch in Jefferson City angekommen, ohne dass mir ein Haar gekrümmt wurde.“

Mr. Wallace kam nun darauf zu sprechen, dass er Firehand die in Aussicht gestellte Entlohnung ausbezahlen wollte. Der lehnte dieses Ansinnen jedoch entschieden ab. Er wies Mr. Wallace darauf hin, dass dieser ihm vor einiger Zeit einen Dienst erwiesen habe, der die Annahme einer Bezahlung unmöglich mache.

Mr. Wallace wollte das nicht zugeben und so ging es noch eine ganze Weile hin und her, bis Firehand sagte, dass er in seiner Ehre gekränkt werde, wenn Mr. Wallace weiter auf der Bezahlung beharre. Das wirkte!

Mr. Wallace gab kleinlaut auf und entschuldigte sich, er habe Firehand nicht beleidigen wollen. Firehand gab hierauf zurück, dass eine Entschuldigung nicht notwendig sei, weil er wisse, dass Mr. Wallace es nur gut mit ihm meine, er aber nun einmal seine Grundsätze habe.

„Was werdet Ihr nun beginnen, Mr. Firehand?“, war meine nächste Frage, weil es mich natürlich brennend interessierte, ob ich Gelegenheit haben würde, mit ihm über meine Pläne zu sprechen. Er antwortete:

„Ich werde noch ein paar Wochen in Jefferson bleiben müssen, weil ich hier mit einigen Jägern verabredet bin, die mit mir in den Westen wollen, um auf Pelze zu gehen.“

Diese Antwort befriedigte mich natürlich sehr und Mr. Wallace fragte dazu:

„Fein, habt Ihr schon Quartier genommen?“

„Ich habe, bevor ich Euch in der Bank aufsuchte, bereits bei Mother Thick‘s ein Zimmer bestellt.“

„Aber Mr. Firehand, so tut uns doch die Ehre an, und bleibt bei uns. Ich werde Euch unverzüglich ein Zimmer bereiten lassen.“

„Mr. Wallace, nichts für ungut, so gern ich Euer Angebot annehmen würde, möchte ich für dieses Mal doch darauf verzichten. Mother Thick‘s ist zwischen den besagten Jägern und mir als Treffpunkt ausgemacht worden und ich würde gerne zur Stelle sein, wenn meine Kameraden dort eintreffen. Ich hoffe, Ihr habt Verständnis dafür.“

„Nun, wenn Ihr es so darlegt, kann ich Euch nicht böse sein. Aber seid wenigstens von Zeit zu Zeit unser Gast. Gerne würde meine Mrs. Pittney für Euer leibliches Wohl sorgen. Wollt Ihr?“

„Gut, hierzu kann ich wiederum nicht Nein sagen. Ich danke Euch und werde sicher über Leo in Kontakt mit Euch bleiben. Mrs. Thick hat mir schon gesteckt, dass Leo bei ihr aushilft.“

Wie sich denken lässt, war ich über diese Entwicklungen sehr erfreut. Ich hatte gehört, dass die Möglichkeit bestand, dass meine Mutter noch lebte. Da sie damals erst nach so langer Zeit nach uns geforscht hatte, musste ihr wohl Schlimmes wiederfahren sein. Ob der Padre noch lebte, war allerdings mehr als fraglich.

Zudem gab es einen Anknüpfungspunkt für die Suche nach den Mördern meines Vaters, Etters und Thibaut. Denn als solche betrachtete ich diese beiden Verbrecher. Etters, der auf Rache gesonnen hatte und auch Thibaut, der ihm dabei geholfen hatte, meine Eltern hinter Gitter zu bringen; beide waren verantwortlich für den Tod meines Vaters. Sie hatten sich damals in Taos zwar getrennt, jedoch stand bei mir fest, dass dies nicht von Dauer gewesen sein würde.

Und jetzt hatte ich hier einen Prairiemann und Jäger vor mir, der diese Spuren ausfindig gemacht hatte, und der noch eine ganze Weile hier in Jefferson sein würde. Dadurch, dass ich in seiner Herberge arbeitete, bestand die Möglichkeit, ihm von meinen Plänen zu berichten und vielleicht sogar, ihn zu bitten, mich in den Westen mitzunehmen.

Firehand verabschiedete sich von Mr. Wallace und mir und drückte uns beiden noch einmal kräftig die Hände, wobei er mir zuzwinkerte und sagte:

Alright, junger Mann, wir sehen uns.“

Mr. Wallace machte einen sehr zufriedenen Eindruck, als Firehand gegangen war und wollte von mir wissen, was ich von der Sache hielt. Konnte ich ihm sagen, was in mir vorging? Lag es nicht sowieso auf der Hand? Ich überlegte, ob ich meine Wünsche und Pläne heute schon offenbaren sollte, entschied mich letztlich aber zunächst noch dagegen. So sagte ich also nur:

„Ein guter Mann, den du da auf die Fährte gesetzt hast. Hat jedenfalls zwei wichtige Erkenntnisse gebracht.“

„Ja, zum einen, dass deine Mutter vielleicht doch noch lebt und zweitens, dass Etters und Thibaut sich zunächst getrennt haben und Thibaut mit deinem Bruder und Ellen in einer Kutsche Taos, vorgeblich in Richtung Santa Fé, verlassen hat.“

„Genau, doch nun bin ich müde und werde zu Bett gehen. Ich möchte über das Gehörte nachdenken und werde hoffentlich bald schlafen. Ich wünsche dir eine gute Nacht.“

Wie immer wollte er mir übers Haar streichen, bevor ich das Zimmer verließ. Ich wandte mich aber vorher ab. Diese Angewohnheit meines Ziehvaters war mir, genauso wie das Umsorgen Mrs. Pittneys, inzwischen unangenehm. Ich war schließlich kein Kind mehr! Mr. Wallace nahm mir das nicht übel, wie ich an seinem Blick erkannte und so ging ich zu Bett und grübelte lange darüber nach, wie ich ihm erklären sollte, was ich vorhatte. Würde er es zulassen? Würde er mich verstehen?

Nun, ich würde es bald erfahren. Allzu lange ließ sich dieses Gespräch nicht mehr aufschieben. Doch vorher musste ich Old Firehand davon überzeugen, mich mitzunehmen. Das würde sicher das schwerste Stück Arbeit werden. Mit der Überzeugung, dass mir dies letztlich gelingen würde, schlief ich dann doch noch ein.

An den Ufern des Nebraska

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