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Der Heide

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Sie kamen an eine kleine Bucht, die unter dem freien Sternenhimmel lag. Das Meer küsste das Land, und an diesem Ort fanden sie einen wild aussehenden Recken. Seine Haare waren hell und lang, er war in Felle gekleidet und hackte Holz. Neben ihm brannte ein Feuer. Hier hatten sich die Elemente versammelt, um einer Menschenseele ihre Herkunft in Erinnerung zu rufen.

„Wir wollen uns weiter mit den Religionen auseinandersetzen“, sagte der Zweifel. „Es gibt soviele von ihnen. Lass uns sehen, ob es Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gibt. Dort steht ein Vertreter des Heidentums, für das deine Vorväter gekämpft und getötet haben. Auch der alte Glaube hatte Macht, glaube mir nur.“

Als der Hüne gewahr wurde, dass jemand am Rande des Feuerscheins stand, hielt er in seiner Tätigkeit inne und legte die Axt weg.

„Heil dir, Fremder!“, sagte er freundlich und winkte Nikarion zu sich. Die Gestalt des Zweifels war ihm nicht erkennbar. „Was führt dich in einer Nacht wie dieser zu mir?“

„Der Wissensdurst zwingt mich, die Hoffnung leitet mich und der Verstand begleitet mich“, sagte Nikarion als er an das Feuer trat und dem Heiden die Hand zum Gruße gab. „Ich will dem Geheimnis der Welt nachspüren und das brachte mich dazu, bei der Religion zu suchen. Nun wähle ich jene Religion, in der die sogenannten Alten Götter walten, um mir bei meiner Suche nach Wahrheit behilflich zu sein. Eine Religion, die älter ist und ursprünglicher als alles andere. Denn sie muss alleine schon aufgrund ihrer Ursprünglichkeit, ihrer Nähe zum Beginn des menschlichen Denkens, eine größere Richtigkeit und damit ein klareres Bild von Gott geben, als das die neuen Religionen je könnten.“

Der Heide nickte zustimmend. „Weit zurück reicht sie, das ist wahr. Doch ist ihre Ursprünglichkeit nur noch schwer zu ergründen. Vieles von dem, was uns heute über den germanischen Glauben bekannt ist, ist von der Welt, die sich auch selbst stets im Wandel befindet, beeinflusst worden. Der Volksglaube bei den Menschen damals war stark. Ebenso die Macht der Könige und Stammesoberhäupter, die keine priesterliche Macht neben sich dulden wollten. Die Priester waren lediglich Zeremonienmeister, sie standen nur in einem unwesentlich höheren Verhältnis zu den Göttern als der Rest der Menschen. Jeder konnte jederzeit zu ihnen sprechen und sich jederzeit Hilfe und Schutz von ihnen erwarten. Die Alten Götter gehörten keiner Schicht, sie waren stets die Götter des Volkes. So hat sich auch nie eine dogmatische Religion aus diesem Glauben gebildet, die eine lebendige Veränderung verhindert hätte.“

„Wie viele Götter wurden dereinst angebetet?“, wollte Nikarion erfahren.

Und sein Gegenüber gab gerne Auskunft: „Viele! Doch sie alle waren nur Ausformungen der großen Schöpfungsmacht. Erst nach und nach wurden die Attribute dieser Macht zu selbstständigen Göttern. Künstlerische Geschichten über Sonnenauf- und Sonnenuntergang brachten einen Sonnenwagen, einen Lenker dessen, Diebe der Sonne, Juwelen und vieles andere hervor. Die Naturmächte waren Riesen und Elfen, mal sanft und mal gewalttätig. Durch Unterwerfung anderer Stämme fanden deren Begriffe der Urmacht in Form ihrer Götter Einzug in den Himmel. Die unterworfenen Götter wurden zu Geschwistern und Kindern der siegreichen Götter. Langsam entstand eine göttliche Familie, jedes Mitglied stand für einen Aspekt der Allmacht. Verwandtschaftsverhältnisse wurden gesponnen, es wurden Vorfahren und Nachfahren hinzugedichtet. Es gab Götter des Volkes, wie den bodenständigen Thor und Götter der Könige, wie Odin. Sie waren die Orientierungspunkte der Alten Welt. Auch das Vordringen des römischen Gottes hatte Auswirkungen auf die Riege der Alten Götter.“

Das Wissen und die Einsicht des Heiden erstaunten Nikarion. „Du weißt also, dass deine Religion nur das Produkt einer langen Reihe von Ereignissen ist und sie nicht von den Göttern überliefert ist.“

„Aber ja doch“, sagte er, „Alle Religionen sind doch letztlich nur das Produkt der Vermischung verschiedener Einflüsse. Sie verbinden Menschliches mit Übermenschlichem. Außerdem ist er germanische Glaube keine Offenbarungsreligion. Die lange Zeit, in der die Göttergeschichten wachsen konnten, und vor allem die christlichen Skalden, die Dichter Skandinaviens, machten die germanische Götterwelt zum größten und spektakulärsten Drama aller Zeiten. Die Götter sind geschaffen, wurden bald von Kundigen zu Kunstfiguren ausgearbeitet. Darum erzählen sie von einer Moral und haben einen Sinn in ihrer Welt. Das Germanentum gilt mir als Idealreligion. Einflüsse anderer Religionen und Dichter haben ihren Geist geschliffen. Es blieb alles stets im Wandel, da nie ein Dogma bestand. Das Germanentum wurde so zur Perfektion gebracht. Das Heidentum ist ein geschaffenes, tiefernstes Drama. Schicksalhafte, verhängnisvolle Tragik. Die größte Geschichte, die es je gab.“

„Erzähle mir von ihr“, bat Nikarion begeistert.

Der Wind strich über die beiden Menschen in der Bucht und war wie der zarte Gruß einer liebevollen Natur. Der Heide war ein freier Mann und stellte sich sowohl der Welt, die ihn umgab, als auch seinem Innersten. Seine Augen waren nach allen Seiten offen und er hatte einen Platz im Leben gefunden, der ihn so zufrieden machte, dass er nicht mehr nach anderem suchen mochte.

„Nun“, begann der Heide, „Der Lebensraum der Menschen war der garstigen Welt nur durch Gewalt abgetrotzt worden. Und die Natur kämpft gegen alles menschliche sowie gegen alles göttliche, um ihren Platz zurückzuerobern. Die Götter, allen voran Thor, kämpfen gegen die Naturmächte und beschützen so die Menschheit. Und das, obwohl sie wissen, dass sie den Kampf irgendwann verlieren werden. Sie kämpfen in dem Wissen, nicht gewinnen zu können. Sie kämpfen in dem Wissen, ins Schicksal verstrickt zu sein. Wie herrlich und erhaben ist das!“

„Götter kämpften gegen die Natur?“, hakte Nikarion nach.

„Ja, es ist so, wie auch heute noch. Die Götter sind die Ausformungen des Gemüts der Menschen. Sie sind der erhabene Geist, der Fortschritt, die Antriebskraft der menschlichen Seele. Das alles repräsentieren sie. Während all die Riesen und Monster die unbändige Natur verkörpern. Die Natur als Wesen, das zwar nur seinem Instinkt folgt, der ihm angeborenen Lebensweise, und das dabei doch die Welt der Menschen verheert. Und doch wird sich diese Ziellosigkeit eines Tages dem strebsamen Geist als überlegen erweisen. Der Verfall wird das Aufbauen bezwingen, der Tod das Leben besiegen. Die Natur wird sich ihren angestammten Platz zurückerobern und alles von Menschen Geschaffene auslöschen. Auch der erhabene menschliche Geist wird niedergehen und sich der Macht des Unbewussten beugen müssen. Doch auch das Heidentum kennt nach dem Zusammenbruch aller Ordnung, nach dem Weltenbrand und der Götterdämmerung, einen neuen Anfang. Zwar kommt diese Geschichte der Vernichtung und Auferstehung der Welt aus der christlichen Mystik, doch ist es ein schöner Gedanke. Der Auferstehung muss erst die Vernichtung vorausgehen. So ist es und nicht anders. Damit etwas auferstehen kann, muss es zuerst gestorben sein. Damit etwas gerettet werden kann, muss es erst in Gefahr geraten sein. Damit etwas erschaffen werden kann, darf es zuvor nicht existiert haben.“

Nun stellte Nikarion dem Heiden die selbe Frage, die er auch schon dem Pfarrer gestellt hatte und die das ihre dazu beitrug, ihm die innere Ruhe zu rauben: „Hältst du es denn ehrlich für möglich, dass die Welt einmal untergehen wird?“

Kurz überlegte der Heide, dann: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einer allumfassenden Vernichtung zum Opfer fallen wird. Doch dass alles in einem Feuersturm oder in einer alles vernichtenden Flut endet, halte ich für nicht zu weit hergeholt. Weil die Menschen eine dunkle Gabe in ihren Herzen tragen. Sind die Gedanken erst einmal im Rausch der Sinne verstummt, wenn Wut und Hass den roten Schleier vor die Augen heben, dann ist alles möglich. Dann kann einer das Feuer entzünden, das die Welt verheeren wird. Die Menschheit wird dabei freilich nicht vernichtet werden, doch es wird viele Fortschritte wieder zunichte machen. Vielleicht führt es sogar zum Bruch aller Gesetze und mit dem Verlust der Ordnung wird ein dunkles Zeitalter heraufdämmern. Ich weiß sogar, woher dieser Funke der Zerstörung kommt, der in uns brennt und nur auf Brennstoff wartet. Der ist uns angeboren. Es sind die tierischen Instinkte in uns, die unserer Spezies geholfen haben, dereinst nicht von wilden Tieren gefressen zu werden. Diese Instinkte, auch wenn wir sie heute verteufeln, haben doch ihr Nötiges zu unserem Überleben beigetragen. Die tierische Skrupellosigkeit erst war verantwortlich dafür, dass der Mensch seinen Geist ausbilden konnte. Denn wer eine Bedrohung ausschalten kann, sichert sich damit selbst das weitere Überleben in relativer Sicherheit. Nur so konnten wir uns in der Schöpfung behaupten und Bestand haben. Dieses Erbe, das wir doch versuchen zurückzuweisen, hat uns erst den Weg in eine friedvollere und geordnetere Zukunft geebnet.“

Nikarion stimmte dem Gesagten grundsätzlich zu. „Die Aggressivität des Menschen hat in früheren Zeiten eine wichtige Rolle gespielt. Doch sie sollte langsam nachgeben und sich zurückziehen.“

„Das wird sie“, beruhigte ihn der Heide. „Sobald der Geist stark genug sein wird, sie im Zaum zu halten. Solange das nicht der Fall ist, wird alles weiter seinen Gang gehen wie bisher. Doch ist der Mensch nicht wirklich aggressiv. Er ist nur sozial. Erst zum Schutz und zur Ausweitung seiner sozialen Gebilde wird er aggressiv, da er sie eben für schützenswert und ausweitungswürdig hält. Man kämpft immer nur für die beste Idee und in ihrem Namen für die ganze Menschheit. Gerade so kommt es doch zu vielen Konflikten: andere wollen nicht einsehen, dass andere ihnen den besseren Weg zu Leben zeigen wollen. Sie halten ihre eigenen Ideen für besser. Und diese wollen sie auch den anderen aufdrücken, wenn sie können. Es gibt so etwas wie Toleranz nicht. Niemand toleriert die Lebensweise eines anderen wirklich. Man blickt nur auf sie herab und wenn andere ihre Lebensweise an die eigene anpassen möchten, wird man nichts tun, um sie davon abzuhalten. Man wird sich mehr darüber freuen als darüber, dass sie ihr eigenes Leben nach ihren eigenen Regeln leben.“

„Stünde man am Anfang der Geschichte“, sinnierte Nikarion, „und blickte nach vorne in die Zukunft, so würden alle Götter und alle Kriege als sinnlos erscheinen. Sie haben keinen Gehalt, sind auf kein Ziel außerhalb gerichtet, sind sich selbst Sinn genug. Wie konnte man damit nur so weit kommen, wie wir es geschafft haben?“

Der Heide hob triumphierend den Zeigefinger und sagte, ohne dabei überlegen zu klingen: „Und da irrst du dich. Kriege und Götter haben Menschen vereint. Völker wurden aus dem Feuer der Vorzeit geschmiedet und sie wurden im Krieg zu Nationen zusammengeschweißt. Erst die Größe der Reiche sicherte den Wohlstand und den Fortschritt. Der Krieg brachte den Besiegten oft einen größeren Vorteil, als sie ihn unbesiegt hätten genießen können. Der kriegerische Weg der Zivilisation hat dem friedlichen Geist, der Wissenschaft und der Forschung erst den Weg bereitet. Bomben und Granaten haben Unebenheiten weggesprengt, unüberwindliche Gräben wurden mit Tausenden von Leichen gefüllt. Verteufle den Krieg und du verfluchst damit auch alles Gute, das durch ihn gebracht wurde. Sogar jeder Gott ist Heiliger und Krieger zugleich. Man fragt sich, wie das nur sein kann, nicht wahr? Es sind die Menschen, die ihre Götter machen. Sie sind das Idealbild der Völker, die an sie glauben. Und jedes Volk führt Krieg und wünscht sich Frieden. Allerdings wünschen sie sich den Frieden zu ihren Bedingungen. Einen Frieden wollen sie, der voll und ganz ihrer Welt entspricht.“

Der Heide legte etwas vom gehackten Holz aufs Feuer und belebte so die Flammen erneut mit Kraft. Der Wind tat das seine dazu, um dem Brand Kraft zu geben.

Nikarion sagte: „Heilige und Sünder. Wir sind alles zugleich, zur selben Stunde. Es ist in uns. Aber ich schätze, das geht in Ordnung. Schließlich ist jeder mal ein Held und mal ein Bösewicht. Jeder handelt mal so und mal so. Es ist nur menschlich. Es ist in uns. Wir können nicht vor uns selbst davonlaufen.“

„Dieses Wissen ist nützlich, Freund“, sagte der Heide. „Denn schlimm sind blinder Glaube und blindes Vertrauen, ohne zu denken. Sei es in die Religion oder in die eigenen Fähigkeiten, man darf nicht blind sein. Man darf, ja man soll ruhig alles hinterfragen. Sogar die Religion und das, was Gott bedeutet. Man darf aber nicht vergessen, dass alle Glaubenssysteme aus gutem Grund entstanden sind. Und dass sie sinnvoll für die Gemeinschaft sind. Und dass sie unsere Welt bereits tiefer geprägt haben, als wir uns vorstellen können. Auch die Religionen haben Gutes bewirkt, weil die Menschen an sie und an ihre Lehre glauben. Und wenn etwas Schlimmes im Namen der Religion passiert, so kann man ihr das nicht anlasten. Es sind doch nur die Menschen, die das Schlimme tun. Und alles Schlimme widerspricht meiner Auffassung von Gott und Religion. Denn diese Dinge, auch wenn ich nicht so an sie glaube wie andere, sind dazu erschaffen worden, um die Menschen zusammenzuführen, ihnen eine Stütze zu sein und Ordnung in die Welt zu bringen. Diese Ordnung wurde aber bald von Staaten und Regierungen durch eine bessere und klarere Ordnung abgelöst, in deren Vergleich die Religion nahezu wie das Chaos wirkt.“

„Ich habe schon erfahren, dass du nicht an Götter glaubst“, sagte Nikarion. „Und trotzdem nennst du dich Heide.“

„Nun“, begann der Heide. „Ich glaube nicht an das Übernatürliche; aber ich glaube an den Sinn der Geschichten. Vor allem glaube ich an den Sinn und die Weisheit der germanischen Mythologie und der Geschichte. Sie erzählt zum Beispiel, dass die Menschen auch ohne Götter gut leben können. Denn es gab einst eine glaubenslose Zeit zwischen dem Heidentum und dem Christentum. Die Menschen wussten nicht, an was sie glauben sollten. Als sie die Auswahl hatten zwischen zwei Religionen und diese objektiv betrachten konnten, entschieden sich manche einfach ganz gegen den Glauben. Die Geschichte zeigt aber auch anschaulich, dass Glaubenswechsel oft ziemlich reibungslos verlaufen. Und selbst, wenn sie das nicht tun: Irgendwann hat man sich an einen neuen Glauben gewöhnt und weder fällt den Abtrünnigen der Himmel auf den Kopf, noch öffnen sich die Tore der Hölle. Und die vormaligen Abtrünnigen werden zu den neuen Gläubigen. Es kommt alles nur auf die Einstellung an und auf das, was man selbst glaubt. Glaubt man an dieses, so entspricht dieses der Wahrheit. Glaubt man an jenes, entspricht jenes der Wahrheit. Eine wahre Macht im Himmel wurde dadurch noch nie beleidigt. Vielleicht, weil alles im Grunde nur ein neuer Anstrich für ein und das selbe ist. Alles entartet irgendwann. Auch der Glaube. So hat man in der Spätzeit des Germanentums Statuen und Bilder verehrt, anstatt das, wofür sie standen. Solche Dinge passieren nun mal. Und dann muss man die Religionen wieder auf ihre Ursprünge zurückführen. Man kann annehmen, dass sich alle Lehren im Grunde gleichen. Es sind ja auch alle Menschen gleich und haben die selben Bedürfnisse und die selben Gemüter. Das kann man auch den Weltgeist nennen, der in uns allen waltet. Das Drumherum der Religionen ist dagegen von der notwendigerweise aggressiven Natur des Menschen geschaffen, der sich nur dank seiner Kraft und Listigkeit zum Herrscher der Welt aufschwingen konnte. Nur diese Kleinigkeiten sind es, die kleinen aber feinen Unterschiede, die zu den großen Konflikten führen.“

Und das alles nur deshalb, weil die Menschen nicht begriffen, dass ihre heiligen Regeln von Menschen aus anderen Zeiten festgelegt wurden, die heute einfach nicht mehr vollziehbar waren. Denn auch Gott, der innere Gott, hatte sich entwickelt.

„Vielleicht gibt es über den Göttern noch eine höhere Macht, die nicht angebetet wird“, fuhr der Heide fort, „denn sie ist mehr als ein einfacher Gott. Vielleicht ist sie in uns, oder aber sie ist wirklich da draußen und ist wirklich die absolute Macht. Wie frei muss sie sein, denn keine Religion hält sie gefangen. Wie frei können die sein, die um diese Macht wissen. Denn ist doch alles, was sie tun, genau im Sinne dieser Macht. Sie spricht zu uns allen, gibt uns allen die Satzung mit, nach der wir leben. Keiner kann festschreiben, was gilt. Spürt doch jeder in seinem eigenen Herzen, was für ihn das richtige ist.“

Nikarion war zufrieden mit den Antworten, die der Heide ihm gab. „Du bist ein sehr kluger Mensch, Heide. Du scheinst voll und ganz in der Weisheit der Alten aufzugehen. Verrate mir, wie man wissen kann, ob man richtig handelt? Wie kann man sicher sein, das Richtige zu tun?“

Und der Heide gab Antwort: „Es gibt eine einfache aber gute Regel, nach der du dein Leben ausrichten kannst. Sie lautet schlicht: Lade keine Schuld auf dich. Tue nichts, wodurch du dich verschuldigst. Denn einerseits belastest du dich so und die Welt um dich herum. Und andererseits wird jede Schuld gesühnt werden. Handle falsch, und dir wird Böses widerfahren.“

„Aber wie kann man sich sicher sein, was Schuld ist?“, fragte Nikarion nach. „Wie kann man sie erkennen? Oft ist es doch so schwer, zu entscheiden, was zu tun ist.“

Ohne lange zu überlegen sagte sein Gegenüber: „Wenn du Schuld auf dich lädst, dann spürst du das. Denn Schuld wiegt schwer auf deinem Gewissen. Spürst du eine solche Last, dann weißt du, was sie bedeutet. Es heißt, dass du etwas getan hast, was du nicht hättest tun sollen. Und es bedeutet, dass die Sache wieder in Ordnung kommen muss.“

Der Sucher nickte zufrieden. Das schien ihm ein kluger Rat zu sein, den er in Erinnerung behalten würde. Eine letzte Frage musste er dem Heiden aber noch stellen, der so zufrieden dastand und den scheinbar keine Sorgen plagten. „Verrate mir noch eines: Hast du nie Zweifel? Ist für dich wirklich alles so einfach?“

„Ob ich Zweifel habe? Es gibt keine Sicherheiten. Die Welt kennt keine Realität. Nichts, das echt ist. Überall mischen sich Zweifel und Hoffnung ein und rütteln an den Grundfesten der Welt. Sie sind der Niddhögger, der an der Wurzel des Weltbaumes nagt und sie eines Tages zum Einsturz bringen wird. Eines Tages wird alles wieder in Trümmern liegen müssen, wenn Neues entstehen soll.“

Von der Seite sprach der Zweifel in Nikarions Ohr: „Oh, wie theatralisch. Ich weiß nicht, ob ich verzweifelt oder betroffen sein soll.“

Nikarion bedankte sich beim Heiden, dass dieser sein Wissen mit ihm geteilt hatte. „Nun werde ich weiterziehen.“

„Tu, was du nicht lassen kannst. Mögen die Götter dir gewogen sein und dich auf deinem Weg beschützen“, wünschte ihm der Heide zum Abschied. „Traurig wäre es, würde dir ein Missgeschick widerfahren.“

Nikarion verließ den gastlichen Feuerschein des Heiden und trat mit seinem Begleiter, dem Zweifel, wieder in die Finsternis der Nacht.

„Eine interessante Religion, an die er da glaubt“, sagte der Zweifel. „Doch ist sie nur noch der Nachhall der Vergangenheit, besitzt außer der Geschichte selbst keine Macht mehr. Sie ist längst überholt und verdrängt worden, aus gutem Grund. Die andere Religion hat sich als stärker erwiesen.“

Nikarion zuckte bei diesen Worten zusammen. Der Zweifel hatte recht. So zufrieden der Heide auch gewirkt hatte, es gab keinen Weg, um ihm zu folgen. „Man muss die Vergangenheit kennen, will man die Gegenwart verstehen. Und nun fort von hier. Ich habe genug vom Glauben. Bring mich zu einem, der seine Weisheit abseits der Religion gefunden hat.“

„So will ich dich nun zu einem Selbstheiligen bringen“, sagte der Zweifel.

Gemeinsam verließen sie die Nacht und reisten ans andere Ende der Welt.

Der Zweifel

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