Читать книгу Perry Rhodan 2991: Die Eismönche von Triton - Leo Lukas - Страница 6

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»Ein Raubfisch, so groß, dass er ein Boot verschlingen kann, ist auf dem Trockenen nicht einmal den Ameisen gewachsen.«

(Lü Bu We, etwa 250 v. Chr.)

Prolog

Es braut sich etwas zusammen

»Wisst ihr, wie die Biergärten entstanden sind, damals, vor mehr als drei Jahrtausenden?«

Ja, das war ein guter Einstieg. Mit dieser Frage würde Geo Lichtblau das Interesse seiner Zuhörer wecken.

»Auf Terra, versteht sich«, würde er nachlegen. »Genauer in der Stadt München, aus der übrigens auch Ernst Ellert stammt, der legendäre Teletemporarier.«

Hm.

Der Verweis auf eine im wahrsten Wortsinn historische Persönlichkeit erzeugte Aktualitätsbezug. Möglicherweise hielt er aber den Gedankengang auf.

Vielleicht sollte Geo das in der Endfassung seines Vortrags rauskürzen? Damit die lineare Stringenz nicht gefährdet wurde?

»Jedenfalls, die Gärten waren zuerst da. Kiesböden, Haine aus Kastanienbäumen. Erst später hatte jemand die Idee, dass es sich dort gut sitzen und Bier trinken ließe. Aber woher kamen ursprünglich die Gärten? Weshalb sind sie angelegt worden?«

Geo rieb sich die Hände. Zweifellos entspann sich daraus ein heiteres Ratespiel mit dem Publikum.

Eine Weile würde er Theorien aufstellen lassen. Eventuell würde er weitere Hinweise geben.

Etwa in dieser Art: »Es hatte schon mit Bier zu tun ...«

Seiner Erfahrung nach tappten die meisten trotzdem im Dunklen. Sogar wenn er Daten aus der terranischen Frühgeschichte einstreute.

»Im Bayern des neunzehnten Jahrhunderts Alter Zeitrechnung wurde vorwiegend untergäriges Bier gebraut. Es konnte nur in den kalten Monaten hergestellt werden, da die Gärung bei Temperaturen zwischen vier und acht Grad Celsius erfolgen musste. – Na, klingelt's?«

Vermutlich immer noch nicht. Zu schwer fiel es Menschen des 16. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung, sich die Lebensumstände ihrer Urahnen vorzustellen.

Eine Welt ohne Hyperfunk oder Materietransmitter, das ginge ja gerade noch. Aber ohne Kühlschränke?

Geo Lichtblau freute sich diebisch darauf, seine Zuhörerschaft Satz für Satz, ja Wort für Wort auf die richtige Fährte zu lenken. »Da die Technik der Pasteurisierung nicht bekannt war, verdarb Bier bei den sommerlich höheren Temperaturen schnell. – Jetzt aber!«

»Ging es um ...«, würde sich endlich jemand zu Wort melden, »Lagerung?«

»Inwiefern hat das mit Kies und Kastanien zu tun?«

»Diese Bäume ... geben viel Schatten, nicht wahr?«

»Sehr richtig. Also, was befand sich unter den Biergärten?«

»Äh ... Erdreich. Nein, warte! Kellergeschosse?«

»Jawohl! Gratuliere, du hast gewonnen, und zwar das Anrecht auf zwei volle Maßkrüge meiner nächsten Sonderbrauung.«

Vor seinem geistigen Auge sah Geo, wie der gesamte Saal kurz den Atem anhielt und sich dann wie ein Mann erhob, zu einer stehenden Ovation. Er hörte den Applaus aufbranden, der sich noch steigerte, weil Geo, geziert-bescheiden, eine Verbeugung andeutete.

Weitere Informationen würde er nachliefern: Dass die Münchner Bierbrauer entlang der Flussterrassen der Isar, vor allem an der Schwanthalerhöhe und in Haidhausen, tiefe Keller angelegt hatten, um darin den wundervollen Trank ganzjährig mit Eis kühl halten zu können.

»Um die Durchschnittstemperatur der Lager weiter zu senken, streute man zusätzlich auf den Hangflächen Kieselsteine und pflanzte Kastanien. Deren flache Wurzeln schädigten nämlich das Kellergewölbe nicht. Irgendwann stellte ein kluger Kopf dort einfache Tische und Bänke auf, und der klassische Biergarten war geboren!«

Geo würde es sich nicht verkneifen können, hinzuzufügen, dass die geniale Innovation damals keineswegs auf ungeteilten Zuspruch gestoßen war. »Bald etablierten sich diese Plätze als beliebte Ausflugsziele, sehr zum Verdruss anderer Münchner Brauereien. Um der zunehmenden Abwanderung von Gästen entgegenzuwirken, traten sie über den Generalkommissär des Isarkreises an den Regenten heran.«

Der Bayernkönig fand eine kluge Lösung. Maximilian der Erste verfügte: »Den hiesigen Bierbrauern gestattet seyn solle, auf ihren eigenen Märzenkellern in den Monaten Juni, Juli, August und September selbst gebrautes Merzenbier in Minuto zu verschleißen, und ihre Gäste dortselbst auch mit Brod zu bedienen. Das Abreichen von Speisen und anderen Getränken bleibt ihnen aber ausdrücklich verboten.«

Ein projiziertes Faksimile des Originaledikts würde den ersten Abschnitt von Geos Vortrag krönen. Danach sollte er sich ausgiebig darüber verbreiten können, welche Konsequenzen das uralte Reinheitsgebot aus dem Jahr 1516 Alter Zeitrechnung, umgesetzt in die heutige Zeit, nach sich ziehen müsse.

Ungefähr so ... Und anschließend gehen wir an die Feinheiten ...

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Finger über der Bauchwölbung.

Mit dem Problem mangelhafter Kühlung für seine Bierkreationen hatte Geo Lichtblau gewiss nicht zu kämpfen. Nicht an diesem, dem von Natur aus kältesten Ort des Sonnensystems.

*

Um ihn war Schwärze. Stille.

Heilige Ruhe.

Ganz auf sich allein gestellt, ließ er sich durch den Ammoniakozean treiben und hing, körperlich wie auch geistig träge, seinen Überlegungen nach. Wie so oft feilte Geo an den Formulierungen einer Rede, die er höchstwahrscheinlich nie halten würde.

Aber darum ging es nicht. Er war sich selbst genug.

Nichts und niemand drängte Geo Lichtblau, sein Wissen und die daraus resultierenden, nach wie vor beschränkten Erfahrungswerte zu teilen. Die immer wieder mal imaginierte, virtuelle Bühne befriedigte seinen Geltungsdrang vollauf.

Er befand sich in einer sogenannten Tacet-Kapsel, einem recht geräumigen Unterseeboot. Tacet war ein antik-terranisches Vokabel, das »schweigt« bedeutete.

Geo liebte es, nicht reden oder sonst wie auf äußerliche Reize reagieren zu müssen. Er hatte es gerne leise, so leise und tonlos wie möglich.

Sein Paradies war das Eismeer. In dessen Tiefe belästigten ihn keinerlei andere Lebensformen, nicht einmal die kleinsten, niedrigsten, zähesten. Bei Temperaturen von knapp über minus 77 Grad Celsius, dem Schmelzpunkt von Ammoniak, existierte absolut nichts, das von sich aus zu irgendwelchen Regungen fähig gewesen wäre.

Mit einem Durchmesser von 6000 Kilometern war Triton der größte Mond des Gasriesenplaneten Neptun. Er war 1846 AZ entdeckt worden, von William Lassell, einem Hobbyastronomen – und hauptberuflichem Bierbrauer.

Dieses historisch unbedeutende Detail gefiel Geo Lichtblau ganz besonders.

Eine Eiskruste aus gefrorenem Wasser und Stickstoff umgab den von zahlreichen Verwerfungen geprägten Gesteinskern. Tritons Bahnradius um Neptun betrug 353.000 Kilometer: eine verhältnismäßig geringe Distanz. Deshalb war der Mond starken Gezeitenkräften ausgesetzt.

Manche Alteingesessene behaupteten, es schon mehrfach »im Inneren knirschen gehört« zu haben. Geo hielt das für Siedlergarn. Er hütete sich jedoch, seine Zweifel zu äußern.

Jedenfalls hatte sich durch die Reibungswärme der Gezeitenprozesse – sowie durch den Zerfall radioaktiver Elemente im Gesteinskern infolge kryovulkanischer Aktivitäten – der Ammoniakozean gebildet. Er erstreckte sich unter einem Großteil der Oberfläche bis etwa 50 Grad Breite beiderseits des Äquators.

Allerdings variierte der Bereich je nach Jahreszeit. Bedingt durch die Bahnneigungen des Mondes und des Planeten, wendete Triton während Neptuns 166 Standardjahre dauernder Umlaufzeit der Sonne etwa 40 Jahre lang »tagsüber« – also in jener Phase, in der er nicht im Schatten des Gasriesen stand – die Nordhalbkugel zu, und dann 40 Jahre lang die Südhalbkugel.

Da gerade »Nordsommer« herrschte, war der bis zu 50 Kilometer tiefe Ozean in nördliche Richtung gewandert. Darüber lagen ewiges Eis und eine sehr dünne Atmosphäre aus Stickstoff und Methan.

Geo Lichtblau lenkte seine Gedanken zurück zu dem, was ihm, neben der Ruhe und Abgeschiedenheit, am wichtigsten war: Bier.

Sollte er als Nächstes ein leicht-süffiges Hefeweizen in Angriff nehmen? Oder doch wieder einmal einen mächtigen Doppelbock?

*

Akustische und optische Signale zeigten einen Funkanruf an.

Verärgert sah Geo auf die Uhr. Dann akzeptierte er die Störung und aktivierte die Verbindung.

»Ich bin's«, sagte Mutter Canan Peck. »Mit der üblichen Warnung, nicht die Zeit zu übersehen.«

»Jaja, danke. Ich komme gleich hinauf.«

Die Äbtissin, eine erstaunlich jung, fast mädchenhaft wirkende Terranerin, lächelte verständnisvoll. »Alles in Ordnung bei dir?«

Abermals bejahte Geo Lichtblau. Die Energiespeicher der Schweigekapseln, mit denen man in die lichtlosen und völlig unbelebten Tiefen des Ammoniakmeers tauchen konnte, reichten für maximal zehn Stunden. Sieben waren bereits verstrichen ...

»Dann bis bald, Bruder Geo.«

»Bis bald.« Er griff nach der Steuerung und warf die Motoren an.

Den Anzeigen zufolge funktionierten sie klaglos. Das U-Boot stieg höher und höher, bis es die Öffnung im Eis oberhalb des Ozeans erreichte.

Mittels der eingebauten Gravopaks hievte sich die Kapsel auf die spiegelglatte, bläulich schimmernde Fläche. Wenig später glitt sie in einen kleinen Hafen. Von dort waren es nur noch zwei Kilometer bis zum Kloster der Eismönche.

Geo schlüpfte in seinen Thermoanzug und schloss den Helm. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Tacet-Boot sicher verankert war, trat er durch die enge Mannschleuse hinaus ins Freie.

Sofort wurden die Auswirkungen des Weltenbrands wieder etwas stärker spürbar; zumal Triton gerade hinter Neptun hervortrat und das Sonnenlicht auf diese Gegend fiel. Trotz der großen Entfernung zu Sol – immerhin rund 4,5 Milliarden Kilometer – stellte sich rasch das äußerst unangenehme Gefühl der Hypersensibilisierung ein.

Obwohl er sich psychisch dagegen gewappnet hatte und trotz der vorsorglich abgedunkelten Sichtscheibe seines Helms, empfand Geo das Licht als schmerzhaft blendend. Hinzu kam die Rückkopplung der eigenen, sensorischen Wahrnehmungen.

Er sah; und gleichzeitig fühlte er, dass er sah; und dass er fühlte, dass er fühlte ...

Und immer so weiter, ad infinitum. Man musste viel Willenskraft aufbringen, um daran nicht irre zu werden.

Dabei waren die Tritonier noch relativ bevorzugt; eben wegen der Distanz zum Zentralgestirn und dessen verderblicher, hyperenergetisch entarteter Quintronenstrahlung. Den Nachrichten von Terra, dem Mars oder der Venus hatte Geo entnommen, dass dort bereits zusätzlich das Gehör und der Tastsinn in ähnlich quälender Weise beeinträchtigt wurden.

Auswirkungen auf Geruch und Geschmack waren bislang nur vereinzelt dokumentiert worden. Dennoch fürchtete Geo sich davor am meisten.

Welchen Sinn hätte sein Leben, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, das Bier, das er braute, abzuschmecken und hinterher zu genießen?

*

Das Kloster, dem Geo Lichtblau angehörte, lag in der Randzone des sogenannten Honigmelonen-Terrains.

Es handelte sich um eine Formation aus Mulden und Bergrücken. Vermutlich war sie durch das Aufsteigen von Material aus tieferen Schichten entstanden. Sie bedeckte große Teile der westlichen Hemisphäre Tritons.

Die Schwerkraft auf dem Mond betrug nur 0,2 Gravos. Vor Geo lag daher kein schwieriger Weg.

Mit weiten und zugleich gemächlichen Sprüngen näherte er sich dem heimatlichen Konvent. Er erfreute sich am Anblick der fünf stumpfkegeligen Bauwerke, deren Flachdächer in unterschiedlichen Winkeln abgeschrägt waren. 200 Meter hoch, durchmaßen sie an der Basis jeweils 250 Meter.

Sie erschienen robust, beinahe wie natürlich gewachsen. Fenster hatten sie keine – und das war gut so. Erst recht, seit in der Milchstraße der Weltenbrand tobte ...

Während er sich, Sprung für wohlbemessenen Sprung, dem Ensemble näherte, hatte Geo Lichtblau plötzlich eine Vision. Seine Sicht trübte sich schlagartig.

Was war das? Eine Augentäuschung, verursacht durch ein Flackern des vermaledeiten Hyperlichts?

Nein.

Ihm schien vielmehr, als schwebte ein stummer, riesenhafter Schatten über ihn hinweg. Der verwaschene Schemen sank tiefer, als setzte er zur Landung an, ungefähr in der Nähe des Tacet-Hafens.

Geo zögerte. Er horchte in sich hinein.

Hatte er sich das Phänomen eingebildet? War er überhaupt Herr seiner Sinne?

Die aufwallende Panik mühsam unterdrückend, rief er die Äbtissin an. »Hier nochmals Geo. – Erwarten wir Besuch?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Canan Peck, hörbar verdutzt.

»Habt ihr ein anfliegendes Raumschiff geortet?«

»Moment, ich frage nach ... Nein. Alles friedlich. – Wie kommst du darauf, Bruder Geo?«

»Da war etwas ... Ich werde mich ein wenig verspäten.«

»Weshalb?« Canan Peck klang nicht begeistert.

»Weil ich umkehre, um nachzusehen. Wahrscheinlich vergeblich, aber ... Ich melde mich wieder.«

»Gib auf dich Acht!«, mahnte die Äbtissin. »Mach keinen Blödsinn, hörst du? Der Weltenbrand bringt Verwirrung mit sich, und niemand weiß, wann er bei uns voll zuschlägt.«

»Das ist mir bewusst. Aber ich glaube, wir bekommen es soeben mit etwas anderem zu tun. Sei unbesorgt, ich werde kein Risiko eingehen.«

»Okay. Wir haben dich auf dem Schirm. Tu, was du nicht lassen kannst.«

»Lichtblau, over.« Noch während er die Funkverbindung auf Stand-by schaltete, drehte sich Geo um.

Er lief los in Richtung der Stelle, wo er den Landeplatz des fremden Schiffs vermutete – falls es sich bei dem Schemen denn um ein solches gehandelt hatte. Weit musste er nicht gehen.

Schon nach einer kurzen Weile bemerkte er, dass ihm etwas entgegenkam. Jemand. Eine Gestalt, humanoid.

Ein Mensch.

Eine Frau. Sogar eine berückend, nachgerade ätherisch schöne Frau. Mit schlanker und zugleich verführerisch kurviger Figur und einem markanten, von hohen Wangenknochen, großen schwarzen Augen und vollen, blassrosa Lippen geprägten Gesicht.

Das alles konnte Geo Lichtblau sehr gut sehen. Weil die Frau, zu seinem nicht geringen Schock, keinen Schutzanzug trug.

Perry Rhodan 2991: Die Eismönche von Triton

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