Читать книгу Perry Rhodan 2986: Sonnenmord - Leo Lukas - Страница 10
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Die Wahl
Im selben Moment, in dem er, wiewohl nur ansatzweise, verspürte, was das Exoplantat ihm geben konnte, war 1jung den Rohren verfallen; von da an auf immer.
38alt sollte recht behalten haben. Ja, er lag völlig richtig! Manche Sprösslinge ihrer Zivilisation waren nicht dafür geeignet, die Segnungen der Hüllen, der kybernetischen Verstärkungen und Verschlankungen zu empfangen.
1jung aber gehörte nicht zu denen. 2jung lernte, mit den Nebeneffekten zurande zu kommen.
3jung wiederentdeckte ältere Affinitäten. 4jung ...
Und so weiter, und so fort.
Als 16jung wurde er, bereits eine Legende unter Orts- und Zeitgenossen, zu einem Trainings-Einsatz fernab seiner Batazeé einberufen. Dieser Schritt, so einfach er im temporalen Zusammenhang anmutete, verlangte ihm fast alles an Willenskraft ab. Weil er sich zum ersten Male auch körperlich von jenem Faden lösen musste, der alles zusammenhielt.
Es war ... die Hölle. Und zugleich die Verheißung einer himmlischen Befreiung.
*
Er lernte viel über sich – und dabei mehr über die Vorgeschichte seines Volkes.
Die Ahnen, um die sich manche Mythen rankten, entstammten einem Mutterorganismus, dem Frühen Wirren Faden. Aus diesem hatten sie sich mittels Knospung gebildet. Er lebte immer noch, unaufhörlich wachsend, auf dem Ursprungsplaneten, der Zelezeé.
Sowohl vom Frühen Faden als auch von dessen Ablegern auf den insgesamt 43 kolonialen Batazeén in Sevcooris vermochten die Tochterindividuen sich aus freiem Willen abzuschnüren. Wenn sie den furchtbaren, damit verbundenen Schmerz in Kauf nahmen.
Allerdings konnten sie nach der vollständigen Trennung nur wenige Monate weiterexistieren – außer, sie verlängerten ihre Lebenszeit durch kybernetische Exoplantate auf bis zu hundert Jahre, in denen sie ohne weiteren, längeren Kontakt zum Urfaden auskamen.
All das gehörte zur Grundausbildung, die 16jung durchlaufen hatte, noch vor dem Fest der Erstverleihung. Zusätzlich lehrten ihn seine Erfahrungen sowie die gelegentlichen Treffen mit 30alt, dass sich mit jeder hinzugekommenen Erweiterung auch seine Persönlichkeit erheblich veränderte.
»Kein Gewinn ohne Verlust«, dozierte der zusehends vergreisende Aufzieher. »Kein neues Glück ohne neues Leid. Für jedes Teilstück, das deine Fähigkeiten erweitert, musst du dich zugleich innerlich verengen.«
»Mir erscheint das ein fairer Handel. Ich tausche Zukunft gegen Vergangenheit ein.«
»Schon recht, aber ... Bis zu welchem Punkt? Ab der Überschreitung welcher Schwelle bist du überhaupt noch du?«
»Mit allem Respekt, ich fühle mich nicht im Mindesten amputiert. Oder verengt, wie du es genannt hast. Sondern vielmehr befreit und reich beschenkt!«
»In deinem Alter empfand ich ebenso. Und ich will dir das Ganze ja auch nicht madig machen, wirklich nicht. Aber lass dir von einem müden, absterbenden Ast unseres Stammfadens sagen: Mit jedem weiteren Zusatzteil, selbst wenn du bereits sechzehn solche Teile bewundernswert schnell akkumuliert hast, triffst du, jedes Mal wieder, eine Entscheidung, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt.«
»Du warst 253jung«, erinnerte 16jung den mitleiderregend gebrechlichen Mentor, »als du plötzlich den Rückwärtsgang eingelegt hast.«
»Über zweihundertfünfzig, tatsächlich? Ohne dass mir eine verpflichtende Rüstungsfarbe zugeteilt worden wäre? Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern ... Das ist Rekord, oder nicht?«
»Ein Rekord, der kaum zu überbieten sein wird«, hielt 16jung den Alten bei Laune. »Wie hast du das geschafft?«
30alt bäumte sich ruckartig auf, wobei aus der Ummantelung seiner Schwanzspitze ein kleines, rot-metallisch schimmerndes, linsenförmiges Stückchen abbrach. Als 29alt antwortete er: »Ich habe mich stets mit den exotischsten Rohren umgürten lassen, die zur Verfügung standen. Notfalls habe ich sie mir auch über dunkle Kanäle beschafft.«
»Illegal?«
»Nie und nimmer! Was glaubst du von mir? Sagen wir ... Ich hatte manchmal Zugang zu Quellen, die noch ihrer Bewilligung harrten. Oder ich übertrat ein Verbot, das jedoch niemals aktiv eingefordert wurde.«
»Auf diese Weise ist es dir gelungen, dass trotz einer Gesamtzahl von zweihundertdreiundfünfzig Exoplantaten noch immer keine endgültige Deklaration für eine Rüstung eingefordert wurde?«
»Ach, gefordert ... Gefordert haben die Fadenmeister viel. Oft. Immer wieder. Aber weißt du, das meiste Zeug, das ich mir umschnallen ließ, diente der Förderung künstlerischer Kreativität.«
»Warum?« Tatsächlich waren solche Ansätze in ihrer Gesellschaft nicht gerade hoch geachtet.
»Um besonders gewagte Bilder zu malen oder Skulpturen zu meißeln! Um extraschräge Symphonien zu komponieren, Lyrik mit siebzehn Metaebenen zu dichten oder schier endlos ausufernde und dennoch spannende Epen ... Auch mit der Inszenierung von Feuerwerken habe ich mich lange beschäftigt, aber das ...«, 29alt richtete sein Sehorgan auf die in den Nährschlamm gefallene, erblindete Linse, »... ist nun ebenfalls Geschichte.«
»Wieso haben meine Sprösslingsgenossen und ich praktisch nichts von deinen Schöpfungen mitbekommen?«
»Hörst du mir eigentlich zu? – Natürlich, weil fast niemand außer mir über die entsprechenden Wahrnehmungsorgane verfügt!«
»Du hast das alles im Prinzip nur für dich geschaffen?«
»Für mich«, sagte 28alt pathetisch – soeben war ihm ein weiteres Exoplantat entglitten –, »und den Großen Faden.«
*
Sie waren, als Individuen, wurm- oder schlangenartige Wesen. Wenn sie sich aus eigener Kraft bewegten, dann mühsam kriechend.
Andererseits waren sie begnadete Werkzeugmacher, dank ihrer flexiblen Kopfzangen, in Kombination mit dem dazwischen befindlichen, auch für makrooptische Auflösung geeigneten Facettenauge. Ohne diese natürliche Befähigung zur Feinmechanik hätten sie sich niemals aus den saftigen Sümpfen der Urwelt erheben können.
Zu welchem Zweck?, fragte sich 16jung manchmal. Um sich meistens selbst die Antwort zu geben: Weil der Faden sich erstrecken will, immer weiter und weiter hinaus.
Schön und gut. Aber zwischen der Eroberung eines planetaren Lebensraums und dem Sprung über interstellare Entfernungen hinweg lagen, nun ja: Welten.
Als er 27alt, der immer mehr verfiel, diesbezüglich aushorchen wollte, erntete er bloß die kryptische Antwort: »Die Gönner haben uns so weit gebracht. Wer sonst!«
»Welche Gönner?«
»Du weißt aber auch gar nichts, wie?«
»Welche Gönner?«
»Bist du immer noch dumm genug, nicht zu erkennen, dass wir ohne äußere Beeinflussung nie zu dem geworden wären, was manche von uns sind?«
»Was?«
»Werkzeuge einer höheren Macht. Instrumentiert durch just diejenigen, psychomechanischen Instrumente, die uns für diesen Dienst befähigen und in diese Knechtschaft versklaven.«
Erschüttert fragte 16jung nach. Jedoch war aus 28alt, nein: 27alt von da an nichts mehr herauszukitzeln als endlose Zitate seiner früheren, multimedialen, unbeachteten Kunstwerke.
In Summe: vergebliche Liebesmüh.
*
Ein Wort hatte sich in 16jungs Bewusstsein eingegraben, ein Begriff, der ihn bis in die Traumphasen verfolgte: Gönner.
Offenbar gab es eine Macht außerhalb des sich über 44 Sonnensysteme erstreckenden Kontinuums der Wirren Fäden. Eine geheime Macht, die seit Langem die Weiterentwicklung der Sprösslinge beeinflusste und unzweifelhaft förderte – aber in welche Richtung? Und mit welchen verborgenen Zielen?
Viele Nachforschungen stellte 16jung an. Erfolglos. Die Mauern, auf die er prallte, erwiesen sich als undurchdringlich.
Wenn er 27alts Aussagen zitierte, beschatteten seine Gesprächspartner die Sehflächen mit kunstvoll gestylten, exoplantierten Nickhäuten.
»Der ist so gut wie hinüber«, hieß es. »Bald wird er sich mit 23alt und 9alt in den Beschwörungen ihrer gloriosen, künstlerischen Vergangenheit verloren haben, Friede den Geistern.«
16jung ließ sich gleichwohl nicht davon abhalten, tiefer in der Vergangenheit zu wühlen. Im Gegenteil, ihn spornte an, dass es offenbar Denkverbote gab, die irgendjemand schon früh der gesamten Gesellschaft der Fadenkinder aufgepfropft hatte.
Zu einer vollkommen aufklärenden Erkenntnis stieß er nicht vor, so sehr er sich bemühte. Zu stabil waren die über viele Generationen errichteten Barrieren.
Immerhin verriet ihm ein Bataverwalter, den 16jung bis auf die Lymphknoten gequält hatte: »Ehe du dich nicht dazu durchringst, die Vereinigung deiner Exoplantate zu einer Rüstung zu akzeptieren, weißt du gar nichts.«
»Und danach?«
»Willst du es nicht mehr wissen.«
»Alle meine Zweifel werden ausgelöscht?«
»Schlagartig.«
»Aber, aber ... Ich meine, ist das nicht schlimm? Bin ich danach noch ... ich?«
»Was sollte daran schlimm sein? Du kannst endlich deine Bestimmung erkennen. Du wirst zu einem Ich, das ganz genau weiß, was du als Nächstes zu unternehmen hast. Ohne lästige Bedenken. Auf einer wunderschön schnurgeraden Linie gehst du deinen Weg. Vorwärts. Was links oder rechts davon liegt, bekümmert dich nie wieder.«
16jung hörte wohl, dass in diesem Versprechen auch eine Drohung lag. Trotzdem fragte er: »Werde ich danach die Sterne sehen?«
»Das wirst du. Mehr noch: Du wirst über diese Sonnen in gewisser Weise herrschen.«
»Warum sollte ich das anstreben?«
»Nimm einfach die nächste Erweiterung.«
»Die siebzehnte.«
»Ja. Danach werden sich dir solche Fragen nicht mehr stellen.«
»Mit anderen Worten, ich tausche Zweifel ein gegen totale Verdummung?«
»Begriffe wie diese«, entgegnete der Fadenmeister, »werden dir nie wieder in den Sinn kommen. Du wirst geborgen sein, innerhalb einer höheren, ungemein befriedigenden Mission.«
»Sobald ich die siebzehnte Manschette annehme.«
»In deinem Fall, ja. Sie ist es, wodurch die bisherigen Module sich zu einer Rüstung verbinden. Alles wird sich plötzlich zu einem größeren Sinnzusammenhang fügen. Du wirst erkennen, wofür wir eigentlich geboren und geborgen wurden.«
16jung wägte ab. Unzweifelhaft stand er an einem Scheideweg.
Sollte er nach links gehen, in die Verweigerungshaltung des Aufziehers 26alt, dessen Bewusstsein sich längst in der Beschwörung ehemaliger Größe verflüchtigte? Oder sollte er den rechten Weg wählen, der so viel mehr neue Erkenntnisse offerierte?