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2.

Der Anwärter

Die Überreichung und Anpassung der Ersten Manschette war ein großes Ereignis; nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Batazeé.

Allerhand rituelles Brimborium fand statt, bis man ihm endlich die Ersterweiterung überstülpte. Er hatte sich darauf gefreut, ja danach gefiebert, seit er die Fähigkeit zum selbstbezogenen Denken erlangt hatte.

Die Verschlüsse klickten. Seine Koloniegenossen erhöhten die Lautstärke und Dynamik ihres subsonisch vibrierenden Gesangs.

Er öffnete sich, zitternd vor gieriger Erwartung, für die neuen Eindrücke. Und ...

Fühlte nichts.

Nichts geschah. Zumindest nichts, was er bewusst wahrgenommen hätte.

Rings um ihn jubelte die Festgemeinschaft. Kaktusblüten flogen durch die Luft. Bunte Rankengirlanden schlangen sich, scheinbar telekinetisch gesteuert, um die Leiber der anwesenden Teilhabenden.

Knatternd und knallend erblühten am Nachthimmel Feuerwerke. Ihre Leuchtpunkte breiteten sich aus und vervielfältigten sich, wieder und wieder.

Im Zentrum all dieses Tumults lag der Gefeierte, schlapp, unfähig, sich zu rühren, und fühlte sich verraten.

Es war nicht das erste Mal.

*

Nach der Zeremonie, als sich die Koloniegenossen wieder ihren üblichen Tätigkeiten widmeten, sprach ihn 38alt an, einer seiner Aufzieher. »Du wirkst enttäuscht, 1jung aus Batazeé 42.«

Das war das erste Mal, dass er bei seinem neuen Rangnamen genannt wurde. Eigentlich ein besonderer Moment; jedoch vermochte er beim besten Willen nicht, ihn zu genießen.

Da er vor Scham schwieg, sagte 38alt: »Kann es sein, dass du keine unmittelbare Wirkung der Ersterweiterung verspürst?«

»Wie kommst du darauf?«, krächzte 1jung.

»In sehr seltenen Fällen setzt sie verzögert ein. Ich glaube, dass bei dir ein solcher Fall vorliegt. Oder irre ich mich?«

»Nein«, gestand er nun doch.

Er kroch mühsam näher zu 38alt hin, wobei ihn das Rohr mehr behinderte als unterstützte. Es blieb starr und zwickte, anstatt seine Bewegungen zu unterstützen.

»Aha. Die sensorische Verschmelzung hat noch nicht stattgefunden«, sagte 38alt.

»Warum?«, schluchzte 1jung auf. »Liegt es an mir? Bin ich schadhaft? Ungeeignet, den Langen Weg zu gehen?«

»Aber nein, wo denkst du hin? Nach allem, was ich gelernt habe, könnte es sich sogar um das Gegenteil handeln. Den Überlieferungen zufolge tritt eine derartige anfängliche Hemmung häufig gerade bei Hochbegabten auf.«

1jung glaubte ihm nicht. »Du willst mir bloß den Schmerz versüßen. Bei mir hat nie jemand höhere Talente festgestellt.«

Vielmehr war er immer als eher unterdurchschnittlich veranlagt eingestuft worden. Die Beurteilungen der Fadenmeister hatten, je nach Freundlichkeit, zwischen »möglicherweise Spätentwickler« und »rettungslos geistig zurückgeblieben« geschwankt.

»Vergiss, was früher war«, sagte 38alt. »Meiner Meinung nach sollten solche Aussagen vor der Ersterweiterung gar nicht getroffen werden. Seit Jahrzehnten fordere ich das von den Fadenmeistern unserer Batazeé. Aber du weißt ja, wie das ist: Je weniger einer zu sagen hat, desto lieber macht er sich wichtig.«

Diese Worte vernahm 1jung gerne, aber auch mit einem gewissen Vorbehalt.

38alt war nicht sonderlich hoch angesehen in der Kolonie, wiewohl nur 25alt und 11alt der Endverflüchtigung näherstanden. Während diese beiden als Weise verehrt wurden, obgleich sie kaum mehr Verständliches von sich gaben, galt er als halb seniler, halb immer noch pubertierender Wirrkopf.


Illustration: Swen Papenbrock

Sollte 1jung es nicht auch als bedenkliches Zeichen sehen, dass nach der ganzen, bombastischen Feier niemand außer 38alt Interesse an ihm zeigte? Gehörte er ab sofort zu den Außenseitern ihrer – im wahrsten Wortsinn – eng verknüpften Gesellschaft?

»Wir leben ziemlich weit vom Schuss«, setzte der greise Aufzieher fort. »Diese Batazeé ist die zweiundvierzigste, und somit der bislang vorletzte planetare Ableger unseres Volkes in der Galaxis Sevcooris. Man könnte uns gut und gerne als Hinterwäldler bezeichnen, deren Wissensstand nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit ist.«

»Danke, dass du dich um mich kümmerst, aber ... Was hat das mit mir zu tun?«

*

Er behauptete von sich selbst ebenfalls nicht, die großen kosmischen Geheimnisse durchschaufelt und mit vollen Kopfzangen verinnerlicht zu haben, erklärte 38alt. Dabei verzerrte er seine facettierte, etwas getrübte Sehfläche zu einem gutmütigen Schmunzeln.

Allerdings habe er die eine oder andere Hypothese entwickelt, was ungewöhnliche Reaktionen auf die Verleihung der Ersten Manschette betraf. »Willst du sie hören?«

1jung bejahte. Geschlaucht und frustriert, wie er war, hätte er sowieso kaum Widerspruchsgeist aufgebracht.

»Manches deutet darauf hin«, sagte 38alt, »dass besonders für die Verschmelzung Geeignete umso schockierter, ja nachgerade paralysiert auf die völlig neue Erfahrung reagieren.«

»Wieso?«

»Nun, dies ist, langfristig betrachtet, der erste Schritt zur Abschnürung vom Großen Faden, nicht wahr?«

»Streben wir das denn nicht alle an? – Oh. Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen.«

»Der Verweis darauf, dass ich mich dem zeitlebens verweigert habe, ist absolut berechtigt. Weshalb er keinerlei Verletzung in sich birgt. – Viele sind dazu berufen, sich in die Weiten des Weltenraums zu verstreuen, andere eben nicht. Zu jener Minderheit gehöre ich, und ich bin sehr froh darüber. Ich für mein Teil habe nie angezweifelt, die richtige Wahl getroffen zu haben.«

1jung war nicht klar, worauf 38alt mit diesen Belehrungen abzielte. Wollte er ihm schmackhaft machen, denselben Lebenspfad einzuschlagen wie er?

Als hätte er 1jungs Gedanken gelesen, sagte der Aufzieher: »Versteh mich bitte nicht falsch. Und nimm mich sowieso nicht allzu ernst! Ich bin ein alter Schrull, der seinen Planeten nie verlassen hat, weil er für immer mit dem Faden dieser Batazeé verwachsen bleiben wollte. Dir hingegen ist, wenn du mich fragst, ein anderes Schicksal beschieden. Dich lockt das Unbekannte, Fremde. Oder etwa nicht?«

»Doch«, gab 1jung zu.

»Eben. Gerade deswegen wehrst du dich unbewusst dagegen, den ersten Schritt hinaus zu vollziehen, weg von den Sicherheiten der Kolonie. Bei manchen vergleichbaren Fällen, von denen ich gehört habe, hat es einige Minuten gedauert, bei anderen Stunden bis Tage, je nach dem Grad ihrer Begabung.«

»Du meinst ...?«

»Wart einfach ab, 1jung. Ruh dich aus, schlaf. Falls du danach keine Fortschritte bemerkst, geh unverdrossen deinem Tagwerk nach. Obwohl die Manschette dich vermutlich dabei stören wird, solange du ihr nicht Zugriff auf dein bisheriges Selbst gestattest. Aber versteif dich um aller Himmel willen nicht darauf! Irgendwann wird es geschehen, unweigerlich, und dann ...«

»Dann?«

»... wirst du nie mehr derselbe sein.«

*

Er bemühte sich sehr, den Rat zu befolgen.

Leicht fiel es 1jung nicht, sich in Geduld zu üben und seine Sehnsüchte auszublenden. Immer wieder schlugen die Schatten der Melancholie über ihm zusammen, hüllten ihn ein und drohten, ihn in tiefster Depression zu verschlingen.

Mehr als einmal kokettierte er mit dem Gedanken, dass er vielleicht besser dran wäre, wenn er die dumme, starre, scheinbar nutzlose Manschette einfach wieder abstreifte. Wenn das Exoplantat ihm seine segensreichen Einflüsse partout verweigerte – oder, umgekehrt, etwas in 1jung sich dermaßen dagegen sperrte –, dann sollte es halt nicht sein.

Wie das Beispiel von 38alt bewies, gab es durchaus andere, mindestens ebenso erfüllende Existenzweisen. Was war so übel daran, für die gesamte Lebensdauer ununterbrochen heimatverbunden zu bleiben?

Aber er brachte es letztlich nicht übers Herz, seine Zukunftspläne, wie vage sie auch waren, radikal über den Haufen zu werfen und sich mit einem anderen, geringeren Ziel zu bescheiden. Lieber schleppte 1jung sich weiter, trotz des grässlich stummen, stocksteifen Fremdkörpers, den man ihm um die Leibesmitte geschnallt hatte.

Die gleichermaßen geliebte wie verhasste Nabelschnur, die ihn mit dem Großen Faden der Kolonie verband, zog er mutlos hinter sich her. Was über sie in ihn einfloss, spendete ein Mindestmaß an Sicherheit, aber keinen Trost.

So quälte 1jung sich, fast eine Woche lang.

Bis es, als er bereits jegliche Hoffnung aufgegeben hatte, über ihn kam mit einer Heftigkeit, die er niemals für möglich gehalten hätte.

Perry Rhodan 2986: Sonnenmord

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