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3.

Eine rein zufällige Begegnung

Die SOOZORD war, wie alle Raumväter der Onryonen, kugelförmig und durchmaß 2100 Meter. Die Hülle bestand aus tiefrot leuchtendem, durch hyperenergetische Aufladung gehärtetem Patronit.

Von Pol zu Pol verlief eine Schiene, auf der eine kegelförmige Antriebseinheit mit leistungsstarken Linear- und Impulstriebwerken beweglich angebracht war. Der Kegel fand auch als Landestütze Verwendung.

Perry Rhodan, der ohne Begleitung übergesetzt war, wurde von Tropar Lendellec in der Hauptleitzentrale empfangen. Er hatte den Onryonen als nüchternen, geradlinigen Pragmatiker schätzen gelernt, mit dem es sich gut zusammenarbeiten ließ.

Eigentlich war Lendellec als Beauftragter des aktuellen Ryotars der On-Ökumene – also der Gesamtheit aller On-Welten der Onryonen – zur Konferenz des Galaktikums auf dem Planeten Aurora angereist. Ergänzend zur bereits zugesicherten Unterstützung bei einem etwaigen Evakuierungsprogramm in die Nachbargalaxis Andromeda hatte er erklärt, dass die Onryonen notfalls auch anderen Galaktikern Asyl auf ihren Planeten gewähren würden.

Freilich müssten die On-Welten aller Wahrscheinlichkeit nach mittelfristig aus dem Wirkungsbereich des Weltenbrands gebracht werden. Denn dieser schlüge zwar derzeit noch nicht voll in den Linearraum durch, sei dort aber bereits als Bedrückung spürbar, da es sich nun mal um ein höherdimensionales Phänomen handelte.

Bald darauf hatte Tropar Lendellec gezeigt, dass er nicht nur als Diplomat zu reüssieren vermochte. Der SOOZORD war zu verdanken gewesen, dass man die Spur der Gataser, die Perry Rhodan entführt hatten, trotz des großen Vorsprungs doch noch hatte aufnehmen können.

Nach Rhodans Rettung hatten die onryonischen Linearraumdetektoren ein riesenhaftes Trägerschiff der Thoogondu entdeckt, die Leerraumfähre PARRASTURD. Gemeinsam mit einem Posbi aus der BOX 11211 war es Rhodans Team gelungen, der Neurotronik der PARRASTURD die Information zu entlocken, dass ein baldiger Angriff auf die Hundertsonnenwelt geplant war.

*

In Anbetracht der Bedrohungslage und des Zeitdrucks verzichteten der Terraner und die Onryonen auf langwierige Begrüßungsfloskeln. Ohne Umschweife erteilte Lendellec, kaum dass Perry Rhodan im variablen Gästesitz hinter dem Kommandostand Platz genommen hatte, den Startbefehl.

Der Flug zu dem kleinen Raumschiffsfriedhof dauerte nur wenige Minuten. Währenddessen wurden die Ortungsdaten in so rascher Abfolge aktualisiert, dass Rhodan Mühe hatte, mit der Sichtung der ihm freundlicherweise ebenfalls übermittelten Holos Schritt zu halten.

Die Indizien dafür, dass eines der vier havarierten Schiffe tatsächlich eine terranische Space-Jet war, verdichteten sich zur Gewissheit. Schließlich ließ sich sogar von der reichlich malträtierten Hülle die Typennummer ablesen.

Aus der GALBRAITH DEIGHTON, an die permanent sämtliche Daten gefunkt wurden, erging der Anruf, dass man das verunglückte Schiff identifiziert hatte. Es war laut Flottenarchiv Ende 1332 NGZ vom Stapel gelaufen, also vor 219 Standardjahren. Kurz danach hatte man es an die Beibootflotte der LEIF ERIKSSON überstellt, die ab Mai 1333 NGZ als Flaggschiff Atlan da Gonozals im Sternenozean von Jamondi gedient hatte.

Darüber hinaus war, wohl aufgrund der damaligen Wirren, nur lapidar verzeichnet: »Am 26. Mai im Tan-Jamondisystem von Oberbefehlshaber an verbündete Kräfte übergeben; seither unbekannten Aufenthalts.«

Welchen »verbündeten Kräften« hat Atlan eine terranische Space-Jet geschenkt?, fragte sich Perry Rhodan in Gedanken. Und warum?

Vor allem aber: Wie und weshalb war das diskusförmige, bloß 34 Meter durchmessende Beiboot der ROMULUS-Klasse an diesen Ort gelangt, weit jenseits der Reichweite seiner Triebwerke?

*

Laut den Messergebnissen der onryonischen Orter erwies sich die Space-Jet auch aus der Nähe als energetisch tot. Gleiches galt für zwei andere Wracks.

Eins davon hatte, bevor es auseinandergebrochen war, die Form einer Doppelspindel gehabt, mit einer hochgerechneten, ursprünglichen Gesamtlänge von etwa 700 Metern. Das andere, ebenfalls größtenteils zerstörte Schiff war, der Rekonstruktion zufolge ein an beiden Enden aufgewölbter, 1800 Meter langer, 600 Meter breiter und 300 Meter hoher Quader gewesen.

Beide Schiffstypen tauchten weder in den Archiven der GALBRAITH DEIGHTON noch der SOOZORD auf. Das vierte Wrack hingegen konnte als 220 Meter durchmessender Ringraumer der Zikkurer-Drills identifiziert werden.

»Von ihm geht der schwache, unaufhörlich wiederholte Notruf aus«, erinnerte Tropar Lendellec. »Außerdem ist das der einzige Schiffsrest, in dem unsere Individualtaster Anzeichen für die Relikte biologischer Intelligenzen verorten.«

»Heißt das, in den Trümmern der drei anderen Raumer gibt es nicht einmal Leichen?«

»Richtig. Nichts, was nicht bereits derart zu Staub zerfallen wäre, dass selbst unsere Instrumente daran scheitern, die Restbestände wahrzunehmen.«

»Zwei Jahrhunderte seit Inbetriebnahme der Space-Jet, dem einzig fixen Anhaltspunkt, den wir momentan haben, sind eine lange Zeit. Aber im Vakuum des Weltalls ...«

»Sollten sich, da sämtliche Hüllen zerborsten sind, mumifizierte Leichname von Besatzungsmitgliedern konserviert haben, ja. Es drängt sich die Mutmaßung auf, dass diese Wracks, wann auch immer, schon als Geisterschiffe an diesem Ort angekommen sind.«

Die Sache wurde mit jedem hinzukommenden Detail mysteriöser.

*

Dass weder die Terraner noch die Onryonen die Herkunft der Doppelspindel und des Quaderraumers bestimmen konnten, wunderte Perry Rhodan nicht. Nach wie vor waren große Teile der Milchstraße unerforscht.

Zahlreiche junge, aufstrebende Zivilisationen mochten erst vor relativ kurzer Zeit einen einfachen Überlichtantrieb entwickelt haben und damit kühn zu den nächstgelegenen Sternen aufgebrochen sein. Wie viele hatten es noch nicht geschafft, so weit vorzudringen, dass sie im Wahrnehmungsbereich der technologisch höherstehenden, galaktischen Machtgruppen aufgetaucht wären?

Man wusste es schlicht und einfach nicht.

Wird der Weltenbrand sie dahinraffen?, fragte sich Perry Rhodan, dem es bei diesem Gedanken plötzlich eng um die Brust wurde, ehe die Milchstraße überhaupt noch von ihnen und ihren Zukunftshoffnungen Notiz genommen hat?

Immerhin halfen ihm die Funksprüche aus der GALBRAITH DEIGHTON auf die Sprünge bezüglich der Zikkurer-Drills, von deren Raumschiff das Notsignal nach wie vor ausging. Bei ihnen handelte es sich um dreiarmige Dreibeiner mit annähernd birnenförmigem Torso.

Auf ihrem bis zu dreißig Zentimeter hoch ausfahrbaren Hals saß ein dreimäuliger Kugelschädel, dessen Dreifachkinn wiederum zahlreiche Tentakelbärte entsprangen, die sich zu komplizierten Botschaften einer Knotenschrift verhedderten. Rhodan erinnerte sich vage, schon einmal mit einem Vertreter dieses Volkes zu tun gehabt zu haben. Aber er hätte nicht mehr einordnen können, wann, wo und unter welchen Umständen.

Beneidete er deswegen seine uralten Freunde und Mitstreiter Atlan und Homer G. Adams um ein fotografisches Gedächtnis?

Ja. Und gleich drauf wieder: nein. Perry war sehr dankbar dafür, sich nicht an alles erinnern zu können oder zu müssen, was ihm jemals widerfahren war.

»Gibt's inzwischen Neues bezüglich dieser seltsamen Halbraum-Fahne, die allen vier Raumgefährten anhaftet?«, fragte er den onryonischen Kommandanten.

*

»Meine Bordwissenschaftler«, antwortete Tropar Lendellec, »sind gerade hektisch dabei, ihre früheren Theorien zu verfeinern beziehungsweise vorschnelle Annahmen zu korrigieren.«

»In welche Richtung?«

»Eventuell – ich betone, dass dies eine Spekulation ist, die von der bisherigen Faktenlage nur mangelhaft unterfüttert wird – könnte der Schleuder- oder peitschenschlagartige Beschleunigungs-Effekt, mittels dessen die so unterschiedlichen Wracks gleichzeitig an diesen Ort versetzt wurden, zu einem gewissen Teil auf der Opferung von Vitalenergie, ergo auch ÜBSEF-Konstanten beruht haben.«

»Was zumindest erklären würde, weshalb keine biologischen Überreste mehr auffindbar sind. Außer ...«

»... im Schiff der Zikkurer-Drills, ja.«

»Erlaube mir, das bisher Bekannte zusammenzufassen. Wir haben eine terranische Space-Jet, die im Sternenozean von Jamondi irgendwie verlustig gegangen ist. Zwei Schiffe unbekannter Bauart, auf denen sich ebenso wenig Hinweise auf eine organische Besatzung finden lassen. Aber einen Notruf, ausgehend vom Ringraumer einer Zivilisation, die sich bisher nicht gerade mit intergalaktischem Ruhm bekleckert hat.«

Mittlerweile war Perry Rhodan von den Historikern der GALBRAITH DEIGHTON darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass die Zikkurer-Drills sich schon vor geraumer Zeit dazu entschlossen hatten, strikt jegliche Zuwanderung auf die wenigen von ihnen besiedelten Planeten zu verbieten. Außerdem schotteten sie sich gegen den Handel mit kybernetischen Technologien ab.

Generell verabscheuten sie Roboter und künstliche Implantate jeder Art. Mehr hatte man schon viele Jahrhunderte lang nicht von ihnen gehört.

»Wir konstatieren also«, setzte Perry Rhodan fort, »ein scheinbar zufälliges Zusammentreffen von Schiffen dreier Völker, über die wir nichts oder nur sehr wenig wissen, mit einem ähnlich ominösen, über zweihundert Jahre alten, terranischen Beiboot. An einem Ort im intergalaktischen Leerraum, den keines dieser Vehikel auch nur annähernd aus eigener Kraft hätte erreichen können.«

»So stellt sich die Lage dar«, bekräftigte Tropar Lendellec. »Hinzu kommt ...« Er zögerte kurz.

»Ja?«

Ein Warnsignal ertönte. In der Zentrale der SOOZORD brach hektische Betriebsamkeit aus.

»Sofortiger Rückzug!«, rief der onryonische Kommandant.

»Notsprung-Kurzetappe eingeleitet«, kam es vom Pilotenpult zurück. Wenige Sekunden später verschwammen die Bilder der Außenbordkameras zu konturlosem Grau, das von flackernden Blinklichtern überstrahlt wurde.

»Was ist passiert?«, fragte Perry Rhodan, nachdem sie etwa auf halbem Weg zwischen dem Schiffsfriedhof und der GALBRAITH DEIGHTON in den Normalraum zurückgefallen waren.

Die Warnlichter erloschen, die Sirene verstummte. »Das war knapp«, sagte Tropar Lendellec.

»Eine Falle?«

Im auf ihn einprasselnden, holografischen Datenstrom fand Rhodan nur unverständliche Fachausdrücke.

»Keine, die absichtlich auf uns zugeschnitten wäre, meinen unsere Wissenschaftler. Aber sie haben entdeckt, gerade noch rechtzeitig, dass das hyperphysikalische Phänomen, das die Schiffswracks umgibt, als Neben- oder sogar Haupteffekt eine lokale Zeit-Anomalie generiert.«

»Welcher Art?«

»In einer Raumkugel von einigen Tausend Kilometern Durchmesser läuft die Zeit langsamer ab. Und zwar um einen Faktor, der sich mit der Verringerung der Distanz zum Mittelpunkt erhöht.«

»Je näher man den vier Schiffen kommt ...?«

»Desto stärker wird die Verzögerung.«

»Wir haben uns im Unterlichtanflug befunden«, Rhodan blickte auf die Holos, »und waren bereits innerhalb dieser Sphäre. Für knapp eine Minute. Das meiste davon an der Peripherie, aber ... Wie viel Realzeit haben wir bereits eingebüßt?«

»Rund acht Standardstunden«, antwortete Tropar Lendellec.

*

Insgesamt waren sie einem kumulativen Dilatationsfaktor von etwa 1 zu 480 unterlegen!

Es verstand sich von selbst, dass sie unter diesen Umständen die Erkundung der seltsamen Wracks bleiben lassen mussten. Space-Jet hin, Notruf her – sie durften nicht riskieren, noch bedeutend länger aufgehalten zu werden.

»Weiterhin keinerlei Indizien, dass diese Sache doch in Zusammenhang mit der Invasion der Thoogondu stehen könnte?«, vergewisserte sich Rhodan, bevor er wieder auf die GALBRAITH DEIGHTON übersetzte.

Nichts dergleichen, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, versicherten die onryonischen Fachleute. Auch die akribische Analyse der gesammelten Ortungsdaten ergab keine Verbindung zwischen den Geisterschiffen und dem Goldenen Reich oder der Galaxis Sevcooris.

Gleichwohl beschloss Perry Rhodan, das Rätsel nicht auf sich beruhen zu lassen.

Nach kurzer Absprache mit Admiralin Patoman schleuste die GALBRAITH DEIGHTON einen Leichten Kreuzer aus. Als Ultraschlacht- und Omniträgerschiff der JUPITER-Klasse führte sie 59 weitere Beiboote der 60 Meter durchmessenden Baureihen MERKUR und DIANA mit sich. Der Verlust an Geschwader-Kampfstärke hielt sich daher in verkraftbaren Grenzen.

Tropar Lendellec steuerte für diese wissenschaftliche Expedition ein halbes Dutzend onryonischer Wissenschaftler bei, die sich freiwillig dafür gemeldet hatten, bei der Erforschung der faszinierenden Halbraumzeit-Anomalie mitzuwirken. Mitsamt zahlreichen Spezialgeräten setzten sie auf den terranischen Kreuzer über, der nach einem verdienten Raumoffizier der Frühzeit, KARL PASCHER, benannt war.

Nachdem sie eingetroffen waren, beendeten die SOOZORD und die GALBRAITH DEIGHTON den unverhofft in die Länge gezogenen Orientierungsstopp. Fast einen halben Tag später als geplant setzten sie ihre Reise zur Hundertsonnenwelt fort.

Perry Rhodan 2986: Sonnenmord

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