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Die Ausführung dieses Planes machte viele Schwierigkeiten; aber Ljewin setzte all seine Kraft daran und erreichte, wenn auch nicht alles, was er wünschte, so doch so viel, daß er ohne Selbstbetrug glauben konnte, die Sache sei die darauf verwandte Mühe wert. Eine der Hauptschwierigkeiten lag darin, daß die Wirtschaft bereits im Gange war und es unmöglich war, alles zum Stillstand zu bringen und von neuem anzufangen, sondern gleichsam die Maschine, während sie ging, umgeändert werden mußte.

Als er gleich noch an demselben Abend, an dem er nach Hause zurückgekehrt war, dem Verwalter seine Pläne mitteilte, da stimmte dieser sichtlich mit Vergnügen dem Teile der Auseinandersetzung zu, in dem Ljewin nachwies, daß alles bisher Unternommene Unsinn und unvorteilhaft sei. Der Verwalter bemerkte dazu, das habe er schon längst gesagt; man habe nur nicht auf ihn hören wollen. Was aber den von Ljewin vorgetragenen Plan anlangte, sich als Genossenschafter mit den Arbeitern zusammen an dem ganzen landwirtschaftlichen Unternehmen zu beteiligen, so setzte der Verwalter demgegenüber nur eine sehr trübselige Miene auf, sprach gar keine bestimmte Meinung aus und begann sogleich von der Notwendigkeit zu reden, am nächsten Tage die noch übrigen Roggenhaufen einzufahren und das Land umackern zu lassen, so daß Ljewin merkte, der Verwalter halte den jetzigen Zeitpunkt nicht für geeignet zu solchen Neuerungen.

Als er dann über denselben Gegenstand mit den Bauern sprach und ihnen den Vorschlag machte, ihnen unter neuen Bedingungen Land zu überlassen, da stieß er wieder auf dieselbe Hauptschwierigkeit, daß sie nämlich von der laufenden Tagesarbeit zu sehr in Anspruch genommen waren, als daß sie Zeit gehabt hätten, die Vorteile und Nachteile des Unternehmens ordentlich zu überlegen.

Ein treuherziger Bauer, der Viehwärter Iwan, schien Ljewins Vorschlag, an dem Ertrage des Viehhofes mit seiner Familie Anteil zu erhalten, vollständig zu begreifen und das Unternehmen durchaus zu billigen. Aber sooft Ljewin ihm die künftigen Vorteile klarzumachen versuchte, prägte sich auf Iwans Gesichte eine gewisse Unruhe und ein Bedauern darüber aus, daß er die Auseinandersetzung nicht bis zu Ende anhören könne, und er fand schleunig irgendeine Arbeit für sich, die angeblich keinen Aufschub duldete: entweder griff er nach der Heugabel, um Heu aus dem Schuppen herauszuwerfen, oder er machte sich daran, Wasser einzugießen oder den Dünger auszuräumen.

Eine zweite Schwierigkeit bestand in dem unbesiegbaren Mißtrauen der Bauern, die schlechterdings nicht glauben wollten, daß der Gutsbesitzer ein anderes Ziel im Auge haben könne, als sie soviel wie möglich auszubeuten. Sie waren fest davon überzeugt, daß (er möge zu ihnen sagen, was er wolle) seine wirkliche Absicht immer in dem stecken werde, was er zu ihnen nicht sage. Und wenn sie selbst über den Plan sich äußerten, so sprachen sie zwar sehr viel, verrieten aber niemals ihre wahre Absicht. Außerdem (und hier merkte Ljewin, daß der gallige Gutsbesitzer recht hatte) war die erste und unumstößliche Bedingung, die die Bauern für irgendwelche Zustimmung ihrerseits aufstellten, die, daß sie zu keinerlei neuem Verfahren bei der Landwirtschaft und zu keiner Benutzung neumodischer Geräte gezwungen werden dürften. Sie gaben zu, daß der moderne Pflug besser pflüge, daß der Saatdecker erfolgreicher arbeite; aber sie brachten tausend Gründe vor, weswegen sie weder den einen noch den andern benutzen könnten; und obgleich Ljewin der Überzeugung war, daß er den Stand seines Wirtschaftsbetriebes etwas herabsetzen müsse, so tat es ihm doch leid, auf Vervollkommnungen verzichten zu müssen, deren Vorteile augenfällig waren. Aber trotz aller dieser Schwierigkeiten beharrte er auf seinem Sinne, und zum Herbst kam die Sache in Gang, oder wenigstens schien es ihm so.

Anfangs hatte Ljewin vorgehabt, die ganze Wirtschaft, so wie sie war, den Bauern, den Arbeitern und dem Verwalter unter den neuen genossenschaftlichen Abmachungen zu überlassen; aber sehr bald hatte er sich überzeugt, daß das unmöglich sei, und war zu dem Entschlusse gekommen, die Wirtschaft zu teilen. Der Viehhof, der Obstgarten, der Gemüsegarten, die Wiesen und Felder wurden in verschiedene Abteilungen zerlegt und sollten getrennte Betriebsgebiete bilden. Der treuherzige Viehwärter Iwan, der nach Ljewins Ansicht die Sache von allen am besten begriffen hatte, wählte sich noch einige Genossen dazu, vorzugsweise aus seiner eigenen Familie, und wurde Genossenschafter beim Viehhofe. Ein weit entferntes Feld, das acht Jahre lang brachgelegen hatte, wurde mit Hilfe des klugen Zimmermannes Fjodor Rjesunow von sechs Bauernfamilien auf Grund der neuen genossenschaftlichen Abmachungen übernommen, und der Bauer Schurajew übernahm auf derselben Grundlage die sämtlichen Gemüsegärten. Alles übrige blieb vorläufig noch beim alten; aber diese drei Abteilungen bildeten den Anfang der neuen Wirtschaftsordnung und beschäftigten Ljewin vollauf.

Allerdings ging die Sache auf dem Viehhofe einstweilen nicht besser als vorher, und Iwan widersetzte sich energisch der Unterbringung der Kühe in warmen Ställen und der Bereitung der Butter aus süßer Sahne, indem er behauptete, die Kuh brauche im Kalten weniger Futter, und das Buttern aus saurer Sahne sei ergiebiger. Auch forderte er seinen Lohn wie bei der alten Einrichtung, und es war ihm ganz gleichgültig, daß das Geld, das er erhielt, nicht Lohn, sondern ein Vorschuß auf seinen Anteil am Gewinn war.

Allerdings unterließ es Fjodor Rjesunows Genossenschaft, das Land vor der Aussaat nochmals mit modernen Pflügen umzuackern, wie doch verabredet war, und entschuldigte sich damit, die Zeit sei zu kurz gewesen. Allerdings bezeichneten die Bauern dieser Genossenschaft, obgleich sie mit Ljewin übereingekommen waren, die Bewirtschaftung auf der neuen Grundlage durchzuführen, dieses Land dennoch nicht als gemeinschaftliches, sondern als auf Halbpart gepachtetes, und mehr als einmal hatten sowohl die Bauern dieser Genossenschaft wie auch Rjesunow selbst zu Ljewin gesagt: »Sie hätten eine bestimmte Geldsumme für das Land nehmen sollen; dann hätten Sie mehr Ruhe, und wir hätten mehr freie Hand.« Außerdem schoben diese Bauern immer unter verschiedenen Vorwänden die mit ihnen vereinbarte Erbauung eines Viehhofes und einer Getreidedarre auf diesem Lande auf und zogen die Sache bis zum Winter hin.

Allerdings hatte Schurajew die größte Lust, die von ihm übernommenen Gemüsegärten in kleinen Losen an einzelne Bauern zu verpachten. Er hatte offenbar die Bedingungen, unter denen ihm das Land übergeben war, völlig mißverstanden, und zwar, wie es schien, absichtlich mißverstanden.

Allerdings hatte Ljewin oft, wenn er mit den Bauern sprach und ihnen alle Vorteile des Unternehmens darlegte, die Empfindung, als ob die Bauern dabei nur auf den Tonfall seiner Stimme hörten und sich fest vornähmen, er möge sagen, was er wolle, sich nicht von ihm hinters Licht führen zu lassen. Ganz besonders hatte er dieses Gefühl, wenn er mit dem Klügsten unter den Bauern, mit Rjesunow, sprach und in dessen Augen ein heimliches Aufleuchten bemerkte, in dem sowohl der Spott über ihn, Ljewin, wie auch die bestimmte Überzeugung deutlich zum Ausdruck kam, daß, wenn jemand bei der Sache geprellt werden sollte, dies jedenfalls nicht er, Rjesunow, sein werde.

Aber trotz alledem meinte Ljewin doch, daß die Sache nun in Gang gekommen sei und daß, wenn er nur streng Rechnung führe und bei seinem Vorsatze beharre, er in Zukunft die Bauern von den Vorteilen einer solchen Einrichtung schon noch werde überzeugen können und daß dann die Sache ganz von selbst gehen werde.

Durch diese Geschäfte und dazu noch durch den übrigen Wirtschaftsbetrieb, der in seinen Händen geblieben war, sowie auch durch die schriftstellerische Tätigkeit an seinem Buche, durch all dies war Ljewin den ganzen Sommer über so stark in Anspruch genommen, daß er fast gar nicht auf die Jagd fuhr. Ende August erfuhr er von dem Oblonskischen Diener, der ihm den Sattel zurückbrachte, daß die Familie wieder nach Moskau gereist sei. Er sagte sich, daß er durch die Unhöflichkeit, mit der er den Brief Darja Alexandrownas unbeantwortet gelassen hatte – ein Benehmen, an das er nicht ohne Schamröte zurückdenken konnte –, seine Schiffe hinter sich verbrannt habe und sich bei dieser Familie nie mehr blicken lassen könne. Ebenso unartig hatte er sich auch gegen Swijaschski benommen, indem er, ohne Lebewohl zu sagen, abgefahren war. Er nahm sich vor, auch zu diesem nie wieder hinzufahren. Aber jetzt war ihm das gleichgültig. Die Angelegenheit mit der Umgestaltung seiner Wirtschaft beschäftigte und interessierte ihn so wie bisher noch nie etwas in seinem Leben. Er las die Bücher durch, die ihm Swijaschski gegeben hatte, ließ sich andere, die dieser nicht besaß, von einer Buchhandlung schicken, und las auf diese Art eine Menge nationalökonomische und sozialistische Schriften über diesen Gegenstand, fand aber, wie er das auch erwartet hatte, nichts darin, was auf sein eigenes Unternehmen besonderen Bezug gehabt hätte. In den nationalökonomischen Büchern, zum Beispiel bei Mill, den er zuerst und mit großem Eifer durchstudierte, in der Hoffnung, jeden Augenblick bei ihm die Lösung der ihn beschäftigenden Fragen zu finden, fand er Gesetze, die aus der Lage der europäischen Landwirtschaft abgeleitet waren; aber er konnte nicht einsehen, mit welchem Rechte diese auf Rußland nicht anwendbaren Gesetze als allgemeingültig bezeichnet wurden. Dieselbe Beobachtung machte er bei den sozialistischen Büchern: entweder waren es schöne, aber nicht zu verwirklichende Phantasien, ähnlich denen, für die er sich ehemals in seiner Studentenzeit begeistert hatte, oder Verbesserungen desjenigen Zustandes der Dinge, der in Europa vorhanden war, mit dem aber der Betrieb der Landwirtschaft in Rußland nichts gemein hatte. Die Nationalökonomie behauptete, die Gesetze, nach denen sich der Wohlstand Europas entwickelt habe und noch jetzt entwickle, seien allgemeingültig und zweifellos richtig. Die sozialistische Lehre behauptete, eine Weiterentwicklung nach diesen Gesetzen werde zum Untergange führen. Aber weder bei den Nationalökonomen noch bei den Sozialisten war eine Antwort oder auch nur ein Schatten von Antwort auf die Frage zu finden, was er, Ljewin, und alle russischen Bauern und Landbesitzer mit ihren Millionen von Händen und Deßjatinen anfangen müßten, damit diese dem allgemeinen Wohlstande die größtmögliche Förderung brächten.

Da er diese Sache nun einmal in Angriff genommen hatte, so las er gewissenhaft alles durch, was sich auf diesen Gegenstand bezog, und faßte den Plan, im Herbste ins Ausland zu reisen, um diese Frage auch noch an Ort und Stelle zu studieren, damit es ihm auf diesem Gebiete nicht mehr so gehen könne, wie es ihm schon so oft auf verschiedenen anderen Gebieten ergangen war. Denn kaum hatte er manchmal im Gespräche die Ansicht dessen, mit dem er sich unterhielt, erfaßt und seine eigene Ansicht darzulegen begonnen, so wurde ihm sofort vorgehalten: »Aber Kaufmann und Jones und Dubois und Miceli? Die haben Sie offenbar nicht gelesen. Lesen Sie die; die haben diese Frage gründlich behandelt.«

Er sah jetzt klar, daß bei Kaufmann und Miceli nichts zu finden war, was er gebrauchen konnte. Er wußte, was er wollte. Er sah, daß Rußland gutes Land und gute Arbeiter besaß und daß in manchen Fällen, wie bei dem alten Bauern auf der Hälfte des Weges, die Arbeiter und das Land etwas Tüchtiges hervorbrachten, in den meisten Fällen aber, wo in europäischer Art Kapital angelegt war, nur wenig erzeugt wurde und daß dies lediglich daher kam, daß die Arbeiter nur auf ihre eigene Art arbeiten wollten und auch nur dann gut arbeiteten, und daß dieses Widerstreben nicht nur gelegentlich, sondern dauernd war und seine Grundlagen im Volksgeiste hatte. Er glaubte, daß das russische Volk, das den Beruf habe, ungeheure noch leerstehende Landstrecken zu besiedeln und zu bebauen, so lange, bis alles Land in Benutzung genommen sei, an der dafür notwendigen Art der Bewirtschaftung mit bewußter Absicht festhalten werde und daß diese Art der Bewirtschaftung ganz und gar nicht so schlecht sei, wie man gewöhnlich annehme. Das beabsichtigte er zu beweisen, theoretisch in seinem Buche und praktisch in seiner Wirtschaft.

Anna Karenina | Krieg und Frieden

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