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1978 besteigt Peter Habeler den Mount Everest ohne Sauerstoffgerät, zusammen mit Reinhold Messner. Kinderbuchautor Janosch schreibt: ‚Oh wie schön ist Panama’. Franziska van Almsick kommt in Ostberlin auf die Welt, Skispringer Martin Schmitt in Willingen, Emilio Palma wird als erster Mensch in der Antarktis geboren. Erste Pläne für das Telefonsystem ISDN entstehen. Popsänger Prince veröffentlicht sein erstes Album, Sting singt mit der Band Police seinen großen Erfolg Roxanne, Blondie landet mit Heart of Glass einen Hit, Styx mit Renegade und 10cc mit Dreadlock Holiday. Alexander Shulgin beschreibt erstmals wissenschaftlich die Wirkung von Methylendioxyamphetamin. Dieser Stoff soll Jahre später unter dem Namen Ecstasy berühmt werden. Karol Wojtyla wird unter dem Namen Johannes Paul II erstes nichtitalienisches Oberhaupt der katholischen Kirche seit 1523. Monthy Python’s Film ‚Das Leben des Brian’ läuft in den Kinos.

The Velvet Underground & Nico – All Tomorrow’s Parties

Wir trafen uns nach der Schule. Spezi fragte, magst mitgehen? Natürlich wollte ich. Spezi gehörte zu den Tollen, den Interessanten, den Geheimnisvollen und allein die Frage adelte einen und wer will nicht Aristokrat sein und so gingen wir zu ihm. Fünf Mann hoch, ich wusste, die machen das öfter, aber was genau, nicht. Und dann wurschtelte er da rum, mit Feuerzeug und Blättchen auf einem Blatt Papier, dem sogenannten Mischpaper. Ich sagte hä, wattn-dattn und er sagte Haschisch und ich fragte, macht’s süchtig und er meinte, null.

Eigentlich hatte er recht, süchtig, also körperlich mit Schmerzen, macht es nicht. Aber abhängig kann man davon werden und wie. Besonders, wenn man labil ist. Das hörte ich nicht gerne, das mit dem labil und so weiter, es stimmte jedoch, leider und da haben wir’s. Daniel reiherte bereits beim zweiten Mal kiffen und zwar so richtig. Er konnte sich mit Dope, so nannten wir das Zeug, niemals wirklich anfreunden. Ähnlich wie ihm erging es mir mit Alkohol. Einmal richtig den Magen umgedreht und dann nie wieder. Das ist Glück, wenn es einem gleich am Anfang richtig dreckig geht. Dann lässt man die Finger davon, meistens.

Schließlich bin ich auf das Zeug, egal ob Shit oder Gras, wie ein Formel Eins Lotus abgefahren. Ich konnte da träumen, dermaßen super wegbeamen und bekifft war einfach alles besser, einfacher. Musik hört man so geil. Später bekommt man einen Fressflash, auf Englisch ‚the munchies’ genannt. Das ist Comicsprache, von munch, munch, kau, kau. Dann frisst man alles, egal was und bei mir der Bernie immer meinen spärlich gefüllten Kühlschrank leer.

In der Schule ging es rapide den Berg runter, richtig lawinenmäßig. Ich blieb sitzen, der Vadder end-enttäuscht und das tat mir echt leid. Naja, ich habe ihn sozusagen ja mein ganzes Leben lang enttäuscht, darin bin ich mir immerhin treu geblieben. Daniel blieb auch sitzen, aber im Gegensatz zu mir, setzte er sich dann weiter, nämlich auf den Hosenboden und tat was. Verliebte sich in die Klassenschönheit Sabine und kam mit ihr zusammen, mit Ulrike war bereits seit längerem Schluss. Während ich mit den neuen Lehrern und Klassenkameraden, dem ganzen Schulsystem rumclinchte. Wir waren bereits früher öfters am aufmüpfen gewesen, hängten beispielsweise damals über die ganze Wand, die Idee stammte von mir, ein Riesenplakat mit dem Spruch: Nicht für die Schule – fürs Leben lernen wir. Das hatte ich aus einem Donald-Comic. Woher sonst? Endzynisch. Weil du lernst für die Schule und für niemanden sonst. Wenn du Glück hast, kannst später sogar etwas damit anfangen. Kurz gesagt, Meiner Einer mit allem überhaupt nicht klarkam, rapide abbaute und ständig fehlte. Ich konnte Entschuldigungen ja selbst verfassen, so volljährig jetzt. Selbst meine Lieblingsfächer taugten nicht mehr, noch kürzer formuliert: Ich schiffte ab und zwar total.

Meine Freundschaft zu Daniel zerbrach. Unmerklich entfernten wir uns voneinander. Wir stritten einmal, intellektuell hohes Niveau, hört, hört, selbstbeweihrauch. Ich, der Intellektuelle, wollte ursprünglich Bio studieren und eine Art Jaques Cousteau oder Grzimek werden, aber das sollte ja wohl alles nicht sein. Der Bernie hockte mit dabei. Irgendwann hatte ich Daniel dorthin bugsiert, wohin er sollte. Nämlich die Frage beantworten, ob ich bekifft auch so argumentieren könne und er meinte nein, sicher nicht. Bernie kicherte. Wir waren bedröhnt wie Hacke. Ich sagte nix. Entschuldige bitte meine Gemeinheit, Danny. Ich Idiot genoss damals einen Sieg, der überhaupt keiner war.

Und Kiki? Der traute ich mich nicht, auch nur irgendetwas zu schreiben. Gar nix, ich schämte mich und ich wollte auch nicht, dass sie sich vielleicht den Kopf zerbrach. Den brauchte sie ja zum lernen. Wir schrieben uns nicht mehr oft. Ich kam nur ganz selten zum Vadder, wohin immer noch ihre Briefe gingen. Einmal im Monat zum Geld abholen. Für Kiki wohnte ich bei den Eltern. Ich schrieb ihr nichts von dem ganzen Theater, nichts von der Schule und natürlich nix vom Dope. Im Ex-Zuhause, ich staunte gerade, wie klein alles geworden war, in meiner Erinnerung erschien alles viel größer, traf ich übrigens im Gang auf die Mutter – mit ganz kurz geschorenem Haar. Eine Irre, die dumm grinst, noch dümmer lacht und sich nach meinem Gemächt erkundigt. Das war ihr letzter Satz zu mir.

Dem Vadder sein Geld für mich langte vorne und hinten nicht, weil ich anfing, es für Dope auszugeben. Ich klaute bereits Klopapier in der Schule und im Szenecafé Ubu, wo wir oft hockten, wenn wir Schule schwänzten. Tagsüber Café und nachts Disco. Man spricht es französisch aus, also Übü. Dort legte der DJ verdammt oft den alten Krächzer auf, Rod Steward. Den nannte ich Rod the Mod, obwohl er gar keiner war. Der hatte ein Lied von Cat Stevens geklaut, ‚the first cut ist the deepest’. Darin geht es um deine erste große Liebe, dass danach keine mehr so wehtut und der hatte ja so recht, der gute Cat. Das spüre ich immer, wenn ich das Lied höre. Rod ist ein ahnungsloser Dummdieb. Was weiß der schon vom Herzschmerz? Der fickt gerade Britt Ekland, davor tausend andere supergeile Mädchen und danach sicher weitere, fick, fick, krächz, krächz. Das Lied nahm mich immer super mit. Nebenbei blieb von meinem spärlichen Geld ein guter Teil dort. Schließlich wurden die Noten so schlecht, ein Durchschnitt von fast fünf. Ich verkackte selbst Deutsch, weil ich meinen neuen Lehrer hasste. Schrieb statt dem Thema Erörterung von wasweisich, die Science-Fiction Novelle: ‚Vogel der Zeit’. Ein geklautes Endzeitdrama, in dem die Gesteinsplaneten unseres Sonnensystems in Wirklichkeit die Eier eines riesigen Vogels sind, von der Sonne ausgebrütet. Merkur und Venus zerbrechen logischerweise zuerst, bis dann die Erde drankommt. Das war natürlich ein Sechser und so kam der Moment, an dem ich entschied, das hat hier alles keinen Taug mehr. Abi schaffe ich niemals, also leckt mich, ihr alle und das hoch zehn.

801 live – Tomorrow Never Knows

Gemeinerweise sagte ich dem Vadder nix. Ich schämte mich nun doch irgendwie und dass ich mich schämte, wurde dann erst richtig beschämend und natürlich sagte ich auch Kiki kein Wort. Zu feige einfach. Nachdem er mir das Geld gestrichen hatte, nach dem Anruf bei der Schule. Die sagten, ja der, der ist ja bereits eine Weile gar nicht mehr hier, da ging der Zug volle Pulle auf Fahrt. Die E03 der Bundesbahn machte damals Zweihundert als Höchstgeschwindigkeit. Die toppte ich lässig. Das einzig Gute daran war irgendwann das Aufwachen. Ein paar hundert Mal etwa, bin ich nach meiner Schulzeit aufgewacht und erschrak panisch. Oje, schnell, du musst ja in die Schule und nochmal, oje hoch zehn, das wird bestimmt wieder ein richtiger Scheißtag – und dann die Erlösung: Nein, Quatsch! Du musst nicht in die Schule. Du musst nie mehr in die Schule! Meistens bin ich danach unendlich erleichtert wieder eingeschlafen.

Gelegentlich jobbte ich. Das Arbeitsamt hatte einen Raum für Studenten und Schüler. Da stiefelte ich rein und schaute auf die Zettel, auf denen Aufgabe, Dauer und Bezahlung stand. Es waren meist keine festen Stellen, sondern zeitlich befristete, aber praktisch fast immer hielt ich nicht einmal das aus. Ich taugte nichts als Hiwi. Taugenichts ist ein geiles Wort, sowie Nichtsnutz. Das hörte Donald des Öfteren von seinem Onkel, dem reichen Dagobert. Auf mich traf das natürlich erst recht zu, es ist eine super Definition. Nämlich einer, der zu nichts taugt und niemandem nützt. Der volle Versager. Der werde ich mein Leben lang sein – das weiß ich genau.

Dumme Vorgesetzte regten mich einfach auf, dumme Anweisungen noch mehr, gemein eselhaftes Benehmen erst recht und zum Feierabend sich regelmäßig die Birne zuzudröhnen, ist für den Job am nächsten Morgen ja auch nicht gerade das Gelbe. Zudem, ohne Auto ist alles weit weg und so schmiss ich es hin, so schnell konnten die gar nicht schauen.

Beispielsweise als Erntehelfer, dort hing mir der Kapo ständig im Genick. Ich würde schlecht, schau mal da, dort vergessen zu pflücken und du bist zu langsam. Dabei arbeiteten die Anderen wirklich nicht besser, das weiß ich genau. Also der voll ungerechte Idiot. Der es genossen hat, jemanden schikanieren zu können. Als Malerhelfer packte mich die Höhenangst beim Gerüst aufbauen, mein Rücken zerbrach und der ständige Dreck mit dem täglichen Duschen nervte. Nicht besser ging es als Vermessungsgehilfe, die Ischinöre waren ja ach so schlau und gingen jeden Mittag in die Wirtschaft zum Essen. Ich hatte aber gar kein Geld, diese teuren Speisen ruinierten mich. Dazu immer draußen im Freien, voll furchtbar, wenn es andauernd schifft. Die erklärten wir nichts, ließen mich statt dessen beim Nivellieren einer Müllkippe Kilometer abspulen, diese gemeinen Esel. Man sucht sich die höchsten und tiefsten Punkte, dort stellt man sich mit der Messlatte hin. Das hätten sie mir echt erklären können, wollten aber nicht. Ich lief zum Punkt, dann zurück. Jetzt läufst du dahin. Und wieder zurück. So ging das ewig. Dann als Sklave im Wertkauf, das ist so ein Riesensupermarkt gewesen. Da dachte ich zuerst, ganz cool und so, trotz Sklavenleibchen. Aber da siehst du den ganzen Tag die Sonne nicht, man fängt im Dunkeln an und hört im Dunkeln wieder auf. Die dortige Hierarchie nervte schlimm. Für Außenstehende praktisch unsichtbar, unterschieden sich die Klamotten der dortigen Knechte in Details, an denen man die Rangordnung erkannte. Dann schien sich ein hübsches Mädchen für Meiner Einer Versager-Spast zu interessieren. Das habe ich gar nicht gepackt. Ohne Einwilligung ihres Herrn dürfen sich Sklaven ja gar nicht vermehren. Nein, ohne Scheiß, ich fühlte mich so weit unten, die Komplettniete. Da kann es ja gar nicht sein, dass so jemanden irgendwer mag, also: Servus. Danach stand ich an einer monströsen Pressmaschine in der Pharmafabrik. Eigentlich ganz okay, aber zeitlich befristet gewesen. Ebenfalls der Job als Springer am Fließband in einem Versandhaus in der Vorweihnachtszeit. Zusammen mit Bernie, der im Gegensatz zu mir, die ruhigste Kugel schob. Während ich mit einem, als ‚der Teufel’ getauften Kapo im Kreuz, wie blöd schuften musste. Eine Situation wie Donald und Gustav eben. Es gäbe weitere Beispiele, aber das reicht.

Der amüsanteste Job war im Nachhinein gesehen der beim Bäcker Soundso, weiß nicht mehr wie der hieß. Ein Geizknochen ultrabrutal. Diesen Job wollte ich anfangs überhaupt nicht, weil der am allerschlechtesten von allen zahlen würde. Ich dachte, wer den annimmt, ist ein Idiot und das stimmt ja auch. Irgendwann jedoch gab es nur noch diese Stelle. Das Ganze allerdings wurde so lustig, irgendwie und irgendwo, weil der mich für einen Studenten hielt. So wusste er nicht, wie er mich ansprechen sollte. Der hielt mich für etwas Besseres und geriet dadurch in ein Dilemma. Eigentlich duzt man ja seine Lohnsklaven in der Arbeiterklasse. Als Folge seiner Unsicherheit entschied er sich für die dritte Person Singular.

Reden wir mal so: Beim Einstellungsgespräch bot er ihm eine Semmel zum verspeisen an, mit etwas Butter, sonst nichts. Dem Einzustellenden wurde dabei gar nicht bewusst, dass sein Chef damit bereits die Grenzen seiner Großzügigkeit endmäßig ausgereizt hatte. Später hieß es dann ständig, er muss schneller werden, beim Ausfahren. Okay, schneller also.

Ein Passatkombi geht wie Hölle. Gib ihm! Morgens um sechs mit Hundert durch die Stadt. Bringt Fun. Vorfahrtsstraße, Kopfsteinpflaster mit Schienen und Linksabbieger von rechts. Die müssten eigentlich warten, fahren aber raus, weil sie meine Geschwindigkeit natürlich unterschätzen. Einer, zwei – und drei !!

Mensch pass auf, du Vollidiot! Ich bin doch total schnell! Vollbremsung. Reifen quietschen. Die Gurke bricht beinahe aus. Puh, knapp! Nein, endknapp verfehlt! Jetzt prasselt es um mich herum, die ganze Chose kommt geflogen. Nusshörnchen, Krapfen, das ganze Plundergebäck, Semmeln und Brezen. Die komplette Ware ist im Innenraum verteilt. Oje, da klebt Zuckerzeug an der Windschutzscheibe. Mist. Das Sortieren dauert ewig. Hä, am Kopf, was klebt da? Aha, Zucker im Haar. Okay – soviel zum Thema schneller werden.

Noch besser allerdings meine Aktion mit den Krapfen, die als Werbegeschenk gedacht sind. Eine ganze Steige voll. Kommt der kleine, dicke Geizzwerg und meint, füll er die Krapfen und ich hä, und er zeigt es ihm. Nehme er den Krapfen so und diese Maschine da, so, auf diesen Dorn stechen, so und dann so, da drücken, ganz kurz und so verfahre er weiter. Ich drücke, brrrt und er hüpft entsetzt, halt, halt, nein, nein, ganz kurz, meine er, aller, allerhöchstens so brt, und ich, okay. Als er weg ist, affengeil das Ganze, auf den Dorn und brrrrrrrrrrrrrt. Hihi, das sind keine Krapfen mehr. Das sind Marmeladebomben, die beim ersten Bissen explodieren. Viel Spaß damit, Freunde.

Wie ich ihm den Bettel schließlich hinschmeiße, bescheißt er mich noch schnell um ein Viertel vom Lohn, sich auf einen dämlichen Zeitungsartikel berufend. Ich natürlich zu feige, ihm den Wanst zu polieren. Wohl auch besser so, strafrechtlich gesehen. Dafür soll dich der Blitz beim scheißen treffen, linke Bazille.

Arbeitslos, also ohne Job, bedeutet zwar Zeit haben, aber kein Geld. Ich wollte Schallplatten hören. Dazu musste ich sie allerdings erst einmal besitzen und so klaute ich welche beim Montanus. Das ging ganz easy mit dem Trick vom Jürgen, selbst ein Dieb aus meinem Bekanntenkreis. Ich will jetzt nicht wirklich Freunde sagen, im Nachhinein, weil uns eigentlich nur der Dope verband. Damals meinte ich natürlich, das sind Freunde.

Mein bisheriger Freundeskreis wurde komplett ausgetauscht. Bis auf Bernie. Primär verursacht durch die kleine Susi, die ich aus dem Ubu kannte. Die hing auch nur herum, war erst fünfzehn. Eigentlich recht süß, die Zähne etwas schief. Die bekam sie später gerichtet. Wurde dabei von dem Zahnarzt am Busen begrabscht, weil der sehr schön gewesen ist. Und der Doc eine Drecksau.

Ein typisches Beispiel. Susi war nämlich auch ein Unglückswurm. Beziehungsweise schaffte sie es ständig, sich in Situationen hinein zu manövrieren, da konnte ich nur staunen. Obwohl sie dermaßen jung gewesen ist, blickte sie bereits auf eine beeindruckende Drogenkarriere zurück. Unter anderem hatte sie bereits eine Liebesbeziehung mit einem Junkie hinter sich. Er war jedoch bereits gestorben, hatte sich mit Gift umgebracht, das der Jürgen mal geklaut hatte. Der mich wiederum die Tricks der erfolgreichen Diebeskunst lehrte. Susi sollte inzwischen clean sein. Kein Heroin mehr. Aber ihre Leute, die hatten es in sich. Einer fertiger als der andere, aber das merkte ich damals kaum. Man gewöhnt sich schnell an bemooste Zähne und dergleichen. Irgendwann findet man das beinahe vollkommen normal. Ich merkte damals überhaupt nicht, wie ich mich veränderte. Da das Wichtigste in meinem Leben das tägliche Kiffen geworden war, ordnete ich eben alles andere diesem Bedürfnis unter.

Es lief meist so, dass Susi Dope auftrieb und ich die Wohnung hatte. Ein Plätzchen zum Konsumieren. Demzufolge sammelten sich diese Gestalten bei mir. Es klingelte manchmal ständig, Dopesucher und Dopebesitzer, oder nur einen bullensicheren Ort brauchende Typies. Ich könnte jetzt stundenlang von dergleichen Gelagen und diesen Hardcore gestörten Freaks berichten, aber geschenkt, weil einfach nur unschön.

Mein Pech entwickelte sich allmählich zum Supermagneten. Ich ging auch nicht mehr zum Vadder. Beim Auszug bereits hatte er damals den Schlüssel kassiert. Meine Schwester besaß einen, egal. Ich bekam jedenfalls Kikis Briefe nicht und ich schrieb auch nicht mehr zurück. Dranzudenken brachte Magendreher und Akkordschwitzen vor schlechtem Gewissen. Ich wollte nicht andauernd lügen.

Der Vermieter kündigte. Wir konnten ihn aber noch einmal beschwichtigen und er gab uns ein letztes Pardon. Ich leistete irgendwann einen Offenbarungseid und klaute immer besser, lebte beinahe davon. Mit nichts in der Tasche einkaufen zu gehen und trotzdem einen Haufen Klump nach Hause zu bringen, macht süchtig.

Ich schnappte mal einen Berg Pornohefte einfach aus dem Sexshop, weil ich so endgeil wurde, als ich mir die da drin angesehen habe. Unter den Arm, Richtung Kasse, die beschäftigt sein muss, davor abdrehen und hinaus, fertig.

Zur Weihnachtszeit klaute ich eine riesige Tüte voller Kerzen, von der Verkäuferin im Hertie wohl für die Weihnachtsfeier gefüllt. Einfach aus dem fünften Stock ganz frech geschnappt, über die vielen Rolltreppen runter und gemütlich raus. Es war ja eine Originaltüte, die größte, die ich je gesehen hatte. Irre schwer. Das Gewicht wurde erst draußen wirklich deutlich. Die hat mir beinahe die Arme abgerissen. Der Inhalt bedeutete wochenlang Bestückung für meinen Motor. An einem Tag brannten zwanzig kleine, grüne Weihnachtsbäume, am nächsten dieselbe Anzahl rote Nikoläuse. Eine feine Zusatzheizung. Die herunterlaufenden Wachsströme ließen ihn immer besser aussehen. Allmählich lernte ich schließlich über den Klub, das war das Hardcore Jugendzentrum in der Kriegsstraße, in dem es ständig nach Dope roch, immer mehr Freaks und schließlich auch den Uwe kennen.

Er wohnte sogar mit Leuten aus der ehemaligen Parallelklasse von Kiki zusammen, Jochen und Wowei. Dazu Spezi aus meiner eigenen und dem Krümel von irgendwoher. Zu denen zog es mich stetig stärker, das spürte ich immer deutlicher. Die brachten es voll. Die Bewundernswerten aus der S41, so hieß ihre WG. Mehr Kommune als Wohngemeinschaft das Ganze, keiner hatte ein eigenes Zimmer beispielsweise. Sie teilten alles, jedenfalls wirkte es anfangs so und wie gesagt, bei denen wollte ich unbedingt dazugehören.

Vorher aber starb die Mutter in unserer Badewanne, also diese Hülle, die von ihr übrig geblieben ist. Eigenartigerweise sehe ich heute noch das Bild, wie der Vadder sie findet, so nackig im Wasser liegend. Ulkig, ich war ja gar nicht dabei. Dann wurde sie beerdigt. An einem saukalten Februartag mit Schneeregen, roten Triefnasen, schneuzen und Tränenaugen und ich spürte nichts. Außer meinen Eisfüßen. Nichts, gar nix, absolut null und staunte, das ist doch komisch. Peinlich, überhaupt nichts zu spüren, wenn der früher so wichtigste Mensch in deinem Leben stirbt. Gerade beerdigt wird. Alle heulen und so und du bist null traurig, stehst herum und da ist einfach nichts.

Zu keinem einzigen Moment, seit du es erfahren hast. Wahrscheinlich hast du sie nie wirklich geliebt. Sonst müsstest du ja jetzt flennen, oder mindestens traurig sein. Aber es geht nicht. Echte Leere, ich hätte genauso gut lachen können. Abgefahren, dachte ich, jetzt bist du entweder selbst tot und merkst es nicht, oder absolut endgültig cool, im wahrsten Sinn des Wortes. Voll passend zum saukalten Drecksfebruar. Am Ende, beim Shakehands, schenkte mir eine Triefnasentante heulend zwanzig Mark, mein Einkommen an diesem Tag und ich dachte, echte Inflation, schwanzig Kröten für ne Mutter, das ist Dumping, aber voll.

Oingo-Boingo – Out Of Control

Etwa zwei oder drei Wochen später gibt es ein typisches Beispiel für mein Pech, deshalb erzähle ich das gerade mal, auf die Schnelle. Ein typischer Tag damals bedeutete, dass es nichts zu rauchen gab, wir mies gelaunt herumhingen und planten, uns etwas zu besorgen. Die Vor-Uwe Zeit. Der wurde später eine super Connection. Zu dieser anfänglichen Zeit jedoch, bekamen Bernie und ich noch mit Henna gefärbte Holzspäne, Schuhwichse mit Dopegeruch oder dergleichen mehr angedreht. Zu mir, also Schnulli und mir, war eine Amerikanerin eingezogen. In das Turmzimmer, welches von außen zwar ganz lustig anzusehen war, von innen allerdings gerade mal etwa vier Quadratmeter groß gewesen ist. Es passte gerade ihre Matratze, sowie ihre Plastiktüten hinein, mehr nicht. Heizung gab’s auch keine, aber Nelly war eh nie da. Sie arbeitete in einem Gestüt für gute Worte, fast kein Geld, die genauen Umstände habe ich nie kapiert. Wahrscheinlich hatte ihr Chef gleich geschnallt, die kann ich ausbeuten. Die Amis sind das ja gewohnt, keinerlei Arbeitnehmerrechte zu haben. Als willige Ausländerin nutzte er sie aus, bis zum geht nicht mehr. Eines Tages bekam Nelly Besuch von ihrer besten Freundin und ich dachte davor, geil. Nelly ist recht hübsch, nur leider mit dem Bertram-Tran zusammen. Ergo Folgerung sollte ihre Freundin ja auch desgleichen, aber nö. Pam fiel leider unter die Kategorie Tier. Also nett natürlich, sehr nett und wohl auch liebenswert. Sie malte in ihren Namen beim Unterschreiben immer eine kleine Zeichnung mit hinein, einen Elefanten und das sagt eigentlich alles. Das Vieh passte perfekt.

An diesem Nachmittag kam zuerst Bernie, inzwischen zu meinen besten Freund geworden. Wir konnten viel Blödsinn zusammen machen, kannten uns schon lange, verloren uns fast aus den Augen, als ich mit Daniel befreundet gewesen bin. Nun schweißte uns das Kiffen wieder zusammen. Er besuchte mich fast jeden Tag, baute auch gerade in der Schule total ab, wohnte noch zuhause und fraß nichtsdestotrotz nach dem Törnen meine Vorräte ständig auf, aber das sagte ich ja bereits. Er sah sehr gut aus, ich hätte nie gedacht, dass Bernie einmal eine feste Freundin hat. Bei der Auswahl, über die er immer verfügte. Aber er war auch jemand, der dir mit Genuss deine Freundin oder angehende Liebe ausspannt. Wenn sie sich darauf einlässt. Sein politisches Bewusstsein wuchs erst, wohl durch mich. Früher nannte er stolz ein Autogramm von Franz Josef Strauß sein eigen. In dieser Zeit hätte ich ihn manchmal erschlagen können. Mit Musik beeinflusste ich ihn so, wie früher Danny mich. Wir liebten es, uns zuzudröhnen, dann Schallplatten anzuhören und nichts anderes zu tun. Ich sagte einmal, genau das. Für immer und ewig nichts anderes mehr im Leben – außer kiffen, flacken und Musik hören.

Wir stritten uns, wer die nächste Platte umdrehen musste. Langspielplatten laufen zwischen sechzehn und zweiundzwanzig Minuten etwa und dann tang, tang, tang, läuft der Plattenspieler leer. Dann sollte man ausschalten oder umdrehen. Mein Dual war eigentlich ein sehr hochwertiges Teil. Direkt Drive und so, für den hatte ich damals ewig gespart. Kein Automatik jedoch, das ist Kacke, geht nur irgendwann kaputt. Die Abspielfunktion war manuell, der Tonarm ging am Ende also nicht von allein in Grundstellung, sondern lief ewig weiter, wenn man nicht stoppte. Statt einer neuen Nadel, die ich mir nicht mehr leisten konnte und die ja nach etwa 300 Stunden verschlissen ist, klaute ich immer das komplette Magnetsystem von Vorführmodellen in den Hi-Fi-Läden. Bei Dual konnte man das Teil mit einem schnellen Handgriff lösen und verschwinden lassen, aber ich schweife ab.

Jedenfalls fragte Bernie, frisch angekommen, natürlich zuerst nach Dope, weil Nelly früher einmal etwas Gras gehabt hatte. Das war aber längst weg und so beschlossen wir, abends in die nächstgelegene Stadt zu fahren. Dort gab es eine öffentliche Szene, nicht so tote Hose wie bei uns. Dort existierte eine Disco, in der gedealt wurde. Bernie würde den 12m von seiner Mutter bekommen. Wir legten Geld zusammen und kamen auf über 270 Mark, wegen Pam hauptsächlich. Ein ganz schöner Haufen. Für soviel Kohle hatten wir niemals zuvor eingekauft.

Die Mädchen kochten diesen Mittag auf. Ein richtiges Essen, das gab es sonst praktisch nie. Komischerweise träumte mir gelegentlich von Wirsing. Das ist voll schizophren, den habe ich früher gehasst, wie blöd. Wie eine Wunscherfüllung wurde der heute zubereitet und ich freute mich darauf. Lächerlich, nicht?

Während Bernie und ich in meinem Zimmer hockten und uns Musik reinzogen, da zog noch etwas anderes in den Raum. Nämlich der Geruch des Essens. Das haute mich plötzlich um. Die Erinnerung überrollte mich regelrecht. Lauter Bilder mit vergessenen Feelings.

An Zuhause, an Sonntag, an Kindersendungen im Fernsehen, Flipper und die kleinen Strolche beispielsweise. Besonders stark berührten mich die Gedanken an das gute Sonntagsessen, als damals die Mutter aufkochte. Mit Suppe als Vorspeise und Rouladen oder so ... – oh Fuck, nicht das, wegwegweg, schnell, geh weg, das pack’ ich nicht, weg, nur weg – he, was ist das, es klingelt, Gott sei Dank, weg, alles, nur weg.

Das Klingeln bedeutete Besuch. Diesmal schneite der Fleischmann herein, auch eine Art Vorgartenzwerg ohne Bart. Halt, Wichtel passt besser. Er hielt sich für oberscheißwichtig. Nachdem er Pamela erblickt hatte, hüpfte er durch die ganze Wohnung, rüber und nüber, so doing-doing-mäßig, wie Zebulon aus dem Zauberkarussell. Das kam damals im Kinderfernsehen vor den kleinen Strolchen. Ulkig, das mir gerade das dazu eingefallen ist. Zebulon passte perfekt, der besaß nämlich statt eines Unterleibs eine Sprungfeder. Ständig ging es dahin, so doing-doing, oingo-boingo. Hüpfender Fleischmann heißt auf englisch Leaping Meatman. Das sagte ich bei passender Gelegenheit zu Pam, aber die reagierte nicht wirklich auf diesen Joke. Selbiger eierte ohne Ende durch die Bude. Das frustete voll, verdarb mir das Essen. Ich wollte mit ihm eigentlich nichts zu tun haben, aber Durchsetzungskraft null. Der Fleischmann kam über Bernie in mein damaliges Leben, ging auch auf unsere Schule und niemand mochte ihn dort. Aber er hatte diesmal Dope dabei. Wir hätten wohl auch Idi Amin, Pol Pot oder Erich Honecker reingelassen, wenn sie nur Shit rausgemacht hätten.

Wir zogen uns eine Pfeife rein. Danach fuhr der Fleischmann erst richtig penetrant auf Pamela ab. Wollte wohl gern penetrieren. Wir lachten und lachten bekifft, der Bernie und ich. Weil ein Zwerg, der sich mit einem Elefanten paaren will, ja mehr als nur einen Hocker dazu braucht.

Das Ende vom Lied, als Bernie uns abholte, abends, die Pam und mich, da hockte das blöde Fleischteil bereits hinten im Ford. Er wichtelte endmäßig, textete uns zu, dass mir schwindelig davon wurde. Bernie sagte, der Fleischmann ist auf Trip. Wir nannten es auch ‚einen Acid einbauen’. LSD ist das und ich dachte, bravo, schlimmer geht nimmer und wurde gleich wieder frustig. Das Elefantenzwerg-Paarungs-Gebalze der beiden holte alle Erinnerungen an Kiki hoch, mir wurde ganz schlecht davon. So hockte ich im Auto und hätte heulen können. Vielleicht würde ich mir wenigstens diese Nacht die Birne wegknallen können.

Fleischmann brachte zusätzlich Geld mit. Dadurch hatten wir massig. Vierhundert etwa. Schließlich erreichten wir unser Ziel. Aber dort war alles erst einmal schwarzgrau und wirkte pissig. Teilweise lag alter Schnee. Mit diesen gelben Mustern darin, ein Wintertag halt. Vor der Bude standen lauter Langhaarige, viele davon in diesen, zu den Schneespuren passenden, uringelben Schaffelljacken, die damals bei solchen Leuten modern waren.

Wir hörten uns um. Natürlich Pech, es gab nix. Später vielleicht sollte ein Typie kommen. Wir warteten und froren, warteten noch mehr, froren beständig und dann kam er endlich, hatte aber nix. Endmäßiges Pech. Er fragte, wie viel wir überhaupt wollen. Ich sagte vierhundert. Da bekam er große Augen und sagte, hm, vielleicht geht doch noch was. Natürlich erst später. Und so warteten wir wieder in der Disco, in welcher der Rauch in etwa Brusthöhe eine dünne Nebelschicht bildete, weil die Luft oben zwar erwärmt, aber unten saukalt gewesen ist. Du hast einen warmen Kopf, aber Füße aus Eis. Ich schob weiter den frierenden Frust. Die Musik klang zwar gut, von so zeitweiligem Travolta-Zeug, wie Chic oder Boney M. mal abgesehen. Davon kam man aber nirgendwo aus. Außer im Klub.

Ich tanzte damals noch nicht, keine Courage dazu. Bernie traute sich zwar, konnte aber gar nicht tanzen, echt jetzt. Obwohl so ein Hübscher, stand er immer nur herum, schüttelte den Kopf, sowie die rechte Faust in Kopfhöhe, beides auf und ab. Als Highlight machte er vereinzelt einen Schritt vorwärts, dann einen zurück. Da tanzten die Baghwans im Ubu ganz anders. Exzess-mäßig, vollverschwitzt, die gingen aus sich raus! Da ließen hässliche Mädchen in Orange die flachen Brüste hüpfen, die konnte man teilweise voll sehen. Die genierten sich gar nicht. Damals widerten sie mich an, aber zurück zur Geschichte.

Pam hat ein paar Amis kennengelernt. GI’s, die da irgendwo stationiert sind. Dadurch ist der Fleischmann abgemeldet, hängt sich an uns und nervt. Als endlich dieser Typie mit dem Dope da ist und wir gehen wollen, fragen die Amis, eh was, du gehst schon?

Pamela fährt den Rüssel aus, Colonel Hathi aus dem Dschungelbuch wäre leise dagegen und trompetet über den Sound der Anlage hinweg:

»We’re going to buy some hash !!!!!«

?

Ein Moment, als steht die Zeit. Als spielt die Musik nicht mehr.

Alle Köpfe an der Theke drehen sich ruckartig zu uns. Alle Leute, die ich sehe, glotzen uns jetzt an – und wie!

Geht’s noch? Das haben jetzt aber auch alle gehört! In Situationen wie dieser friere ich praktisch ein, so voll verdattert. Gerade mal die Denke läuft noch auf Standby und die sagt sich: Darf doch nicht wahr sein.

Spinnst du? Dumme Kuh, wie blöd bist du? Wenn da jetzt die Bullen oder ein paar Spitzel sind?

Die Amis reißt es total, wollen sofort auch Dope haben. Der Fleischmann flippt aus, drängelt sich vor, endgültig Hardcore-Zebulon. Bernie sagt zu mir, für so viele ist kein Platz im Auto, du bleibst hier. Also warte ich erneut, hocke weiter frierend im Qualm. Irgendwie läuft wieder einmal alles scheiße. Ich komme ins philosophieren und stelle fest, in meinem Drecksleben läuft echt es komplett anders als geplant, als gewünscht. Stunden, Tage, Wochen, Jahre sind nichts, aber Augenblicke alles. Obwohl sie schneller vergehen, als man das Wort aussprechen kann. Ein weiteres, doofes Gedicht, indem ich schrieb, das Leben besteht aus Augenblicken. Nicht aus Jahren. Diese sollte man sammeln. Die einzigen guten Momente, die ich im Album habe, sind die mit Kiki. Das ist erbärmlich. Oder auch nicht. Manche haben weniger. Aber ich habe nie behauptet, der größte Unglückswurm der Welt zu sein.

Ich dachte irgendwann, die kommen nie mehr. Sie sind von den Bullen geschnappt worden. Kein Wunder, wenn man so rumplärrt. Gerade wie ich überlege, ohne Geld und Auto heimzukommen, des Nachts im Winter, da tauchen sie wieder auf. Bernie ist stinksauer und schimpft auf den Fleischmann. Was mich wundert. Der Depp darf bei ihm eigentlich alles. Weil er in seiner Klasse gewesen und zuckerkrank ist, oder so. Bernie zetert: Mann, der dumme Fleischmann hat sich vorgedrängelt, die ganzen Deals abgecheckt und beim Abwiegen andauernd absichtlich Scheiße gebaut. Hihi, er schimpft wie die Parkwärter, wenn wir dort Fußball gespielt haben. Geschieht ihm recht. Jetzt aber, packen wir die Koffer. Nix wie heim. Wie wir losfahren wollen, kommt nochmal einer der drei Amis ans Fenster. Ich denke, der will was von Pam. Nach einem mir unverständlichen Wortwechsel plärrt der Fleischmann von hinten: »Fahr los!«

Bernie gibt Stoff, ab geht’s. Wir sind auf der Autobahn kaum gefahren, da blendet von hinten ein Auto auf und wie! Es hört gar nicht mehr auf, das Aufblenden. Es wird gehupt, aufgeblendet und überholt, bleibt dabei aber neben uns, auf gleicher Höhe. Die Amis sitzen in einem Fiat 124 drin, haben die Fenster runter gekurbelt, winken, rufen, hängen dabei halb heraus. Setzen sich dann wieder hinter uns, geben Lichthupe, Tröte und so weiter, ohne Ende. Am Anfang dachte ich, die sind ja ganz schön scharf auf die Elefantenkuh. Aber bald darauf denke ich, die sind bescheuert und dann denke ich, was sind das für Arschlöcher, die spinnen komplett. Irgendwie wurde das richtig bedrohlich mit diesen Typies, die gar nicht mehr von uns ablassen. Einer in unserem Auto allerdings, der wusste sehr wohl, was die wollten, sagte allerdings kein Wort.

Schließlich die Ausfahrt, sie kleben am Kofferraum, Bernie versucht, sie in der Stadt abzuhängen. Keine Chance, ein vollbeladener 12m gegen einen 124er. Zugegeben, so gut fuhr Bernie damals echt nicht und nicht mutig genug.

Kurz, sie stellen uns in einer Garagensackgasse. Versperren die Ausfahrt mit ihrem Auto, stürmen raus, ein richtige Attacke – und – schnappen sich den Fleischmann.

Beziehungsweise, wollen es. Sie reißen Bernies Fahrertüre auf, langen hinter, packen ihn am Kragen und schütteln den verängstigten Zwerg da hinten, wie ein Hund einen dreckigen Putzlumpen, wenn er diesen beim Kampfspiel schließlich erobert hat. Jetzt weiß ich, woher das Wort ‚Lump’ kommt. Von Lumpen schütteln. Ich bekomme es gerade demonstriert. Dazu schreien die Amis herum: »We want more hash!« Irgendwann kapiere auch ich, das dumme Schwein hat sie irgendwie gelinkt. Bernie versucht zu beschwichtigen, derweil fängt der Fleischmann ein paar saftige Fotzen ein und wird weiter gebeutelt. Aber Bernie langen sie nicht an. Irgendwie edle Ritter, mitgefangen, mitgehangen gilt eigentlich. Als der Reini damals eine Wiese angezündet hat, wurde ich gestraft. Er war natürlich abgehauen. Ich stand, frisch hinzugekommen, nur daneben. Chancenlos einzugreifen. Pech mal wieder. Damals.

Diesmal nicht, beziehungsweise doch. In der Form, dass Bernie und ich schließlich die Lösung anbieten. Sein Geld, mit dem der winselnde Wichtel bettelt, all sein Geld holt er raus, jammert: »Please, take this, I have no more!«

Es nützt ihm nichts.

Als Antwort erhält er ein ewig langgezogenes: »Noooo!«

Welches von hoch nach tief über zwei Oktaven geht.

»We want more hash!«

Auf etwas anderes lassen die sich nicht ein. Genau dieses Zeug bekommen die Typies jetzt. Von uns, dem Bernie und mir. Nachdem der linke Sack geschworen hat, er gibt uns das Geld dafür, brechen wir von unserem Dope ein Piece ab und die Amis sind’s zufrieden. Wir machen uns davon, bevor sie sich es anders überlegen. Ein wenig hatte ich den Eindruck, ihnen dünkt gerade, sie könnten uns ja auch alles abnehmen. Aber ihr Wagen scheint nicht anzuspringen, wiederum typisch für einen Fiat im Winter.

Bliebe zum Schluss noch zu erwähnen, der Fleischmann hat uns natürlich nie das Geld gegeben. Nachdem sich die Situation offensichtlich entspannt hatte, kam gleich wieder der Zebulon bei ihm durch. Wenn er gekonnt hätte, dann wäre er wohl doing-doing-mäßig durch den Ford gehüpft. Er wusste genau, Bernie würde ihm nie etwas antun. Ich dagegen überlegte ernsthaft, ihm die Fresse einzudrücken, trotz zuckerkrank und so. Letztlich tat ich natürlich nichts, er hätte sich ja vielleicht gewehrt. Der schlaue Mann verklopft ja nur Schwächere. So haben es die Schläger, die ich kenne, jedenfalls gehalten. Außerdem fürchtete ich, ihn in der Wut umzubringen und zu allerletzt, den Fleischmann habe ich nie mehr wiedergesehen.

Diese Story ist ein gutes Beispiel für das Leben eines Unglückswurms. Der geholte Dope war nix Besonderes. Ein verharzter Libanese, der das erträumte, vergessende Verträumen nur bedingt ermöglichte. Fazit: Was ich wollte, gab’s mal wieder nicht und was es gab, das wollte ich nicht.

Überhaupt, alle diese damaligen Dopehol-Aktionen waren mit Pech verflucht. Einmal, nur am Rande erwähnt, organisierten wir ein paar Wochen später eine weitere Fahrt. Diesmal passte scheinbar alles, das Geld, der Dope, keine Bullen. Aber Winter war’s und saukalt, der uralte Käfer heizte kaum. Jetzt sind wir beim Problem. Wir besaßen Bernies Auto nicht und liehen uns von einem Freund im Theater, indem ich gelegentlich immer noch spielte, den Käfer seiner Frau aus. Ein sehr netter Typie, eigentlich kein Kiffer. Der wollte halt auch mal wieder, wie in den alten 68er Zeiten und war darüber hinaus von mir bearbeitet worden. Nun, dieser Käfer blinkt auf der Fahrt, gelegentlich, eine winzig kleine, grüne Lampe. Okay, kenne ich vom Ford. Grün ist Batterie, rot ist Öl. Denkste. Tack, Tack, Tack, macht es kurz vor Zuhause. Das war’s – rien ne va plus, nichts geht mehr – Kolbenfresser. Doofer VW. Grün ist bei dem Öl. Mir hat das dermaßen leid getan, dem Freund seine Gurke war hin. Wenn das kein Unglück ist – was sonst? Okay, Dummheit ebenso.

Jetzt nochmal zur Story mit der Elefantendame. Wenn das kein Pech gewesen ist? Ohne Pams Dummtrompeten in der Disco wäre das Ganze so nie ins Rollen gekommen. Vielleicht wird es diesen Betrüger ja einmal erwischen – so wie den fetten, endschmierigen Sheriff aus dem Klub. Wahrscheinlich nannten sie ihn so, weil er das Gegenteil davon war. Ein weiterer, oberlinker Wicht. Der fiel immer überfallartig über einen her, kaum hatte man den Laden betreten, wollte einem Dope, irgendeinen Schrott oder eine Nutte verkaufen. Nichts davon stimmte natürlich. Er bearbeitete einen endlästig, komm Alter, lass dich betrügen, oder wenigstens eine Zigarette gib her. Die stopfte er sich dann, während er sich trollte, in die Trainingshosentasche. Mich ekelte es immer vor den schmierigen Haaren. Der Typie war den ganzen Tag damit beschäftigt, Leute zu bescheißen. Den haben sie schließlich zu Brei geklopft. Keine Ahnung wer, Amis oder Zuhälter, irgendjemand.

Nun gut. Wie bereits erwähnt – sollte es eine Art Gerechtigkeit auf dieser bescheidenen Welt geben, dann wird auch der Fleischmann irgendwann durch den Fleischwolf gedreht und dadurch manifestiert er sich endgültig zu dem, was er eigentlich ist: Ein armes Würstchen.

1979 lassen sich Björn und Agnetha von der Gruppe ABBA scheiden. Die ersten Werner-Geschichten erscheinen und noch weiß niemand, dass die Begriffe Bölkstoff und Tasskaff des Zeichners Brösel Umgangssprache werden. Mutter Theresa bekommt den Friedensnobelpreis. Die Band Bap veröffentlicht ihr erstes Album, Jello Biafra von der Gruppe Dead Kennedys kandidiert erfolglos bei der Bürgermeisterwahl seiner Heimatstadt San Franzisco, The Clash landen mit London Calling einen Hit, Led Zeppelin mit All my Love, The Cure mit Boys don’t Cry und M mit dem Lied Pop Muzik. Die Filme Alien, Apokalypse now und Mad Max kommen in die Kinos. Heinz Erhardt, John Wayne, Rudi Dutschke und John Ritchie, besser bekannt als Sid Vicious von Sex Pistols, sterben. Die Compact - Disc wird erfunden. Der erste Testflug einer Ariane-Rakete wird erfolgreich durchgeführt. Im Iran beginnt die islamische Revolution. In der Nähe von Harrisburg kommt es in einem Kernkraftwerk zu einem schweren Störfall. Rolf Kauka verkauft sein Comicmagazin Fix und Foxi. Den Peyotisten, einer Kirchenvereinigung in Amerika, wird das Recht zugesprochen, den Meskalinhaltigen Kaktus in religiösen Ritualen zu verwenden und der Walkman wird von Sony auf den Markt gebracht.

Genesis – Visions Of Angels

Was meint eigentlich ein Mensch, wenn er zu einem anderen sagt: »Ich liebe Dich«? Das frage ich mich bereits seit Tagen, Wochen – besonders in den Nächten. Ich kann kaum schlafen, wache auf und nix geht mehr. Dann bin ich todtraurig. Noch viel trauriger, wenn ich mit Kiki-Hobbie schmuse. Es betrifft sie, beziehungsweise uns, unser gehen miteinander. Beziehung sagt man wohl, die eigentlich, genau genommen, nur eine Zweiundzwanzig-Tage-Beziehung gewesen ist. Vielleicht gar nicht so tief, sage ich mir immer wieder. Wir hatten ja gar keinen Sex. Nicht miteinander geschlafen, meine ich. Nur ein bisschen gefummelt und – verdammter Mist, weg, weg, weg damit – irgendwo verblasst alles. Irgendwie auch nicht. Sie schenkt mir jede Nacht Grübchen mit Blendax. Wenn ich wachliege. Die Sehnsucht scheint jeden Tag zu wachsen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Die Trennung. Oder die Tatsache, dass ich sie, genau genommen, bereits mein Leben lang liebe.

Da kommen aber sofort die Scheißtränen, sowie die ersten Vorbehalte, wie: Depp, dein Leben lang, ha, ha, ist das bereits ein Leben gewesen, so jung!

Kannst du überhaupt lieben?

Oder willst du sie nur haben?

Was willst du überhaupt, du Penner? Dass du eine tolle Freundin hast, um die dich alle anderen Affen beneiden? Oder dass die Liebe deines Lebens glücklich wird?

He, was willst du, hä?

Am liebsten würde ich mich selbst ohrfeigen. Manchmal tue ich das sogar. Ist allerdings gar nicht so einfach, so zuzuschlagen, dass es aber auch wirklich schmerzt. Da hat man eine Art Bremse, am Anfang. Muss man überwinden, dann geht es immer leichter. Und tut endlich richtig schön weh.

Dabei sage ich mir, es ist echt unverschämt, wenn ein missgebildeter Strohkopf eine Prinzessin liebt. Die Zweifel werden immer stärker – und gib ihm, feste, richtig, nochmal und nochmal, damit’s auch guttut. Piff-Paff, du Klammeraff, so, schon besser und nochmal und nochmal. Gut so!

Aber zurück zur Frage, was: ‚Ich liebe dich’, bedeutet. Ich stelle sie jetzt einfach mal in den Raum. Aus Beobachtungen resultierend und vielem nachdenken. Denk, denk, haha, klingt gut. Vielleicht liegt es jedoch auch an den vier Acids, bei denen ich wirklich solche Öha-Unglaublich-Momente hatte, Bewusstseinserweiterungen heißt das wohl. Ich rede von den Trips, die ich mit Bernie zusammen eingebaut habe, von Susi aus Amsterdam geschmuggelt. Wobei es mir dabei immer schlecht gegangen ist, während er bestens drauf schien. Unvorstellbar, unendlich weit von mir entfernt, mit seinem grün leuchtenden Gesicht, voll grüner Pickel, ekelhaft. Nach einem Trip waren immer deine Pickel reif, auch wenn du vorher gar keine hattest. Als bist du in zwölf Stunden um vier Tage gealtert.

Er wollte immer Pink Floyd oder Brainticket hören, solche Abfahrmusik, das hielt ich aber gar nicht aus. Ich tobte dann durch die Wohnung, schrie dabei: »Gas strömt aus!« Weil ich zu ersticken glaubte und drehte alle geschlossenen Hähne nochmal zu. Drauf sein, bedeutete im Freak-Jargon, auf Trip zu sein.

Heute ist das Umgangssprache und meint die Stimmung. Damals verwendeten das nur Leute mit Rauscherfahrungen. Auf einem LSD-Trip erlebte ich wirklich unbeschreibliche, verfluchte Erleuchtungen. Die letztlich belanglos sind.

Ich frage mich selbst, warum ich so ticke, tue es aber echt genau so und ich sage jetzt he – hallo, die volle Provokation:

Ich behaupte, die meisten Menschen meinen, dass sie lieben und tun es eigentlich, streng definiert, gar nicht!

Natürlich nicht absichtlich, bei den meisten geschieht es wohl unbewusst, dass mit ‚ich liebe dich’ eigentlich gemeint ist: Dich will ich haben, du sollst mir gehören!

Wie eine Art Benz, Fiat oder Goggomobil, das man ficken kann. Das Modell steht zur Auswahl, je nach sozialem Status. Der sehr oft das Aussehen ist. Oder Geld, sozialer Stand, berühmt sein ist super natürlich, weil der Charakter, der ist unwichtig. Auf den kannst du einen lassen. Den erkennt man eh meistens erst, wenn es zu spät ist. Wenn ich dich liebe, so wirklich, so richtig echt, warum will ich dir dann die Fresse polieren, wenn du mich leider nicht willst? Oder mir sagst, sorry, passt irgendwie nicht mehr, mit uns Beiden?

Liebe ist für mich ein großes Missverständnis, dem die meisten, die allermeisten Menschen unterliegen. Okay, das ist jetzt gemein, musste aber raus, da darf man sich jetzt drüber aufregen.

Jetzt nochmal: Was bedeutet es, wenn man jemanden liebt? Nein, konkreter, nicht der man liebt, sondern der Mann-Penner-Schnurche liebt, also ich!! Was bedeutet es für mich, Kiki zu lieben?

Sollte ich dann nicht das Beste für diesen Menschen wollen? Sie aus ganzem Herzen unterstützen, auf ihrem Weg durchs Leben, alles Schlechte von ihr fernhalten, jegliche Unterstützung gewähren?

Auch wenn es für mich selbst blöd ist. Selbst dann, wenn es für mich persönlich eine Riesenkacke ist. Weil nämlich ich das Schlechte in ihrem Leben bin!

Die Konsequenz daraus bedeutet, dass ich immer und ewig unglücklich sein werde, es wahrscheinlich, sicher sogar, bereue, immer und immer wieder. Aber jetzt, zu diesem Zeitpunkt, geht kein Weg dran vorbei. Es muss einfach genau so entschieden werden.

Wenn ich jemanden richtig liebe, richtig, richtig total – dann möchte ich doch mein Leben geben, oder nicht?

Nicht, dass man da wirklich scharf darauf ist, aber wenn die Situation eine Entscheidung dieser Tragweite erfordert?

Okay, okay, okay, zugegeben, das klingt jetzt verteufelt unendlich viel nach edlem Ritter. Aber trotzdem, vielleicht bin ich ja sogar so ein blöder, scheißedler Drecksritter, oder wäre es zumindest gerne. So wie Conan, Flash Gordon, der Hemingway-Typie aus: ‚Wem die Stunde schlägt’. Wie sie alle heißen – ja, so will ich sein, ich will, ich will, ich will – und nochmal, nach denken und denken und fühlen und weinen und noch mehr denken, bin ich mir ganz, ganz sicher – es ist richtig, genau so. Für mich bedeutet es, es wird laufen wie in: ‚Mach’s noch einmal, Sam’, von Woody Allen. Den habe ich in der Schauburg mit Daniel gesehen. Der Film hat dieses gleiche Thema wie Casablanca. Die Titelfigur lässt seine große Liebe los.

Auch der Streifen: ‚Wem die Stunde schlägt’. Da darf der Held sogar sterben. Vielleicht echter Kitsch. Aber nicht für mich, da wird es Realität. Tja, da schaust und kannste mal sehen, wer hätte gedacht, dass es so kommt, in meinem Leben. Dazu auch noch dermaßen schnell. Wer hätte gedacht, dass es so schlimm ist, so verflucht, so scheiß-drecks-verflucht schlimm, also – ich sicher nicht.

Es gibt eine tolle Donald Geschichte, darin wird er mit einem Voodoo-Zauber belegt und meint, auf Insektengröße schrumpfen zu müssen. Er weint, wirft sich auf den Boden und sagt, nein, er schreit: »Und Daisy wird mich nicht mehr lieben, wann hat denn eine Ente einen Floh geliebt!« Genauso ist es bei mir. Ich bin ein Floh, eine Wanze, eine Filzlaus, ein blutsaugender Parasit, ein Freak, eine Flasche, ein Loser, einfach unwürdig.

Ihrer nicht wert. Unwürdig, hier auf der Erde herum zu wurmen. Ich gehöre darunter, bin aber zu feige, konsequent zu sein und mein jämmerliches Lichtlein auszublasen. Ich bin einfach ein Nichts und Kiki ist eine Göttin. Eine junge Frau, die ihr ganzes Leben vor sich hat, während meines irgendwie bereits zu Ende ist, bevor es überhaupt einmal richtig angefangen hat.

Und ich will alles Schlechte von ihr fernhalten!

Will, dass sie glücklich ist!

Frei, unbelastet. Sie will studieren, hat sie geschrieben. Sie wird ihren Weg gehen und das soll sie auch tun können. All dieses, alles nachdenken und rumspinnen läuft nur auf ein Einziges hinaus: Ohne mich.

Es kann nur ohne mich gehen. Wenn sie zurückkommt, fällt sie aus allen Wolken. Nicht mit dem Flieger natürlich, blöder Spruch, sondern ich meine, es wird sie umhauen.

Es wird sie umhauen, was für ein depperter Depp ich geworden bin. Wenn ich’s eh nicht bereits immer gewesen bin. Ich kann ihr nicht mehr unter die Augen treten. Weil von dem Jungen, den sie kannte, nur noch die große Nase übrig geblieben ist. Der Rest ist ein fertiges, verkommenes Subjekt geworden. Spätestens dann wird sie mit mir Schluss machen. Machen müssen. Weil dieser Aberglaube, dieses Märchen: ‚Meine Liebe wird ihn heilen’, wie es die kleine Susi mit ihrem Junkie glaubte, das gibt es nicht!

Die Drogen sind viel stärker. Dann geht nicht nur einer den Bach runter, sondern zwei und nein, nicht sie! Wenn man einmal in der Szene ist und die Augen offen hat, kann man ähnliches immer wieder sehen. Ich kenne inzwischen vier Pärchen, bei denen es genauso lief. Okay, das Age, so spricht man es aus, englisch: »H«. Heroin ist viel stärker, härter. Aber ich bin nicht so blöd und lüge mir in die Taschen, bei dir nicht Typie, du bist nicht süchtig. Ich spüre genau: Ich will mir die Birne zuknallen, mein ganzes Leben ist längst darauf ausgerichtet. Alles und jeder wird dem Kiffen untergeordnet. Nichts wird schlimmer sein, als zu merken, dass ich nicht dagegen ankomme. Ich habe bereits versagt, immer und immer wieder. Das hört niemals auf. Nicht in diesem Leben.

Vor kurzem habe ich in der Bücherei alle Bücher geholt, die auch nur im Entferntesten Drogen als Thema hatten. In allen stand dasselbe. Shit macht süchtig im Kopf. Ich brauchte zum Transport des Riesenstapels Bernie mit dem Auto. Der meinte, so ein Quatsch, spinnst du, als ich sagte, ich bin süchtig.

Aber wieder zurück zum Thema, ich drehe mich im Kreis. Im Teufelskreis. Wenn ich bekifft bin, will ich mich nicht ändern, weil sich alles gut anfühlt. Wenn es keinen Dope gibt, alles mies wird, dann beginnt die Suche. Er sucht, durchsucht, bedingt durch die Sucht. Dann durchwühle ich den Abfall, die ganze Wohnung, kratze alte Pfeifen aus und rauche Teer. Das flasht auch ganz schön, wenn auch nur kurz. Kurz – ich mache alles mögliche und unmögliche, bis es wieder Dope gibt.

Danach, bekifft, fühle ich mich dem Spießertum wiederum überlegen. Meine Erlebnisse, davon haben die anderen keine Ahnung. Wir nennen es den Durchblick. Den hast du – oder eben nicht.

Ich kann mich nicht mehr ändern, kann nicht mehr zurück. Niemand kann mich retten, niemand wird mich retten und diesen Rettungsjob, der sowieso nicht zu meistern ist, den werde ich Kiki keinesfalls aufhalsen.

Also schreibe ich ihr einen Brief. Seit langer Zeit, ohne viel zu erklären. Sage Blabla. Hat sich viel verändert. Phrasen, absichtlich, muss so sein, so knallhart irgendwo, so vollgemeiner Esel, so Iaahhmäßig. Ich darf sie nie mehr wiedersehen, nie, nie mehr! Kacke. Mann, ich bin das gemeinste Schwein.

Voll oink-oink-mäßig schreibe ich: Will mir den Kopf zuballern, ist das Allerwichtigste, danach kommt lange nichts. Deswegen ist es zwingend notwendig, dass wir uns nicht mehr sehen, wenn sie zurück ist. Dass ich ihre Briefe, falls sie mir geschrieben hat, seit Monaten gar nicht mehr bekommen habe, weil sie beim Vadder liegen. Zu dem ich nie mehr gehen werde und der sie sicher weggeworfen hat. Sie habe vielleicht schon einen netten College-Boy und ich ziehe jetzt dann um, weiß aber gar nicht wohin. Deshalb ist schreiben zwecklos und ich wünsche ihr was.

Ob man so einen Drecksbockmist überhaupt gut schreiben kann, keine Ahnung. Ich bringe es nicht. Je mehr ich umschreibe und rumeiere, desto bescheidener wird es. Jetzt lasse ich es so.

Ich bin komisch drauf. Am liebsten würde ich gerade alles kaputtschlagen, alles und jeden. Wenn man mir jetzt den roten Knopf gibt, von den Amis oder Russen, völlig egal, der würde gedrückt werden. Nett, nicht? Ich würde die ganze Welt meiner Wut opfern. Der absolute Über-Egoist.

Ich passe höllisch auf, dass keine verfluchte Scheißträne drauftropft. Nicht mal das gelingt. Nix kannste. Zwei kommen aus. Sie laufen aber auch wie blöd. Mamabubi. Aber die werden so geschickt kaschiert, es wellt sich nur ein klein wenig das Papier. Das merkt sie nie.

Wahrscheinlich ist es eh nicht schlimm für sie. Wir waren ja nur kurz zusammen. Was ist das schon? Vor allem so jung. Es heißt ja immer, ihr seid ja noch so jung. Ich kann das nicht mehr hören. Ständig heißt es das von den Alten. Egal, jetzt ist sie frei.

Sie könnte eh alle Typies haben. Jetzt darf sie auch. Wahrscheinlich hat sie längst. Es wird bei ihr bestimmt nicht sein, niemals. Es muss – ja – es ist bei ihr sicher nicht die endgroße Liebe des Lebens.

Gottgegeben, oh Mann!

Du bist schuld, du – verflucht! Allein dafür komme ich in die Hölle. Aber das ist egal. Ich weiß, ich werde sie immer lieben. Mein Leben lang, endlos. Für immer und ewig in diesem verfluchten Drecksleben, basta!

ich bin ja so feig. Letztens stand ich auf der großen Brücke, bereits über dem Geländer. Weit übergelehnt. Nachts. Habe mich aber doch nicht loszulassen getraut. Es wäre nur noch das dreckige Geländer gewesen. Nur die Hand weg, mehr nicht. Ich feiges Schwein. Kann aber auch sein, wegen Kiki. Für sie hätte es ein Unfall sein müssen. Dann hat es dich eben einfach erwischt. Das wäre okay, ihr gegenüber. Daniels Vater sagte zu dem Thema Selbstmord, das beschäftig mich ja seit Langem, da will man jemanden eine Leiche vor die Tür legen. Seine eigene. Nach dem Motto, sieh her, du bist schuld. Bei mir wäre die Adresse der Vadder. Aber der würde es ja nie kapieren. Sondern denken, hatte ja Recht. Der Schwächling taugte sowieso nix, schlechtes Blut und so, verhätschelt, verwöhnt. Vielleicht nur deswegen wollte ich ihm den Spaß nicht gönnen.

Komischerweise geht mir ständig ein Lied im Kopf herum nämlich ‚Visions of Angels’ und davon der Satz: »I sense no path – no love that ends in love«.

Eigentlich heißt es ‚past’ und nicht ‚path’, aber ich will es genauso hören. Ich spüre keinen Weg. Weil es nämlich keinen gibt! Jedenfalls nicht für mich. Besser wie dieses Lied kann man es einfach nicht ausdrücken, das. Das was ist. Ich glaube, ich lege mir die Scheibe jetzt auf. Wieder, wieder und wieder.

Fest steht jedenfalls: Ich werde Kiki nie mehr wiedersehen.

Und das ist gut so!

Gut, gut, saugut, super-duper-geil-gut – gut hoch Zehnmillionen.

Crosby, Stills, Nash & Young – Find The Cost Of Freedom

Pech ist auch, wenn einem die Familie irgendwie wegstirbt und man mitschuldig ist. Also Schuld jetzt relativ. Könnte man ausbauen, warum ich mich bei meiner Mutter Tod schuldig fühle. Egal, jedenfalls besuchte ich eben noch Tante Lotti in Nancy, warum, ist jetzt ein unwichtiger, anderer Schwank.

Obwohl nein, so unwichtig ist es nicht. Der Grund war ja eigentlich meine damalige Freundin, mit der ich da gewesen bin. Also eigentlich im richtig eigentlichen Sinne, denn ... oje, ich bin hoffnungslos abgekommen. Jetzt fangen wir einfach von vorn an.

Ich weiß gar nicht mehr hundertprozentig, wie sie wirklich geheißen hat. Sagen wir Sabine. Weil Susanne oder Sabine hießen damals mindestens sechzig Prozent aller Mädchen. Sie pflückte mich in Ubu, eines Abends. Ich fühlte mich mies und in ihrer Gegenwart wie ein Idiot. Weil sie so verdammt selbstbewusst rüberkam. Dazu mich schuldig, weil ich doch erst vor kurzem Kiki diesen verdammten Arschlochbrief geschrieben hatte. Da passte es ja supergut, gleich darauf mit einer Anderen rumzumachen. Besonders dann, wenn man überhaupt nicht verliebt ist, sondern einfach nur scheiße drauf. Ich staunte, in mir genau die Charakterzüge zu finden, die ich bei Anderen immer verachtet habe.

Sabine war das erste Mädchen, mit der ich richtigen Sex hatte. Also mit ficken und so. Wir entjungferten uns quasi gegenseitig. Dann fuhren wir in den Urlaub, ans Meer. Dort ging dann die Beziehung endgültig auseinander. Wahrscheinlich hatte es bereits vorher begonnen, spätestens nach jener Unglücksnacht. Das will ich jetzt schnell noch darstellen, das Pech.

Einmal gibt es einen super Shit, Schimmelafghane, das ist praktisch vom Feinsten. Voll stark in der Wirkung. Ich besaß ein paar Gramm davon. Konsumiert hatte ich ihn zusammen mit den Leuten vom Ubu, die Susi und ihre Konsorten-Entourage. Welche übrigens diesen Shit angeschleppt und mir verkauft hatten, um selbigen umsonst rauchen zu können.

Wie sie heimgehen und ich mit Sabine ins Bett wollte, klingeln die zuerst voll Sturm, stürmen dann die Bude, bestürmen mich endpanisch, die Bullen, die Bullen! Ich spähe aus dem Fenster. Tatsächlich! Da steht ein grüner VW-Bus vor der Tür, die Schiebetür offen, gmä-gmä macht das Funkgerät und okay.

Eine Haussuchung. Die sind gleich da.

Also weg mit dem Shit! Schnell noch ein Stück abgebissen, den Rest mit Schmackes zum Fenster raus. Schade drum, Pech eben – und wer nicht kommt, das sind die Cops. Die holen sich nämlich nur beim Wirt etwas zu essen. Hinten rum, durch die Küche. Als ich das kapiert habe, ist der Dope natürlich längst weg, den finde ich nie mehr. Beziehungsweise ist er ja teilweise in mich eingebaut. Ich scherze noch, wird ganz schön hochkommen. Als die anderen endlich gehen. Ich weiß gar nicht, wie viel ich eigentlich gefressen habe. Später im Bett liegend, fängt der Afghane an zu wirken und wie!

Der Dope kommt hoch mit Macht, so vulkanmäßig und ich sterbe beinahe. Das Herz rast, der Mund trocknet aus, bis es total schmerzt und dem Gefühl nach die Lippen aufspringen. Der Schiss dabei lässt das Herz noch mehr rasen. Es ist mitten in der Nacht, dunkel, unheimlich. Ich bin einsam wie selten. Sabine ist ewig weit weg. Da draußen irgendwo. Die schaut mir jetzt beim abkratzen zu. Irgendwas muss jetzt passieren. Ich muss mich ablenken, mich bewegen. Ich halte es nicht mehr Zuhause aus. Voll die Panik, jetzt sterben zu müssen, so scheißprall bin ich.

Sabine glotzt, die ist ja nüchtern. Diese ganze Geschichte ist voll kacke für uns. Sabine steht auf Helden. Nicht auf pennermäßige Endversager. Letztlich ist sie mir darüber hinaus irgendwie wurscht, soll doch nur ein wenig von Kiki ablenken.

Wir latschen irgendwann durch die nächtliche Stadt. Ich halbtot und Sabine glotzt. Ich habe sie gezwungen, eine Flasche mit Wasser mitzunehmen. Mir trocknet nämlich ständig das Maul aus. Gluck-gluck macht die Flasche beim Laufen in Sabines Händen.

Endlos geht es so dahin. Gluck, gluck, latsch, latsch.

Ich sterbend, daneben diese Gluck-Gluck-Bine glotzend. Dabei sieht sie irgendwie richtig bescheuert aus. Vom Dope hat es mir nämlich extrem die Optik verzogen. Beinahe wie auf einem Trip.

He, ein idyllisches Plätzchen mitten in der Stadt!

Eine Oase in diesem Wüstenlabyrinth aus Stein, Teer, Dreck und Mauern! Drei Bäume, eine kleine Wiese. Da hocken wir uns jetzt hin, an den einen Baum da. Schön ist’s. Irgendwie feucht, egal.

Wir hocken und hocken, keine Ahnung, wie lange.

Es wird langsam hell. Der verschwendete Superdope hört anscheinend endlich auf zu wirken und so können wir uns erheben, um heimzugehen. Ich drehe mich nochmal, um den Ort meiner Rettung in Augenschein zu nehmen. Jetzt dämmert es, wortwörtlich und zweifach. Da draußen und mir selbst.

Kleine Wiese – mitten in der Stadt – drei Bäume – feucht.

Das ist kein heiliger Ort – das ist ein Hundeklo.

Typisch für Unglückswürmer: Scheinbares Glück in Form von Superstoff? Denkste. Geld weg – Dope weg – und beinahe im Köter-Pissoir verreckt.

Kurz darauf fuhren wir nach Südfrankreich. Mit nur zweihundertdreißig Mark, mehr hatten wir nicht. Trampen wollten wir und Lessi klaute einmal mehr das Auto seiner Mutter, einen Polo. Das war damals eine Revolution, dieses Auto, zusammen mit dem Golf. Lessi hängte die Tachowelle aus, wir zahlten den Sprit. Dann fuhren wir dahin, wohin Sabine wollte. In eine irgendwie blöde Gegend im Schilfgebiet der Camargue, so ganz ohne Meer. Da aber wollte ich unbedingt hin. Angekommen hockten wir auf einem verlausten Campingplatz, mitten in der Pampa. Mir gefiel es da überhaupt nicht und so motzte ich, motzte ständig, motzte ihre guten Erinnerungen an diesen Ort kaputt.

Man sollte generell nicht mit jemandem an einen Platz fahren, an dem man bereits mit jemand anderem gewesen ist. Und dort eine gute Zeit verbracht hat. So zerstört man gute Erinnerungen. Gute Erlebnisse lassen sich niemals wiederholen.

Wir trampten später zwar ans Meer, aber die, sofern überhaupt noch vorhandene Restbeziehung, die lag dort in der Pampa im Staub. Und dieser Urlaub – überhaupt alles war mies gewesen, so ohne Geld. Auf dem Rückweg übernachteten wir in Nancy, bei meiner Tante. Ich schnallte bei dem abendlichen Gespräch mit ihr mal wieder Null. Null Komma Nix. Deswegen fühlte ich mich danach total schuldig, einmal mehr nichts geahnt zu haben. Genau wie bei der Mutter. Eine Woche später war die Tante tot. Und die Beziehung zu Sabine auch. Und in mir wuchs die Erkenntnis: Selbst wenn ich einmal eine Freundin habe, wieder haben würde, für Beziehungen bin ich ungeeignet.

Es wird nur eine schmerzvolle Angelegenheit. Für beide, meine potentielle Partnerin und mich.

Im Grunde genommen, habe ich Tante Lotti sehr gemocht. Der Aufstand zuhause mit der Klopperei tat mir leid. Ich wollte sie da eigentlich nicht mit reinziehen. Als Kind durfte ich immer in ihrem Escort hinter dem Steuer sitzen, wenn der in der Einfahrt parkte und mir vorstellen, ich fahre damit herum. Sie hatte die GT-Version mit geilen Rundinstrumenten wie Öltemperatur, Öldruckmesser, Batteriespannung, Drehzahlmesser und so. Der 17m vom Vadder hatte das alles nicht. Nur Tacho, Tank und Kühlwasser. Ihr Tacho ging bis 220. Da konnte man super den Rennfahrer spielen.

Wie gesagt, ich besuchte sie, fuhr zurück in die Burg und da starb sie auch schon. Im Gegensatz zur Mutter half sie allerdings mit einer Drahtschlinge nach. Hängte sich daran auf. Von ihren Depressionen hatte ich bei meinem Besuch nichts gemerkt, nullmäßig. Das hätte mir doch auffallen müssen, sagte ich mir. Da ist die Schuld, von der ich sprach. Ein Gescheiter hätte doch gemerkt, da hängt was im Busch. Aber der Spast, mit sich selbst beschäftigt, der – aber zu spät.

Nun geht’s wieder auf eine Beerdigung. Uhuh, vollgeil. Ich sehe meine Family. Noch vollgeiler. Und darf bei meiner Schwester und ihrem Mann mitfahren. Am allervollgeilsten. Echt jetzt. Wären der Vadder und ich allein in seinem Auto unterwegs gewesen, wir wären wohl niemals angekommen. Lebend, meine ich.

Inzwischen ist es Hochsommer. Ich habe Heuschnupfen. Die Spritze, die gibt es nicht mehr, ich bin ja nicht krankenversichert. Am Meer ist er weg. Hier, jetzt, würde Dope helfen. Der trocknet die Schleimhäute aus. Aber ich habe nichts dabei. Zu gefährlich, Grenze. Und Shit fressen macht viel zu fertig. Remember Hundeklo.

Lustig wäre es natürlich schon gewesen, dermaßen endprall unter lauter Family-Spießern. Egal, ich träume hinten im Auto, ich kann fliegen und bin frei.

Kiki sollte längst da sein. Ich bete, dass sie meine Adresse nicht hat. Aber so blöd ist sie nicht und kommt vorbei. Das hoffe ich jedenfalls inständig. Mein Fluchtverhalten, den Mädchen gegenüber, wird langsam richtig paranoid. Ich spinne komplett, denke ich manchmal. Immer öfter meine ich, sie zu sehen. Dann steht das dumme Herz still. Als Folge davon, tauche ich zuerst voll ab und danach, voll ab durch die Mitte. Mache vom Beet. So schnell nur irgend möglich. Aber sie war es bisher niemals, nur ähnlich aussehende Supermädchen.

Da gibt es beispielsweise so eine Begebenheit. Nein, zwei. Nein, eigentlich zweimal die Gleiche. Man glaubt es nicht. Letztens, bei einer Klautour zum Montanus in der Innenstadt hat mir Eine, die sieht ihr wirklich sehr ähnlich, vielleicht ist sie sogar noch besser aussehend. Nein, falsch. Schöner als Kiki kann niemand sein. Sie sah beeindruckend aus. Zugegeben, ich habe nicht wirklich so ganz genau hingesehen, es ging alles viel zu schnell. Sie wirkte superperfekt. Dieses Mädchen hat mir, sage und schreibe, tatsächlich ein Lächeln geschenkt. So richtig voll umwerfend.

Es lief dermaßen ab: Ich dachte natürlich von weitem zuerst, da kommt Kiki. Es folgten sofort: Huch, Schreck, Dummherzstillstand, Schweißausbruch. Mein Magen meinte, warte kurz, ich dreh mich mal schnell um. Auf den ersten Schreck hin, fühlte es sich zunächst enderleichternd an, weil es nicht Kiki gewesen ist. Daraufhin dachte ich. Hä? Was denn? Sie meint wohl jemanden hinter dir. Da ging aber niemand. Ich schalle, die meint ja tatsächlich mich. Spinnt die?

Das kann unmöglich sein.

Zunächst hat es mich versteinert. Dann bin ich durchgegangen wie ein panischer Gaul. Zum Glück ging sie auf der anderen Straßenseite. Wer weiß, was da noch passiert wäre, in der Vollpanik. Ich hätte mir wahrscheinlich in die Hosen gemacht. Oder beim fliehen ein Dutzend Omas umgerannt. Später wurde mir klar, weil dieses Mädchen so wunderbar gewesen ist, erster Eindruck natürlich nur, hätte ich mich womöglich verliebt. Und irgendjemand in mir scheint das zu verbieten. Oder den Panikschalter umzulegen. Was dann im Endeffekt auf das Gleiche hinausläuft. Nur eben erheblich peinlicher abläuft.

Das in etwa gleiche Ereignis, geschah ein paar Wochen später. Ich weiß nicht mehr genau, auf welcher Demo. Vor der hatte ich ebenfalls total Bammel. Ich könnte ja, trotz oder gerade wegen der vielen Leute dort, vielleicht Danny oder Fetti treffen. Oder noch schlimmer, Kiki. Deswegen wollte ich erst gar nicht hin. Ging dann doch, da mir das Thema wichtig gewesen ist. Woraufhin dort exakt das gleiche Muster ablief.

Zuerst oje, oh Schreck, das ist ja sie ! Dann intensives anlächeln von ihr, gleich mehrmals. Als Folge davon, die unvermeidliche Versteinerung mit Kotzgefühl.

Sie meinte echt mich! Ich versuchte, zwischen den Leuten abzutauchen, aber sie verfolgte mich richtiggehend und hat mich andauernd angelächelt. Daraufhin musste ich abstinken und zwar dermaßen heftig, à la Verpissola, Marke Tempo die Flotto. Der echte Held. Danach hat es mich dermaßen angewidert. Ich würde es bis heute gerne ungeschehen machen.

Genug davon. Wir sind auf einer Beerdigung. Also vorher, haben noch ganze die Gaudi vor uns, sitzen gerade bei meinem Onkel Victor und seiner Family im Wohnzimmer. Es gibt einen Aperitif, damit man die Bestattung besser verdaut. Ich nehme einen Scotch. Doppelter bitte. Der Vadder missbilligt das sicher. Den versuche ich erst gar nicht groß wahrzunehmen. Das Blabla, also die Konversation, geht mir sowieso auf den Senkel. Das Thema ist jetzt bereits Geld, erben und so. Ich hätte gar nicht erst kommen sollen und schenke mir später einen weiteren Whisky nach. Dazu heißt es von meiner Schwester, so möglichst unauffällig ins Ohr geraunt, ich grinse innerlich, weil sie leidet. Wie peinlich, den kleinen Bruder rügen zu müssen, wegen der Etikette. Sie belehrt mich: Zweimal nehmen, das macht man nicht. Ich erwidere, diesen Idioten, den ‚Man’, den konnte ich noch nie leiden. Der kann mich kreuzweise. Kurz darauf bin ich prall. Zwei Doppelte auf nüchternen Magen bin ich nicht gewöhnt. Alles dreht sich beim Aufstehen, es haut mich beinahe die Treppe runter. Die Beerdigung, naja, Einzelheiten sparen wir uns jetzt. Es schifft und schifft und schifft. Er hat schon Humor, der da oben, denke ich. Mich jedes Mal bei einer sogenannten Trauerfeier anzupinkeln.

Möglicherweise erwähnenswert, bei dem anschließenden Festmahl wurde gezetert wie in einem Schwarm Raben. Um die Kohle, das ganze Klump von ihr. Ich fühlte mich einmal mehr als böser ‚Boche’ unter all diesen Franzosen. Das ist ein verachtendes Schimpfwort für Deutsche. So nannten sie mich heimlich, meine Cousinen und Cousins.

Auf der Heimfahrt hätte ich vor Wut ausrasten können. Als ob es mir noch nicht dreckig genug gegangen wäre, da auf der Rückbank. In meiner Traurigkeit. Meinem Frust über diese blöde Beerdigung. Garniert mit Streitereien, während noch nicht einmal die Blumen auf dem Grab verwelken. Widerlich. Ich habe mich rausgehalten. Dafür bin ich ja letztlich auch gelinkt worden. Durch mein nicht mitspielen bekam ich letztlich die Dinge, die keiner mehr haben wollte. Ich übrigens auch nicht. Das Pech sollte aber vermerkt werden. Oder war es Dummheit?

Halt, jetzt will ich doch noch erwähnen, von der Mutter habe ich ebenfalls nichts geerbt. Gar nichts habe ich bekommen – außer einem Wisch vom Notar, mit Testamentskopie. Darauf in Krikelkrakelschrift, sie vererbt alles dem Vadder. Sehr viel später habe ich erfahren, voll unkorrekt. Wenigstens ein Pflichtteil hätte ich bekommen müssen, rein rechtlich. Und es ist ja nicht so, dass sie vollkommen besitzlos gewesen ist. Aber letztlich ist es ebenfalls ein Unglück, wenn man blöd ist. Oder moralisch.

Aber mit mir kann man’s ja machen. Egal. Auf der Heimfahrt quatschen die auf den Vordersitzen mich an. So vorwurfsvoll nervend. Ich denke, gibt’s doch gar nicht. Keine Pietät. Man wird nicht in Ruhe gelassen, keine Chance. Das Beste wäre jetzt ein barsches: »Haltet einfach euer Maul!«

Aber man ist ja höflich, artig und brav. Antwortet gesittet. Halbwegs wenigstens. Auch wenn das Thema das Letzte ist, das man hören will.

Meine Schwester fragt mich, wie stellst du dir das eigentlich mit deiner Zukunft vor – und ich: Hä? Zukunft, kann man das essen?

Sie rügt gleich, sei ernsthaft, du hast doch das ganze Leben noch vor dir, du bist doch noch so jung. Das hätte sie besser nicht gesagt, gegen den Spruch bin ich allergisch. Als sie fortfährt, nochmal, hartnäckig, wie stellst du dir denn dein späteres Leben vor, bekommt sie die fällige Retoure – na geil eben, richtig abgefahren und supergeil stelle ich es mir vor, was sonst – und sie, hör doch auf, was willst du denn einmal werden und ich, langsam richtig wütend – na glücklich !!

Unverschämt glücklich und reich. Absolut stinkreich, berühmt und samenhaft glücklich – und sie sagt, hör auf zu ulken, einmal bitte. Du brauchst doch eine Berufsausbildung. Hast du schon mal überlegt, was du gern tun würdest – und ich höre den ewigen Regen aufs Autodach prasseln. Sehe, wie sich die gelben Lichter der französischen Autos auf der nassen Fahrbahn spiegeln. Da draußen ist eine verpisste, dunkelgraue, uringelbe Welt. Ich bräuchte jetzt etwas Dope und antworte dann: »Ich will genau das werden, was ich bereits bin – ein Taugenichts.«

Hawkwind – Hassan I Sabbah

Sehr viele Abende verbrachte ich im Klub, meinem zweiten Wohnsitz. Wir nannten ihn alle so, korrekt wäre K91, nach der Adresse, Kriegsstraße 91. Daneben hatte irgendwelche Christen ihren Laden. Dort gab es Ruhe, Kekse und Tee und man konnte sich aufwärmen. Der Klub war nicht immer optimal beheizt.

Zum Beispiel an dem Weihnachten vor dieser geilen Beerdigung, um einen kleinen Zeitsprung zurück zu machen, meine Schwester bringt mich gerade darauf. Also zurückbeamen, wie mit der Zeitmaschine, etwa ein gutes halbes Jahr. Dieser heilige Abend verlief sehr eigenartig. Zunächst völlig normal ging’s zu meiner Schwester. Das war inzwischen Tradition, quasi. Es bedeutete ein Gratis-Mahl mit einem kleinen Geschenk. Zum Vadder konnte ich nicht gehen. Das packte ich nicht. Ich hätte mich gleich danach umgebracht, ganz sicher. Einfach vor lauter Hoffnungslosigkeit.

Eigentlich absolut faszinierend, wie schnell und wie endgültig sich ein schönes Ereignis aus der Kindheit in etwas dermaßen Bescheidenes verändern kann. Das ist wohl einfach das Leben. Mein Leben eben, Pech. Nach diesem Besuch ging es in den Klub. Alles zu Fuß, ganz schöne Märsche im Dunkeln. Fast kein Schwein unterwegs. Es war kalt. Ich fühlte mich ziemlich einsam.

Eine komische Stimmung irgendwie, heilig vielleicht, aber das war wohl alles Einbildung vom laufen. Selbiges war zwingend erforderlich. Straßenbahn fahren, das hatte ich seit langem hinter mir.

Ein perfektes Beispiel für das Glück eines Unglückswurms. Es geschah an einem Sonntagmorgen, während meiner Schulzeit, kurz nach dem Auszug. Ich auf dem Weg zum Vadder, Geld abholen. Ich besaß keine müde Mark mehr, echt jetzt. Deswegen fuhr ich schwarz, hatte ein schlechtes Gewissen, sagte mir aber, du bist pleite, du kannst nicht bezahlen. Es sind ja nur ein paar Haltestellen, an der fünften steigst du bereits wieder aus. Die Straßenbahn war praktisch leer, außer mir saßen nur zwei Typies weiter vorne. Einer davon steht auf, geht nach hinten und – will meinen Fahrtausweis sehen. Na? Glück, hä?

Einmal im Leben schwarzgefahren, einmal, ungelogen und gleich erwischt worden, damit gleich viel Geld von Vadder flöten. Die Kröten gehen flöten. Schüttelreim. Seitdem gehe ich praktisch immer zu Fuß, das ist gesund. Das Fahrrad längst geklaut worden. Ich bin zwar selbst ein Dieb, aber Räder sind tabu. Keine Ahnung warum. Ehrenkodex eben.

Der Klub blieb zunächst leer. Die feierten noch alle. Heilig, heilig eben alles und zugegeben. Dann war sie da, die gute, alte Depression. Bereits auf dem Weg durch die Kälte kamen haufenweise verdammte Erinnerungen hoch. Im Klub wurde ich von Bildern und Feelings überwältigt. Sie gingen einfach nicht mehr weg. Szenen von alten Weihnachtsfeiern. Mit der Family, mit der Mutter, Vadder stellt den Baum auf, meine Schwester und er putzen ihn. Ich darf natürlich nicht, weil zu klein. Besuch ist da, Tante Lotti, Grand-Pêre und Omi, Tante Aenne. Flötenspiel mit gutem Essen, ein leuchtender Lametta Baum voller Süßigkeiten. Vorher der tolle Fernsehnachmittag mit der Augsburger Puppenkiste und ‚Wir warten aufs Christkind’.

All das vermisste ich. Sogar der Christmesse trauerte ich nach, peinlich. Mir wurde einmal mehr bewusst, wie schnell sich alles ändert, Vergangenes nie wieder zurückkommt, dafür jedoch als halbgeöffnete, verbeulte Konserve im Gehirnschrank herumgammelt. Als Müll für die Ewigkeit. Naja, kann’s ja nicht ändern.

Später wurde der Klub dann brechend voll. Außerdem trudelten unsere Amis ein. GI’s aus der Kaserne, die heilfroh waren, dass sie überhaupt rein durften, weil sonst überall: ‚Off Limits’ stand. Dafür hatten sie uns auch vor einer Rockerbande gerettet, die zuvor einmal die Bude gestürmt und alle verklopft hatten. Dann wiederkommen wollten. Weil macht ja Spaß, Schwächere zu vertrimmen. Bei Stärkeren bekommt man nämlich ein Problem. Die Rocker liefen bei der nächsten Attacke aber dermaßen auf, denen ging damals voll die Düse. Geniale Strategie, aber halt. Das wäre ein anderer Schwank, vielleicht ein andermal.

Die vier wollten immer endmäßig prall sein. Es hieß bei denen ‚tipsy’ und als Bubu nach dem deutschen Begriff dafür fragte, meinte Spezi: ‚Hackezu’. Und so begrüßte Bubu jeden mit: »Hey you, hacketoo«, und klopfte einem dabei auf den Buckel, dass die Luft wegblieb. Die konnten Zeug reinpfeifen, unvorstellbar. Ich glaube, die hatten pfundweise Traumata oder so. Die knallten sich beispielsweise zum Dope auch noch Mäxle rein, Tabletten, die zusammen mit Alkohol verheerend wirken. Ich probierte einmal eine Einzige plus ein Bier und bin später umgefallen, ohne es zu merken. Dachte nur, komisch, wie groß plötzlich alle geworden sind. Soviel zu mir. Die Amis hauten sich wasweisich wie viele Tabs rein und tranken dazu eine Flasche Bourbon, praktisch auf Ex. Faszinierend, würde Spock dazu sagen, da bin ich sicher. Später hat sich Bubu beim Schiffen den Daumen verletzt. Und wie. Oben hing er weg, quasi abgerissen. Ich konnte gar nicht hinschauen, ohne zu reihern. Die Mädchen haben ihn verarztet. Der Grund ist, beim Hosenstall zuziehen kam ihm sein Daumen irgendwie dazwischen. In den Reißverschluss nämlich, und er so: Hä, geht nicht, was denn? Dann eben mit Gewalt und damit mal eben den Daumen ein Stückchen kürzer gemacht.

Letztlich wurde der Abend richtig gut. Die ganze Belegschaft endmäßig bedröhnt. Es lief super Musik, fetzig in der Regel, Led Zeppelin, Who und Styx, Hawkwind und anderes psychedelisches Zeugs. Ich hatte erst vor kurzem entdeckt, öha, du kannst ja dich ja bewegen zu Musik, besonders bekifft. Das Tanzen hatte ich zunächst strikt abgelehnt, wegen den Baghwans möglicherweise. Oder weil damals fast alle discomäßig herumflippten, in schicken Anzügen, mit bemalten Tussies im Arm, aber ich hasste den Travolta.

Warum auch immer, jedenfalls traute ich mich erst seit kurzem zu tanzen. Anfangs war ich verkrampft, weil eine leere Tanzfläche doch etwas wie eine Bühne ist. Aber im Klub half die Dunkelheit und das Stroboskop, da sah man eh nichts genaues. Irgendwann wurde ich lockerer. Iinzwischen achte ich nicht mehr darauf, wie ich aussehe. Einfach die Musik sein und die Welt außen komplett vergessen.

Später kamen die S41-Kiffer-Kommunen-Typies. Das wurde dann ein richtig geiles Riesenspektakel. Die führten nämlich ein alternatives Krippenspiel auf. Zuerst mit Spezi als Christkind in der Krippe, was mit einem Gejohle und Pfeifen quittiert wurde. Lupo, ihr Schäferhund, spielte das Schaf. In seinem weißen T-Shirt schaute er auch wie eines. Uwe mimte den Ochsen, indem er Hörner unter einem Bettlaken mit aufgemaltem Tiergesicht hielt. Weil Uwe sich darunter bewegte, machte der Ochse andauernd komische Grimassen, denn das Leintuchgesicht beulte es ständig anders aus. Wir schifften uns beinahe an vor brüllen.

Im zweiten Akt spielte Uwe den Herodes, bekam ein Schwert und eine Babypuppe, die er zu Pink Floyds ‚Be careful with that axe, Eugine’ kunstvoll zerlegte. Dieses Lied wurde von Idioten gerne hergenommen, um andere auf den Horror zu bringen. Auf Trip. Oder wenn man Shit gefressen hatte. Es wirkt es todsicher, beginnt sehr leise, minutenlang endmäßig soft, steigert sich ganz langsam. Die Geschichte ist die, dass da ein Typie beim Holzmachen ist und sich plötzlich etwas abhackt. Wenn das geschieht gibt es einen sagenhaften Schrei. Ewig lang und selbiger in diese, bis dahin total ruhige Musik hinein, die in diesem Moment ebenfalls zu fetzen beginnt, das ein Schocker. Da stehst du in der Luft.

Uwe sagte später, er kannte das Lied gar nicht. Die sagten nur, wenn der schreit, schlägst du zu und er dachte, wann schreit der Typ endlich. Dabei lief er die Bühne auf und ab. Das wirkte allerdings perfekt, wie geprobt. Dabei hielt er dem Säufer, der bereits die erste Szene mit Grölen und Bockmist gestört hatte, mal kurz das Schwert an die Kehle. Damit verstummte der Depp endlich. Ich fand, super gespielt und dafür, dass er das Lied gar nicht kannte, gleich zweimal.

Ihm dünke damals, irgendwie sind die da drauf wie richtige Assassinen aus dem Mittelalter. Diese lebten im Arabischen Raum, glaube ich, eine Sekte oder Orden, etwas in der Art. Laut Marco Polo kifften die und brachten dann Leute um. Auftragsmörder also. Alle fürchteten sich vor ihnen. Ich beschloss, so willst du auch werden. Natürlich kein Mörder. Aber artig sein, das legst du jetzt endgültig ad Acta. Oder anders ausgedrückt, der stürmische Drang in ihm obsiegte dem Zwang der Moralisten, sowie der Erziehung. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre es am Besten, einfach in die S41 zu ziehen. Wenn sie mich hoffentlich aufnehmen. Um immer mit diesen tollen Typen zusammen zu sein.

Irgendwann, so mitten in der Nacht, wurde ich verdammt müde. Auf dem Heimweg vom Klub nach Hause, zu Fuß etwa eine halbe Stunde, geschah etwas absurd komisches.

Ich komme an einer großen Kirche vorbei und dabei wird mir ganz eigen im Bauch. Genesis singt in einem Lied: »I got sunshine in my stomach«. Genauso fühlt es sich an. Ich weiß nicht, warum es mich da hineinzieht. Ein Drang, verrückt.

Ich gehe nie in eine Kirche, seit damals beim Abendmahl. Das Ultrabrutal-Unglück. Wir waren noch Jugendliche, als dieser Behinderte so geschlürft hat, sabbermäßig geschlürft. So laut, die Dachgiebel haben sich gebogen, beim heiligen Weintrinken. Das ist das Blut, das ich für euch vergossen habe und so schlürf – und ich, der Oberpeinliche, steht am Altar und stirbt.

Stirbt vor Lachkrampf, trotz Luftanhalten, trotz allen Bemühungen. Obwohl mir der Alte von rechts den Ellenbogen reingehauen hat. Kaum ging’s grad, haben die anderen gekichert und ich bin wieder geplatzt. Das ist ein Trauma fürs Leben.

Ich denke noch, was willst du Spast in dieser Kirche, aber schon mache ich die Tür auf, gehe rein und innen drin ist eine ganz eigene, ganz eigenartige, vollkommen einzigartige Stimmung spürbar. Alles wirkt irgendwie heilig. Jetzt ausnahmsweise mal nicht spöttisch.

Heilig trifft es nicht richtig. Eher unheimlich, unwirklich. Keine Musik, es ist ganz still. Die Kirche ist leer, fast. Ziemlich in der Mitte sitzt jemand auf den Bänken. Eine junge Familie, in Klamotten wie aus den Sechzigern. Schick, aber spießig und voll brav, streng konservativ trifft es besser. Den Typie habe ich kaum angesehen. Es ist die Frau, die mich so fasziniert. Jung, blond wie Kiki, die langen Haare hochgesteckt, eine unglaubliche Schönheit und neben ihr zwei kleine Kinder. Junge und Mädchen, auch blond und artig. Sie sitzen ganz gerade, vertieft, reagieren nicht auf mich und dieses eigenartige Licht in dem Kirchenschiff. Es scheint sie regelrecht vom Himmel kommend anzustrahlen.

Es wirkt wie ein Hollywoodkitschfilm mit Jesus und so. Aber es ist nicht kitschig, sondern anders. Befremdend, geheimnisvoll, unbeschreiblich, irgendwie beklemmend, fast peinigend. Vor allem unglaublich. Diese Szene löst etwas Undefinierbares in mir, macht etwas. Ich spüre diesen Stich im Herz, tief innen, ganz lang, ganz stark. Ich gehe wieder hinaus in die Dunkelheit und Kälte und frage mich, ob ich komplett spinne.

Das ist doch unmöglich. Es ist mitten in der Nacht, die Kinder gehören eigentlich längst ins Bett. Wie ich so heimlaufe, wie vollkommen neben mir, immer noch diesen Stich innen spürend, frage ich mich laufend: Was war das jetzt? Eine Vision? Etwas anderes? Keine Ahnung. Fast so etwas wie ein Wunder Gottes, den es ja leider nicht gibt. Es sollten Jahre vergehen, bis mir die Bedeutung dieses Erlebnisses wirklich bewusst geworden ist.

Talking Heads – Psycho Killer

Zurück in den Frühsommer. Zu Uwe, der vom Montanus gestohlene Schallplatten gegen Dope eintauschte. Beziehungsweise eingetauscht hatte. Ich klaute nicht mehr. Eine Geschichte von mal wieder Pech – oder Glück gehabt, schwer zu sagen. Es war von Anfang an so geplant, ein göttlicher Deal quasi, eine Abmachung. Also hör mal zu: Ich klaue so lange, bis ich erwischt werde und wenn ich davonkomme, ohne Knast und so, dann stehle ich nie mehr. Das schwöre ich Dir, also bei Gott und so kam es dann auch. Ich wurde erwischt. Pech oder Gerechtigkeit. Das ist eine Frage des Standpunkts.

Schlussendlich stand ich vor dem Richter und behauptete, es wäre das erste Mal gewesen. Dabei gleich geschnappt worden. Er zweifelte und meinte, die Methode wirke doch sehr professionell. Ich erwiderte, stimmt schon, aber man muss sich ja etwas überlegen. LPs in eine Tüte zu stopfen, das merkt ja nun ein Jeder. Ob er mir nun glaubte oder nicht, ich bekam an mein geringes Einkommen angepasste Tagessätze, die zwar schmerzten, aber keinen Knast. Beeindruckend fand ich, wie sehr sich die über meine Lebenssituation informiert hatten. Letztlich war es mir sehr recht, ganz ehrlich. Mein Ruf als Dieb führte längst dazu, dass manche Leute mich nicht in ihrer Wohnung sehen wollten, aus Angst, bestohlen zu werden. Dabei habe ich immer nur Kaufhäuser und Geschäfte beklaut, Privatpersonen nie. Und auch seit dem niemals wieder irgendwo etwas unbezahlt mitgenommen, ich schwör.

Nun zu Uwe, der immer Superdope angeboten hat. Immer jetzt relativ gesehen, natürlich gab es Flauten, aber selten. Meist sogar allerfeinst, die Qualität, aber teuer. Aber besser teuer und gut, als etwas billiger und taugt nichts. Ich besuchte die S41 nun öfter. Einmal war ich gerade gegangen, als sie kurz darauf von den Bullen hochgenommen wurden. Einen Bust ganz knapp verpasst. So nannten wir eine Hausdurchsuchung. Uwe wurde verhaftet. Öha, Glück quasi. Dope fanden sie etwa dreiundzwanzig Gramm. Uwe meinte, es müsste deutlich mehr gewesen sein, aber diese Zahl wurde offiziell angegeben. Eigentlich nicht wirklich viel, aber es gab da einen Zettel mit Namen und Geldbeträgen. Da stand auch meiner drauf. Das ist natürlich verfluchtes Pech. Unglückswurm eben.

Uwe kam zwar bald wieder raus aus der Untersuchungshaft, musste sich jedoch jede Woche auf der Wache, bei seinen Dorfpolizisten, melden. Er meinte, für den Fall der Fälle soll ich sagen, das waren Schulden von ihm bei mir, für Schallplatten. Tatsächlich bestellte mich der POM Zipfel, so hieß der echt, also Polizei-Obermeister die Berufsbezeichnung, der Nachname war wohl Programm, zu sich aufs Kommissariat. Natürlich verriet ich nix, außer meinen Namen. Der Zipfel sagte eh sofort, als allerersten Satz, er hätte mich angezeigt. Verständlicherweise bekam ich zuerst einen Riesenschreck. Bis mir klar wurde: He, der lügt. Der will dir nur Angst machen, der Zipfel.

Mit Danny hatte ich von den Kommunisten verbreitete Verhörverhaltenstechniken gelesen. Damals allerdings wollten wir Anarchisten sein, Kommunismus niemals. Eines unserer Vorbilder hieß Erich Mühsam. Den kennt sicher keiner mehr. Ein Gewaltloser, der von den Nazis zu Tode gefoltert worden ist. Anarchie bedeutet ursprünglich nur ‚ohne Herrschaft’ und existierte in der Weimarer Republik als eine politische Strömung, hatte also mit der blöden RAF gar nichts zu tun. Ich ärgerte mich immer über die und noch mehr über die Nachrichten, die von Anarchisten berichteten. Dabei waren die reine Gewalttäter, die Geld klauten und Leute dabei umbrachten, sinn- und ziellos.

Zurück zu unserem Verhör, das mich immer aggressiver machte. Mir fiel ein, wie ich mit elf Jahren etwa Zeitschriften ausfuhr, auf einem Minifahrrad. Der Gepäckträger mit Korb endschwer beladen, es ging durch das ganze Viertel. Eines Tages standen grüne Bullen an so einer gelben Telefonzelle. Zusammen mit ein paar von den Auffälligen, den Schlägertypen aus den Tabublöcken, vor denen man sich in Acht nehmen musste.

Dabei denke ich, aha, seid ihr mal erwischt worden, was auch immer ihr mit dem Häuschen angestellt habt. Der eine Typie von denen glotzt mich an und wie, voll intensiv. Ich radle weiter und trage aus. Am Ende der Straße kommt plötzlich das Bullenauto wie der Kojak angerast. Es schneidet den Fahrweg, die hüpfen raus, stellen erst mich, dann Fragen über Fragen. Ich erwähne das Telefon. Ahaaa, woher wissen sie das? Na woher wohl, ich bin doch gerade eben daran vorbeigeradelt. Das wollen die aber gar nicht kapieren. Langsam dämmert es und ich fasse es nicht. Hä? Spinnt ihr und verdächtigt mich? Irgendwann wird mir klar: Dieses Arschloch, das da glotzte, hat einfach mich als den Täter beschrieben. Ganz frech.

Beim vorbeifahren kam wohl die Idee und diese Deppen fallen voll drauf rein. Die spielen Kommissar, den Erik Ode, diese Halbintelligenzler und bearbeiten mich. Damals dachte ich natürlich anders. Aber immerhin soviel, kann doch nicht sein, dass die mich für einen Bösewicht halten. Nicht, dass ich wirklich Schiss hatte, ich war ja unschuldig. Aber als Kid ist man sauber in Bedrängnis, wenn einen Erwachsene so bearbeiten, noch dazu Respekt einflößende Uniformträger.

Vielleicht habe ich damals meine Allergie gegen Autoritäten entwickelt. Eine gemeine Behandlung hat mich immer sehr verletzt. Als ich heimkam, heulte ich dann doch ob der psychischen Marter. Mal wieder das absolute Pech. Oder etwa nicht? Die Mutter rief an und beschwerte sich. Es hieß Blabla, nur Routine.

Diese Geschichte fiel mir also ein, während ich den Zipfel betrachtete. Wie er vor mir seinen Sermon salbte, glotzend, mit Seehundschnauzer Marke progressiv. Da stieg in mir endgültig die Wut hoch. Ich stellte mir vor, gut wäre es jetzt, Obelix zu sein. Dieses Männle da am Schlafittchen zu packen und dann, klatsch, klatsch, klatsch, links, rechts, links und so weiter, hagelt es Fotzen. Wie es so einzigartig eben nur der Obelix machen kann. Ich hab wohl unbewusst gegrinst, als ich mir das so bildlich vorgestellt habe. Zusammen mit dem Wortwitz, ein original Zipfelklatscher zu sein. Plötzlich er tobt los: »Das finden sie wohl witzig, was?« Dadurch zerreißt es mich endgültig. Ich pruste los, das ist zu komisch.

Genau mit diesem Spruch wütete unser alter Rektor. Eigentlich ins Klassenzimmer gestürmt, um uns zu plätten, weil wir mal wieder böse, in der Achten. Während dem Schwadronieren aber stutzte er, glotzte einen Moment, um sich dann mit eben diesem Spruch auf den armen Knilch zu stürzen. Dabei sah der einfach nur so aus, als würde er grinsen. Ein ungeschminkter Clown quasi. Sei bitte nicht sehr verletzt, ich sehe auch nicht besser aus, nur unlustiger. Der Arme ist von uns der Allerartigste gewesen. Voll unschuldig. Dieser Klassenzimmerscherz ereignete sich kurz darauf sogar ein zweites Mal. Damals brummte dann jemand von hinten: Der kann doch gar nix dafür und der Direx stand daraufhin ratlos da. Er kapierte nicht, warum die Klasse lachte, durch diesen Fehler vollkommen seine Autorität vergeigend.

Nun gut, ich wusste jedenfalls, die Schmier tut dir immer das Schlimmste an, was geht. Und wenn er dir nur drohen kann, dann kann er dir gar nichts, also, quak-quak, Blabla, zupf dich, du Zipfel!

Geärgert habe ich mich aber doch irgendwie über sein ich gut und du schlecht rüber kommendes Verhalten. Das reizte einfach ein paar Rezeptoren. Beim gehen schrieb ich deswegen ‚Free Dope’ auf das Abteilungsschild vom Rauschgiftdezernat. Genau wie ich dachte, von den Cops schaut da längst keiner mehr drauf. Die gehen jeden Tag hundertmal daran vorbei, unbewusst. Aber jeder neue Besucher, der sich orientiert, der sieht es. Mein Text stand echt monatelang da drauf. Das erzählten immer wieder Leute, die vorgeladen worden waren.

Was ich ursprünglich erzählen wollte, mit der Burg ging es längst darnieder. Wieder eine Kündigung. Für alle Wohnungen, auch für die Kommunisten über uns. Ich vereinbarte mit der Belegschaft der S41, bei ihnen einziehen zu dürfen. Alles, was ich anscheinend nicht mehr brauchte, verkaufte ich davor auf dem Flohmarkt, praktisch fast mein gesamtes Klump.

Den schrottigen Hausrat von Tante Lotti, den mir meine Familie aufgehalst hatte, während sie sich die Biedermeiermöbel schnappten, den unwichtigen, restlichen Kram und vor allem meine umfangreiche Plattensammlung. Die S41 hörte andere Musik als ich, mehr Hardrock und eigentlich trennte das uns ja. Ihr Geschmack war für mich zu einfach gestrickt. Nach einmal anhören kannte ich bereits jeden Ton und jeden Gitarrenriff. Dafür fanden sie meinen Sound zu soft, zu schräg, zu tiefgründig und größtenteils einfach Scheiße.

Opfer muss man bringen, sagte ich mir. Es ist ja schon super genug, dass ich bei denen und mit ihnen leben darf. Die Platten wären eh bald verkratzt und dadurch Schrott gewesen. Ich beabsichtigte außerdem, sämtliche Brücken zu meinem alten Leben abzubrechen und ein vollkommen Neues führen. Ein neuer, ein anderer, ein besserer Mensch zu werden.

An meinen neuen Freunden gefiel mich auch gut, die kifften zwar, brachten danach aber immer irgendeine Action und unternahmen etwas. Das ewige rumflacken und Platten umdrehen ödete mich längst an. Noch ein Argument überlegte ich mir. Abenteuer zu erleben ist zwar aufregend, birgt allerdings den Nachteil der Gefahr in sich. Da braucht man jemandem wie Uwe. Der einerseits garantiert für Spannung sorgt, andererseits aber jemand ist, der niemanden fürchten muss. Hat man so einen an seiner Seite, miniert man das Risiko, optimiert allerdings die Chancen auf Begebenheiten, die Abenteuer in sich beinhalten.

Mit dem Verkauf meiner Plattensammlung machte ich einen Haufen Geld und konnte meine Schulden bezahlen, die ausstehende Miete und so weiter. Einen Teil hätte ich zwar von Schnulli einfordern können, denn der Vadder zwang ihm einen Vertrag auf, aber ich wollte das nicht. Ein Flohmarkt übrigens kann recht lustig sein, da würde es einige Schwanks dazu geben. Die schenken wir uns, sonst hört diese Geschichte nie mehr auf. Ich verkaufte alles bis auf die letzte Scheibe in nullkommanix und sorry Typie, tut mir echt leid. Gerade du warst sehr sympathisch. Diesen einen linkte ich. Der kaufte eine Genesis, mit der ich selbst betrogen worden war. Pech damals, ich hätte sie wegwerfen sollen, aber ich hatte sie total vergessen. Der Zustand war zwar okay und sie war recht billig, die Scheibe aber hatte zweimal die A-Seite drauf. Praktisch nur das halbe Album. Ihn zu bescheißen war wie klauen. Das mach ich nie wieder, ich schwör. Es tut mir total leid.

Schnulli zog ebenfalls aus. Nelly lebte längst wieder in den Staaten. Bernie, der kurzzeitig bei mir gewohnt hatte, nachdem er von der Schule geschasst worden war, kam in einer WG in der Stadt irgendwo unter. Einen Teil meiner Habe nahm ich mit, der Rest kam auf den Sperrmüll. Bei jedem Umzug wird dein Besitz weniger. Mit Schwund musst rechnen. Ich kappte auch, mehr oder weniger, die Beziehung zu meinen Burggästen. Viele trauten sich nicht in die S41. Uwe war berüchtigt. Auf diese Weise lies ich mein bisheriges Leben in dem Buntsandstein zurück. Gefühlt in etwa so, wie eine Schlange ihre alte Haut abstreift.

Strauchdiebe

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