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Оглавление3. Jenseits der Herrschaft
Das Tao des Himmels ist wie ein Bogen:
Es drückt das Hohe hinab und hebt das Niedrige empor.
Es nimmt von denen, die zu viel haben,
und gibt denen, die zu wenig haben.
Der meisten Menschen Weg verläuft umgekehrt:
Sie benutzen ihre Macht dazu, von dem zu nehmen, was zur Neige geht,
und von denen, die zu wenig haben,
um denen geben zu können, die zu viel haben.
Die Weisen, die dem Tao folgen, können immerfort geben,
denn sie bringen ohne Mühe Frucht.
Sie handeln, ohne etwas zu erwarten,
sie haben Erfolg, ohne das Verdienst für sich in Anspruch zu nehmen,
und sie haben es nicht nötig, irgendjemandem ihren Wert zu beweisen.
(Tao Te King, § 77)
Diejenigen, die andere in Einklang mit dem Tao leiten,
wenden keinen Zwang an, um andere zu unterwerfen,
und sie versuchen nicht, die Welt mit Waffengewalt zu beherrschen.
Denn jede Kraft hat ihre Gegenkraft,
Gewalt, selbst wenn in guter Absicht angewandt,
fällt auf einen selbst zurück.
(Tao Te King § 30)
Wie konnte ein System, das so irrational und zerstörerisch ist wie unsere gegenwärtige krankhafte (Un-)Ordnung, überhaupt entstehen? Der Ökopsychologe Theodore Roszak meint, dass unsere derzeitige ökologische und soziale Krise als „mehr als eine Anzahl von Irrtümern, Fehlkalkulationen und Fehlentscheidungen“ angesehen werden muss, „die durch etwas mehr Sachkenntnis am richtigen Ort leicht wieder ausgebügelt werden könnten“. Wie wir gesehen haben, sind die Werte, Grundüberzeugungen und Grundannahmen, die das innere Wesen der Herrschaftssysteme bilden, bereits in sich verkehrt: Sie gebären aus sich heraus eine Gewalt, die das Leben attackiert. Deshalb „ist nichts Geringeres notwendig als ein verändertes Bewusstsein, ein radikal neuer Begriff von Vernunft und geistig-seelischer Gesundheit, der die wissenschaftliche Rationalität entthront und die zentralen Paradigmen des industriellen Lebens [wir fügen hinzu: auch die Globalisierung unter der Herrschaft der Konzerne] an der Wurzel ausreißt“ (Roszak 1994, 319–320).
In diesem Abschnitt möchten wir die Perspektiven der Tiefenökologie und des Ökofeminismus erkunden; sie können uns helfen, die Grundüberzeugungen infrage zu stellen, die dem zugrunde liegen, was wir die „Ideologie der Herrschaft“ nennen können. Dann wollen wir von diesem Blickwinkel her die historische Entstehung dieser Ideologie betrachten und näher prüfen, wie sie innerhalb des derzeitigen globalen Kapitalismus Gestalt angenommen hat. Schließlich wollen wir die gewonnenen Einsichten dazu nutzen, um den Begriff der Macht selbst zu analysieren und ihn einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Tiefenökologie
Die Tiefenökologie beschäftigt sich wie andere ökologische Denkansätze auch mit der gegenwärtigen Zerstörung der Biosphäre der Erde und mit den Möglichkeiten einer Wiederherstellung der Lebenssysteme des Planeten. Doch sie geht deutlich über manche „oberflächlichen“ Formen ökologischen Denkens hinaus, welche die Leute dazu motivieren wollen, die „Umwelt“ zu retten, weil diese irgendwie nützlich für den Menschen sei. In der Sichtweise der Tiefenökologie haben andere Arten oder Ökosysteme einen Wert in sich, unabhängig vom Nutzen oder ästhetischen Wert für die Menschen. Die Tiefenökologie meint in der Tat, dass viele Arten des Engagements für die Umwelt insofern anthropozentrisch, d. h. auf den Menschen als Mittelpunkt ausgerichtet, sind, als sie die Welt immer noch so betrachten, als wären die Menschen der Maßstab aller Werte, die Spitze einer hierarchisch vorgestellten Schöpfung. Der Psychologe Warwick Fox bringt dies folgendermaßen zum Ausdruck: „Selbst viele von denen, die sehr direkt mit Umweltthemen zu tun haben, verfestigen weiterhin, wenn auch unwissentlich, die überhebliche Haltung, dass wir Menschen im Zentrum des kosmischen Dramas stünden, dass die Welt im Wesentlichen für uns gemacht wurde.“ (1990, 10–11)
Die Tiefenökologie stellt tatsächlich bereits die Vorstellung von einer „Umwelt“ unabhängig von der Menschheit infrage. Die Menschheit wird als ein Teil der Welt der Natur betrachtet, als ein Teil des umfassenderen „Netzes des Lebens“. Dies gilt sowohl für eine physikalische als auch für eine eher spirituelle oder psychologische Ebene. Wenn wir die Luft, das Wasser und den Boden vergiften, dann vergiften wir uns selbst. Wenn wir die Schönheit und Vielfalt der planetarischen Gemeinschaft verkommen lassen, dann machen wir auch unser Menschsein ärmer. Wendel Berry schreibt: „Die Welt, die uns umgibt, die um uns ist, ist auch in uns. Wir sind aus ihr gemacht; wir essen, trinken und atmen sie; sie ist Bein von unserem Bein und Fleisch von unserem Fleisch.“ (zitiert bei Hawken 1993, 215)
Die Tiefenökologie versucht, über die symptomatische Herangehensweise einiger Varianten des Umweltdenkens hinauszugehen und die tiefer liegenden Wurzeln der ökologischen Krise aufzuspüren: „Die Tiefenökologie erkennt, dass nichts weniger als eine vollständige Revolution in unserem Bewusstsein dauerhaft von Nutzen sein wird, um die Lebenssysteme unseres Planeten zu erhalten.“ (Seed et. al. 1988)
Das Bewusstsein revolutionieren
Und worin besteht nun diese „Revolution im Bewusstsein“? Arne Naess (1912–2009), von dem die Idee der Tiefenökologie ursprünglich stammt, behauptet, ihre beiden entscheidenden Elemente seien Selbstverwirklichung und biosphärische Gleichheit.17
Selbstverwirklichung behauptet, dass die Menschen mit der gesamten Ökosphäre zutiefst verbunden sind. Menschen stehen nicht neben oder über dem umfassenderen Netz des Lebens. Alle Organismen, auch die Menschen, werden als „Knotenpunkte im biosphärischen Netz oder Feld intrinsischer Beziehungen“ betrachtet (Arne Naess, zitiert bei Roszack 1994, 320). Selbstverwirklichung entspringt daher einer tiefen Empathie und dem Mitleid, das uns mit allen Lebewesen verbindet. Naess bringt es folgendermaßen zum Ausdruck: „Im Stadium der Reife werden Menschen Freude erleben, wenn andere Lebensformen Freude erleben, und Kummer, wenn andere Lebensformen Kummer erleben.“ (zitiert bei Kheel 1990, 135) Gleichzeitig werden wir aufgrund dieser tiefen Verbundenheit durch die Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Arten und Ökosysteme der Erde bereichert:
„Die Selbstverwirklichung, die wir erfahren, wenn wir uns mit dem Universum identifizieren, wird noch verstärkt durch die Vermehrung der Weisen, wie Individuen, Gesellschaften und sogar Arten und Lebensformen sich selbst verwirklichen. Je größer also die Vielfalt, umso größer die Selbstverwirklichung […]. Die meisten Menschen, die sich mit Tiefenökologie beschäftigen, hatten – gewöhnlich, aber nicht immer, in der Natur – das Gefühl, dass sie mit etwas Größerem als ihrem eigenen Ego, ihrem eigenen Namen, ihrer Familie, ihren besonderen Eigenschaften als Individuum in Verbindung stehen […] Ohne diese Identifikation wird jemand nicht leicht dazu gelangen, sich auf Tiefenökologie einzulassen.“ (Devall/Sessions 1985, 76)
Biosphärische Gleichheit entspringt einer ähnlichen Weltauffassung. Jedes Lebewesen und jedes Ökosystem haben ein unveräußerliches Daseinsrecht, das nicht von der Nützlichkeit für die Menschheit abhängt. Natürlich kann es sein, dass ein Organismus den anderen töten muss, um selbst zu überleben, doch kein Organismus (auch nicht der Mensch) hat das Recht, andere ohne einen Grund zu zerstören, und kein Organismus hat das Recht, eine ganze Art auszurotten. Die Menschen mögen deshalb töten, um Grundbedürfnisse zu befriedigen, sie mögen der Erde entnehmen, was nötig ist, um ihre Gesundheit und Würde sicherzustellen, aber sie haben nicht das Recht, die Artenvielfalt zu zerstören, um Kapital und Reichtümer anzuhäufen oder unnötigen Luxus zu produzieren. Letztlich bedeutet dies auch, dass Menschen davon absehen müssen, andere Arten und andere Menschen beherrschen zu wollen:
„Ökologisches Bewusstsein und Tiefenökologie stehen in scharfem Widerspruch zur herrschenden Weltsicht der technisch-industriellen Gesellschaften, die die Menschen als isoliert und in grundlegender Weise getrennt vom Rest der Natur, als ihr überlegen und für den Rest der Schöpfung zuständig betrachtet. Doch die Auffassung, dass die Menschen getrennt von der übrigen Natur sind und über ihr stehen, ist lediglich Teil von umfassenderen kulturellen Denkmustern. Tausende Jahre lang war die westliche Kultur vom Gedanken der Herrschaft besessen: der Herrschaft der Menschen über die nichtmenschliche Natur, der Männer über die Frauen, der Reichen und Mächtigen über die Armen, des Westens über die nichtwestlichen Kulturen. Ein tiefenökologisches Bewusstsein macht es uns möglich, diese falschen und gefährlichen Illusionen zu durchschauen.“ (Devall/Sessions 1985, 65–66)
Kritik am Anthropozentrismus
Vom Standpunkt der Tiefenpsychologie aus gesehen ist die Grundhaltung des Anthropozentrismus die Wurzel der ökologischen Krise. Der Anthropozentrismus kann als die Überzeugung definiert werden, dass nur der Mensch einen Wert in sich habe. Alles andere auf der Welt ist dagegen von relativem Wert und nur insofern von Bedeutung, als es den Interessen des Menschen dient.
Der Anthropozentrismus trennt uns vom Rest der planetarischen Gemeinschaft. Wir betrachten uns als über den anderen Kreaturen stehend. Den Res der Biosphäre reduzieren wir auf eine Umwelt, die von uns getrennt ist.
Der Anthropozentrismus bildet das innere Wesen unseres derzeitigen antiökologischen theoretischen und praktischen Verhältnisses zur Wirtschaft. Bereits unsere Sprache – wir sprechen von „Rohmaterial“, „natürlichen Ressourcen“, ja sogar von „Sorge um die Umwelt“ ‒ verrät uns, da sie unser Grundverständnis bestätigt, dass die nichtmenschliche Welt dem Menschen zu Diensten ist und ihm zur Verfügung steht.
Die meisten von uns haben diese Auffassung nie ernsthaft infrage gestellt. Es kommt uns ganz selbstverständlich vor, die Menschheit als irgendwie oberhalb oder außerhalb des Rests der Erdgemeinschaft anzusiedeln. Wir meinen, das Recht zu haben, die Erde zu gebrauchen, auch wenn dies anderen Arten schadet oder sie tatsächlich ausrottet.
Einige bestehen natürlich darauf, dass wir anthropozentrisch sein und dabei trotzdem andere Lebensformen schützen können. Und es liegt tatsächlich auf der Hand: Um die Gattung Mensch zu erhalten, müssen wir die Natur wenigstens zum Teil schützen. Doch es erhebt sich unmittelbar die Frage: Wie viel Natur muss erhalten werden, und den Verlust welcher Arten können wir uns leisten? Dies führt letztlich zu einer „Rutschbahn“; wir kommen damit in ein Fahrwasser, das zusammen mit vielen anderen Teilen der Erdgemeinschaft die Menschheit bedroht.
Und mehr noch: Was ausreichend sein mag, um ein begrenztes Überleben der Menschheit zu ermöglichen, könnte dennoch nicht genug sein, um Liebe, Schönheit und die Pflege des Geisteslebens aufrechtzuerhalten. Der ökologische Kulturhistoriker (oder „Geologe“) Thomas Berry (1914–2009) betont, dass die Menschen nur auf einem Planeten in die Evolutionsgeschichte eintreten konnten, der so schön ist wie der unsere. Auf die Schönheit der Erde scheint es wesentlich anzukommen, wenn wir das bewahren sollen, was wir an der Menschheit am meisten schätzen.
In gewisser Hinsicht mögen einige der oben angeführten Argumente selbst anthropozentrisch erscheinen. Doch auf einer anderen Ebene ist es auch eine Anerkennung unserer gegenseitigen Verbundenheit mit allem Leben, wenn wir den Standpunkt vertreten, dass Menschen andere Arten im weitesten und umfassendsten Sinne brauchen. Letztlich aber ist der Anthropozentrismus, so erläutert Warwick Fox (1990), sowohl irrational als auch einengend, und zwar aus folgenden Gründen:
Er stimmt mit der naturwissenschaftlichen Realität nicht überein. Weder unser Planet noch die Menschheit können als das Zentrum des Universums betrachtet werden. Die Biosphäre der Erde stellt ein dynamisches Ganzes dar, innerhalb dessen die Menschen in Abhängigkeit von allen anderen Arten existieren. Wir können uns auch nicht als die Krone der Schöpfung betrachten. Die Evolution ist ein Phänomen, das sich in Verzweigungen ausbreitet, und keine hierarchische Pyramide.
Anthropozentrische Einstellungen haben sich in der Praxis als katastrophal erwiesen. Sie haben uns dazu geführt, Arten und Ökosysteme im schnellsten Tempo seit der kosmischen Katastrophe, die das Verschwinden der Dinosaurier bewirkte, zu zerstören.
Er ist keine logisch stringente Auffassung, denn es gibt keine scharfe Trennlinie zwischen uns und anderen Arten – weder in evolutionärer noch in physischer Hinsicht. Unser eigener Leib ist in Wahrheit eine symbiotische Gemeinschaft: Fast die Hälfte unseres Trockengewichts stammt von anderen Organismen wie etwa von Hefepilzen und Bakterien in unserem Darm, die uns helfen, unsere Nahrung zu verstoffwechseln, und die wichtige Vitamine erzeugen.
Er ist moralisch verwerflich, weil er nicht mit einer wirklich offenen Einstellung gegenüber der Erfahrung vereinbar ist. Er ist im Kern eine egoistische Haltung, die uns in einer Illusion gefangen hält und uns gegenüber der Wahrheit blind macht.
Der Anthropozentrismus mag uns „natürlich“ erscheinen, doch er verleugnet die ökologische Einsicht, dass wir in grundlegender Weise auf das ganze Netz des Lebens bezogen und von diesem abhängig sind. Wir können nicht ohne die Erde existieren; wir sind Teil eines größeren Ganzen. Es gibt keine „Umwelt“ außerhalb von uns. Wir tauschen ständig Materie mit unserer Umgebung aus, atmen Sauerstoff ein und nehmen Wasser und Nährstoffe auf, die einstmals Teil anderer Kreaturen waren. Alles Leben auf Erden hat denselben genetischen Kodierungsmechanismus gemeinsam. Alle anderen Lebewesen sind „unsere Beziehungen“.
Wir sind also dazu aufgerufen, von einem Anthropozentrismus zu einer „biozentrischen“ oder „ökozentrischen“ Perspektive überzugehen. Der Anthropozentrismus ist von seinem Wesen her eine egozentrische Geisteshaltung. Doch wir sind dazu aufgerufen, unser Empathievermögen auf alle Lebewesen auszudehnen, ja sogar auf den Boden, die Luft und das Wasser, die ebenfalls ein Teil von uns sind.
Eine anthropoharmonische Alternative
Stephen Scharper (1997) schlägt als Alternative zur anthropozentrischen Geisteshaltung eine „anthropoharmonische“ vor. Anstatt die „Natur zu erobern“, müssen sich die Menschen in Harmonie mit der umfassenderen Ökosphäre entwickeln. Das heißt nicht, dass wir bestreiten müssten, dass der Mensch in gewisser Hinsicht einzigartig auf Erden ist. Wir sollten unsere Einzigartigkeit feiern und dabei unsere Abhängigkeit von allen anderen Kreaturen anerkennen. Es heiß auch nicht, dass die Menschen niemals andere Lebensformen töten können, denn es gibt tatsächlich keine andere Möglichkeit zu überleben, als andere Organismen aufzuzehren.
Doch eine anthropoharmonische Ethik leben meint, einen tiefen Respekt und Liebe gegenüber allem Leben zu entwickeln. Es heißt, damit aufzuhören, Herrschaft auszuüben, zu manipulieren und die Erde zu verbrauchen und zu verschmutzen, als ob sie unser Privateigentum wäre. Und es heißt, nicht mehr zu verbrauchen, als für ein Leben in Würde und Gesundheit nötig ist – und folglich damit aufzuhören, nach grenzenloser Akkumulation zu streben.
Arne Naess behauptet, dass uns die Tiefenökologie letztlich dazu herausfordert, neu zu definieren, was es heißt, Mensch zu sein. Dabei geht es nicht darum, dass wir unsere Identität verleugnen (sie ist ja der einzigartige Anteil, den wir an der sich entfaltenden Evolution haben), sondern vielmehr darum, sie in den umfassenderen Kontext des „ökologischen Selbst“ zu stellen. Eine solche Umorientierung muss weit über die Ebene der bloß verstandesmäßigen Akzeptanz hinausgehen, sie muss jede Facette unseres Seins und Handelns durchdringen. Insbesondere fordert sie die Menschheit dazu auf, das Streben nach Erwerb, Konsum und Herrschaft aufzugeben, da dieser Weg niemals zur echten Verwirklichung der Menschheit führen kann. Stattdessen müssen wir Sicherheit, Liebe und Gemeinschaft in Harmonie mit der umfassenderen Ökosphäre anstreben. Diese Art von Bekehrung zu einer neuen Ethik ist eine sehr tiefgehende Herausforderung, und dennoch eine, die die Menschheit zu einer erfüllteren Lebensweise hinführen könnte.
Ökofeminismus
Der Ökofeminismus vertieft in vielerlei Hinsicht noch die Kritik der Tiefenökologie am Umweltdenken. Gleichzeitig stellt er uns eine breitere Analyse zur Verfügung, die auch das Problem der zwischenmenschlichen Ungerechtigkeit mit berücksichtigt. Eine Art, den Ökofeminismus zu verstehen, ist es, ihn als eine Integration der Perspektiven des Feminismus und der Tiefenökologie zu begreifen, obwohl die Synthese, die daraus entsteht, wahrscheinlich radikaler (im ursprünglichen Sinne des Wortes, das heißt stärker an die Wurzel gehend) und umfassender ist als die Summe ihrer beiden Komponenten.
Der Feminismus für sich genommen ist eine vielfältige und vielgestaltige Bewegung, die man nicht mit einer einzigen Definition angemessen erfassen kann. Für unseren Zusammenhang jedoch können wir Feminismus als eine tiefgehende Kritik am Patriarchat verstehen, wobei Patriarchat hier das System ist, vermittels dessen die Männer die Frauen beherrschen. Radikale Spielarten des Feminismus stellen jedoch einen Kausalzusammenhang zwischen der Herrschaft und Ausbeutung auf der Grundlage von gesellschaftlichen Klassen, Rassen, Ethnien und unterschiedlicher sexueller Orientierung her. Das Patriarchat wird so in einem sehr weiten Sinne verstanden. Ein radikaler Feminismus ist also nicht einfach das Streben nach Gleichheit zwischen Männern und Frauen innerhalb der herrschenden (Un-)Ordnung (was ohnehin nicht möglich wäre); er ist vielmehr eine Kritik aller Systeme, die Unterdrückung und Ausbeutung verstetigen.
Vandana Shiva (1989 a und b) behauptet denn auch, dass der Feminismus letztlich eine Philosophie und Bewegung jenseits der Geschlechtergrenzen sei. Er erkennt an, dass Männlichkeit und Weiblichkeit gesellschaftlich und ideologisch konstruiert sind und dass sich das weibliche Prinzip der Kreativität in den Frauen, den Männern und der Natur verwirklicht findet. Die Wiederaneignung dieses Prinzips als eine Herausforderung für das Patriarchat beruht auf einer Integrationskraft, welche die Frauen dazu aufruft, produktiv und aktiv zu sein, und Männer dazu motiviert, ihre Aktivitäten auf die Möglichkeiten der Lebensförderung hin neu zu orientieren. Während Frauen in Gestalt der feministischen Bewegung die Führung übernommen haben – was insofern nicht mehr als recht ist, als Befreiung normalerweise bei den Unterdrückten ihren Anfang nimmt ‒, müssen auch die Männer aktiv für den Feminismus und dessen Herausforderung des Patriarchats Partei ergreifen.
Der Feminismus ist wahrscheinlich eine der wichtigsten und originellsten Bewegungen aller Zeiten. Fritjof Capra (2004) schreibt, dass das Patriarchat bis vor Kurzem als so alles durchdringend und tief verwurzelt erschien, dass es selten, wenn überhaupt, ernsthaft infrage gestellt wurde. Dabei prägte es alle menschlichen Beziehungen und unsere Beziehung mit der Welt um uns zutiefst. Dennoch ist die feministische Bewegung heute eine der stärksten kulturellen Strömungen unserer Zeit geworden. Sie hat nun tatsächlich alle Grenzen und Klassenschranken überschritten und ist in ihrer Reichweite wahrhaftig global geworden.
Die Verbindung von Patriarchat und Anthropozentrismus
Der Ökofeminismus verbindet die Einsichten aus Feminismus und Tiefenökologie zu einer neuen Synthese und behauptet eine dynamische Verschränktheit von Patriarchat und Anthropozentrismus. Aus einer ökofeministischen Perspektive ist es kein purer Zufall, dass das westliche patriarchalische Denken die Frauen mit der Natur identifizierte: Diese gesellschaftliche Konstruktion diente dazu, beide gleichzeitig auszubeuten und zu beherrschen, da sie beide als den Männern unterlegen aufgefasst werden. Vandana Shiva schreibt: Die Metaphern und Begriffe eines Verstandes, der von der feministischen Perspektive unbeeinflusst ist, hatten zur Grundlage, dass Natur und Frauen als wertlos, passiv und letztlich verzichtbar betrachtet wurden.“ (1989 b, 223) Sowohl die Frauen als auch die Natur werden als passiv betrachtet, während die Männer als rational, stark und emotionslos gelten. In einer patriarchalischen Gesellschaft wird die gesellschaftlich konstruierte Rolle des Mannes als überlegen gewertet, während die Frauen und die Natur grundsätzlich als Ausbeutungsobjekte angesehen werden. Deshalb behaupten Ökofeministinnen, dass es weitaus zutreffender ist, von Androzentrismus (Männerzentriertheit) anstelle von Anthropozentrismus zu sprechen. Charlene Spretnak meint:
„Die moderne technokratische Gesellschaft ist vom patriarchalischen Herrschafts- und Kontrollwahn durchdrungen. Beide (stützen) ein Managerethos, welches Produktionseffektivität und kurzfristige Gewinne über alles andere setzt: über ethische und moralische Standards, über die Gesundheit des Gemeinwesens, und über die Intaktheit aller biologischer Prozesse, besonders derer, welche die grundlegende Kraft des Weiblichen ausmachen. Die Experten, die unsere Gesellschaft lenken, wollen sich ihrer Ängste vor der Natur entledigen, mit der sie keine echte Beziehung oder tiefe Verbindung haben […]. Der Ökofeminismus sagt, dass uns dieses System zum Ökozid und zur Selbstvernichtung der Gattung Mensch hinführt, da es auf Dummheit, Angst, Wahnvorstellung und Gier gründet.“ (1990, 9,8)
Für den Ökofeminismus ist daher der Schlüssel für die Befreiung der Frau und der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft die Beseitigung der Grundlagen von Patriarchat und Androzentrismus selbst und damit die Beendigung aller Arten von Herrschaft, insbesondere derjenigen der Männer über die Frauen und die außermenschliche Welt. Damit will er den inneren Wert aller Natur ins Recht setzen und gleichzeitig „die Kultur und das Handeln der Frauen aufwerten“ (T. Berman 1993, 16)
Die Analyse erweitern
Zugleich behauptet der Ökofeminismus, dass dieselbe Logik, die der Unterdrückung der Frauen und der Natur zugrunde liegt, mit leichten Abwandlungen auch dazu dient, Unterdrückung aufgrund von Rasse, Klasse und sexueller Orientierung zu rechtfertigen. Genauso wie die Frauen und die Natur als schwach, passiv und von niedrigerem Wert angesehen werden, werden auch „Nichtweiße“ als dem Tierreich näherstehender und weniger „zivilisiert“ als Weiße dargestellt. In ähnlicher Weise werden Menschen aus der Arbeiterklasse in die Nähe von „primitiven“ tierischen Instinkten gerückt und als solche beschrieben, die sehr schnell „Proletarier“ produzieren (das Wort „Proletarier“ leitet sich vom lateinischen „proles“, Nachkommen, her; Proletarier waren ursprünglich die besitzlosen Klassen, die nichts anderes hatten als ihre proles, ihren Nachwuchs; d. Übers.). Schwule Männer werden dafür verurteilt, dass sie „feminine“ Verhaltensweisen annehmen, während lesbische Frauen ihrerseits dafür verurteilt werden, dass sie in männliche Rollen schlüpfen. In all diesen Fällen ist dieselbe Logik des herrschenden patriarchalischen Geistes bestimmend.
In vieler Hinsicht erweitert also der Ökofeminismus den Blickwinkel der Tiefenökologie, indem er die Verbindungslinien zwischen allen Systemen von Herrschaft und Kontrolle zieht. Gleichzeitig versucht der Ökofeminismus einen Abstraktionsgrad zu überwinden, den man bei so mancher tiefenökologischer Vorstellung einer allgemeinen Identifikation mit der Natur vorfindet. Ökofeministinnen zeichnet insbesondere aus, dass sie betonen, es sei eine emotionale Bindung an reale Orte und reale Menschen nötig, um das Handeln für Gerechtigkeit und ökologische Harmonie zu inspirieren. Wir müssen in wirklichen Erfahrungen verwurzelt sein und dürfen uns nicht einfach mit einer Abstraktion identifizieren, wenn wir uns selbst der Ehrfurcht, dem Wunder und dem Einfühlungsvermögen öffnen, die uns tragen können. „Die Gefahr einer abstrakten Identifizierung mit dem ‚Ganzen‘ besteht darin, dass sie die Existenz unabhängiger Lebewesen nicht wahrnehmen oder respektieren kann […]. Unser tiefes, ganzheitliches Bewusstsein von der gegenseitigen Verbundenheit allen Lebens muss ein gelebtes Bewusstsein sein, das wir sowohl im Verhältnis zu einzelnen Seinsformen als auch zum größeren Ganzen erfahren.“ (Kheel 1990, 136–137)
Die Ursprünge von Patriarchat und Anthropozentrismus
Eine ökofeministische Perspektive kann Einsichten vermitteln, die uns helfen können zu erklären, wie Gier, Ausbeutung und Herrschaft einen so gewaltigen Einfluss auf das wirtschaftliche, politische und kulturelle System gewinnen konnten, dem die meisten Gesellschaften unterworfen sind. Insbesondere verhelfen uns diese Einsichten zum Verständnis dessen, wie die Grundüberzeugungen, Grundannahmen und „Werte“ der herrschenden globalen (Un-)Ordnung aus der Dynamik von Patriarchat und Anthropozentrismus (bzw. Androzentrismus) hervorgehen.
Für ein solches Verständnis ist es hilfreich, die historischen Ursprünge und die Entwicklung von Patriarchat und Anthropozentrismus zu betrachten. Dies wiederum macht den Prozess sichtbar, in dessen Verlauf diese gesellschaftlichen Konstrukte entstanden, und es liefert Anhaltspunkte dafür, wie von Gerechtigkeit, Gleichheit und Nachhaltigkeit geprägte Alternativen geschaffen werden können, um sie abzulösen.
Viele alte und moderne ursprüngliche Kulturen haben ein hohes Maß an Geschlechtergerechtigkeit und zugleich ein harmonisches Verhältnis zur Natur verwirklicht. Oftmals weisen diese Kulturen eine vom Geschlechterverhältnis bestimmte Arbeitsteilung auf, doch das deutet nicht unbedingt auf eine Ausbeutungsbeziehung zwischen den Geschlechtern hin. Tatsächlich waren in frühen Zeiten, noch vor Ackerbau und Viehzucht in großem Maßstab, die meisten Kulturen vermutlich recht egalitär, und viele waren „matrizentrisch“, das heißt um die Frau als Mittelpunkt organisiert. Das heißt, sie hatten weibliche Hauptgottheiten, und Frauen genossen in ihren Gesellschaften ein hohes Ansehen. Die meisten Stämme von Jägern und Sammlern, die jungsteinzeitlichen Gesellschaften Europas und Anatoliens und die frühen andinen Kulturen scheinen diesem matrizentrischen Muster zu gehorchen.18
Die Anfänge des Patriarchats
Um das Jahr 5000 v. Chr. jedoch drang das Patriarchat allem Anschein nach in Europa und den Mittleren Osten ein. In Zentralasien könnte es möglicherweise schon früher entstanden sein, in vielen anderen Gesellschafen der Welt erst wesentlich später, oftmals vermittels Invasion und Kolonisierung. (Es gibt jedoch auch Gesellschaften, wie zum Beispiel die balinesische oder die der Kung-San in der Kalahari-Wüste im südlichen Afrika, die sich bis heute weitgehend ein von Gleichheit geprägtes Beziehungsgefüge zwischen den Geschlechtern bewahrt haben.)
Maria Mies geht davon aus, dass das Patriarchat zuerst unter Hirtengesellschaften Fuß fasste. Als die Männer die Reproduktionsprozesse bei Tieren zu beobachten und zu verstehen begannen, wurden sie sich ihrer eigenen Rolle im Zeugungsprozess bewusst. Dies führte zu einer Veränderung in ihrem Verhältnis zur Natur und zu einer neuen sexuell bestimmten Arbeitsteilung. Innerhalb einer Nomadengesellschaft in häufig trockenen Regionen wurde die traditionelle Rolle der Frau als Sammlerin von Nahrungsmitteln zweitrangig. Deshalb wurde den Frauen eine untergeordnete Stellung als Hüterinnen der Kinder zugewiesen. Eine neue Produktionsweise, die auf Zwang, Kontrolle und Manipulation beruhte, entstand.
In Ackerbaugesellschaften könnte das Patriarchat im Zuge der Erfindung des Pflugs entstanden sein. Rosemary Radford Ruether schreibt:
„Der Pflug war das Instrument der männlichen Vorherrschaft über die Tiere und über das Land. Zusammen mit dem Schwert dienten diese Geräte den Männern als Mittel zur Eroberung anderer Männer und schließlich der eigenen Frauen.“ (1994, 175)
Ken Wilber (1996) macht deutlich, dass der Gebrauch des Pflugs eine Menge physischer Kraft erfordert. Schwangere Frauen, die versuchten, den Pflug zu führen, hatten oft Fehlgeburten. Deshalb war es aus biologischen Gründen von Vorteil, dass sich Frauen von dieser Art von Arbeit fernhielten. Auf diese Weise tendierte die Einführung des Pflugs dazu, Feldarbeit stärker auf Männer zu verlagern. Dies hatte zur Folge, dass die Männer die Aufgabe der Nahrungsproduktion an sich zogen und Frauen zunehmend auf den Bereich des Haushalts abgedrängt wurden. Der Pflug ermöglichte es darüber hinaus, Nahrungsmittelüberschüsse zu erzielen. Dadurch wurde ein Teil der Männer für Aufgaben jenseits der Notwendigkeiten des täglichen Lebenserhalts frei. Die Frauen hingegen blieben weitgehend an die reproduktiven Aufgaben und den Haushalt gebunden.
Im Lauf der Zeit führte dies zur faktischen Entfernung der Frauen aus der Sphäre der Öffentlichkeit. Wilber macht deutlich, dass in Gesellschaften mit einer Gärtnerkultur (in der der Ackerbau mithilfe des Grabstocks und der Hacke erfolgt) Frauen mehr als 80 % der Nahrungsmittel produzieren, dass es darin gleichberechtigte Beziehungen zwischen Mann und Frau – trotz unterschiedlicher Rollen ‒ gibt und dass viele der Hauptgottheiten weiblich sind. Im Gegensatz dazu sind über 90 % der Agrargesellschaften (welche den Pflug benutzen) männlich dominiert, und die obersten Gottheiten sind tendenziell männlich.
Produktion, die auf Raub beruht
Selbst in der Jungsteinzeit ermöglichten es Fortschritte im Ackerbau bereits Dörfern, Überschüsse zu produzieren und im Lauf der Zeit Reichtum anzuhäufen. Mies beobachtet, dass dies zum ersten Mal in der Geschichte den Krieg ökonomisch lukrativ machte. Es war oft weitaus einfacher, sich die Produktion der anderen unter Zwang anzueignen, als für sich selbst zu produzieren. Auf diese Weise entstand „Raubproduktion“ (die von ihrem Wesen her unproduktive Produktion ist!) in Form von Eroberung und Plünderung. Man umgab Dörfer mit Mauern, und die „Kunst“ der Kriegführung wurde entwickelt. Männer erlangten das Monopol für Waffen (wahrscheinlich aufgrund ihrer überlegenen Körpergröße und aufgrund der Tatsache, dass sie von der Aufgabe der Aufzucht des Nachwuchses befreit waren), was zu einer neuerlichen Konzentration von Macht und Ansehen aufseiten der Männer und damit zum weiteren Gedeihen des Patriarchats führte. Mies schreibt, dass andauernde Beziehungen der Ausbeutung und Herrschaft zwischen Frauen und Männern und die asymmetrische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen letztlich geschaffen und aufrechterhalten wurden durch direkte Gewalt und Zwang auf der Grundlage des männlichen Monopols des Waffenbesitzes (Mies 1989, 76–88).19
Das Wachstum der Agrargesellschaften beschleunigte diesen Prozess. Als immer größere Mengen an Reichtum angehäuft wurden, wurden immer mehr Männer von der Nahrungsmittelproduktion befreit. Einerseits ermöglichte dies die Erfindung der Schrift, der Astronomie, der Metallverarbeitung und der Mathematik, doch andererseits setzte es auch Kräfte zur Schaffung von Gruppen frei, die auf die Kriegsführung spezialisiert waren. Zum ersten Mal entstanden Berufsarmeen und sogar ganze Kriegerklassen.
Im Lauf der Zeit rief das Wachstum der Bevölkerung in Stadtstaaten ebenfalls einen Wettbewerb nach zunehmend knapper werdenden natürlichen Ressourcen hervor: nach fruchtbarem Land, Wasser zur Bewässerung, wertvollen Metallen usw. Im Verlauf dieses komplexen Prozesses vollzog sich innerhalb der Gesellschaften mehr und mehr eine Teilung hinsichtlich Klassen, Geschlechtern und Rassen.
Mies schlussfolgert, dass die räuberische Form der Aneignung damals zum Paradigma aller historischen ausbeuterischen Beziehungen zwischen Menschen wurde ‒ und wir möchten hinzufügen, auch zwischen den Menschen und der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft. Im Verlauf dieses Prozesses wurden bestimmte Gruppen von Menschen (sowie die Erde selbst) als bloße „Naturressource“ für die Bereicherung anderer betrachtet. Die Ausbeutung, die von dieser „räuberischen Produktion“ geschaffen wurde, beinhaltete mehr als die einseitige Aneignung des Mehrwertes, der über das hinaus produziert wurde, was den Bedürfnissen und Erfordernissen einer Gemeinschaft entsprach; Darüber hinaus erstreckte sie sich auf „Raub und Erbeutung der für andere Gesellschafen notwendigen Lebensmittel. Dieser Begriff von Ausbeutung impliziert darum immer auch Verhältnisse, die in letzter Instanz durch Gewalt geschaffen und aufrechterhalten werden“ (Mies 1989, 81–82).
Die Vertiefung des Anthropozentrismus
Derselbe Prozess, der nach und nach zur Verfestigung der Macht des Patriarchats führte, trug auch zu einer Vertiefung des Anthropozentrismus bei. In den meisten Gesellschaften von Jägern und Sammlern ist die Beziehung zwischen den Menschen und der außermenschlichen Welt eng und unmittelbar. Von Zeit zu Zeit kann man bestimmt ein gewisses Maß von Angst vor der Natur beobachten, doch im Großen und Ganzen existiert schlicht keine strikte Trennung zwischen den Menschen und der umfassenderen Gemeinschaft des Lebens. Die Produktionsweise selbst beruht nicht auf einer Kontrolle über die Natur, sondern vielmehr auf Einklang mit ihr.
Sobald die Gesellschaft eine Gartenpflege entwickelt, wird ein Element der Kontrolle eingeführt, doch diese Veränderung ist noch relativ geringfügig. Die Menschen leben weiterhin erdverbunden, und das Niveau menschlicher Eingriffe ist noch recht niedrig. In Hirtengesellschaften führt die Zähmung von Tieren wahrscheinlich zu einem ausgeprägteren Sinn für Kontrolle und Herrschaft. Dieser nimmt in Agrargesellschaften noch weiter zu, da sie die Arbeitskraft von Tieren zum Pflügen nutzen, und noch mehr, als große Bewässerungsanlagen entstehen.
Als innerhalb der Agrargesellschaften Städte und Stadtstaaten entstehen, tritt die Hinwendung zum Anthropozentrismus noch deutlicher hervor. Bereits in den neolithischen Siedlungen muss – besonders, als sie mit Mauern und Befestigungsanlagen versehen wurden ‒ eine psychologische Trennung von der außermenschlichen Welt eingesetzt haben. Doch mit der Entstehung der Städte beschleunigte sich dieser Prozess enorm. Eine Stadt ist weitgehend die Schöpfung von Menschen, ein künstlicher Lebensraum, in dem die Natur unter Kontrolle gehalten wird und die Bauten von Menschen immer zentralere Bedeutung bekommen.
Duane Elgin (1993) schreibt auch, dass Stadtstaaten hierarchischer verfasst waren als kleine Siedlungen. Die Gesellschaft ist zunehmend in Klassen und Kasten gespalten, und es gibt eine klare Arbeitsteilung zwischen Herrschern, Priestern, Kriegern, Handwerkern und Kaufleuten. Gleichzeitig tragen Stadtstaaten zum Wachstum der „räuberischen“ Formen der Aneignung bei. Es gibt immer mehr Reichtum, der verteidigt werden muss, und immer ausgefeiltere Methoden der Kriegsführung. Gleichzeitig vollzieht sich ein soziopsychologischer Wandel, da der Reichtum systematisch erfasst und angehäuft wird und eine neue Weltsicht auf der Grundlage der „mathematischen Ordnung der Himmel“ entsteht. Parallel dazu wandern die Gottheiten von der Erde in den Himmel aus, was vielleicht der symbolische Ausdruck des Schrittes der Menschheit weg von der direkten Verbindung mit der natürlichen Welt ist.
An einem Punkt dieses Prozesses scheint die Idee des Privateigentums aufgekommen zu sein. Mit dem Wachstum der Stadtstaaten und der Aufspaltung der Gesellschaf in Klassen wurden große Grundstücke oftmals als eine Quelle des Reichtums für die mächtigeren Teile der Gesellschaft reserviert (Herrscher, Priester …). Oft wurden diese Grundstücke mithilfe von Sklavenarbeit kultiviert. In der Folge davon wurde das gemeinsame Land einer Siedlung verkleinert, was zur Verarmung des Bauernstandes führte. Im Verlauf dieses Prozesses wurde Land mehr und mehr als persönlicher Besitz und nicht so sehr als ein gemeinsamer Reichtum, der geteilt werden soll, betrachtet. (Dieser Wandel hat sich jedoch früher nicht vollständig vollzogen, und tatsächlich hat sich das Gemeineigentum von Land in vielen Kulturen bis heute gehalten). Dieser Wandel zeigt eine bedeutende Veränderung des Bewusstseins an: Land wird nun als eine Ressource betrachtet, als Privateigentum unter der Kontrolle von Menschen – in den meisten Fällen von Männern. Zuvor war Land – wie dies auch heute noch in vielen ursprünglichen Kulturen der Fall ist – etwas, was man nicht besitzen, sondern nur miteinander teilen konnte. Das Land gehörte den Menschen nicht. Eher gehörten die Menschen dem Land und – in Konsequenz davon – der Erde.
Der Aufstieg der Stadtstaaten ging oftmals mit ökologisch zerstörerischem Verhalten einher. John Perlin (2005) stellt eine Verbindung zwischen der Abholzung der Wälder in den alten Kulturen Mesopotamiens, Kretas, Griechenlands und Roms und dem Niedergang ihrer Zivilisationen her. In ähnlicher Weise schreiben viele das Verlassen der Dschungelstädte der Mayas den Folgen der Entwaldung zu. Oftmals war die Abholzung das Ergebnis einer exzessiven Nachfrage nach Holz für Bauvorhaben (und auch für den Schiffbau), zum Befeuern von Öfen und für die Metallverarbeitung. In anderen Fällen war Abholzung die Folge der Landgewinnung für den Ackerbau. In beiden Fällen jedoch ging dies mit einer Veränderung der Weltsicht einher, welche die Beherrschung und Ausbeutung menschlicher und natürlicher „Ressourcen“ zum Zweck der Anhäufung von Reichtum rechtfertigte.
Einige Konsequenzen für die Gegenwart
Was können wir daraus lernen? Die Entwicklung von Patriarchat und Anthropozentrismus ist sicherlich komplex, doch es ist klar, dass irgendwie alle Formen von Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung gemeinsame Wurzeln haben. Gleichzeitig ist es hilfreich, über die Ebene der historischen Entwicklung hinauszugehen und die psychologischen Prozesse wahrzunehmen, die hier im Spiel sind.
So legt zum Beispiel Rosemary Radford Ruether (1994) nahe, dass die frühen matrizentrischen Gesellschaften möglicherweise bereits den Keim ihrer eigenen Zerstörung in sich trugen. Im Gegensatz zur weiblichen Rolle, die von Natur aus auf die Reproduktion und Erhaltung des Lebens hingeordnet ist, muss die männliche Rolle gesellschaftlich konstruiert werden.
In den Gesellschaften der Jäger und Sammler gegen Ende der Eiszeit spielten männliche Jäger noch eine wichtige Rolle bei der Nahrungsbeschaffung wegen der großen Mammuts, die gejagt werden mussten. Die gesellschaftlich konstruierte Rolle des Mannes als Jäger war immer noch mit einem großen Maß an Bedeutung verbunden und gab den Männern das Gefühl der Sicherheit hinsichtlich ihres Beitrags zur Gesellschaft. Doch als die Eiszeit zu Ende ging, verlor die Jagd nach und nach an Bedeutung, und die Rolle der Frauen, die das Hauptkontingent der Sammler ausmachten, wurde gestärkt.
In der Jungsteinzeit waren Frauen oftmals sowohl die hauptsächlichen Nahrungsproduzentinnen als auch der wichtigere Elternteil. In solchen Gesellschaften – diesen des alten Europa und Anatoliens zum Beispiel – scheiterten Männer möglicherweise daran, eine Rolle zu entwickeln, die affirmativ und bedeutend genug gewesen wäre. Dies beförderte das Aufkommen eines männlichen Ressentiments gegenüber dem Ansehen der Frauen. Mary Gomes und Allen Kanner (1995) betonen, dass Herrschaft eine Möglichkeit sein kann, Abhängigkeit zu verleugnen. In einer solchen Situation begannen Männer ihre Männlichkeit in der Weise der Feindschaft gegenüber der Frau zu definieren, und die Grundlagen für das Patriarchat waren geschaffen. Solange man sich nicht mit dem zugrunde liegenden Ressentiment konfrontiert, ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Patriarchat in seiner gegenwärtigen Gestalt überwunden werden kann.
Ruether meint, dass eine konkrete Konsequenz aus dieser Analyse die Notwendigkeit ist, neue Formen der Geschlechterparität zu schaffen und Abhängigkeit durch Verwiesenheit aufeinander zu ersetzen. Insbesondere ist es dringend an der Zeit, dass in den heutigen Gesellschaften der Mann in einer neuen Rolle voll und ganz in die Elternschaft und die häusliche Arbeit einbezogen wird, die der Lebenserhaltung dient. Insgesamt müssen Geschlechterrollen durchlässiger und flexibler werden und es so beiden Geschlechtern ermöglichen, auf sinnvolle Weise an Leben hervorbringenden anstelle von Leben zerstörenden Tätigkeiten teilzuhaben. Sie führt die traditionelle balinesische Gesellschaft
als nachahmenswertes Beispiel dafür an, wie eine stabile, nicht auf Ausbeutung beruhende Beziehung zwischen den Geschlechtern erreicht werden kann.
Darüber hinaus findet die Analyse von Gomes und Kanner, die die Herrschaft als Mechanismus der verleugneten Abhängigkeit betrachtet, Anwendung auf unser Verhältnis zur umfassenderen planetarischen Gemeinschaft. Wir Menschen versuchen, die Erde selbst und alle Lebewesen zu beherrschen, da wir unsere Abhängigkeit vom umfassenderen Netz des Lebens zu verleugnen suchen: „Wir haben als Angehörige einer städtisch-industriellen Zivilisation unsere Identität als Gattung auf der Verleugnung dieser Wahrheit begründet. Die Abhängigkeit des Menschen von der Gastfreundschaft der Erde ist allumfassend, und das bedroht das sich als unabhängig dünkende Selbst aufs Äußerste.“ (Gomes/Kanner 1995, 114) Dieser Prozess scheint bereits vor langer Zeit mit dem Entstehen der Agrargesellschaften und der Kultur der Stadtstaaten in Gang gekommen zu sein, auch wenn das Ausmaß der Entfremdung mit der Entwicklung der Industriegesellschaften außerordentlich zugenommen hat.
Der globale Kapitalismus: Ein androzentrisches System
Aus einer ökofeministischen Perspektive gesehen stellt der moderne Kapitalismus das am weitesten entwickelte und am meisten ausbeuterische aller patriarchalischen, anthropozentrischen Systeme dar. Der weltweite, von der Herrschaft der Konzerne geprägte Kapitalismus hat, wie alle Systeme imperialer Herrschaft vor ihm, ein extraktives, nicht wechselseitiges und ausbeuterisches Objekt-Verhältnis zur Natur zur Grundlage, wie es zuerst zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Mensch und Natur etabliert wurde (Mies 1989, 83–88). Wie wir bereits bei unserer Untersuchung der Pathologie des grenzenlosen Wachstums und einer fehlgeleiteten Entwicklung gesehen haben, wird der Beitrag der außermenschlichen Ökonomie (und sehr oft der der Frauen, insbesondere deren unbezahlte Arbeit) vom herrschenden Wirtschaftssystem fast völlig unsichtbar gemacht. Tatsächlich bildet die Zerstörung des natürlichen Reichtums der Erde um einer künstlichen und illusorischen Kapitalakkumulation willen das Herzstück der Gesellschaften industriellen Wachstums, wie sie vom Kapitalismus der Konzernherrschaft geschaffen wurden. Gleichzeitig gilt, wie unsere Analyse der Konzernherrschaft und der Finanzspekulation zeigt: Diejenigen, die den Produktionsprozess und die Produkte kontrollieren, sind selbst keine Produzenten, sondern Aneigner. Was weniger deutlich sein mag, aber durch eine feministische Analyse aufgedeckt wird, ist die Tatsache, dass ihre sogenannte Produktivität die Existenz und die Unterwerfung anderer – und letztlich weiblicher – Produzenten voraussetzt (Mies 1989, 83–88). Die „räuberische Aneignung der Produktionsmittel“ bildet also das Herzstück des Kapitalismus selbst.
Wie der Kapitalismus entstand
Aus einer ökofeministischen Perspektive sind die Ursprünge des Kapitalismus mit verschiedenen historischen Prozessen untrennbar verbunden: der Ausbreitung von Kolonialismus und Sklaverei, der Verfolgung der Frauen während der großen Hexenjagden in Europa und dem Aufstieg der modernen Wissenschaften und der Technologie, der in die industrielle Revolution mündete. Zusammengenommen bewirkten diese Prozesse, dass die Natur nicht mehr im Bild der Mutter Erde gesehen wurde, sondern als eine leblose Maschine, die den Bedürfnissen des „Menschen“ bzw. Mannes als Rohstoffquelle und Abfallhalde dient. Gleichzeitig entstanden neue und ausgeklügeltere Formen des Patriarchats, die in effizienter Weise dazu dienten, die Frauen einer Ausbeutung auf neuem Niveau preiszugeben.
Viele Historiker vertreten die Meinung, dass die „ursprüngliche Kapitalakkumulation“, die den Ausgangspunkt des Kapitalismus bildete, nur aufgrund der gewaltsamen Aneignung des Reichtums aus Europas Kolonien in Amerika – insbesondere Gold, Silber und Agrarprodukte aus den Kolonien Spaniens und Portugals – möglich war. Wie wir bereits erwähnt haben, bezieht sich der fiktive Brief des Guaicaipuro Cuautémoc an die Entscheidungsträger Europas scherzhaft auf 185.000 kg Gold und 16 Millionen kg Silber, die zwischen 1503 und 1660 von San Lucar de Barrameda „als erste von mehreren Freundschaftskrediten Amerikas für die Entwicklung Europas“ verschifft wurden (Britto García 1990). Natürlich verhält es sich in Wirklichkeit so, dass dieser Reichtum mit dem Schweiß, dem Blut und dem Leben Hunderttausender indianischer Arbeitskräfte in den Bergwerken ganz Lateinamerikas bezahlt wurde. Ergänzt wurde diese Arbeitskraft durch Millionen Afrikaner, die gewaltsam ihrer Heimat und ihrer Freiheit beraubt und dann als Sklaven nach Amerika verschifft wurden. Viel mehr noch wurden zur Sklavenarbeit auf den Plantagen gezwungen und sorgten so für wertvolle Exportprodukte nach Europa. Während Spanien und Portugal diesen Reichtum nicht dazu nutzten, ihre eigene industrielle Entwicklung zu finanzieren, wurde dadurch eine Nachfrage nach Luxusgütern geschaffen, die die Grundlagen für die industrielle Expansion Nordwesteuropas legte.
Fast zur gleichen Zeit, genauer zwischen der Mitte des 15. und der Mitte des 18. Jahrhunderts, der Zeit der Scheiterhaufen, wie man sie manchmal nennt, wurde in Europa die große Verfolgung von „Hexen“ in Gang gesetzt. Man schätzt, dass 80 bis 90 % der Getöteten Frauen waren und dass bis zu zwei Millionen Menschen getötet worden sein mögen, größtenteils auf wahrhaft erschreckende Weise. Viele der getöteten Frauen praktizierten traditionelle Heilverfahren und Methoden der Geburtshilfe, und fast alle Betroffenen waren arm. Die Hexenverfolgung nahm ihren Anfang als Bestandteil der katholischen Inquisition (die sich auch auf Lateinamerika erstreckte), doch diese Praxis verbreitete sich bald im protestantischen Teil Europas (und später in den Neuengland-Staaten).
Einerseits kann die Zeit der Scheiterhaufen als Ausdruck der Angst vor der Stärke der Frauen und der Kraft der Natur verstanden werden, insbesondere, da die Frauen, die traditionelle Heilkünste ausübten (was eine Kenntnis der Kräuter und damit der Orte in der freien Natur voraussetzte, wo diese gesammelt werden konnten), besonders gefährdet waren. Tatsächlich kommt das englische Wort für Hexe, „witch“, von „wita“, was „die Weise“ bedeutet. Hexen waren also oftmals solche Menschen, die über eine in der Natur gründende Weisheit verfügten.
Darüber hinaus betont Mies (1986), dass die Hexenjagden einen Angriff auf die Sexualität der Frauen darstellten und auf die Kontrolle ihrer Fruchtbarkeit abzielten (daher rührt die Verfolgung von Hebammen). In einem allgemeineren Sinne wollten die Hexenjagden die Frauen aus dem öffentlichen Bereich verdrängen. Die Verfolgung hatte zur Konsequenz, dass Frauen ihre Arbeit verloren und ihr Eigentum konfisziert wurde. In psychologischer Hinsicht kann man sich leicht das kollektive Trauma vorstellen, das durch eine solche massive und schreckliche Verfolgung hervorgerufen worden sein muss. Ohne Zweifel haben Frauen entdeckt, dass ihre beste Verteidigung darin liegt, so wenig wie möglich Profil zu zeigen und sich als gelehrige, gehorsame Ehefrauen und Töchter zu erweisen, die eng an ihre häusliche Umgebung gebunden waren.
Interessant ist es, den zeitlichen Zusammenfall der Sklavenraubzüge in Afrika und der Hexenjagd in Europa zu beobachten. Mies meint, dass dies kein Zufall ist:
„Die Sklavenjagd in Afrika hatte darum in den gleichen Jahrhunderten ihr Gegenstück in der Hexenjagd Europas.“ (Mies 1989, 86)
„Genauso wie der Prozess der ‚Naturalisierung‘ der Kolonien auf den Gebrauch von Gewalt und Zwang in großem Maßstab gegründet war, war auch der Prozess der Domestizierung der europäischen (und später nordamerikanischen) Frauen keine friedliche und idyllische Angelegenheit. Die Frauen gaben die Kontrolle über ihre Produktivität, ihre Sexualität und ihre reproduktiven Fähigkeiten nicht freiwillig an ihre Männer und an den GROSSEN MANN (Kirche, Staat) ab.“ (Mies 1986, 69)
Der dritte historische Prozess, der zur gleichen Zeit einsetzte, war die wissenschaftliche Revolution. Diese wird an anderer Stelle in diesem Buch genauer erforscht werden. Hier genügt der Hinweis, dass dieser Prozess Europas Art und Weise, die Welt zu sehen, tiefgehend bestimmte. Das trifft insbesondere auf die geistigen und politischen Eliten zu. Anstatt die Erde als terra mater aufzufassen, wurden Land, Wälder und alles Lebendige zu einer leblosen Maschine und einer unerschöpflichen Quelle von „Rohmaterialien“ zum Gebrauch des Menschen gemacht. Dieser Wandel, so betont Vandana Shiva, „beseitigte alle ethischen und kognitiven Schranken gegenüber ihrer Vergewaltigung und Ausbeutung“ (1989 b, XVII). Auf der gleichen Linie wurden Frauen (und auch die ursprünglichen Völker), die als der Natur näher stehend und daher weniger rational und weniger wertvoll angesehen wurden, zu kaum mehr als Instrumenten im „Dienst für den Mann“ degradiert.
Aus einer ökofeministischen Perspektive ist die moderne Wissenschaft insofern das Musterbeispiel eines patriarchalischen Projekts, als es neue Formen der Unterwerfung und Ausbeutung ermöglicht. Letztlich bringt sie Fehlentwicklung (die mit dem Kolonialismus begann und durch moderne Formen der wirtschaftlichen Beherrschung fortgesetzt wurde), denn sie beruht auf Formen der Wirklichkeitswahrnehmung, die reduktionistisch (das Ganze wird zu verstehen versucht, indem man es in einzelne Teile zerlegt), dualistisch (etwas muss entweder dieses oder jenes sein, aber nicht beides gleichzeitig) und linear (direkte Beziehung von Ursache und Wirkung) sind. Shiva sagt über diese herrschenden Wahrnehmungsweisen:
„Die herrschenden Wahrnehmungsweisen, die allesamt auf Reduktionismus, Dualität und Linearität abgestellt sind, können mit der Gleichwertigkeit in der Vielfalt nicht zurechtkommen, auch nicht mit Formen des Lebens und Handelns, die jeweils sinnvoll und rechtens sind und sich dennoch voneinander unterscheiden. Der reduktionistische Verstand nötigt den Frauen, allen nicht zum Westen zählenden Völkern und der Natur Rollen und Machtformen westlicher Männer-Begrifflichkeit auf und stuft sie damit gleichzeitig als ‚unzulänglich‘ und ‚entwicklungsbedürftig‘ ein. Vielfalt, Einheit und Harmonie in der Vielfalt können in diesem Kontext des westlichen Modells von Fehlentwicklung wissenschaftstheoretisch gar nicht mehr begriffen werden. Daher wird dieser Kontext selbst zum Synonym für die Unterentwicklung der Frauen (d. h. den Ausbau sexistischer Herrschaft) und für die Demontage der Natur (d. h. die Verschärfung der ökologischen Krise).“ (Shiva 1989 a 16–17)
Letztlich, so Shiva, verwandelte diese Art zu denken und die davon inspirierte industrielle Revolution die Wirtschaft
„vom klugen Management von Ressourcen für den Lebenserhalt und die Befriedigung der Grundbedürfnisse in einen Prozess der Warenproduktion um der Profitmaximierung willen. Der Industrialismus schafft eine grenzenlose Gier nach Ausbeutung von Ressourcen, und die moderne Wissenschaft liefert die ethische und kognitive Erlaubnis dafür, die eine solche Ausbeutung ermöglicht, Akzeptanz für sie herstellt und sie als wünschenswert erscheinen lässt. Das neue Verhältnis der Herrschaft und Kontrolle des Menschen/Mannes über die Natur war auf diese Weise mit neuen Mustern von Herrschaft und Kontrolle über die Frau und deren Ausschluss von der partnerschaftlichen Teilhabe an Wissenschaft und Entwicklung verbunden.“ (1989 b, XVII)
Kapitalismus und Ausbeutung
Der Kapitalismus entstand also in einem Kontext, in dem der Androzentrismus im Bewusstsein der Intellektuellen und herrschenden Eliten Europas neue Triumphe feierte. Der „Mensch“ (bzw. der „Mann“) wurde als rationales, autonomes Wesen definiert („Ich denke, also bin ich“) und als die Spitze einer hierarchischen Ordnung betrachtet, deren Basis die „wilde“, ungezähmte Natur bildete, während Frauen, Indigenas, Farbige und Bauern die Mitte der Pyramide bildeten. Das Patriarchat im Sinne eines einheitlichen Systems von Herrschaft und Ausbeutung bildete das Fundament, auf dem der Kapitalismus errichtet werden konnte.
Maria Mies vertritt denn auch tatsächlich die Meinung, dass der Kapitalismus ohne das Patriarchat nicht existieren kann. Die kapitalistische Akkumulation hat ihre Grundlage in der Aneignung von Reichtum, der von der Natur und den Armen dieser Welt (besonders außerhalb Europas) produziert wird. Mit anderen Worten: Sein Zentrum bildet die „räuberische“ (oder parasitäre) Produktionsweise, die durch das Patriarchat gerechtfertigt und am Leben gehalten wird. Der Kapitalismus ist auf die unbezahlte Arbeit der Frauen, auf die Ausplünderung der Ressourcen des Planeten und die äußerst schlecht entlohnte Arbeit der ausgebeuteten Klassen und Rassen angewiesen. Dieser Prozess endloser Akkumulation leblosen Kapitals saugt das Leben aus der Erde und all ihren Lebewesen. Diejenigen, die die Produktion unter Kontrolle haben und von ihr profitieren, sind hingegen nicht selbst Produzenten, sondern Usurpatoren. Dies wird in besonderer Weise im Fall der modernen „Finanzwirtschaft“ deutlich.
Wie alle Formen räuberischer Produktion ist der Kapitalismus auf Gewalt angewiesen. Manchmal nimmt diese Gewalt direkte Formen im tatsächlichen Gebrauch oder der Drohung mit Waffen an. Während der gesamten Epoche des Kolonialismus bis hinein in unsere Gegenwart wandte man die „Kanonenboot-Diplomatie“ an, um die herrschende weltweite (Un-)Ordnung aufrechtzuerhalten. Das kann man noch am Fallbeispiel der beiden Irakkriege und der Sanktionen gegen dieses Land sehen: Millionen unschuldiger Menschen wurden getötet, um die Ölversorgung des Westens sicherzustellen. Heute ist dagegen die Anwendung von Mechanismen der Repression innerhalb einzelner Länder noch üblicher. So lassen zum Beispiel Regierungen, die das Diktat der Strukturanpassungsmaßnahmen umsetzen wollen, das Militär und die Polizei auf die eigene Bevölkerung los, um deren berechtigte Proteste zum Schweigen zu bringen.
Die am meisten verbreitete Form der Gewalt im Kapitalismus ist jedoch die strukturelle Gewalt, die von ökonomischem Zwang ausgeht. Einerseits sind die Verschuldungskrise und die Strukturanpassungsmaßnahmen hervorragende Beispiele für einen solchen Zwang, den man auf ganze Völker und Staaten ausübt. In einem allgemeineren Sinn macht sich der Kapitalismus die ungleiche Arbeitsteilung als eine Struktur zunutze, um sich Reichtum anzueignen. Die Entlohnung der Arbeiter ist geringer als der Wert, den sie produzieren, was die Kapitalakkumulation ermöglicht. Die Ausbeutung der Frauen und der Ökosysteme ist sogar noch größer, denn ihr Beitrag zur Wirtschaft wird ganz einfach nicht als solcher anerkannt (er wird etwa durch Indikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt verschleiert).
Dieses Versäumnis, die grundlegendsten Leben erhaltenden Tätigkeiten nicht entsprechend zu würdigen, ist nicht etwa bloß ein Versehen. Es hat seine Grundlage in der sexuellen Arbeitsteilung, die „menschliche“ (zum Großteil männliche) Arbeit höher bewertet als „natürliche“ Tätigkeiten (dazu zählen Subsistenzwirtschaft, Hausarbeit und die großzügigen Gaben der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft). Nicht entlohnte Arbeit, die weitgehend von Frauen verrichtet wird, wird als geringer eingestuft, auch wenn sie für die Erhaltung und Förderung des Lebens absolut notwendig ist.20 Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der Dienste, die eine biotische Gemeinschaft wie etwa ein Wald für alle leistet: Produktion von Sauerstoff, Reinigung und Speicherung von Wasser, Aufbau eines gesunden Bodens – dies alles zählt einfach nichts. Und dennoch ist „diese Produktion von Leben die dauerhafte Voraussetzung aller historischen Formen produktiver Arbeit, auch der unter dem Regime kapitalistischer Akkumulation“ (Mies 1986, 47). Tatsächlich ist diese nicht bewertete Arbeit die erste Quelle allen wahren Reichtums, und deren Ausbeutung ist das Fundament der parasitären, räuberischen Produktionsweise, die das Herzstück des modernen Kapitalismus bildet. Im Gegensatz zu Marx, der die Ausbeutung der Lohnarbeit als die Hauptquelle der kapitalistischen Akkumulation betrachtete, geht eine ökofeministische Analyse einen Schritt weiter und behauptet, dass der Kapitalismus sowohl auf die Ausbeutung der Lohnarbeiter als auch auf die Überausbeutung von Frauen und der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft angewiesen ist. Mies zieht die Schlussfolgerung:
„Dies setzt jedoch das Verständnis voraus, dass die Frauenunterdrückung heute ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen (oder sozialistischen) patriarchalischen Produktionsverhältnisse ist. Sie ist Bestandteil des Paradigmas ewigen Wachstums, stetig sich vergrößernder Produktivkräfte, einer unbeschränkten Ausbeutung der Natur, einer unbeschränkten Warenproduktion, stetig sich ausbreitender Märkte und unendlicher Akkumulation des fixen Kapitals …“ (1989, 36)
„[Es wurde mir klar], dass die Frauen in ihrem Kampf um die Wiedergewinnung ihrer Menschlichkeit nichts aus der Fortschreibung dieses Paradigmas gewinnen können. Überall würden Feministinnen gut daran tun, den vom wissenschaftlichen Sozialismus formulierten Glauben aufzugeben, dass der Kapitalismus durch seine Gier nach unaufhörlicher Akkumulation oder ‚ewigem Wachstum‘ die Voraussetzung für die Frauenbefreiung geschaffen hat, die dann unter dem Sozialismus verwirklicht werden kann. Heute ist mehr denn offenbar, dass der Akkumulationsprozess selbst überall das Innerste des menschlichen Wesens zerstört, weil er auf der Zerstörung der Souveränität der Frauen über ihr Leben und ihre Körper aufbaut. Da Frauen für ihr Menschsein nichts aus der Fortsetzung des Wachstumsmodells gewinnen können, sind sie in der Lage, die Perspektive einer Gesellschaft zu entwickeln, die nicht auf Ausbeutung von Natur, Frauen und fremden Völkern beruht.“ (Mies 1989, 8–9)
Es ist daher einfach nicht möglich, dass Frauen die Ausbeutung und Unterdrückung im Kontext des herrschenden ökonomischen Paradigmas abschaffen. Ebenso ist es unmöglich, die Unversehrtheit der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft innerhalb dieses Rahmens zu schützen. Aus ökofeministischer Sicht ist ein umfassender Kampf erforderlich, der die Beziehung zwischen Männern und Frauen, zwischen Mensch und Natur und zwischen Nord und Süd verändert.
Jenseits des Kapitalismus: Ökofeministische Perspektiven
Welche Art von Alternative könnte der Ökofeminismus ins Auge fassen, um das gegenwärtige System des weltweiten Kapitalismus der Konzernherrschaft zu ersetzen? Anstelle der räuberischen Produktion auf der Grundlage von Ausbeutung strebt der Ökofeminismus eine neue Wirtschaft an, die grundlegend auf die Produktion und den Erhalt von Leben ausgerichtet ist. Anstelle von Ausbeutung werden die wirtschaftlichen Beziehungen von Gegenseitigkeit geprägt und nicht hierarchisch sein. Dies gilt sowohl für das zwischenmenschliche Verhältnis als auch für die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Deshalb werden kolonisierende dualistische Aufspaltungen wie etwa die zwischen Mann und Frau oder Menschheit und Natur genauso abgelehnt wie solche, die auf Klassenzugehörigkeit oder ethnischer Zugehörigkeit beruhen. Ebenso wird die Vorstellung eines grenzenlosen Wachstums und Fortschritts als gefährliche Illusion durchschaut, die Ungleichheit und Zerstörung bewirkt. Die Erde wird als endlich akzeptiert, und die Menschheit strebt danach, in Harmonie mit ihr zu leben. (Mies 1989, 278)
Ein zentrales Element dieser neuen Sichtweise ist ein neues Verständnis der Arbeit. Ziel menschlicher Anstrengung ist nicht mehr ein Wachstum im Sinne einer quantitativen Zunahme zum Zweck der Kapitalakkumulation, sondern vielmehr die Stärkung von Lebensprozessen und die Förderung menschlichen Glücks. Das bedeutet auch, dass Arbeit nicht mehr als eine bloße Last betrachtet wird, sondern als ein Ganzes, das sich aus Freude und notwendiger Mühe zusammensetzt.
Innerhalb einer solchen Sichtweise erlangt Arbeit in direktem, sinnlichem Kontakt mit der Natur einen besonderen Wert. Maschinen und Technik können weiterhin ihre Rolle spielen, doch ihr Zweck ist es nicht mehr, uns von der organischen Materie, lebenden Organismen oder der materiellen Welt fernzuhalten. Arbeit muss zuerst und vor allem sinnvoll sein, muss etwas Nützliches und Notwendiges für die Produktion oder Erhaltung des Lebens darstellen. Das bedingt auch eine neue Auffassung von Zeit: Wir teilen sie nicht mehr in Arbeit und Freizeit auf, sondern verteilen eher beide in freier Weise.
Die Prozesse von Produktion und Konsum müssen wieder zu einer Einheit zusammengeführt werden, und Ortsgemeinden müssen auf regionaler Ebene eine Wirtschaft aufbauen, die sich im Wesentlichen selbst trägt und in der das, was von der Gemeinschaft produziert wird, auch von ihr konsumiert wird. Eine solche neue Form von Arbeit kann jedoch nicht entstehen, solange die bestehende, am Geschlecht orientierte Arbeitsteilung nicht beseitigt ist. Mies hält daran fest, dass die Umgestaltung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, wie sie derzeit existiert, tatsächlich im Zentrum des gesamten Prozesses eines Neuentwurfs der Ökonomie stehen muss:
„Jedes Streben nach ökologischer, wirtschaftlicher und politischer Autarkie (Selbst-Genügsamkeit) muss mit dem Respekt vor der Autonomie des Körpers der Frauen, ihres produktiven Vermögens, neues Leben zu schaffen und Leben durch Arbeit zu erhalten, und ihrer Sexualität beginnen. Eine Veränderung der bestehenden geschlechtlichen Arbeitsteilung würde zuallererst bedeuten, dass die Gewalt, welche das kapitalistisch-patriarchalische Mann-Frau-Verhältnis charakterisiert, weltweit abgeschafft würde, und zwar nicht durch Frauen, sondern durch die Männer.“ (1986, 222)
Rosemary Radford Ruether (1994) spricht nicht nur von der Notwendigkeit einer Neubewertung der sexuellen Arbeitsteilung, sondern der Geschlechterrollen allgemein. Frauen müssen Autonomie und Individualität in ihrem Leben stärken, doch dies sollte nicht mittels einer Praxis der Herrschaft (Selbstbehauptung auf Kosten anderer) geschehen, sondern vielmehr auf die Weise, dass man verbindende Wege findet, im Kontext einer Leben fördernden Gemeinschaft zugleich eine Person für andere und für sich selbst zu sein. Ruether stimmt mit Mies jedoch darin überein, dass sich die erste Veränderung in der Lebensweise der Männer vollziehen muss. Männer müssen „die Illusion eines autonomen Individualismus überwinden, samt dessen Ausweitung in die egozentrische Macht über andere, angefangen bei der Frau, mit der er verbunden ist“ (1994, 278). Die beste Art, dies zu bewerkstelligen, ist es ihrer Meinung nach, wenn Männer ohne Vorbehalte Leben fördernde Beziehungen mit Frauen eingehen und sich an Aufgaben wie der Sorge um die Kinder, Waschen, Kochen, Nähen und Saubermachen beteiligen:
„Nur wenn Männer voll in die Kultur des Alltagslebens eingebunden sind, können Männer und Frauen zusammen das größere System des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens umzugestalten beginnen. Sie können anfangen, ein neues kulturelles Bewusstsein und neue Organisationsstrukturen in den Blick zu bekommen, die diese größeren Systeme mit ihren Wurzeln in der Erde verbinden und die Erde von Tag zu Tag und von Generation zu Generation zu erhalten.“ (1994, 279)
Die Veränderung der Arbeit und der Geschlechterrollen muss auch mit einer tiefgreifenden Veränderung der Art und Weise einhergehen, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Vandana Shiva betont: „Der ‚rationale‘ Mann des Westens hat sich demaskiert: Er ist ein Ausbund an Irrationalität und bedroht selbst das Überleben der Menschheit.“ (Shiva 1989 a, 234) Sie hält daran fest: „Die Rückgewinnung des weiblichen Prinzips heißt: den Respekt für das Leben der Natur und das Leben der Gesellschaft wieder ins Leben zu rufen. Das ist der einzige mögliche Weg, der in die Zukunft führt.“ (Shiva 1989 a, 235)
Wenn das weibliche Prinzip bei den Frauen und in der Natur untergraben wird, dann wird es zu einem Prinzip der Passivität entstellt. Bei Männern bewirkt derselbe Prozess „eine Veränderung der Auffassung von Aktivität von Schöpfung zu Zerstörung und der Auffassung von Macht von Ermächtigung zu Beherrschung“. Wenn das weibliche Prinzip zugleich in den Männern, den Frauen und der Natur abstirbt, dann werden „Gewalt und Aggression die männlichen Modelle von Aktivität, und Frauen und die Natur werden zu passiven Objekten der Gewalt“ (Shiva 1989 b, 53).
Um diesen Prozess umzukehren, plädiert der von der Jung-Schule herkommende Theoretiker Gareth Hill für die Wiedererlangung des „dynamisch Weiblichen“ innerhalb der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang bezieht sich „weiblich“ nicht auf die Frauen als Geschlecht, sondern vielmehr auf ein Ensemble von Werten oder Eigenschaften, die vom Patriarchat systematisch negiert wurden. Das dynamisch Weibliche weist über das statische Bild von Ernähren und mütterlicher Fürsorge hinaus, obwohl es mit Sicherheit Eigenschaften wie Mitleid und den Wunsch, Leben zu erhalten, mit umfasst. Doch gleichzeitig hat das dynamisch Weibliche eine spielerische, vitale Seite an sich. Es ist zugleich aktiv und reaktiv, fruchtbar und beständig. Es erinnert an das Kapitel im Tao Te King, in dem von der Kraft des Wassers die Rede ist:
Nichts in der Welt
ist so sanft und ertragreich wie das Wasser.
Doch im Auflösen des Harten und Starren
ist es unübertroffen.
Das Weiche überwindet das Harte;
das Geschmeidige überwindet das Starre.
Jeder weiß, dass dies wahr ist,
doch nur wenige können das in ihrem Tun verwirklichen.
(§ 78)
Das dynamisch Weibliche ist auch schöpferisch und hat etwas von Chaos und Überraschendem an sich, das unvorhersehbar hervorbricht. Es steht in scharfem Gegensatz zu Herrschaft und Kontrolle (Gomes/Kanner 1995). Letztlich fordert uns die Integration des dynamisch Weiblichen in unser wirtschaftliches, politisches und kulturelles Handeln dazu heraus, Macht auf eine völlig andere Weise zu begreifen und auszuüben: nicht als Herrschaft, Ausbeutung und Kontrolle, sondern als etwas Positives und Schöpferisches.
Macht neu denken
Solange Macht in der Form von Herrschaft und Ausbeutung ausgeübt wird, wird das Patriarchat weiterhin verheerenden Schaden anrichten und die ökologischen und gesellschaftlichen Systeme untergraben, die das Leben erhalten. Wir bauchen ein völlig neues Verständnis und eine neue Praxis von Macht, damit das weibliche Prinzip in unserer Zeit erneuert werden und wiedererstarken kann.
Das Wort Macht ruft viele unterschiedliche Gedanken und Bilder hervor. In einigen Kreisen hat es einen rein negativen Klang bekommen. Macht wird schlicht als die Durchsetzung des Willens eines Einzelnen oder einer Gruppe auf Kosten der anderen gesehen. Doch im Gegensatz dazu ist die Wurzel des englischen Wortes power das lateinische Verb posse, das „können“ heißt. Auch das spanische Substantiv poder lässt diese Herkunft noch erkennen. Vom Wesen her ist Macht also das, was befähigt. Das Bild, das in dieser sprachlichen Wurzel enthalten ist, ist also nicht so sehr zerstörerisch, sondern vielmehr etwas Produktives oder sogar Schöpferisches.
In patriarchalischen Gesellschaften wurde Macht herkömmlicherweise als etwas gesehen, was eine Gruppe oder ein Individuum auf Kosten der anderen besitzt. Dies ist eine von Grund auf verzerrte Auffassung. Michel Foucault vertritt die Ansicht, dass Macht nichts Statisches oder etwas, das man besitzen kann, ist. Es ist eher etwas, das durch ein Cluster netzförmiger Beziehungen hindurchfließt. Macht ist eher etwas wie Fäden, die Seinsformen miteinander verbinden. „Individuen sind die Vehikel von Macht, nicht diejenigen, die sie gebrauchen.“ (Foucault 1980, 98)
Wie wir schon früher bemerkt haben, bringt Shiva die Ausübung männlicher Macht in Verbindung mit der gesellschaftlichen Konstruktion der Natur und des Weiblichen als passiv. Da Macht relational ist, hängt Erstere von Letzterem ab. Die Herausforderung besteht nun darin, Macht neu zu bestimmen: Sie soll keine Beziehung mehr sein, in der das Aktive über das Passive, der Unterdrücker über die Unterdrückten, der Ausbeuter über die Ausgebeuteten herrscht, sondern eine neue Beziehung auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und Kreativität. Um zu sehen, wie dies verwirklicht werden kann, bedürfen wir einer eher praktischen Analyse von Macht.
Analyse der Macht
In ihrem Buch Truth or Dare (1987) arbeitet die ökofeministische Autorin, Aktivistin und Psychologin Starhawk drei Grundtypen oder Formen heraus, in denen sich Macht ausdrückt: „Macht über“, „Macht von innen heraus“ und „Macht mit“.
Die „Macht über“ wird wohl am besten als Macht beschrieben, die einschränkt oder kontrolliert. So wird Macht üblicherweise in unseren gegenwärtigen patriarchalischen Gesellschaften aufgefasst und ausgeübt. Sie ist im vorherrschenden mechanistischen Paradigma verwurzelt, das später noch näher untersucht wird. „Macht über“ tendiert dazu, sich selbst eine hierarchische Struktur zu geben; sie entfaltet sich über Systeme von Autorität und Herrschaft. Dies ist jene Art von Macht, die es dem patriarchalischen Kapitalismus ermöglicht, sich die Produktion durch Ausbeutung anzueignen.
Wir sind an die „Macht über“ und ihre impliziten Drohungen in unserem Leben so gewöhnt, dass sie weitgehend auf einer unbewussten Ebene wirkt – so, als ob wir den Gefängniswärter in unseren Köpfen hätten. Im Allgemeinen werden wir uns der „Macht über“ nur in ihren extremsten Formen bewusst, wie zum Beispiel im Fall offener Gewalt. Doch während Macht mithilfe von Waffengewalt oder Zwangsmaßnahmen das deutlichste Beispiel für „Macht über“ ist, entfaltet sie üblicherweise ihre Wirkung mittels subtilerer Mechanismen von Druckausübung, Manipulation und Kontrolle, die in einem gewissen Maß von Furcht motiviert ist.
Es ist bemerkenswert, dass „Macht über“ in gewissem Sinne tatsächlich „befähigt“. „‚Macht über‘ versetzt Individuen und Gruppen in die Lage, Entscheidungen zu fällen, die andere betreffen, und Kontrolle zu verstärken.“ (Starhawk 1987, 9) Doch „Macht über“ ist in ihrem Wesen negativ. Es ist Macht, die dazu benutzt wird, die Macht anderer niederzudrücken oder zurückzudrängen.
Eine zweite Art von Macht, welche für Starhawk das genaue Gegenteil der „Macht über“ darstellt, ist diejenige, welche sie „Macht von innen heraus“ nennt. „Macht von innen heraus“ ist die Macht, die alles Leben erhält: die Macht der Kreativität, die Kraft zu heilen und zu lieben. Sie wird in besonderem Maße erfahren, wenn Menschen gemeinsam handeln, um sich der Kontrolle der „Macht über“ zu widersetzen. Von daher ist klar, dass „Macht von innen heraus“ das Zentrum dessen bildet, was oft mit dem Wort „Befähigung“ (empowerment) bezeichnet wird. Somit ist sie auch ein zentraler Begriff für viele befreiende Modelle von Erziehung und politischem Handeln.
Es ist interessant, dass das Tao möglicherweise die reinste und auf das Wesentliche konzentrierte Form dieser Art von Macht ist: die innere Macht, die sich im Herzen des Kosmos selbst zeigt.21 „Macht von innen heraus“ ist auch mit der chinesischen Vorstellung des Te verwandt (des zweiten Wortes des Tao Te King): Te wird durch ein Schriftzeichen dargestellt, das das Zeichen für Geradeaus-Gehen mit dem des Herzens verbindet (Dreher 1990, XIV, 12). Es beinhaltet also die Bedeutung von authentisch leben, vom Herzen (dem vitalen Zentrum) her leben, so leben, dass man dabei Intuition und Mitleid miteinander verbindet. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet ist Te eine persönliche Kraft, die jemanden befähigt, klar zu sehen und entschlossen am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt zu handeln. Te ist auch die Kraft, die im Saatgut enthalten ist, die Kraft, ins Leben einzutreten. Wir können deshalb das Te als die Kraft der Lebensenergie in allem Sein verstehen, eine Kraft, die mit der kosmischen Kraft des Tao verbindet und diese kanalisiert.
Die dritte Weise, in der sich Macht ausdrückt, ist die „Macht mit“ bzw. die Macht des Einflusses oder die Macht als Prozess. Ihre Quelle ist die Bereitschaft anderer, unsere Gedanken anzuhören. Sie ist „Macht mit“, die uns befähigt, gemeinsam zu handeln und echt partizipatorische Organisationen zu schaffen. Während die „Macht über“ die Autorität einer bestimmten Position benutzt, um den eigenen Willen durchzusetzen, indem sie Gehorsam verlangt, hat die „Macht mit“ persönlichen Respekt zur Grundlage, der praktisch erworben wurde. „‚Macht mit‘ ist subtiler, flexibler und zerbrechlicher als Autorität. Sie hängt von persönlicher Verantwortung, von unserer eigenen Kreativität und unserem Mut sowie von der Bereitschaf anderer ab, darauf zu reagieren.“ (Starhawk 1987, 258) Joanna Macy, eine buddhistische ökologische und Friedensaktivistin, betrachtet diese Art von Macht als eine Art Synergie auf der Grundlage der Offenheit gegenüber anderen. „Die Ausübung von Macht als einem Prozess erfordert es, dass wir alle Zwangsausübung, die der Teilhabe von uns und anderen am Leben zuwiderläuft, entlarven und zurückweisen.“ (zitiert bei Winter 1996, 258)
Macht als Prozess lädt uns dazu ein, unser Empathievermögen zu stärken. Aktivitäten wie etwa Volkserziehung oder die Organisation von Basisbewegungen setzen diese Art von Macht ein.
In der Praxis existieren alle diese drei Formen von Macht nebeneinander und sind in jedem konkreten Stück Wirklichkeit miteinander verflochten. So zum Beispiel vermischen sich die „Macht über“ und die „Macht von innen“ oftmals miteinander, obwohl sie begrifflich das Gegenteil voneinander sind. Herrschaft muss sich letztlich auf ein gewisses Maß an Kreativität stützen, so entstellt diese auch sein mag. Oftmals zwingt jemand einem anderen seine eigene Kreativität auch auf und verwandelt so „Macht von innen heraus“ in „Macht über“. In ähnlicher Weise kann sich „Macht mit“ auch in „Macht über“ verwandeln. Starhawk schreibt, dass in der herrschenden Kultur beide leicht miteinander verwechselt werden. Einfluss kann sehr leicht in Autorität umschlagen, insbesondere deshalb, weil wir alle so sehr durch Macht als Herrschaft indoktriniert wurden.
Die Tatsache, dass „Macht mit“ oft mit „Macht über“ vermengt und mit ihr verwechselt wird, wurde tiefgehend von der Philosophin Hannah Arendt analysiert. Im Zusammenhang mit ihrer Reflexion über Gewalt, der extremsten Form von „Macht über“, und der Macht, gemeinsam zu handeln (was Starhawks „Macht mit“ entspricht) schreibt sie:
„Obwohl Macht [Macht mit] und Gewalt [Macht über] ganz verschiedenartige Phänomene sind, treten sie zumeist zusammen auf. Bisher haben wir nur solche Kombinationen analysiert, wobei sich herausgestellt hat, dass in ihnen jedenfalls die Macht immer das Primäre und Ausschlaggebende ist. Dies ändert sich jedoch, sobald wir unsere Aufmerksamkeit den selteneren Fällen zuwenden, wo sie in Reingestalt auftreten […]. Auch die größte Macht kann durch Gewalt vernichtet werden; aus den Gewehrläufen kommt immer der wirksamste Befehl, der auf unverzüglichen, fraglosen Gehorsam rechnen kann. Was niemals aus den Gewehrläufen kommt, ist Macht […]. Politisch gesprochen genügt es nicht zu sagen, dass Macht und Gewalt nicht dasselbe sind. Macht und Gewalt sind Gegensätze: Wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden. Gewalt tritt auf den Plan, wo Macht in Gefahr ist; überlässt man sie den ihr innewohnenden Gesetzen, so ist das Endziel, ihr Ziel und Ende, das Verschwinden von Macht […]. Gewalt kann Macht vernichten; sie ist gänzlich außerstande, Macht zu erzeugen.“ (1970, 53–54; 57)
In ähnlicher Weise sagt Starhawk, dass „Herrschaftssysteme die ‚Macht mit‘ zerstören, denn diese kann nur unter solchen wirklich existieren, die gleich sind und auch anerkennen, dass sie gleich sind“ (1987, 12). Im Gegensatz zu „Macht über“ kann die „Macht mit“ jederzeit von der Gruppe selbst widerrufen werden; sie verletzt die Freiheit der anderen nicht.
Das Verhältnis von „Macht mit“ und „Macht von innen“ ist vielleicht klarer. Innerhalb einer Gruppe, in der die Meinung einer jeden Person Wertschätzung erfährt (das heißt, wo wir es mit „Macht mit“ zu tun haben), ist es wahrscheinlicher, dass wir unsere „Macht von innen heraus“ zum Ausdruck bringen und entfalten werden. Und in dem Maß, indem unser kreatives und Leben schaffendes Potenzial zunimmt, werden wir auch den Respekt der anderen erfahren.
Veränderung der Machtbeziehungen
Es ist ein schwieriger Schritt von der begrifflichen Neubestimmung von Macht hin zu ihrer tatsächlichen Rekonstruktion, doch wir müssen ihn dennoch zu machen versuchen. Die räuberische Produktionsweise des Patriarchats ist von der Ausübung von „Macht über“, der Macht der Herrschaft, abhängig. Wenn man dieser Macht nicht entgegentreten kann, wenn keine neuen Formen entwickelt werden können, die eher lebensförderlich als todbringend sind, dann werden die Möglichkeiten für eine Veränderung der Welt in der Richtung, die die Ökofeministinnen anzeigen, minimal bleiben.
Es ist an dieser Stelle hilfreich, sich in Erinnerung zu rufen, dass Macht weder statisch noch quantitativ festgelegt ist. Die traditionellen politischen Versuche der Veränderung sprachen von „die Macht übernehmen“. Doch es gibt eine andere Möglichkeit: die Möglichkeit, neue Quellen der Macht zu schaffen und dabei an den Rändern zu beginnen. An einem gewissen Punkt wird eine Konfrontation mit denen, die die „Macht über“ innehaben, natürlich unausweichlich sein. Doch zuerst müssen die Ressourcen der „Macht mit“ und der „Macht von innen heraus“ an der Basis gestärkt werden. Und tatsächlich ist die weltweite Bewegung der Zivilgesellschaft, die sowohl in Volksorganisationen als auch in vielen Nichtregierungsorganisationen Gestalt annimmt, der Beweis, dass eine solche Macht bereits geschaffen und aufgebaut wird.
Ein Weg, um sowohl die „Macht mit“ als auch die „Macht von innen heraus“ zu stärken, ist es also, partizipatorische Organisationen zu schaffen, in denen eine Atmosphäre der Offenheit die Mitglieder in die Lage versetzt, sich frei zu fühlen, so zu sein und sich so zu geben, wie sie sind. Diejenigen, die Veränderungsprozesse zu ermöglichen versuchen, müssen auch ein gewisses Maß an Sicherheit innerhalb der Gruppe gewährleisten, die diejenigen befähigen soll, sich ehrlich, ohne Angst auszudrücken, die am meisten daran gehindert und am verwundbarsten sind. Zu diesem Zweck kann eine Reihe von „Grundregeln“ in manchen Situationen hilfreich sein.
Eine zweite Strategie, um befreiende Macht zu kultivieren, ist es, das Bewusstsein zu stärken. Joanna Macy stellt fest: „‚Macht mit‘ setzt eine aufmerksame Offenheit gegenüber der umgebenden physischen oder geistigen Welt und ein waches Bewusstsein gegenüber unseren eigenen Reaktionen und die anderer voraus. Sie ist die Fähigkeit, auf eine Weise zu handeln, die die bewusste Teilhabe am Leben insgesamt vergrößert.“ (1995, 257) Starhawk schreibt: „Ein waches Bewusstsein ist der Beginn eines jeden Widerstands. Wir können der Herrschaft nur dann widerstehen, wenn wir Bewusstsein erlangen und bewahren: ein Bewusstsein von uns selbst, von der Art und Weise, wie die Wirklichkeit um uns herum aufgebaut wird, von jeder scheinbar bedeutungslosen Entscheidung, die wir treffen, davon, dass wir tatsächlich Entscheidungen treffen.“ (1987, 79)
„Macht mit“ zu entwickeln ist nur im Kontext einer Gruppe möglich. Von ihrem Wesen her ist diese Form der Macht diejenige, die von sich selbst her am stärksten auf Beziehung angelegt ist. Menschen, die an befreienden Initiativen teilnehmen, können ihre „Macht mit“ am besten dann entwickeln, wenn die Gruppe echte Teilhabe und die gemeinsame Verantwortung in Leitungsfunktionen ermöglicht. Starhawk stellt fest: „Um andere mit Fähigkeiten auszustatten, muss eine Gruppe nicht nur so strukturiert sein, dass sie der Befreiung dient, sie muss sich auch dessen bewusst sein, wie sich die Macht innerhalb der Gruppe verteilt und verändert.“ (1987, 268)
Die befreienden Arten von Macht, wie sie in der „Macht von innen heraus“ und der „Macht mit“ Gestalt gewinnen, werden am effektivsten innerhalb von Interaktionen entwickelt, die Wert hervorbringen. Macy spricht insbesondere von „synergetischen Austauschprozessen“, die „etwas [schaffen], das zuvor nicht da war, und die die Fähigkeiten und das Wohlbefinden aller Beteiligten stärken“ (1995, 257). Tatsächlich kann der Begriff „Synergie“ das am besten einfangen, was wir mit „Macht mit“ meinen.
Letztlich aber wird die Neustrukturierung von Macht innerhalb der Gesellschaft als ganzer Strategien erfordern, die über diese Anfänge hinausgehen. Das Patriarchat hat sich im Laufe von Tausenden von Jahren entwickelt, und der weltweite Kapitalismus der Konzernherrschaft, die jüngste Erscheinungsform dieser Herrschaftsmentalität, hat den Großteil der Welt fest im Griff. Um neue Formen von Macht zu schaffen und den alten entgegenzutreten, bedürfen wir tiefer Ressourcen im Inneren, eines neuen Verständnisses dessen, was die Realität ausmacht, und eines neuen Verständnisses von Veränderung selbst.
Unsere erste Aufgabe besteht darin, den Bann zu brechen, den das Patriarchat, der Anthropozentrismus und das gegenwärtige Herrschaftssystem über uns verhängt haben. Wir müssen die Lähmung überwinden, die uns in Unterdrückung, Verzweiflung, Verleugnung und Sucht festhält. Der Weg auf dieses Ziel zu wird im Zuge der nächsten Etappe unserer spirituellen Reise erkundet werden.
17 Genauer noch arbeitet Naess (1989, 29) die folgenden grundlegenden Prinzipien der Tiefenökologie heraus: 1. Das Gedeihen menschlichen und außermenschlichen Lebens auf Erden hat einen Wert in sich. Der Wert nichtmenschlicher Lebensformen ist unabhängig vom Nutzen, den diese für die beschränkten Zwecke des Menschen haben mögen. 2. Der Reichtum und die Vielfalt des Lebens bilden Werte an sich und tragen zum Gedeihen des menschlichen und außermenschlichen Lebens auf Erden bei. 3. Die Menschen haben kein Recht, diesen Reichtum und diese Vielfalt zu mindern, außer um das Lebensnotwendige sicherzustellen. 4. Das gegenwärtige Eingreifen der Menschen in die außermenschliche Welt geht weit über das Maß hinaus, und die Situation verschlechtert sich in raschem Tempo. 5. Das Gedeihen menschlichen Lebens und menschlicher Kultur lässt sich mit einer Abnahme der Bevölkerung in Einklang bringen. Das Gedeihen nichtmenschlichen Lebens erfordert eine solche Abnahme. (Dieses Prinzip scheint von etwas vereinfachenden Annahmen auszugehen. Es wäre besser, es im Sinne einer Abnahme des menschlichen Konsums zu formulieren, was möglicherweise auch einen Rückgang der Bevölkerung im Lauf der Zeit erfordert.) 6. Eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen erfordert eine neue Politik. Dies betrifft die Grundlagen der Wirtschaft, der Technologie und ideologische Strukturen. 7. Die ideologische Veränderung besteht hauptsächlich darin, die Lebensqualität (wie sie Situationen mit einem Wert in sich selbst innewohnt) höher zu bewerten als einen hohen Lebensstandard. Es wird ein tiefes Bewusstsein des Unterschieds zwischen „groß“ und „großartig“ geben. 8. Diejenigen, welche sich mit den bisherigen Punkten einverstanden erklären, haben die Verpflichtung, sich direkt oder indirekt am Versuch zu beteiligen, die notwendigen Veränderungen herbeizuführen.
18 Gleichzeitig sollte festgehalten werden, dass die Suche nach einem idyllischen goldenen Zeitalter, in dem vollkommene Gleichheit zwischen Mann und Frau herrschte, wie man sie in der jüngsten Literatur finden kann, etwas ernüchtert werden muss. Bücher wie das von Eisler, The Chalice and the Blade (1987) haben in jüngster Zeit zu einer Romantisierung der jungsteinzeitlichen Kultur des alten Europa und Anatoliens und auch der vorklassischen Kultur des minoischen Kreta beigetragen, indem sie behaupteten, dies wären Gesellschaften mit harmonischen Geschlechterbeziehungen gewesen. Diese Kulturen werden als solche beschrieben, in denen die Mutter im Mittelpunkt steht (eher matrifokal und matrizentrisch als matriarchal, denn Letzteres würde eine Herrschaft der Frau bedeuten) und die Göttinnen verehren. Sie liefern einen machtvollen Mythos, der die Nicht-Notwendigkeit patriarchalischer und anthropozentrischer Herrschaft belegt. Es ist jedoch schwierig nachzuweisen, dass in diesen Gesellschaften tatsächlich harmonische Geschlechterbeziehungen vorherrschten. Deshalb ist hier ein gewisses Maß an Vorsicht geboten.
19 Die deutsche Ausgabe (Mies 1989) ist mit der englischen Ausgabe (Mies 1986) nicht identisch, sie wurde von der Autorin gründlich überarbeitet. Etliche hier wiedergegebene Passagen finden sich nur in der englischen Ausgabe und müssen daher aus dieser rückübersetzt werden; d. Übers.
20 Dies trifft in besonderer Weise auf die Strukturanpassungsmaßnahmen zu. Frauen nehmen oftmals als Reaktion auf die von den Strukturanpassungsmaßnahmen ausgelöste wirtschaftliche Krise von Neuem unbezahlte Arbeit auf sich. So stellten die Gemeinschaftsküchen (comedores populares) in Lateinamerika eine wesentliche Überlebensstrategie dar, indem sie die Menschen in einer Zeit von Preiserhöhungen und hoher Arbeitslosigkeit mit Essen versorgten. Tatsächlich subventioniert die unbezahlte Arbeit von Frauen eine ganze Überlebensökonomie. Man kann deshalb sagen, dass der Schuldendienst indirekt durch die unbezahlte Arbeit von Frauen geleistet wird.
21 Das Wort, das Jesus für „Macht“ benutzte, das aramäische hayye, hat ebenfalls diese Bedeutung von Macht. Es wird am besten mit „Lebenskraft“ oder „Ursprungsenergie, die den Kosmos durchdringt“, wiedergegeben (Douglas-Klotz 1999, 65).