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1. In einer Zeit der Krise nach Weisheit streben

Wenn die Besten unter denen,

die nach Weisheit streben, vom Tao hören,

dann geben sie sich sofort Mühe, es zu verwirklichen.

Wenn durchschnittliche Weisheitssucher vom Tao hören,

dann folgen sie ihm zuweilen, und zuweilen vergessen sie es wieder.

Wenn Weisheitssucher ohne Verstand vom Tao hören,

dann lachen sie lauthals.

Lachten sie nicht,

dann wäre es nicht das Tao.

Darum heißt es:

Der Weg im Licht erscheint dunkel,

der Pfad, der nach vorn führt, scheint rückwärts zu laufen,

der gerade Weg scheint krumm zu sein,

die größte Kraft erscheint schwach,

die echteste Reinheit scheint beschmutzt,

wahrer Überfluss scheint nicht genug zu sein,

auf echte Standhaftigkeit scheint kein Verlass zu sein.

Der weiteste Raum kann nicht ausgefüllt werden,

das größte Talent braucht lange, um zu reifen,

der höchste Ton ist schwer zu hören,

die vollkommene Gestalt kann nicht leibhaftig werden.

Das Tao ist nirgends zu finden.

Und doch ernährt es alle Dinge und führt sie ihrer Erfüllung zu.

(Tao Te King § 41)

Heute stehen wir wahrscheinlich vor der wichtigsten Entscheidung in der Geschichte der Menschheit und wahrhaftig auch der Erde selbst. Die sich gegenseitig verstärkenden Entwicklungen einer wachsenden Armut und einer sich beschleunigenden Verschlechterung der ökologischen Bedingungen verursachen einen heftigen Strudel der Verzweiflung und Zerstörung, aus dem zu entrinnen zunehmend schwerer wird. Wenn es uns nicht gelingt, energisch, rasch und weise genug zu handeln, dann werden wir uns bald zu einer Zukunft verdammt sehen, in der die Möglichkeiten für ein sinnvolles, hoffnungserfülltes und schönes Leben in starkem Maß dahingeschwunden sind.

Für die Mehrzahl der Menschen, die sich an den Rändern der Weltwirtschaft abmühen, scheint sich das Leben bereits jetzt am Rand des Absturzes zu bewegen. Jedes Jahr nimmt die Kluft zwischen Arm und Reich noch stärker zu. In einer Welt, in der die Illusionen einer Konsumgesellschaft feilgeboten werden, müssen die meisten einen harten Kampf bestehen, nur um das erforderliche Minimum zum Überleben zu bekommen. Der Traum von einem einfachen, aber dennoch würdevollen Leben bleibt dauerhaft kaum erreichbar. Für viele wird das Leben Jahr für Jahr schwieriger.

Die anderen Lebewesen, die diesen Planeten mit der Menschheit teilen, machen sogar noch eine schwerere Krise durch. Da sich die Menschen einen immer größeren Teil der Gaben der Erde angeeignet haben, bleibt für andere Lebensformen immer weniger übrig. Da wir die Luft, das Wasser und das Land mit Chemikalien und Abfall verpesten, wird das komplexe System, welches das Gewebe des Lebens aufrecht erhält, zunehmend unterminiert. Viele Arten verschwinden für immer. Unser Planet erlebt in der Tat eine der größten Massenvernichtungen aller Zeiten.

Natürlich gibt es Zeichen der Hoffnung. Unzählige einzelne Personen und Organisationen setzen sich mit Fantasie und Mut für eine Veränderung ein. Einige haben Bewegungen ins Leben gerufen, die heute weltweit aktiv sind. Ihre Anstrengungen bewirken sehr konkrete Veränderungen auf lokaler Ebene in der ganzen Welt. Gleichzeitig ermöglichen neue Kommunikationsmittel den Dialog zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen. Die Möglichkeiten, Weisheit und Erkenntnisse miteinander auszutauschen, sind deshalb wahrscheinlich größer als jemals zuvor. Viele Menschen haben ein stärker ausgeprägtes Bewusstsein von ihren grundlegenden Rechten und verteidigen diese aktiver. Auf Gebieten wie Gesundheitsvorsorge und Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wurden echte Fortschritte erzielt. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein hinsichtlich der ökologischen Problematik, und viele Gemeinden bemühen sich, in Harmonie mit der Natur und nicht gegen sie zu arbeiten. All diese Trends eröffnen neue Möglichkeiten für die Erneuerung der Welt.

Doch das sind bloß kleine Lichtblicke inmitten der Dunkelheit. Immer noch gibt es wenige Anzeichen für ein effektives, abgestimmtes Handeln in einer solchen Größenordnung, dass es in der Lage wäre, die zunehmende Armut und den ökologischen Niedergang tatsächlich zu stoppen oder gar einen Prozess in Gang zu setzen, um die Gemeinschaft des Planeten wieder gesunden zu lassen. Institutionen auf Weltebene, insbesondere Regierungen und Konzerne, beziehen in ihr Handeln die dringende Notwendigkeit nach wie vor nicht ein, die Art und Weise, wie wir in dieser Welt leben, von Grund auf zu ändern. Im Gegenteil: Die Grundideen, Motive, Gewohnheiten und politischen Strategien, die so viel Verwüstung und Ungerechtigkeit verursacht haben, beherrschen nach wie vor unser politisches und ökonomisches System. Michail Gorbatschow stellte im Jahr 2001 fest:

„Obwohl es eine wachsende Zahl von mutigen Initiativen von Verantwortlichen in Regierungen und Unternehmen gibt, die Umwelt zu schützen, sehe ich nicht, dass eine politische Führung und der Wille entstehen, Risiken in der Größenordnung einzugehen, die notwendig wäre, um der gegenwärtige Situation gerecht zu werden. Obwohl es eine wachsende Zahl von Menschen und Organisationen gibt, die sich der Bewusstseinsbildung widmen und Änderungen in der Art und Weise, wie wir die Natur behandeln, herbeiführen wollen, erkenne ich immer noch keine klare Vision und keine gemeinsam abgestimmte Vorgehensweise, die die Menschheit rechtzeitig zu einer Kurskorrektur inspirieren könnten.“ (Gorbachev 2001,4)

Joanna Macy und Molly Brown (1998) bezeichnen die zentrale Herausforderung unserer Zeit, nämlich den Wechsel von industriellem Wachstum hin zu einer lebenerhaltenden Zivilisation, als die „Große Wende“. Leider haben wir keine Gewähr dafür, dass wir diese wesentliche Veränderung rechtzeitig hinbekommen, um die Auflösung des sorgfältig geknüpften Netzes zu verhindern, welches das komplexe Leben trägt und erhält. Sollten wir uns als unfähig erweisen, eine solche Veränderung zu bewerkstelligen, dann nicht, weil es an der entsprechenden Technik, an genügend Information oder etwa an schöpferischen Alternativen mangelt, sondern vielmehr, weil es an politischem Willen fehlt und weil die uns drohenden Gefahren so schwer zu ertragen sind, dass sie viele von uns aus Angst schlicht aus ihrem Bewusstsein verbannen.

Wir sind dennoch fest davon überzeugt, dass der gegenwärtige Kreislauf von Verzweiflung und Zerstörung durchbrochen werden kann, dass wir immer noch die Chance haben, effektiv zu handeln und den Kurs zu ändern. Es ist noch Zeit, die Große Wende einzuleiten und unseren Planeten zu heilen. In diesem Buch suchen wir nach einem Weg zur Veränderung, zu einem Wandel, der uns zu einer neuen Weise, in der Welt zu sein, herausfordert – einer Weise des In-der-Welt-Seins, die gerechte und harmonische Beziehungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft und innerhalb der größeren planetarischen Gemeinschaft umfasst. Wir suchen nach einer Weisheit – dem Tao ‒, das uns zu einer ganzheitlichen Befreiung hinführt.

Wir sind davon überzeugt, dass die Kraft für diese Veränderungen bereits unter uns vorhanden ist. Sie ist als Keim bereits im menschlichen Geist da. Sie ist im Evolutionsprozess Gaias, unserer lebendigen Erde, am Werk. Sie ist in Wahrheit bereits in den Stoff des Kosmos selbst hineingewoben, in das Tao eingelassen, das durch alles und in allem fließt. Wenn es uns gelingt, einen Weg zu finden, uns auf das Tao einzustellen und uns mit seiner Energie zu verbinden, dann werden wir den Schlüssel für wahrhaft revolutionäre Veränderungen finden, die zu einer echten Befreiung hinführen. Doch das Tao ist keineswegs etwas, dessen wir uns bemächtigen und das wir kontrollieren könnten. Wir müssen es vielmehr zulassen, dass es durch uns wirkt, indem wir uns seiner verändernden Energie öffnen, damit die Erde geheilt werden kann. Mit den Worten von Thomas Berry ausgedrückt:

„Die dynamischen Kräfte, die wir brauchen, um die Zukunft zu gestalten, fehlen uns nicht. Wir schwimmen, über alle Vorstellbarkeit hinaus, in einem Meer von Energie – aber diese Energie wird zur unsrigen letztlich nicht durch Beherrschung, sondern durch Anrufung.“ (2011, 175)

Bevor wir diese Aufgabe in Angriff nehmen, müssen wir die sehr konkreten Hindernisse verstehen, die einer befreienden Veränderung im Weg stehen. Vielleicht ist der erste Schritt in Richtung Weisheit einfach der, dass wir die Notwendigkeit der Veränderung einsehen. Viele von uns wissen die Größe und Schwere der Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, noch nicht angemessen einzuschätzen. Zu einem großen Teil rührt dies daher, dass unsere Wahrnehmung der Realität so deformiert ist, dass sie das verbirgt, was ansonsten offen zutage läge. Wir tendieren dazu, die Welt aus einem sehr eingeschränkten Blickwinkel heraus zu betrachten, sowohl was die Zeit, als auch was den Raum betrifft. Wir blicken selten über unsere unmittelbare Vergangenheit oder Zukunft bzw. über unsere eigene Gemeinde oder Region hinaus.

Teilweise rührt diese verkürzte Sichtweise auch daher, dass viele der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, nur allmählich schlimmer werden, vor allem im Vergleich zu unserer relativ kurzen eigenen Lebensspanne. Wir tendieren dazu, uns sehr schnell an neue Realitäten zu gewöhnen – wenigsten in einem oberflächlichen Sinn ‒, und deshalb erkennen wir den Ernst der Krisen nicht, die uns bevorstehen. Ein einleuchtendes Beispiel dafür ist ein Frosch, der steigenden Temperaturen ausgesetzt wird: Wenn man einen Frosch in kochendes Wasser wirft, dann wird er sofort zu entkommen versuchen. Wenn man ihn hingegen in kaltes Wasser setzt und dieses langsam erhitzt, dann wird er die Gefahr erst bemerken, wenn es bereits zu spät ist, und er wird an der Hitze zugrunde gehen.

Die Krise der Erde: Eine kosmische Perspektive

Um die Schwere der Krise zu ermessen, mit der wir konfrontiert sind, wollen wir deshalb einen Schritt zurücktreten, von unserer alltäglichen Wahrnehmung für einige Augenblicke der Wirklichkeit Abstand gewinnen und eine eher „kosmische“ Perspektive einnehmen. Stellen wir uns vor, dass die gesamte, 15 Milliarden Jahre lange Geschichte des Kosmos auf ein einziges Jahrhundert verdichtet wird.4 Mit anderen Worten: Jedes „kosmische Jahr“ entspricht 150 Millionen irdischen Jahren.5

So gesehen entstand die Erde im siebzigsten Jahr des kosmischen Jahrhunderts, und überraschend bald danach entstand in ihren Ozeanen das Leben, nämlich im Jahr 73. Fast zwei kosmische Jahrzehnte lang beschränkte sich das Leben weitgehend auf einzellige Bakterien. Doch diese Organismen tragen viel zum Wandel des Planeten bei, indem sie seine Atmosphäre, seine Ozeane und seine geologischen Verhältnisse so radikal verändern, dass diese komplexere Lebensformen dauerhaft erhalten können.

Im Jahr 93 beginnt eine neue Phase der Kreativität sowohl durch die Entstehung der sexuellen Fortpflanzung als auch durch den Tod der einzelnen Exemplare. In diesem neuen Stadium beschleunigt sich der Evolutionsprozess rasant. Zwei Jahre später, also im Jahr 95, tauchen die ersten mehrzelligen Organismen auf. Das erste Nervensystem entwickelt sich im Jahr 96 und die ersten Wirbeltiere nicht einmal ein Jahr später. Säugetiere tauchen zur Mitte des Jahres 98 auf, zwei Monate nach dem ersten Auftreten der Dinosaurier und der ersten Blütenpflanzen.

Vor fünf Monaten schlug ein Asteroid auf der Erde ein und zerstörte viele Lebensarten, darunter die Dinosaurier. Doch der Planet erholte sich innerhalb kurzer Zeit und übertrifft nun tatsächlich noch seine vergangene Schönheit. Diese Epoche – das Känozoikum – weist eine überbordende Fülle und Vielfalt des Lebens auf, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat.

In diesem atemberaubend schönen Zeitalter entstehen Menschen. Vor zwölf Tagen begannen unsere ersten Vorfahren, aufrecht zu gehen. Sechs Tage danach fängt der Homo habilis an, Werkzeuge zu benutzen, und gestern zähmte der Homo erectus das Feuer. Die modernen Menschen von der Spezies des Homo sapiens sind vor zwölf Stunden geboren worden.

Den Großteil des Nachmittags und Abends dieses kosmischen Tages lebten wir in Einklang mit der Natur, waren mit ihren Rhythmen und Gefahren vertraut. Unser Dasein hatte tatsächlich wenig Einfluss auf die größere Gemeinschaft des Lebens – bis wir vor vier Minuten mit der Erfindung des Ackerbaus das erste Mal Pflanzen kultivierten und Tiere züchteten. Das Ausmaß unserer Eingriffe nahm immer stärker zu, wenn auch langsam, bis dann vor zwanzig Minuten einige von uns damit begannen, Städte zu bauen und in ihnen zu wohnen. Gerade mal vor zwei Minuten wurde der Einfluss der Menschheit auf die Ökosysteme um ein Vielfaches größer, als Europa sich zu einer Technologiegesellschaft zu entwickeln begann und seine eigene Macht durch koloniale Ausbeutung ausdehnte. Genau in dieser Zeit begann auch die Kluft zwischen Arm und Reich schnell zu wachsen.

In den letzten zwölf Sekunden (seit 1950) hat sich der Rhythmus von Ausbeutung und ökologischer Zerstörung dramatisch beschleunigt. In diesem kurzen Augenblick vollzog sich all dies:6

 – Wir haben fast die Hälfte aller größeren Wälder der Erde, der grünen Lunge unseres Planeten, zerstört. Viele der wichtigsten und größten Waldgebiete – darunter die großen borealen Wälder, die Regenwälder in gemäßigten Zonen und die tropischen Regenwälder – unterliegen immer noch einem Prozess beschleunigter Zerstörung. Jedes Jahr wird eine Waldfläche, die größer ist als Bangla Desh, abgeholzt.

 – Wir haben riesige Mengen Kohlendioxid und andere Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt, was einen gefährlichen Kreislauf globaler Erwärmung und Instabilität des Klimas in Gang setzte. Die weltweite Temperatur hat im Durchschnitt bereits um 0,5 Grad Celsius zugenommen und könnte im Verlauf der nächsten zwanzig kosmischen Sekunden um zwischen 2 und 5 Grad Celsius ansteigen.7

 – Wir haben in der Ozonschicht, der schützenden Haut unseres Planeten, die die schädliche UV-Strahlung herausfiltert, ein gigantisches Loch verursacht. In der Folge hat die UV-Strahlung Rekordwerte erreicht und bedroht die Gesundheit vieler lebender Organismen.

 – Wir haben die Fruchtbarkeit der Böden und ihrer Fähigkeit, Pflanzen zu ernähren, ernsthaft gefährdet. 65 % des einst bebaubaren Landes sind inzwischen bereits verloren gegangen, davon etwa die Hälfte in den letzten neun kosmischen Sekunden, und weitere 15 % der Landoberfläche des Planeten werden zur Wüste. Während der letzten fünf kosmischen Sekunden hat die Erde eine solche Menge an Boden verloren, wie sie der kultivierten Fläche von Frankreich und China zusammengenommen entspricht. Zwei Drittel aller Ackerflächen wurden durch Erosion und Versalzung mäßig bis schwer geschädigt.

 – Wir haben Zehntausende von neuen chemischen Stoffen in die Luft, den Boden und das Wasser des Planeten eingebracht. Bei vielen von ihnen handelt es sich um langlebige giftige Substanzen, die die Lebensprozesse schleichend vergiften.

 – Wir haben tödlichen nuklearen Abfall erzeugt, der über Hunderttausende von Jahren hindurch in gefährlicher Weise radioaktiv sein wird. Das ist eine Zeitspanne, die weitaus länger ist als diese zwölf kosmischen Stunden, in denen der moderne Mensch existiert.

 – Wir haben Hunderttausende von Pflanzen- und Tierarten zerstört. Jährlich verschwinden etwa 50.000 Arten, und die meisten davon aufgrund von menschengemachten Ursachen. Man schätzt, dass die Rate des Aussterbens zehntausendmal größer ist als vor dem Auftauchen des Menschen auf dem Planeten. Und man nimmt an, dass wir derzeit die größte Massenvernichtung der Erdgeschichte durchmachen. Wissenschaftler sagen voraus, dass 20 bis 50 % aller Arten im Verlauf der nächsten dreißig Jahre (das entspricht sieben kosmischen Sekunden) verschwunden sein werden, wenn die derzeitigen Trends anhalten.

 – Die Menschen verbrauchen bzw. verschwenden zurzeit 40 % aller Energie, die für alle auf dem Land lebenden Lebewesen auf der Erde zur Verfügung steht (dies wird als die Nettoprimärproduktion, NPP, des Planeten bezeichnet). Und wenn wir fortfahren wie bisher, werden wir innerhalb der nächsten acht kosmischen Sekunden (das sind fünfunddreißig irdische Jahre) 80 % in Anspruch nehmen und nur 20 % allen anderen Lebewesen übriglassen.

So viel Zerstörung in so kurzer Zeit! Und wofür? Die „Wohltaten“ dieses Prozesses kamen nur einem sehr kleinen Teil der Menschheit zugute: Die reichsten 20 % der Weltbevölkerung verdienen zurzeit etwa zweihundertmal mehr als die ärmsten 20 %.8 Zu Beginn des Jahres 2009 hatten die 793 Milliardäre der Welt zusammen ein Nettovermögen im Wert von 2,4 Billionen US-Dollar (Pitts 2009) – das ist mehr als das jährliche Einkommen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. (Zu Beginn des Jahres 2008, bevor die gegenwärtige Wirtschaftskrise einsetzte, gab es 1195 Milliardäre mit einem Gesamtvermögen von 4,4 Billionen US-Dollar; das ist etwa doppelt so viel, wie die ärmsten 50 % im Jahr verdienen!) Und wenn man die Einkommen vergleicht, dann erhält das eine Prozent der Reichsten so viel wie die 57 % der ärmeren Weltbevölkerung.9

Unser Planet, das Ergebnis von vier Milliarden Jahren kosmischer Evolutionsgeschichte, wird von einer relativ kleinen Minderheit der Menschheit verschlungen, und selbst diese privilegierte Gruppe kann nicht darauf setzen, dass dieser Ausbeutungsprozess noch lange andauern kann. Es überrascht daher kaum, dass eine Gruppe von sechshundert Wissenschaftlern, darunter mehr als hundert Nobelpreisträger, anlässlich eines Treffens im Jahr 1992 eine „Warnung an die Menschheit“ veröffentlichten:

„Es bleiben nur noch ein oder wenige Jahrzehnte, bevor die Gelegenheit zur Abwendung der Bedrohungen, vor denen wir heute stehen, verloren ist und die Aussichten für die Menschheit enorm abgenommen haben […] Wir brauchen eine neue Ethik ‒ eine neue Bereitschaft zur Einlösung unserer Verantwortung, sorgsam mit uns selbst und der Erde umzugehen. Aus dieser Ethik muss eine große Bewegung entspringen, die widerstrebende Politiker und Regierungen davon überzeugt, die erforderlichen Veränderungen vorzunehmen.“ (Brown 1994, 40)

Inzwischen sind seit dieser Warnung, während wir dies niederschreiben, siebzehn Jahre ins Land gegangen. Auch wenn einige auf Weltebene einflussreiche Persönlichkeiten die Probleme von Armut und ökologischer Zerstörung ernster nehmen, gibt es immer noch keine miteinander abgestimmte Bewegung, um die Energien der Menschheit zu mobilisieren und der bevorstehenden Krise entgegenzutreten. Tatsächlich wird dem sogenannten Krieg gegen den Terrorismus (der weitgehend ein Krieg zur Sicherung der Ölquellen und des „Weiter so wie bisher“ ist) weitaus mehr Energie gewidmet als den Bedrohungen, die das Leben in einem bisher noch nie da gewesenen Ausmaß zerstören.

Das Streben nach Weisheit

Zum ersten Mal in der Entwicklung der Menschheit sind alle größeren Krisen, mit denen wir es zu tun haben – die Zerstörung der Ökosysteme, die bedrückende Armut von Milliarden Menschen aufgrund von Gier und aufgrund von systembedingter Ungerechtigkeit und die weiterhin bestehende Bedrohung durch Militarismus und Krieg – von uns selbst verursacht. Zusammengenommen haben diese Krisen das Potenzial, nicht nur eine bestimmte Kultur oder eine einzelne Region der Welt, sondern die menschliche Zivilisation als ganze und wahrlich auch die Integrität des gesamten Lebensnetzes auf unserem Planeten zu zerstören. Nicht nur die gegenwärtige, sondern auch die künftigen Generationen der planetarischen Gemeinschaft sind bedroht.

Verständlicherweise erzeugen die Gefahren, denen wir ins Auge sehen, Angst. Es ist wichtig, dass wir beides wahrnehmen: die Situation als solche, und die Gefühle, die sie in uns hervorruft. Wenn wir die der Krise angemessene Dringlichkeit betonen, dann ist es deshalb auch entscheidend, apokalyptische Warnungen zu vermeiden, die nur die Lähmung der Verzweiflung auslösen. Wir müssen uns darauf besinnen: Die Tatsache, dass die Krise von uns verursacht ist, bedeutet gleichzeitig, dass es Hoffnung gibt, sie in sinnvoller Weise zu bewältigen. Tatsächlich haben viele Menschen mit Einsicht und Fantasie hart daran gearbeitet, praktische Alternativen aufzuzeigen, die es der Menschheit ermöglichen könnten, in Würde zu leben, ohne die Gesundheit der Ökosysteme der Erde zu gefährden.

Wir sind davon überzeugt, dass wir über den Großteil der Information und der Kenntnisse verfügen, die wir brauchen, um unsere gegenwärtige Krise zu überwinden. Macy und Brown stellen mit Recht fest:

„Wir können das Leben wählen. Ungeachtet unheilsschwangerer Vorhersagen können wir immer noch handeln, um eine Welt zu erhalten, in der man leben kann. Entscheidend ist es, sich über Folgendes klar zu sein: Wir können unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne das System zu gefährden, das Leben ermöglicht. Wir haben das technische Wissen und die Kommunikationsmittel, um das zu leisten. Wir haben genügend Grips und Ressourcen, um genügend Nahrungsmittel zu erzeugen, eine saubere Luft und sauberes Wasser sicherzustellen und die nötige Energie mithilfe von Sonne, Wind und Biomasse zu erzeugen. Wenn wir nur wollen, dann haben wir die Mittel, das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren, Waffensysteme abzubauen und Kriege abzuwenden und in demokratischer Selbstverwaltung jedem eine Stimme zu geben.“ (1998, 1)

Natürlich werden harte Arbeit, aufeinander abgestimmtes gemeinsames Handeln und Organisation erforderlich sein, um diese Alternativen in die Praxis umzusetzen. Doch zu allererst bedürfen wir der Energie, der Vision, des Sensoriums und der Weisheit, die unserem verändernden Handeln den Weg weisen – wir bedürfen eines echten Tao, das zur Befreiung führt. Wir müssen die verschiedenen Dimensionen der globalen Krise und die Kräfte verstehen, die sich vereint haben, um sie zu verewigen. Wir brauchen ein immer tieferes Verständnis der Wirklichkeit selbst, gerade auch davon, welcher Art die Veränderung ist. Und wir müssen unser Gespür schärfen und unser Wahrnehmungsvermögen entwickeln, damit es imstande ist, in schöpferischer und effektiver Weise zu reagieren.

Im Streben nach dieser Art von Weisheit müssen wir zuerst erkennen, dass all die Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, in gewisser Weise als Symptome einer tiefer liegenden kulturellen und spirituellen Krankheit sind, von der die Menschheit befallen ist, insbesondere jene 20 % der Menschen, die den Großteil des Wohlstands der Welt konsumieren. Das veranlasst uns dazu, unsere Kulturen, unsere Werte, unsere politischen und wirtschaftlichen Systeme und uns selbst genauer zu betrachten. Der Psychologe Roger Walsh bemerkt, dass die Krisen, mit denen wir es zu tun haben, dazu dienen können, „unsere Schutzpanzer abzulegen und uns dabei zu helfen, uns sowohl mit dem wahren Zustand der Welt als auch mit unserer Rolle dabei zu konfrontieren“ (1984, 77). Sie haben das Potenzial, uns zu wirklich tiefgreifenden Veränderungen unserer Lebensweise, unseres Denkens und Handelns, ja tatsächlich auch der Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen, hinzuführen.

Krisenzeiten können schöpferische Zeiten sein, Zeiten, in denen neue Visionen und neue Möglichkeiten entstehen. Das chinesische Zeichen für Krise, wei-ji, setzt sich aus den beiden Zeichen für Gefahr und Chance zusammen (sie werden von einem nicht aufzuhaltenden Speer und einem undurchdringbaren Schild repräsentiert). Das ist nicht einfach ein Widerspruch oder ein Paradoxon. Die Gefahr selbst, der wir ins Auge sehen, spornt uns dazu an, tiefer zu sehen, nach Alternativen zu suchen und Chancen zu ergreifen. Unser eigenes Wort Krise kommt vom altgriechischen Verb krinein, was „trennen, unterscheiden“ bedeutet. Damit ist eine Wahl zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten angesprochen. Wenn wir nicht handeln, um die Situation der sich verschlimmernden Armut und ökologischen Zerstörung zu verändern, dann entscheiden wir uns dafür, den Weg fortzusetzen, der in den Abgrund der Verzweiflung führt.

Doch es gibt auch die Möglichkeit einer anderen Wahl: Wir haben die Chance, uns für eine neue Weise, auf unserem Planeten zu leben, eine neue Weise, miteinander und mit den anderen Kreaturen der Erde zu leben, zu entscheiden. Es gibt viele Inspirationsquellen für eine veränderte Welt. Einige davon sind alt und entstammen dem Erbe verschiedener Kulturen und spiritueller Traditionen. Andere entstehen aus Strömungen wie etwa der Tiefenökologie, dem Feminismus, dem Ökofeminismus und der neuen Kosmologie, die von den Naturwissenschaften ausgeht. Eine neue Sichtweise der Wirklichkeit, eine neue Weise des In-der-Welt-Seins wird möglich. Macy und Brown bemerken zu Recht:

„Das auffallendste Merkmal der derzeitigen historischen Situation auf Erden ist nicht, dass wir dabei sind, unsere Welt zu zerstören – das ist tatsächlich schon eine ganze Weile der Fall. Es besteht vielmehr darin, dass wir gerade wie aus einem tausend Jahre langen Schlaf aufwachen und empfänglich werden für eine neue Beziehung zu unserer Welt, zu uns selbst und zueinander. Dieser neue Bezug zur Wirklichkeit macht die Große Wende möglich.“ (1998, 37)

Die Erkundung der Hindernisse

Wenn eine echte Veränderung, die in eine Welt auf der Grundlage einer neuen Vision mündet, als schwierig erscheint, dann ist das weitgehend darauf zurückzuführen, dass eine ganze Reihe von miteinander zusammenhängenden Hindernissen einen Wandel unmöglich erscheinen lassen. Ein wichtiger Schritt auf der Suche nach einem Tao der Befreiung besteht daher darin, die ganz konkreten Faktoren zu begreifen, die einem Wechsel im Weg stehen. Um dies deutlicher zu sehen, werden wir die Hindernisse, mit denen wir konfrontiert sind, von drei unterschiedlichen Perspektiven aus in den Blick nehmen. Bildlich kann man sich das etwa als einen Prozess vorstellen, in dessen Verlauf mehrere Schichten abgetragen werden. Wir werden bei Gelegenheit wieder auf dasselbe Hindernis zurückkommen, um es von einer anderen, oftmals subtileren Ebene aus zu betrachten. Doch in gewissem Sinne sind all diese unterschiedlichen Schichten oder Perspektiven einander ergänzende Weisen, eine einzige Wirklichkeit zu sehen.

Aus einem bestimmten Blickwinkel heraus sind die von uns in Augenschein genommenen Hindernisse systemischer Natur. Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der Welt zerstören die Erde aktiv und verhindern gleichzeitig ein effektives Handeln zur Lösung der Probleme. In zunehmendem Maße hat eine kleine Anzahl von transnationalen Konzernen die Macht inne, die von demokratischen Instanzen immer weniger zur Verantwortung gezogen werden können. Die Wirtschaft des globalen Kapitalismus hat eine Ideologie des Wachstums und des quantitativen Fortschritts zur Grundlage. Ein immer größerer Teil des Profis wird mittels Spekulation erzielt, während den wirklich produktiven Tätigkeiten der Natur und der Sozialökonomie wenig Wert beigemessen wird. Immer weniger Menschen profitieren von diesem System, während ein immer größerer Teil der Menschheit schlicht ausgeschlossen wird. Das Leben der Natur und das Leben der Armen werden in lebloses Kapital in Form von Geld verwandelt – Geld, das von seinem Wesen her eine abstrakte Größe ist und keinen Wert in sich hat. Da dies kein nachhaltiges System ist, kann nicht einmal jene Minderheit der Menschen, die zurzeit davon profitiert, hoffen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Kurz: Unsere Welt wird von einem krankhaften System außerhalb jeder Kontrolle beherrscht, das, sich selbst überlassen, die Erde selbst zu zerstören droht.

Indem wir dieses krankhafte System untersuchen, wollen wir seine Dynamik klarer verstehen und seinen von Grund auf ungesunden Charakter aufzeigen. Dabei werden wir sehen, wie der transnationale Kapitalismus seine Wurzeln sowohl im Patriarchat (der Beherrschung der Frauen durch die Männer) als auch im Anthropozentrismus (der Beherrschung der Natur durch den Menschen) hat. Die Herausforderung, eine Alternative zu entwickeln, besteht zum Teil darin, das Wesen von Macht neu zu fassen, und zwar nicht als Kontrolle, sondern als schöpferisches Potenzial, das in die Beziehungen des wechselseitigen Einflusses hineinverwoben ist.

Aus einer zweiten Perspektive gesehen verbinden sich die Strukturen globaler Ausbeutung und Herrschaft, um unsere Fähigkeit zur Veränderung auf einer psychisch-spirituellen Ebene zu untergraben. Objektive Unterdrückung erzeugt eine psychische Resonanz in Gestalt internalisierter Ohnmacht. Die Schwere der Krisen, mit denen wir es zu tun haben, bringt tendenziell auch eine Dynamik der Verleugnung, Schuld und – wenn wir den Mut haben, die Wirklichkeit ungeschönt zur Kenntnis zu nehmen – der Verzweiflung hervor. Ein Suchtverhalten kann als Abwehrmechanismus entstehen, um die schwer zu ertragende Wirklichkeit nicht wahrnehmen zu müssen. Unser Geist wird abgetötet, und wir hören auf, in vollem Sinn als Menschen zu leben. Die Medien, unser Bildungssystem, der Konsumismus und (in vielen Ländern) militärische Unterdrückung verstärken zusammen mit einer ganzen Reihe subtilerer kultureller Mechanismen diese Herrschaft über den Geist. Unsere Wirklichkeitswahrnehmung selbst ist von einem System verzerrt, das uns zu verführen sucht und jede wirkliche Bewegung in Richtung Veränderung verhindern will.

Um die psychisch-spirituellen Hindernisse, die sich einer Veränderung entgegenstellen, zu überwinden, werden wir darüber nachdenken, wie wichtig es ist, unsere Ängste zuzugestehen, Gemeinschaft aufzubauen sowie Kreativität und Solidarität zu fördern. Darüber hinaus werden wir über die Notwendigkeit nachdenken, unsere Entfremdung von der Natur zu überwinden und wirkliche psychische Genesung zu erlangen, damit wir die innere Kraft finden, die wir brauchen, um für eine tiefgehende Veränderung unserer Welt zu arbeiten. Letztlich ist es unser Ziel, den Geist neu zu erwecken und ein tiefes Gespür des Mitleids zu entwickeln. Mitleid meint die Fähigkeit, sich mit den Freuden und Leiden aller Kreaturen der Erde zu identifizieren. Das bedeutet, in viel tieferem und reicherem Sinne zu leben, als es in den meisten modernen Gesellschaften üblich ist.

Tiefer eintauchen: Kosmologie und Befreiung

Wenn wir den spirituellen Zustand der Ohnmacht betrachten, dann werden wir dahin geführt, eine dritte, vielleicht grundlegendere Perspektive einzunehmen: unsere Wahrnehmung des Wesens der Wirklichkeit selbst. Wir nennen diese Perspektive die kosmologische. Sie stellt möglicherweise die größte Herausforderung dar, doch gleichzeitig auch die an neuen Alternativen reichhaltigste. Unsere Kosmologie umfasst unser Verständnis vom Ursprung, der Entwicklung und dem Sinn des Universums sowie den Ort der Menschen darin. Die Art und Weise, wie wir den Kosmos erfahren und verstehen, unsere „Kosmovision“, bildet den innersten Kern unserer Ansichten über das Wesen von Veränderung.

In den letzten drei Jahrhunderten hat eine mechanistische, deterministische, atomistische und reduktionistische Kosmologie die Menschheit zunehmend beherrscht. In jüngerer Zeit hat der Konsumismus unsere Wahrnehmung der Realität sogar noch mehr eingeengt und trivialisiert. Diese Faktoren zusammengenommen haben unsere Fähigkeit, Veränderung zu denken und schöpferisch zu handeln, ernsthaft beeinträchtigt.

Im Lauf der letzten hundert Jahre jedoch hat sich aus den Naturwissenschaften heraus ein neues Verständnis des Kosmos zu entwickeln begonnen. In vieler Hinsicht erinnert es an eine frühere Kosmologie, wie sie unter autochthonen Völkern immer noch allgemein akzeptiert ist. Diese Kosmologie betrachtet das Universum als einen einzigen Organismus, der auf ganzheitliche Art wirkt. Im Unterschied zu einigen traditionellen Kosmologien nimmt die neue, aus den Wissenschaften herkommende Kosmologie das Universum jedoch als ein sich entwickelndes Universum in den Blick. Der Kosmos ist keine statische, ewig gleichbleibende Größe, sondern vielmehr ein Prozess, der sich ständig entfaltet und neu schafft. Wir werden sehen, dass diese Weltanschauung eine Herausforderung für unser Verständnis der Dynamik von Veränderung darstellt. Sobald wir uns unserer Verbundenheit mit dem Kosmos bewusst werden, wird Veränderung in einem neuen Kontext gesehen, der unsere Annahmen über lineare Kausalität und blinden Zufall von Grund auf infrage stellt. Die Bedeutung von Intuition, Spiritualität und alten Weisheitstraditionen wird immer klarer. Wir gelangen dahin, uns nicht länger als passive Konsumenten oder unbeteiligte Zuschauer in einem Spiel blinden Zufalls zu begreifen, sondern vielmehr als aktive Teilnehmer am unbegreiflichen Geheimnis des Prozesses, in dessen Verlauf das Universum seinen Sinn entfaltet.

Die Ökologie der Veränderung

Sobald wir die verschiedenen Schichten von Hindernissen für den Wandel betrachten und die neue Kosmologie erkunden, wie sie aus den Naturwissenschaften hervorgeht, beginnen wir auch die wechselseitige Beziehung zwischen den Dimensionen eines ganzheitlichen Prozesses der Veränderung zu begreifen. Dies ist etwas, was wir im Bezugsrahmen von Ökologie denken können. Das Wort „Ökologie“ bezieht sich üblicherweise auf das Verhältnis zwischen Organismen und deren Umgebung. In ihrem Wesen geht es um eine Erforschung von wechselseitiger Beziehung und gegenseitiger Abhängigkeit. Wenn man stärker vom Wortsinn ausgeht, dann meint Ökologie „die Erforschung des Heims“ (das griechische Wort oikos, also Heim oder Haus, kann auch als die Erde selbst verstanden werden). Deshalb scheint es angebracht, von einer „Ökologie der Veränderung“ zu sprechen, um damit den Prozess in seinen wechselseitigen Beziehungen zu beschreiben, der in Gang gesetzt werden muss, um die Gesundheit unserer gemeinsamen Heimat, der Erde, wiederherzustellen.

Eine effektive Ökologie der Veränderung wird einer neuen Sichtweise der Wirklichkeit bedürfen, sie braucht etwas, das als konkretes Ziel dienen und uns Hoffnung vermitteln kann. Nach dem Untergang des „Realsozialismus“ in den letzten fünfzehn Jahren (der trotz seiner Beschränkungen wenigstens die Hoffnung nährte, dass irgendeine Alternative möglich sei) ist eine überzeugende Vision von einer veränderten Welt so dringend wie selten zuvor. Wenn wir realistische Wege aufzeigen, wie wir in Würde im Einklang mit der Erde leben können, dann können wir damit anfangen, eine Alternative zu entwickeln, eine das Leben fördernde kraftvolle Strömung der Inspiration, die uns in eine bessere Zukunft vorantreibt.

Eine konkrete Vision einer Welt, die es möglich macht, würdevoll in Einklang mit anderen Kreaturen zu leben, ist die des „Bioregionalismus“. Bioregionalismus entwirft eine Gesellschaft auf der Grundlage von kleinen lokalen Gemeinschaften, die in einem Netzwerk von Beziehungen miteinander verbunden sind, welche von Gleichheit, Miteinander-Teilen und ökologischem Gleichgewicht anstelle von Ausbeutung geprägt sind. Dieses Modell strebt die Schaffung von Gemeinschaften an, die sich selbst tragen und sich selbstständig weiterentwickeln. Die Größe dieser Gemeinschaften entspräche den natürlichen „Bioregionen“ auf der Grundlage der Ökologie, der Geschichte von Natur und Kultur einer bestimmten Gegend, sie wäre von den Werten der Selbstgenügsamkeit und der Harmonie mit der Natur geprägt und gelangte auf diese Weise zu gemeinschaftlicher Entscheidung, zur Befriedigung individueller Bedürfnisse und zum Aufbau einer lokalen Kultur. (Nozick 1992)

Auf den ersten Blick mag eine solche Vorstellung als unrealistisch, ja utopisch erscheinen. Doch im Laufe der Lektüre dieses Buches wird es zunehmend klarer werden, dass dieses Modell viel besser in Einklang mit den Bedürfnissen der Menschheit und dem sich entfaltenden evolutionären Prozess des Kosmos steht als die Strukturen von Herrschaft und Ausbeutung, die zurzeit unserem Planeten Gewalt antun. Uns ein Modell in diesem Sinne anzueignen könnte in der Tat unsere einzige echte Hoffnung auf ein zukünftiges lebenswertes Leben sein.

Schließlich wollen wir unsere Einsichten noch einmal durchgehen, vertiefen und in eine Einheit bringen, indem wir einige mögliche Prozesse beschreiben, wie man sich dem Tao der Befreiung öffnen und es verwirklichen kann. Auf diese Weise werden auch die Umrisse der Ökologie der Veränderung deutlicher hervortreten. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass dies ein neues Nachdenken und neue Prozesse anstößt, welche die Praxis all derer bereichern können, die sich um die Gesundung und das Wohlbefinden der planetarischen Gemeinschaft sorgen.

Letztlich ist es der Sinn dieses Buches, in all den Kämpfen um die Verbesserung und Stärkung der menschlichen und nichtmenschlichen Lebensgemeinschaft der Erde neue Hoffnung und schöpferische Energie zu vermitteln. Gewiss steht unsere Aufgabe unter dem Vorzeichen der Dringlichkeit. Der Weg, der vor uns liegt, wird nicht leicht sein. Duane Elgin gebraucht für die Zeit, die uns bevorsteht, den Ausdruck „planetarische Kompression“: Die Krisen des ökologischen Niedergangs und der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, des Klimawandels und der Armut werden uns in einen Strudel von Zwängen hineinziehen, wobei „die menschliche Zivilisation entweder im Chaos versinken wird oder in einem spiralförmigen Prozess der Veränderung emporsteigt“ (1993, 120). Wir können weitreichende Veränderungen vermeiden und damit in eine Zukunft mit größerem Elend, Armut und ökologischer Zerstörung abgleiten, oder wir können aufwachen, uns der Dringlichkeit und Radikalität der erforderlichen Veränderungen stellen und das Tao der Befreiung wählen.

Wenn wir uns zu Letzerem entschließen, dann gibt es eine Chance für ein spirituelles Erwachen der Menschheit und eine neue planetarische Zivilisation, in der Schönheit, Würde, Vielfalt und der uneingeschränkte Respekt vor dem Leben das Zentrum von allem bilden – eine echte Große Wende. Wir hoffen, dass die Überlegungen in diesem Buch zu der Weisheit beitragen können, die wir brauchen, um wirkungsvoll für eine solche Veränderung zu arbeiten.

Befreite Schöpfung

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