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Vorwort*

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Um es gleich zu bekennen: Diese kurze essayartige Erzählung über ein Ereignis und eine Person der sizilianischen Geschichte, die fast vergessen sind, ist mir das Teuerste von allem, was ich geschrieben habe, und das Einzige, was ich immer wieder lese und worüber ich mir den Kopf zerbreche. Der Grund: Es ist tatsächlich ein nicht abgeschlossenes Buch, eines, das ich nie abschließen werde, das ich immer neu zu schreiben versucht bin, und das ich doch nicht neu schreibe, solange ich darauf warte, noch etwas zu entdecken: ein neues Dokument, eine neue Erkenntnis, die aus mir längst vertrauten Dokumenten aufscheint, irgendein Indiz, eine Eingebung in einem Zustand zwischen Traum und Wachen, wie es Simenons Maigret widerfährt, wenn eine Ermittlung ihn nicht mehr loslässt. Doch abgesehen von dieser Leidenschaft für das noch ungelüftete Geheimnis, das zu lüften mir noch nicht vergönnt ist, muss hier Folgendes vermerkt werden: Mein kleiner Text hat um sich herum so etwas wie ein Vakuum erzeugt, hinter dem Misstrauen, Verärgerung und Groll stehen.

Als ich voriges Jahr in Spanien in den Antiquariaten nach Werken über Azaña und eben auch nach Werken über die Inquisition suchte, musste ich feststellen, dass die Buchhändler nicht mit der Wimper zuckten, wenn ich nach Büchern über den letzten Präsidenten der Republik fragte, jedoch erstarrten, wenn sie die Frage nach Büchern über die Inquisition hörten. In Barcelona ließ sich ein Buchhändler zu der vertraulichen Erklärung hinreißen, dass es heutzutage nicht mehr riskant sei, Bücher über die Republik oder Persönlichkeiten wie Azaña vorrätig zu haben und zu verkaufen (im Übrigen waren in den Schaufenstern sämtlicher Buchhandlungen Das Kapital und die Briefe von Gramsci ausgestellt), was aber die Inquisition angehe, da sei Vorsicht geboten. Und wie es so scheint, ist auch in Italien Vorsicht geboten, denn allerorts gibt es in Sachen Inquisition (nicht die als Institution, sondern Inquisition als Prinzip, als System) Personen und Einrichtungen, die einen »Schwanz aus Stroh« oder »nasse Kohlen«, also Dreck am Stecken, etwas zu verbergen haben: zweifelsohne treffende Redensarten, denkt man an die schönen Feuer von einst. Und da kommt einem die Stelle in den Brautleuten in den Sinn, wo der Mesner auf den Hilferuf Don Abbondios hin Sturm läutet, und jedem der beiden Spitzbuben, die in Lucias Haus im Hinterhalt liegen, »ist, als höre er in diesen Glockenschlägen seinen Namen samt Zu- und Beinamen rufen«. Genauso geschieht es, sobald man das Thema Inquisition anschlägt: Viele Ehrenmänner hören sich sogleich bei Vor- und Nachnamen nebst ihrer Parteibuchnummer aufgerufen. Und ich spreche, das versteht sich, nicht nur von Ehrenmännern katholischen Glaubens. Die Menschheit hat weitere Formen der Inquisition erduldet und erduldet sie noch immer, weswegen, wie der Pole Stanisław Jerzy Lec sagt, die Klugheit danach verlange, nicht über den Strang zu sprechen, weder im Haus des Erhängten noch im Haus des Henkers.

Die Wirkung also, die Tod des Inquisitors auf diese Ehrenmänner gehabt hat, die Überheblichkeit, mit der sie darüber gesprochen oder geschwiegen haben, ist der andere Grund, weshalb mir dieses Buch so am Herzen liegt.

Bleibt noch zu sagen, dass ich unter Befolgung der Hinweise, die mir meine Leser großzügigerweise haben zukommen lassen, einige Korrekturen am Text vorgenommen sowie eine Anmerkung über eine kürzlich gemachte Entdeckung im Palazzo dello Steri in Palermo, dem früheren Sitz der Inquisition, hinzugefügt habe.

1967 – Leonardo Sciascia

Ein Sizilianer von festen Prinzipien

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