Читать книгу Der falsche Schah - Leonhard F. Seidl - Страница 10

Der tiefe Fall

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Das Klatschen und Jubeln der Rothenburger Bürger war noch nicht verstummt, da hat der König gespürt, dass hinter ihm was vor sich geht. Der Dolmetscher, der seine Aufgabe wirklich bravourös gemeistert und zum Gelingen von Königs Lebenshöhepunkt beigetragen hat, ist mit seinem granatapfelroten Schädel neben ihm gestanden und hat sich mit dem Taschentuch über die Stirn getupft; eigentlich hätt er einen Putzlappen gebraucht. Aber, wie bitte, hätte das ausgeschaut beim Dolmetscher vom Schah Mohammad Reza Pahlavi?

Dann hat der König die Hand von der Farah Diba genommen. Es ist ein Raunen durch die Menge auf dem Marktplatz gegangen. Und ein freudiges, romantisches Seufzen ist herausgestochen: die Stimme seiner Mutter. Sie anzuschauen, dazu ist er nicht mehr gekommen, weil ihn die Farah Diba aus ihren dattelbraunen Augen angeschaut hat. Weil sie natürlich überrascht war, dass der Schah, der sonst immer so darauf bedacht war, Contenance zu bewahren, ihr in aller Öffentlichkeit die Hand gibt, Zuneigung oder sogar Zärtlichkeit zeigt. Das Streicheln vom König seinem Daumen über ihren Handrücken war fraglos zärtlich und hat sie an die letzte Nacht im Hotel Eisenhut erinnert. Und König, als könne er Gedanken lesen, hat durch seine Sonnenbrille zurückgeschaut und das Gefühl gehabt, dass sein Kopf mit seinem Herz mitbumpert. Weil der so voller Bilder war: vom Bett mit dem Engel über dem Kopf. An dem er sich angehauen hat. Von der Anna, die extra nicht auf den Marktplatz gekommen ist, um ihn nicht abzulenken. Dann wieder von Farah Diba im Nachthemd. Dann wieder von Anna, die ein so unglaublicher Mensch ist. Die ihn so liebt, dass sie gesagt hat: „Wenn du das machen musst, dann mach das.“ Einfach unglaublich. Weil, es ist ja nicht nur die Nacht mit der Farah. Es ist so viel mehr. Nämlich, das, was jetzt noch kommen wird, von dem beide gewusst haben, dass es kommen wird, aber keiner von beiden drüber geredet hat.

Dem König sein Kopf war wie ein Kinoprojektor, auf dem eine Filmrolle durchdreht, weswegen man auf der Leinwand ganz viele Bilder auf einmal sieht und deswegen keines so richtig.

Die Filmvorführung gestoppt haben die zwei Perser im Anzug hinter ihm. Mit Sonnenbrillen, obwohl an dem Tag gar keine Sonne geschienen hat. Jeder von denen hat einen Arm vom König gepackt, und zwar so, dass man es vom Marktplatz aus nicht gesehen hat. „Let’s go“, haben sie geflüstert, weil sie ja nicht gewusst haben, dass der König auch Farsi kann.

Der König streichelt der Farah Diba noch einmal über ihre Hand, über die Samthandschuhe, flüstert ihr was ins Ohr, was ich dir jetzt nicht verraten werd, ihm aber später noch helfen wird. Und dann geht er mit ihnen.

Wenn du jetzt aber glaubst, die bringen ihn gleich auf die Polizeiwache, dann täuscht du dich gewaltig. Weil, zum einen sind sie sich ja nicht sicher, ob es wirklich der falsche Schah ist, weil er ja genauso ausschaut wie der Reza Pahlawi. Und die Farah Diba so intim mit ihm ist und sie in der Nacht im Eisenhut noch intimer miteinander waren, was die SAVAK-Geheimdienstler sogar mitbekommen haben. Und zum anderen haben die Geheimdienstler schon zuhause im Iran die Leut nicht auf die Polizeiwache gebracht, um dann mit ihnen das zu tun, was sie jetzt mit dem König vorhaben. Weil, obwohl es im Iran alle gewusst haben, hat es keiner wissen dürfen. So ein bisserl wie bei den Nazis.

Die beiden Geheimagenten geleiten den König also, noch wie einen Kaiser, ins Rathausinnere. Durch eine Holztür in das kühle Treppenhaus. Worin der König sich vorgekommen ist wie in einem Schneckenhaus. Als würde er nach oben geschraubt werden und gleichzeitig immer tiefer ins Innere vordringen. Aber eigentlich war es andersrum. Er ist aus dem Inneren der Macht wieder nach außen befördert worden, zurück zum „normalen“ Menschen. Der jetzt dazu gebracht werden sollte, zu sagen, warum er das gemacht hat. Ob er für die Amis arbeitet oder für die Russen. Damals war das ja alles noch ganz brisant; der Kalte Krieg. Da hat der eine Angst gehabt, dass der andere die Atombombe zündet und riesige Schwammerl wachsen, nicht nur im Wald von Grünwald oder im feuchten Taubertal an den Bäumen inmitten vom Moos.

Neben den grauen, steinernen Treppenstufen hat sich ein ebenso steinernes Treppengeländer – abgerundet, ein Handschmeichler – nach oben geschoben. Die Agenten, die den König immer wieder ein bisserl geschubst haben, haben wunderbar in dieses Steinambiente gepasst. Und einmal, wie er fast gestolpert wär, weil ihm einer der beiden Büffel einen zu harten Stoß gegeben hatte, hat der König nach oben geschaut und sternförmige Verflechtungen mit Wappen an den Enden gesehen.

Hinter der wuchtigen Holztür geht der König in den nächsten Raum, die Agenten machen ihm, gewohnheitsmäßig, die Tür auf. Worauf er sich schon wieder besser fühlt. Trotzdem wartet er jeden Moment darauf, dass hinter dieser Tür was auf ihn wartet, aber da wartet nix und keiner. Deswegen versucht er es mit der bewährten kindlichen Geisteshaltung, er ist ein Entdecker, weil er ja noch nie auf dem Rothenburger Rathaus war, weil er weiß, dass er seine ganze Kraft, seinen ganzen Mut noch braucht, zusammennehmen muss, weil ihn die zwei wahrscheinlich noch auseinandernehmen werden und das nicht nur im sprichwörtlichen Sinne.

Die Türen knarzen wie in einem Horrorfilm. Es geht an wuchtigen Deckenbalken vorbei, mit kantigen Nägeln, die in Rothenburg nix Bsonders sind. Das Licht wird immer weniger. Das Schildl „Bitte nicht rauchen!“ kann er gerade noch lesen. „No Smoking!“ steht direkt drunter, in schöner, geschwungener Schrift, dass es für jeden Lehrer, außer für den König, eine Freude gewesen wäre – aber schon viel unfreundlicher. Vielleicht kriegt der König deswegen auf einmal Lust, eine zu rauchen, obwohl es ihm bis jetzt nie richtig geschmeckt hat. Als wollte er das ungute Gefühl mit einem unguten Geschmack in Rauch aufgehen lassen.

Dann geht’s leicht bergab und wieder rauf, ins Gebälk. Der Agent hinter ihm schnauft, hat vielleicht zu viel geraucht. Die Treppe wird enger. Die Steinwand gröber. Die Decke kommt näher. Wird schief. Der König muss an seine widerständische Tochter Aurelia denken. Bei dem Gedanken, dass sie gegen ihn protestiert hat, muss er schmunzeln. Ob sie schon in einer Zelle sitzt? Sein kleines Widerstandsgewächs. Ein stolzes Lächeln vertreibt die ungute Vorahnung.

Die nächste Tür ist mit Eisenstreben beschlagen. Der Putz quillt zwischen den groben Steinen heraus. Lebt. Nein, doch kalt und tot.

Und dann wird es endlich heller. Ein Fenster. Die Dächer. Die Häuser. Die schmalen Gassen. Die er kennt. Grün, mit lachendem Fenstergesicht. Weiß, von Fachwerk durchzogen, mit tausend Augen im roten Dach. Obwohl das Fenster fast blind ist von der Sonne, von Wind und Wetter. Blendung als Strafe, wenn man nicht gespurt hat. Wie im Frühmittelalter, ja, in unsere Breiten, mit einem rotglühenden Stückerl Eisen, das so nah an die Netzhaut gehalten worden ist, dass sie zerstört wurde und die Augenflüssigkeit ausgetrocknet ist. Ein Blick wie eine getrocknete Goji-Beere, die sich manche heut als Superfood ins Essen tun.

Bevor der König weiter drüber nachdenken hätt können – wenn er die Goji-Beeren damals schon gekannt hätt –, wie es sich anfühlt, eine Superbeere im Auge statt im Müsli zu haben, ist es die nächste Holztreppe raufgegangen, die noch enger war. Er hat also stattdessen darüber nachgedacht, dass im Byzantinischen Reich einmal geblendet worden ist, um die Kaisernachfolge zu verhindern, und hat sich gedacht: Passt!

Und hat sich den Schädel angehauen, dass für einen Moment gar nix mehr gepasst hat, weil die Tür, durch die sie ihn geschoben haben, so winzig war, der Schmerz und sein Schädel aber so groß und hoch und voller Bilder. Dann wieder ein Fenster. Nicht ganz so blind. Dahinter: rote Häuserdächer, verwitterte Schindeln. – Die Anna hat mal gesagt „Bunt schauen die alten Dächer aus“ und der König hat geantwortet: „Nein!“

Und dann war’s auch wieder gut, weil: Blick ins dunkelgrüne Taubertal. Treppauf, treppauf. Zwischen Latten, Balken und gekalkter Wand, noch ein Fenster, enger, höher, schmaler. Gitter vor dem winzigen Loch ins Freie, voller Taubenschiss. Die Stadtmauer, das Kirchdach, das Kreuz. Ein zweigeteiltes Fenster: das Hotel Eisenhut, Farah Diba, die letzte Nacht, Herrngasse, der Herrnbrunnen, der Burgturm, das Stadttor.

Die nächste Treppe erinnert an eine Speichertreppe, die man zuvor runterlassen muss. Das Letzte, was er sieht, bevor er raufsteigt, ist das gemalte Holzschild, das ausschaut wie eine Todesanzeige und auf dem, natürlich in Frakturschrift, steht: „Für Unfälle wird nicht gehaftet.“ An zwei kalten Eisengriffen zieht er sich am Ende der Leiter nach oben, saugt die tiefe Luft frisch ein. Er saugt die tiefe Luft frisch ein …? Aber hoppla! War dein Hirn grad genauso faul und hat das Überlesen? Lassen wir es mal so stehen, im Angesicht der verdrehten und brenzligen Situation.

Auf alle Fälle steht der König jetzt noch höher als er vorhin gestanden hat, bei seiner Rede. Was gar nicht so hoch war, weil er ja aus Sicherheitsgründen nicht auf dem Balkon des Rathauses gestanden hat, sondern unter den Altanen, wir einfachen Leut würden sagen: unter dem Balkon.

Er steht also da oben. Schaut hinunter auf die Leut, die ihm gerade noch zugejubelt haben. 220 Stufen später sehen deren Köpf aus wie Stecknadeln auf einem Stecknadelkissen; nur nicht so bunt. Oder wie Ameisen auf einem Haufen. Immer am Umeinanderwuseln, am Arbeiten und am Ratschen. Wenn’s um die Königin geht, um den Nachwuchs, dann kennen sie gar nix. Ein bisserl wie eine kollektive Helikoptermutter.

Ja, die Ameisen: Kurz bevor sie sterben, ziehen sie sich aus ihrem Haufen zurück und verenden jammerseelenallein, um die anderen nicht anzustecken. Das Kollektiv bedeutet alles, der einzelne nur dann etwas, wenn er was zum Kollektiv beiträgt. Da wird dem König bewusst, wie wenig der Einzelne auch da unten im Grunde doch zählt. Außer, er ist von Rang und Namen – wie er gerade, als Schah. Jetzt, wo ihn nicht mehr tausend Augen ehrerbietig anschauen, erlaubt er sich sogar ein kurzes Lächeln. Mal schauen, was ihm blüht, weil er gegen dieses ungeschriebene Gesetz verstoßen hat.

„Ganz schön hoch“, sagt der kleinere der zwei iranischen Geheimagenten wie nebenbei. Und schaut dabei durch seine Sonnenbrille nach oben, zum größeren. Wie ein Kind, das um Aufmerksamkeit heischt, zu seinem Vater. Vielleicht will er ja aufsteigen und Ober-Geheimdienstrat werden. Natürlich meint er mit „Ganz schön hoch“ den König. Oder? Obwohl der Kollege mit dem spitzen Kinn jetzt nickt. Und „Allerdings“ sagt. In welcher Sprache, das überlasse ich gerne deiner Fantasie, weil der König, der kann ja Deutsch, Englisch und Farsi, und ich weiß jetzt nicht, was du alles kannst. Und wenn ich dir jetzt da hinschreibe, was der SAVAK-Agent auf Farsi sagt, dann verstehst du das vielleicht nicht. Also bleiben wir mal beim Deutsch und beim Du, weil: persönlicher. Was wir jetzt schon alles zusammen erlebt haben und noch erleben werden, da kann man sich eigentlich gar nicht mehr siezen, oder?

„Eure Majestät befinden es vermutlich ebenfalls als hoch?“, sagt der Größere.

Der König antwortet darauf „Die Höhe ist eine Frage der Größe“ und versucht, nicht mehr nach unten zu schauen, auf das sechzig Meter entfernte, steinharte Kopfsteinpflaster.

Der falsche Schah

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