Читать книгу Literatur? Skandal! - Leonie Langer - Страница 7

Оглавление

1. Einleitung

„Das zurückliegende Jahr hat einen dramatischen Wandel der Medienwelt offenbar werden lassen. Skandalisierung und Boulevardisierung, Krisensucht und Konformismus sind […] die vier apokalyptischen Reiter der Medien.“1 So fasst der Publizist Hans-Ulrich Jörges das Jahr 2012 rückblickend zusammen. Dass diese ‚apokalyptischen Reiter‘ nicht nur die Bereiche Politik – ein besonders großes Ausmaß nahm der Skandal um den nunmehr ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff an –, Wirtschaft oder Sport erreicht haben, sondern auch vor eher schöngeistigen Themen nicht Halt machen, zeigen zwei Literaturskandale, die im Frühjahr 2012 die Medien beschäftigten: der um Christian Krachts Roman Imperium und der um Günter Grass’ Gedicht Was gesagt werden muss. Dass Literatur, Lyrik gar – ansonsten nicht gerade ein Thema, dem die Öffentlichkeit besonders viel Aufmerksamkeit schenkt –, für solch einen Aufruhr sorgt, zeugt von einer Empörungsbereitschaft der Medien, die es im Folgenden zu untersuchen gilt.

Literaturskandale sind nichts Neues2; seit den Anfängen der Literatur gibt es „Skandale, Affären und Causes Célèbres“3. Sie können wichtige Diskussionen anregen und gesellschaftliche Fragen aufwerfen. Auch die beiden vorliegenden Fälle sind durchaus diskutierbar: Der Vorwurf des Spiegel-Journalisten Georg Diez, Christian Krachts Roman Imperium lasse das rechte Gedankengut des Autors erkennen, wirft Fragen etwa über das Verhältnis von Autor und seinen (Erzähler-)Figuren und über die Vorgehensweise der Literaturkritik auf. Die in Grass’ Gedicht Was gesagt werden muss geäußerte Israelkritik und die zur Schau gestellte Selbstinszenierung des Verfassers als Mahner und Tabubrecher geben Anlass zur Diskussion u.a. über Aufgaben und Grenzen von Literatur. Insofern kann man es durchaus als berechtigt erachten, dass in beiden Fällen Debatten entstanden sind. Allerdings rücken die inhaltlichen Fragen allzu schnell in den Hintergrund, vielmehr scheint es um das Herbeischreiben und Aufrechterhalten eines Skandals und um die Fokussierung auf die am Skandal beteiligten Personen zu gehen.

Die beiden Fälle wurden nicht nur aufgrund ihrer Aktualität als Analysegrundlage ausgewählt, sondern gerade weil durch die differierenden Ausgangssituationen die Analogien der Mechanismen besonders deutlich werden. Denn so unterschiedlich die beiden Fälle, die beiden Autoren und die beiden Texte selbst auch sind, es lassen sich bestimmte Parallelen in Bezug auf den Umgang der Medien mit ihnen feststellen. Am Beispiel der beiden vorliegenden Debatten soll gezeigt werden, dass Skandale „keine natürlichen Reaktionen auf Missstände, sondern die Folge von Mechanismen öffentlicher Kommunikation“4 sind, bei denen die eigentlichen Inhalte allzu schnell sekundär werden.

Im folgenden Kapitel werden die beiden Skandale in ihrer Verschiedenartigkeit kurz vorgestellt. Dabei soll die ‚Skandalliteratur‘, d.h. Krachts Roman und Grass’ Gedicht, bzw. ihr ‚Skandalpotential‘ vorgestellt werden, wobei auch der Umfang der jeweiligen Debatte beleuchtet wird. Die Frage, ob es sich bei den Skandalen um ‚echte‘ oder um ‚Pseudo‘-Skandale handelt, wird ebenfalls kurz erörtert. Auf dieser Grundlage soll in Kapitel 3 die Berichterstattung der deutschen Presse, insbesondere des Feuilletons, analysiert werden. Dabei werden fünf Thesen in Bezug auf die Mechanismen der Skandalisierung aufgestellt, die zu Beginn eines jeden Unterkapitels kurz allgemein erläutert werden.

Anschließend wird untersucht, inwiefern sich die Thesen in den Skandalen um Kracht und Grass verifizieren lassen. Das Hauptaugenmerk bei der Analyse liegt auf dem Printjournalismus, unter Berücksichtigung der Online-Ausgaben der jeweiligen Zeitungen; die politische Dimension des Skandals um Günter Grass soll weitgehend unberücksichtigt bleiben. Kapitel 4 dient der Erörterung der Folgen der Skandalisierung. Am Beispiel der Debatten um Kracht und Grass soll hier der Frage nachgegangen werden, inwiefern Skandale (Meta-)Debatten anstoßen können, die über die reine Skandalberichterstattung hinausgehen.

Da es im Folgenden in erster Linie nicht um die Beschaffenheit der Primärtexte, sondern um den medialen Umgang mit ihnen im deutschen Feuilleton geht, handelt es sich weniger um eine literatur- als um eine medienwissenschaftliche Arbeit.

1 Hans-Ulrich Jörges: „Wenn die Bestie erwacht.“ In: Stern, 27.12.2012.

2 Siehe dazu z.B. Hans-Edwin Friedrich (Hrsg.): Literaturskandale. Frankfurt am Main: Peter Lang 2009 und Stefan Neuhaus und Johann Holzner (Hrsg.): Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. Besonders in der Moderne gehört der Skandal zur Literatur dazu, er „liegt im Begriff der Moderne eingebettet und ist daher ein Qualitätsmerkmal moderner Literatur.“ Volker Ladenthin: „Literatur als Skandal.“ In: Neuhaus/Holzner (Hrsg.): Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen, S. 19.

3 Hans-Edwin Friedrich: „Literaturskandale. Ein Problemaufriss.“ In: ders. (Hrsg.): Literaturskandale, S. 8.

4 Hans Mathias Kepplinger: Die Mechanismen der Skandalisierung. Zu Guttenberg, Kachelmann, Sarrazin & Co.: Warum einige öffentlich untergehen – und andere nicht. München: Olzog 2012, S. 8.

Literatur? Skandal!

Подняться наверх