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Drei Herren für den Vorstand
ОглавлениеIn der Anstalt war nicht nur alles besser und höherwertiger als in der alten Verwaltung, sondern hinzu kam auch sehr viel Neues und Modernes, was man früher so in den verstaubten Büros, wie der junge Staatssekretär von Gutental sich gerne ausdrückte, gar nicht gekannt hatte. So mussten nun zum Beispiel auch neue Strukturen und Hierarchien eingeführt werden. Gab es früher Präsidenten, konnte sich nun das moderne Dienstleistungsunternehmen mit einem Vorstand schmücken. Ein Vorstand für das staatliche Unternehmen bestand selbstverständlich wie in jedem Unternehmen aus einem Sprecher des Vorstandes und weiteren Vorstandsmitgliedern.
Freudig registrierten die Ministerialbeamten, dass auf diese Art endlich einmal für den Staatsdienst recht ungewöhnliche Positionen vergeben wurden. Mancher Ministerialbeamte träumte nun nachts heimlich von den vermeintlich begehrenswerten Vorstandsposten. Sprecher des Vorstandes oder gar Finanzvorstand hörte sich in vielen Ohren sehr verlockend an. Insgeheim wurden hinter vorgehaltenen Händen Themen diskutiert, die insbesondere die Fragen, ob ein Vorstand wohl viel arbeiten müsse oder ob er eventuell häufig auf Empfänge bei den großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen eingeladen werden würde, betrafen.
Das Zweite klang in ministeriellen Ohren recht verlockend. Dennoch war man sich in der Mittagsrunde in der Kantine des Ministeriums einig, dass man sich bei so einer Neugründung nie ganz sicher sein konnte, da sich das gesamte Unternehmen doch erst einmal würde einlaufen müssen.
Einige von den Herren und Damen dachten bei sich, dass sie vielleicht doch lieber den Kollegen aus dem Nachbarreferat für die nächsten Jahre den Vortritt lassen sollten. „In das gemachte Vorstandszimmer kann man ja auch noch in drei Jahren einziehen“, sagte der Referent des alten Staatssekretärs Herr Maier, der mittlerweile zum Unterabteilungsleiter aufgestiegen war, lachend zu seinem Kollegen dem Abteilungsleiter der Steuerabteilung als sie sich auf dem Neujahrsempfang des Ministers mit einem Gläschen Sekt zuprosteten.
Auch die Damen und Herren in der Personalabteilung des Ministeriums machten sich als Eigentümer eines Unternehmens so ihre Überlegungen über die Personalien. Für die Größe der Anstalt, die nahezu einem Dax Unternehmen entsprach, würde kein Manager gefunden werden, der mit staatlichen Bezügen bezahlt werden könnte. Auch wenn das Ministerium bereit war, in diesem außergewöhnlichen Fall weit höher als im normalen Beamtenbesoldungsgefüge zu bezahlen, würde das Budget nicht für einen Manager auch nur der dritten Reihe reichen. Dennoch mussten Köpfe mit Namen her.
Die wichtigste Stelle, nämlich die des Sprechers des Vorstandes, war am ehesten vergeben, da man sich innerhalb des Ministeriums sehr schnell einig war, dass trotz den Anforderungen, die ein großes Unternehmen an einen Vorstandssprecher stellen sollte und aller Wirtschaftlichkeit, der wichtigste Mann aus der Verwaltung und dem Ministerium selber kommen musste. So bot es sich an, einen hohen Ministerialbeamten, der bereits seit vielen Jahren die Aufsicht über die alte Verwaltung innegehabt hatte, zu ernennen.
Dieser kannte praktischerweise auch bereits die meisten Liegenschaften der Verwaltung durch eigene Anschauung. In einer Vielzahl von Dienst- und Privatreisen, die ihn insbesondere auf seine Lieblingsliegenschaften, die zufällig auf der schönen Insel Sylt lagen, führten, hatte er sein Interesse an der Materie offensichtlich und nachweislich dokumentiert.
Dass die Person Herr Dr. Kleist eine äußerst glückliche Wahl war, zeigte auch sein ungebrochener Arbeitseifer, der ihn selbst als Ministerialbeamter in höchster Position nicht davon abhielt, eigenständig Sachbearbeitung durchzuführen, wenn er dies für notwendig erachtete. So hatte er sich zum Leidwesen der Personalabteilung häufig persönlich um das Schicksal von Mitarbeitern gekümmert, die ihm ihr Leid bei einer Liegenschaftsbesichtigung in Oberammergau oder in Gelsenkirchen geklagt hatten.
Er setzte sich unbeirrt durch irgendwelche Sachzwänge für die Menschen ein. So kam es häufig nach Liegenschaftsbesichtigungen von Herrn Dr. Kleist vor, dass Mitarbeiter entsprechend ihrer Wünsche – was natürlich wegen deren ignoranten Vorgesetzten längst überfällig war - befördert wurden oder auch nur an ihren Wunschstandort versetzt wurden. Zum Glück kannte sich Herr Dr. Kleist im Personalgeschäft aus. Und zum Glück für die Personalabteilung hielten sich seine Reisen wegen der Liebe zu der Sachbearbeitung der Akten im Ministerium an seinem Schreibtisch doch einigermaßen in Grenzen.
Aber nicht nur Personalangelegenheiten nahm er höchst persönlich in die eigene Hand, sondern Herr Dr. Kleist kümmerte sich bei Bedarf auch um wichtige Liegenschaftsangelegenheiten, wie zum Beispiel die Beseitigung von Taubendreck auf den Dächern von Wohnliegenschaften oder auch bevorzugt gerne um einzelne Mieterbeschwerden. Sein Motto war: „Wenn Du nicht weißt, was Du ansonsten machen sollst, lege selber Hand an.“ So verfuhr er täglich ungeachtet der Tatsache, dass es viele Liegenschaftssachbearbeiter gab, die für dafür bezahlt wurden, solche Beschwerdeschreiben von Mietern zu beantworten.
Herr Dr. Kleist war der Ansicht, dass letztlich nur einer jegliche Arten von Schreiben gut beantworten konnte. Und das war nach seiner Meinung der, der am höchsten über allen angesiedelt ist, denn der saß seiner Meinung nach dort, weil es ihm wegen seiner guten Grammatik und Kenntnis der deutschen Sprache zustand. Zwar fehlte es einem hohen Ministerialbeamten zugegebenermaßen auch aus der Sicht von Herrn Dr. Kleist ein wenig an der Ortsnähe. „Aber was ist schon das Kriterium Ortsnähe, wenn man doch aus der Höhe den besten Überblick hat“, pflegte Herr Dr. Kleist immer zu sagen.
Hinzu kam, dass es keinen Bearbeiter im großen Ministerium gab, der so exzellent die Rechtschreibregeln beherrschte und so brillant formulieren konnte, wie er selber. Zumindest war er selber der Ansicht und dokumentierte dies stündlich, indem er gewissenhaft und sehr genau selbst die kleinsten Notizen der ihm untergebenen Referatsleiter korrigierte. Der Minister musste seiner Auffassung nach dankbar sein, dass er so eine vorbildliche Arbeitskraft in seiner Nähe hatte.
Bereits in den 80ger Jahre hatte ein Mieter der schönen Schwabinger Wohnliegenschaft am Englischen Garten in München, dem damaligen Finanzminister Waigel sein Leid in einem Brief geklagt: „Lieber Herr Finanzminister Waigel“, schrieb Herr Xavier Schönhuber, „nun wohne ich bereits drei Monate in dieser Wohnung und mein Wasserhahn im Badezimmer tropft immer noch. Bitte kümmern Sie sich endlich um diese dringliche Angelegenheit. Mit freundlichen Grüßen Xavier Schönhuber.“
Da der Finanzminister gerade durch ein europäisches Gipfeltreffen mit seinen Kollegen an der Beantwortung des Briefes gehindert war, übernahm Herr Dr. Kleist persönlich diese Angelegenheit und scheute sich auch nicht, alle drei Wochen bei der Ortsverwaltung München nachzufragen, ob denn nun der Wasserhahn endlich repariert sei. Da er einmal so gut im flow war (auch ein Wort, das er von einem Berater aufgeschnappt hatte), beantwortete er noch gleich ein weiteres Beschwerdeschreiben der Familie Hölzel, die sich über das sonntägliche Schnitzel klopfen auf dem Küchentisch ihrer Überbewohner beschwerte.
Nachdem sich seine Adresse im Ministerium bei den Mietern herum gesprochen hatte, erhielt Herr Dr. Kleist täglich einen ganzen Sack voller Beschwerden und Wünsche. Der Bote Herr Kurtz, der im Ministerium die Post in die Zimmer brachte und für Herrn Dr. Kleist mehrmals extra Botengänge einlegen musste, meinte eines Tages zu Herrn Dr. Kleist: „Herr Doktor, wenn ich nicht wüsste, dass Sie hier was ganz Großes sind, würde ich denken Sie sind der Nikolaus. Das sind ja ganze Säcke mit Wunschzetteln, die ich hier zu Ihnen reinkarre.“
Nach einiger Zeit wurde die viele Post auch Herrn Dr. Kleist zu lästig. Er engagierte einen Berater, der ihm bei einem befreundeten Psychologen ein Einzelcoaching empfahl. Am Ende dieses teuren, aber lehrreichen Tages wusste Herr Dr. Kleist, dass er auch seinen Mitarbeitern ein wenig Vertrauen entgegen bringen müsste und sei es nur dadurch, dass er diese die Entwürfe für die Antwortschreiben fertigen ließ.
Neben seiner tüchtigen Fach- und Sacharbeit sagte man Herrn Dr. Kleist aber auch weitreichende Beziehungen in den politischen Raum nach. Ehrfürchtig wurde dieser Begriff überall in der gesamten Außenverwaltung ausgesprochen. „Weit-rei-chen-de Be-zie-hungen in den politischen Raum“, flüsterten sich die Referenten bei ihrem monatlichen Stammtisch zu. Man konnte sich dazu so viel vorstellen. Und gerade auch diesem Grunde machten sehr viele Halb- und Viertelwahrheiten in der großen Verwaltung die Runde.
Alle wussten, dass Herr Dr. Kleist einer großen Partei angehörte, für die er auch noch neben seinen vielen Posten in Aufsichtsräten tätig war. „Aber was tat er noch im politischen Raum?“ fragte man sich hinter vorgehaltenen Händen. Man mutmaßte, dass Herr Dr. Kleist vielleicht mit der Bundeskanzlerin golfen ging oder den Verteidigungsminister auf den Bahamas traf. Man war sich sicher, dass ihn alle Militärs auf der Hardthöhe kannten und darum wetteiferten, mit ihm fischen oder auch nur kegeln gehen zu dürfen.
Einige Damen fragten sich, ob sich die Beziehungen gar auf das weibliche Geschlecht bezögen. Keiner wusste genau, wie weit das sogenannte „weitreichend“ eigentlich war. Nein, zu dieser Personalentscheidung des Ministeriums konnte keiner etwas sagen. Herr Dr. Kleist war einfach erste Wahl.
Der zweite Vorstand kam aus der Wirtschaft. Zum Glück fand man mit Herrn Dr. Müller-Niederthal einen Mann, der nicht nur einen Doktortitel aufwies, sondern auch als studierter Betriebswirt in den vergangenen Jahren erhebliche Erfahrungen in den Neuen Ländern mit insolventen Firmen und Unternehmen gesammelt hatte. Da er einige von Ihnen in die Insolvenz begleitet hatte und seine letzte Firma nicht einmal mehr aus der Masse sein weiteres Gehalt zahlen konnte, war er trotz seiner Hochkarätigkeit gerne bereit, seine Erfahrungen in die neue Deutsche Anstalt einzubringen.
Seine Verhandlungssicherheit stellte er gleich bei den Gehaltsverhandlungen unter Beweis. So brachte er den Eigentümer der neuen Anstalt, das Ministerium dazu, ihm nicht nur mehr als das doppelte Gehalt seiner beiden Mitstreiter zu zahlen, sondern sicherte sich weiterhin eine gut dotierte Erfolgsprämie, die durch eine geschickte Klausel so verankert war, dass sie in jedem Fall wirksam wurde.
Von Wirtschaftlichkeit verstand Herr Dr. Müller-Niederthal also tatsächlich etwas. Auch wusste er sich von Anfang an mit dem richtigen Interieur zu umgeben. So schaffte er erst einmal für Besucher des Vorstandes und danach für den gesamten ihm untergeordneten Bereich auf Staatskosten Rosenthal Porzellan an, lagerte Champagner im Kühlschrank und ließ sich in jeder Nebenstelle ein trendiges Büro einrichten. „Mit dieser Personalwahl“, sagte der junge aufstrebende Staatssekretär von Gutental zum Minister, den er auf einem Empfang in der ungarischen Botschaften am Buffet begegnete „ wird der Stil der Anstalt um Stufen gehoben“.
Die Besetzung des Finanzvorstandes gestaltete sich etwas schwieriger, da dieser Posten auf Anhieb nach viel Arbeit aussah. Hauptgrund war, dass ein Rechnungswesen, das der Verwaltung vollkommen fremd war, neu aufgebaut werden musste. Dabei musste das alte Haushaltsrecht auf die Doppelte Buchführung umgestellt werden, was in einer Verwaltung ohne vorhandenes Wissen allein ein sehr schwer wiegendes Unterfangen ist.
Aus einer stillgelegten Kohlengrube im Ruhrgebiet konnte ein ehemaliger Geschäftsführer gewonnen werden, der nun mit Müll- und Altlasten handelte. Dieser schien aber – wie sich nach wenigen Wochen herausstellte – eher an den angenehmen Seiten des Postens interessiert und dachte nicht daran, von sich aus tätig zu werden und mit dem Aufbau des Rechnungswesens zu beginnen. Er wurde durch das Ministerium daher stillschweigend über Nacht wieder zu seinen Müll- und Altlastengeschäften zurück geschickt.
Da kam der Zufall der Personalabteilung des Ministeriums entgegen. In den Neuen Bundesländern wurden gerade alle nach der Wende neu aufgebauten Oberverwaltungsdirektionen wieder geschlossen oder teilweise auch zusammengelegt. Da gab es so manche unglückliche Personalie, die nun einer neuen Bestimmung zugeführt werden musste. Ein Oberverwaltungspräsident, der durch diese Reform der Reform arbeitslos, d. h. im Beamtenleben ohne Dienstposten in der Welt stand, konnte mit ein wenig Überredungskunst für den anspruchsvollen Posten des Finanzvorstandes bei der Anstalt gewonnen werden.
Da Herr Konrad keine große Wahl für seine letzten Dienstjahre hatte und auch leidenschaftlicher Sudoku Spieler war, stimmte er seinem letzten Einsatz als Finanzvorstand zu. Dass er kein Betriebswirt war und auch sonst keine weiteren Kenntnisse im Bereich Finanzen aufzuweisen hatte, störte die Vertreter des Ministeriums überhaupt nicht, da sie seine Unerfahrenheit gleich zu ihren Gunsten ausnutzen konnten. „Mit dieser Personalwahl haben wir wieder mal absolut wirtschaftliches Handeln für das Staatswesen bewiesen“, rief der junge Staatssekretär von Gutental forsch aus, als er den Minister im Paternoster des Ministeriums vorbei fahren sah. „Ich bin und bleibe im Gespräch“, dachte er sehr zufrieden mit sich.
Bei den Bezügen von Herrn Konrad sparte das Ministerium nun tatsächlich einen großen Teil des Betrages ein, den es für Herrn Dr. Müller-Niederthal zusätzlich bereitgestellt hatte. „So hat unser Minister von höchster Seite gleich einmal ein Zeichen gesetzt, wie der Finanzvorstand künftig zu handeln hat“, ließ der junge Staatssekretär von Gutental in seiner wöchentlichen Runde mit den Abteilungsleitern des Ministeriums verlauten. „Sparen am Vorstand – jedenfalls partiell“, lächelte er süffisant, „sparen vor allen Dingen an den Bediensteten, den Liegenschaften und der Anstalt. Nur so kann gewährleistet werden, dass möglichst viel Geld für die Staatskasse als Unternehmensabführung bereitgestellt werden wird.“
Herr Konrad war ein guter Jurist, der sich seit seinem Mathematikunterricht nach eigenem Bekunden zudem auch immer gerne mit Zahlen beschäftigt hatte. Dass es in der Mathematik, wenn es um Lösungen und Ergebnisse ging, nicht wie in der Juristerei mehrere Möglichkeiten geben konnte, interessierte ihn nicht so sehr. Seine Lösung stand in seiner Denkweise bereits hierachiemäßig über dem aus dem elektronisch durch SUP berechneten Ergebnis. Seit dem Beginn seiner Beamtenlaufbahn war er ein kleines emsiges Arbeitstierchen und arbeitete sich immer wieder gerne und vor allen Dingen schnell und unbedarft in neue Sachverhalte ein.
Er selber war sehr stolz auf seine neue Bezeichnung „Finanzvorstand“ und dachte, dass er schließlich auch sein eigenes Aktiendepot, das er seit 5 Jahren besaß, selber locker und flockig verwalten würde und so die Finanzen eines Unternehmens für ihn eigentlich keine wahre neue Herausforderung sein könnten. „Finanzen hier bei der Anstalt sind doch wirklich nichts anderes als meine privaten Bankgeschäfte.
Auch wenn mein privates Depot nur sechsstellig ist, so werde ich doch wohl die noch vorhandene Liquidität der neuen Anstalt in dreistelliger Millionenhöhe genauso gut in den Griff bekommen. Ist doch im Grunde nichts anderes, hat nur ein paar Nullen mehr“, teilte er fachkundig seinem Kollegen, dem Vorstandssprecher Dr. Kleist mit. Herr Dr. Kleist nahm diese Aussage mit einem Achselzucken hin, denn als fleißiger Jurist hielt er es eher mit dem Motto „judex non calculat“. Nein, das Rechnen war nicht die Leidenschaft von Herrn Dr. Kleist.
In den Augen des Vorstandssprechers zeichnete Herrn Konrad dennoch aus, dass dieser wie sein Kollege mit Vorliebe die Sachbearbeitung selber in die Hand nahm. Nicht nur, dass er selber gerne rechnete und sich für den Ablauf sämtlicher Verfahrensgänge interessierte, was ihn allein schon für den Vorstandsposten prädestiniert hätte. Unabhängig davon, griff er immer wieder gerne zu Akten, die ihm über den Weg liefen beziehungsweise, denen er hinterher lief. Hatte er sich eine Akte erst einmal gegriffen, las er sie eilig durch, übersah dabei ab und zu auch unbedeutende Kleinigkeiten und feuerte dann Schnellschüsse ab.
In einer Verwaltung sind Schnellschüsse eher unbekannt und durch diese Verfahrensweise fiel Herr Konrad bereits früh seinen eigenen Vorgesetzten auf, die ihn aus diesem Grunde ebenfalls im Schnellschussverfahren nach oben beförderten. Sein beliebtes Schnellschussverfahren ließ sich in seiner neuen Position eines Finanzvorstandes besonders gut praktizieren. Mit dem Ausruf: „Ich bin der Vorstand“, entschied er kurz und bündig auch die komplexesten Sachverhalte ohne jegliche Vorkenntnisse mit einem sicheren Instinkt für das Wesentliche. Dass dabei am Rande nicht alle Probleme gesehen, durchdacht oder gar gelöst wurden, durfte keine Rolle spielen, „denn wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne“, teilte er seinen Vorstandskollegen ein klein wenig selbstgefällig mit.
Die Gleichstellungsbeauftragte des Bundes war etwas pikiert, dass in dem wichtigen Vorstandsgremium, auf das zukünftig die Augen der Unternehmenswelt schauen würden, wieder nur Herren saßen und keine Dame zum Zug gekommen war. Sie benannte in Absprache mit der Gleichstellungskommission des Bundes und der Länder einige hochkarätige Damen aus dem Ministerium, die ihrer Ansicht nach, für diese Positionen mindestens genauso geeignet gewesen wären. Hierzu gehörte auch die äußerst intelligente und sehr hübsch anzusehende Ministerialdirigentin Frau Klump.
Allerdings hatte Frau Klump in diversen Führungslehrgängen unter anderen auch richtiges Delegieren gelernt und neigte keinesfalls dazu, selber Hand an die staubigen Akten zu legen. Auch pokerte sie nicht um ihr Gehalt, sondern sie diente sich zügig mit Fleiß, Ehrgeiz und Kompetenz eine nach der anderen Stufe hoch. „Ist so etwas etwa wirtschaftliches Handeln?“, fragten sich die Herren Vorstände, als sie von der weiblichen Konkurrenz auf ihre Posten erfuhren.
Da Frau Klump nicht einmal Sudoku spielen mochte und überhaupt auch vom Teamgedanken nicht in die Männerriege gepasst hätte, hatte sich die Personalabteilung des Ministeriums unter sanften Druck des jungen Staatssekretärs von Gutental entschlossen, Frau Klump in der nächsten Führungsebene einen Platz zu reservieren. Diese Ebene bestand immerhin aus sieben Spartenleitern. „Da ist es doch mehr als vorbildlich“, sagte der junge Staatssekretär von Gutental zum Minister, den er auf dem Flughafen beim Einsteigen in die Bundesmaschine mit Zielflughafen Singapur, traf, „ in dieser wichtigen Ebene eine Frau zu integrieren. Und sie sieht ja wirklich spitzenmäßig aus“, fügte er mit einem Augen zwinkernd hinzu. Wahrscheinlich hatte der Minister, den letzten Satz nicht mehr mitbekommen, denn er ließ sich bereits schwer in den Flugzeugsitz fallen und verlangte nach etwas Lesestoff.
„In der Anstalt werden eben Zeichen für die Personalentwicklung gesetzt“, sagte der Staatssekretär von Gutental daher zu dem jungen Herren neben sich. Dieser bestätigte Kopf nickend jedes Wort des Staatssekretärs und klebte diesen regelrecht an den Lippen. Er war gleichfalls ein aufstrebender junger Beamter, der keine Last gescheut hatte, sich hoch zu dienen. Dabei spielten nicht so sehr der Arbeitseifer oder gar die Liebe zur Arbeit eine Rolle, als vielmehr der ehrgeizige Wille an die Spitze und in ein hohes Amt zukommen. Dabei hatten ihm gleichfalls sein Parteibuch und die vielfältigen Beziehungen seines Vaters, der selber einmal Oberverwaltungsrat gewesen war, geholfen.
Nach seinem Jurastudium und seinem kometenhaften Aufstieg in der Außenverwaltung, war Herr Niklas-Klaus bereits durch sein hervortretendes Verhalten nach zwei Dienstjahren im Ministerium gelandet und hatte sich dort an wichtigen Stellen und in entscheidenden Augenblicken für einige Herren sehr nützlich gemacht. Nun hatte Herr Niklas-Klaus ein eigenes Referat als Referatsleiter übernommen. Damit war er grundsätzlich und dem Rang nach immer noch einer unter vielen.
Der Unterschied war, das er das Referat leiten durfte, das die Aufsicht für die Deutsche Anstalt sein sollte. Auf ihn schauten daher der junge Staatssekretär von Gutental und der Herr Minister persönlich. Mit stolz geschwellter Brust hatte Herr Niklas-Klaus diesen Auftrag angenommen und klebte seither an den Worten des Staatssekretärs, um ja keine Regung desselben zu verpassen. Herr Niklas-Klaus würde alles für den jungen Staatssekretär von Gutental tun. Da waren sich beide Herren sicher.
Nachdem der Vorstand vollständig war und tagen konnte, konnte auch endlich der Unterbau mit sämtlichen Beschäftigten neu organisiert und in die neue Anstalt eingepasst werden.