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II. BELEGSITUATION
ОглавлениеUm eine gesicherte und leicht nachprüfbare Basis für alle weiteren Ausführungen zu schaffen, werden im folgenden diejenigen Stellen, aus denen sich Angaben über die Institution der nordgermanischen Blutsbrüderschaft entnehmen lassen, im originalen Wortlaut wiedergegeben.
Daran anschließend sollen die wesentlichen Elemente der einzelnen Belegstellen in Form von Tabellen zusammengestellt werden. Dies scheint insbesondere deshalb angebracht, weil sich manche der Abschnitte, die sich auf die Blutsbrüderschaft beziehen, naturgemäß ziemlich ähnlich sind, die wirklich gesicherten Elemente aber doch von Fall zu Fall variieren. Allerdings werden die Tabellen nur diejenigen Merkmale erfassen können, die an den betreffenden Stellen expressis verbis erwähnt werden und sie werden dementsprechend auch lediglich eine praktische Hilfe zu einer synoptischen Betrachtung der konstituierenden Elemente sein.
Weiters soll eine Situierung der einzelnen Belege den Stellenwert der Episode im Rahmen des Erzählgeschehens, dem sie entnommen ist, in Erinnerung rufen.
Zuerst sollen nur diejenigen Stellen angeführt werden, in denen tatsächlich von einer Vermischung des Blutes zwischen den sich Verbrüdernden gesprochen wird oder in denen zumindest auf eine solche angespielt ist. Wie aber bereits in der Einleitung angedeutet wurde20, ist es praktisch unmöglich, diejenigen Stellen, die tatsächlich von einer Blutmischung sprechen, von solchen, die offenbar dieselbe Institution meinen, ohne aber eindeutige Hinweise auf das Ritual zu geben, abzugrenzen. Es wäre gewiß verfehlt, diejenigen Stellen, in denen die Blutmischung expressis verbis erwähnt wird, von solchen, welche die Annahme zulassen, daß es sich um dieselbe Institution gehandelt haben muß, zu trennen. Wie verfehlt eine solche Trennung wäre, zeigt sich unter anderem darin, daß der Terminus „fóstbrœðralag“ weit über die Grenzen der durch Blutmischung geschlossenen Brüderschaft hinausgeht21: diejenigen Stellen, welche die Institution nicht nur umschreiben, sondern sie auch beim Namen nennen, verwenden durchwegs den Ausdruck „fóstbrœðralag“22. Andererseits konnte ein fóstbrœðralag z. B. nach Ausweis der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana (Kap. IV)23 durch gegenseitigen Handschlag geschlossen werden: in einem solchen Fall ist wohl kaum an eine Blutmischung zu denken.
Es sollen daher im weiteren auch diejenigen Stellen mit in die Arbeit einbezogen werden, die den Schluß zulassen, daß den erwähnten Handlungen oder Konsequenzen ebenfalls die Institution des fóstbrœðralag zugrunde gelegen sein muß. Dies kann jedoch im Rahmen der gegenwärtigen Arbeit nur dann sinnvoll sein, wenn aus ihnen mehr zu entnehmen ist als bloß die Erwähnung der Tatsache, daß zwei oder mehr Personen eine „Brüderschaft“ geschlossen hätten, d. h., wenn sich in ihnen Angaben über das Verbrüderungsritual bzw. etwaige Konsequenzen finden. Bloße Erwähnungen der Institution, aus denen sich nichts weiter als ein Hinweis auf ihre Existenz entnehmen läßt, sind zwar insoferne aufschlußreich, als sie beim Leser oder Zuhörer die Bekanntschaft mit einer institutionalisierten Verbrüderungsart offenbar voraussetzen, indem sie nichts erklären oder veranschaulichen, sie sind aber für die gegenwärtige Arbeit, die sowohl eine deskriptive Darstellung als auch eine Deutung der nordgermanischen Blutsbrüderschaft anstrebt, völlig unergiebig und werden dementsprechend auch nicht als Belege gewertet.
A) DIE GERMANISCHEN BELEGE FÜR BLUTSBRÜDERSCHAFT
1. Lokasenna, Strophe 9
In der neunten Strophe der Lokasenna findet sich eine deutliche Anspielung auf die Einrichtung der Blutsbrüderschaft.
Loki betritt den Saal der Götter. Alle verstummen bei seinem Erscheinen. Bragi macht Loki darauf aufmerksam, daß er von niemandem zum Gelage der Götter geladen worden sei. Daraufhin wendet sich Loki an Odin und fordert ihn auf, sich zu besinnen, daß er mit ihm in der Urzeit sein Blut vermischt habe:
Mantu Þat, Óðinn, er við í árdaga
blendom blóði saman;
ölvi bergia léztu eigi mundo,
nema ocr væri báðom borit.24
Diese Aufforderung hat zur Folge, daß Odin seinem Sohn Widar befiehlt, Loki Bier einzuschenken. Loki beginnt sogleich mit seinen Zankreden.
Sehr viel ist dieser Stelle nicht zu entnehmen: wir erfahren nur, daß Odin und Loki die Beteiligten waren, daß die beiden ihr Blut vermischt haben (við… blendom blóði saman), daß das erwähnte Bündnis „in alten Tagen“ (í árdaga) geschlossen worden war, und daß, wohl einer dem und inhärenten Konsequenz zufolge, der eine fortan dem anderen die Tischgemeinschaft nicht versagen dürfe.
Die Umstände, unter denen die Verbindung zustande gekommen war, bleiben genauso im Dunkeln wie die Absicht und Zielsetzung, die dem Bund innewohnten. Auch darüber, wie die Blutsbrüderschaft geschlossen worden war, erfahren wir nichts; die Frage, mit welchem Ritual in diesem Fall zu rechnen sei, ist nicht zu beantworten.
2. Brot af Sigurðarkviðu
Bedeutsamer und auch um vieles aufschlußreicher ist der Hinweis auf die Blutsbrüderschaft, die Sigurd mit Gunnar (und Högni) nach seiner Ankunft am Hofe der Gjukungen geschlossen hatte: davon berichtet das Alte Sigurdlied. Die entsprechenden Stellen der Völsunga saga und der Snorra Edda bestätigen die Erzählung des Alten Sigurdliedes.
Brünhild hat Gunnar dazu gebracht, Sigurd zu töten. Auf dem Heimweg verkündet ein Rabe den Mördern: „’Ycr mun Atli eggiar rioðá, muno vígscá of viða eiðar’“ – „an euch wird Atli Eisen röten, der Meineid wird die Mörder fällen.“25 Der Bruch der Blutsbrüderschaft, der Mord am Blutsbruder, ist in der nordischen Nibelungendichtung zum zentralen Motiv geworden, das den tragischen Untergang der Burgunden auslöst und bedingt.
Das Eddalied erzählt dann weiter (Str. 14 ff.), wie Brünhild früh am Morgen erwacht und den Männern weinend ihren schrecklichen Traum verkündet, in dem sie den Untergang der Nibelungen vorausgesehen hat: der Meineid, d. h. die Ermordung des Blutsbruders, ist Ausgangspunkt der Katastrophe. Anklagend wendet sich Brünhild nach geschehener Tat an Gunnar (Str. 16-18):
Hugða ec mér, Gunnar, grimt í svefni,
svalt alt í sal, ættac sæing kalda;
enn Þu, gramr, riðir glaums andvani,
fiötri fatlaðr í fíanda lið.
Svá mun öll yðor ætt Niflunga
afli gengin: eroð eiðrofa.
Mantattu, Gunnar, til gorva Þat,
er Þit blóði i spor baðir rendot;
nú hefir Þu hánom Þat alt illo launat,
er hann fremstan sic finna vildi.
Þá reyndi Þat, ęr riðit hafði
móðigr á vit mín at biðia,
hvé herglötuðr hafði fyrri
eiðom haldit við inn unga gram.26
Über die Umstände und das Ziel der Verbrüderung erfahren wir aus dieser Stelle nichts: es geht aus ihr nur hervor, daß die Blutmischung mit Eiden verbunden war. Die Völsunga saga und die Snorra Edda sind in dieser Hinsicht ausführlicher. Im Gegensatz zur Lokasenna wird hier jedoch eine überaus bedeutsame Einzelheit erwähnt: die Helden haben nämlich zum Zweck der Verbrüderung ihr Blut in die Spur träufeln lassen („Þit blóði i spor baðir rendot“).
Direkte Folgen des Verhältnisses, das hier genauso wie in der Lokasenna nur umschrieben und nicht mit einem bestimmten Begriff bezeichnet wird, werden keine genannt; der Bruch der Blutsbrüderschaft erscheint jedoch als eine zutiefst verwerfliche Handlung, woraus sich die Unverletzlichkeit und Heiligkeit erahnen lassen, die der Blutsbrüderschaft normalerweise eigen waren.
2 a) Völsunga saga
Während im fragmentarischen Alten Sigurdlied nur rückblickend auf die Blutsbrüderschaft angespielt wird, der Bericht von ihrem Abschluß jedoch dem verlorengegangenen Teil des Liedes angehört hat, macht die Völsunga saga auch eine Situierung des Zeitpunktes und der näheren Umstände dieses Ereignisses möglich:
Gunnar versucht, Sigurd mit allen nur möglichen Mitteln an seinem Königshof zu halten.
Gunnar sagte: ‚Alles wollen wir dazu tun, daß du lange hier bleibst; beides, unser Reich und unsere Schwester bieten wir dir an; kein andrer würde sie bekommen, wenn er auch um sie bäte.‘
Sigurd antwortete: ‚Habt Dank für eure Auszeichnung! Ich will es annehmen.‘27
Nun schwören sie einander Blutsbrüderschaft:
Þeir sveriazt nu i brędralagh, sem Þeir se sambornir brędr.28
Im Zusammenhang mit dem geplanten Verrat an Sigurd wird mehrmals auf das zwischen ihm und Gunnar bestehende Bruderschaftsverhältnis angespielt. Als Brünhild ihren Gemahl auffordert, Sigurd zu töten, ist Gunnar zutiefst bekümmert:
Gunnar vard nu miok hugsiukr ok Þottiz eigi vita,
hvat hellzt la til, allz hann var i eidum vid Sigurd…29
Darauf wendet sich Gunnar an Högni um Rat. Dieser tritt ganz entschieden gegen einen Bruch der Blutsbrüderschaft ein:
Ecki samir ockr sęrinn at riufa med ufridi.30
So verfällt Gunnar auf den Gedanken, Gutthorm, der an der Blutmischung nicht teilgenommen hatte und der demzufolge trotz seiner nahen Verwandtschaft für nicht gebunden gilt, zum Mord an Sigurd anzustiften:
Eggium til Gutthorm rodur ockarnn. Hann er ungr ok fas vitande ok fyrir utan alla eida.31
Nach der Schilderung des Bettmordes folgt wiederum Brünhilds Traum, dem Inhalt nach mit der Strophe 17 des Alten Sigurdliedes identisch. Brünhild schildert Gunnar, was sie im Traum vorausgesehen hat:
Þat dreymde mic, Gunnar, at ek atta kalda sęng, enn Þu ridr i hendr uvinum Þinum ok aull ętt ydr man illa fara, er Þer erut eidrofa, ok mundir Þu at uglaukt er Þit blaundudut blode saman Sigurdr ok Þu, er Þu rett hann, ok hefir Þu honum allt illu launad Þat, …32
Erst an dieser Stelle wird unmißverständlich gesagt, auf welche Weise das „broeðralag“, von dessen Eingehung in Kap. 28 berichtet worden war, geschlossen wurde: durch das Vermischen des Blutes der Beteiligten (Þit blaundudut blode saman). Dies ist übrigens ganz genau dieselbe umschreibende Wendung wie in der Lokasenna (við… blendom blóði saman). Jan DE VRIES hat darauf hingewiesen33, daß Loki den Satz, mit dem er Odin an ihren Blutbund erinnert, mit den Worten „Mantu Þat, Óðinn…“ beginnt, Brünhild im Alten Sigurdlied Gunnar mit den gleichen Worten („Mantattu, Gunnar…“) auf sein Blutsbruderverhältnis mit Sigurd verweist, und daraus den Schluß auf einen literarischen Zusammenhang der beiden Stellen gezogen. Vielleicht war im verlorenen Teil des Alten Sigurdliedes die Blutsbrüderschaftsschließung ebenfalls mit dem Ausdruck „Blut zusammenmischen“ umschrieben worden und hatte der Dichter der Lokasenna diese Worte ebenso wie die erwähnte Anredeformel aus dem – ihm noch zur Gänze bekannten – Alten Sigurdlied übernommen.
Daß die Beteiligten ihr Blut in der Fußspur vermischten, wird von der Völsunga saga im Gegensatz zum Alten Sigurdlied nicht erwähnt. Auch sonst finden sich in ihr keine Angaben über das Ritual: „Blut zusammenmischen“ steht hier für die gesamte Institution mit allem, was sie umfaßte – und offenbar genügte dies den Zuhörern. Die Einrichtung der Blutsbrüderschaft war ihnen also nichts Fremdes, über das der Dichter sie erst hätte belehren müssen.
Die Völsunga saga ist andererseits aber auch wieder ausführlicher als das Alte Sigurdlied, indem sie besonders hervorhebt, welcher Art das Verhältnis zwischen den Blutsbrüdern war, nämlich so, „als wenn sie von der selben Mutter geboren wären“ („sem Þeir se sambornir brędr“).
Besonders ist zu bemerken, daß hier häufig das Wort „eiÞr“ im Zusammenhang mit der Blutsbrüderschaft verwendet wird: Gunnar ist mit Sigurd durch Eide verbunden, („hann var i eidum vid Sigurd“), Gutthorm dagegen steht außerhalb aller Eide („fyrir utan alla eida“) und dann heißt es, daß Gunnar und Högni durch ihr Verbrechen an Sigurd eidbrüchig geworden sind („Þer erut eidrofa“)34.
2 b) Snorra Edda
Außer im Alten Sigurdlied und der Völsunga saga wird das Blutsbrüderverhältnis Sigurds mit Gunnar und Högni auch noch in der Jüngeren Edda erwähnt, und zwar im Skáldskaparmál, Kap. 39 und 41 f. Die beiden Stellen der Snorra Edda, die sich darauf beziehen, bringen allerdings keine ergänzenden Angaben über das Ritual und die Natur des Bundes; aus ihnen ist viel weniger zu entnehmen als aus dem Alten Sigurdlied und der Völsunga saga. Die Angaben der Snorra Edda können nur als Bestätigung des dort Gesagten angesehen werden.
Nachdem Sigurd lange Zeit am Hofe der Burgunden verbracht hat, schwört er mit Gunnar und Högni Brudereide:
Sigurðr reið Þadan ok kom til Þess konungs, er Gjúki hét:
konar hans er nefnd Grímhildr; brn Þeira varu Þau
Gunnarr, Hgni, Guðrún, Guðny; Gutthorm var stjúpson Gjúka.
Þar dvalðisk Sigurðr langa hrið; Þá fekk hann Gurúnar Gjúkadóttur,
en Gunnar ok Hgni sórusk í brœðralag við Sigurð.35
Im Zusammenhang mit der Ermordung Sigurds wird das zwischen ihm und seinen Schwägern bestehende Bruderschaftsverhältnis noch einmal erwähnt, und zwar als direkter Grund dafür, daß Gutthorm die Tat ausführt:
Eptir Þat eggjaði hon Gunnar ok Hgna at drepa Sigurð,
en fyrir Því at Þeir váru eiðsvarar Sigurðar, Þá eggjuðu
Þeir til Gotthorm, bróður sinn, at drepa Sigurð; hann
lagði Sigurð sverði í gógnum sofanda, en er hann fekk sárit,
Þá kastaði hann sverðinu Gram eptir honum, svá at sundr
sneið í miðju mannin; Þar fell Sigurðr ok sonr hans
Þrévetr, er Sigmundr hét, er Þeir drápu.36
Genau mit dem gleichen Ausdruck wie in der Völsunga saga wird auch in der Jüngeren Edda gesagt, daß Gunnar und Högni mit Sigurd „Brüderschaft geschworen“ hätten („Þeir sveriazt nu i brędralag“, bzw. „… sórusk í brœðralag“). Das ist aber auch alles, was wir aus der Jüngeren Edda über dieses Verhältnis erfahren, denn es wird weder erwähnt, daß die Verbrüderung durch eine Blutmischung erfolgte, noch, daß das Blut in der Fußspur vermischt wurde.
Durch die Verbrüderung sind Gunnar und Högni zu „Eidbrüdern“ Sigurds geworden („Þeir váru eiðsvarar Sigurðar“). Auch hier findet sich die gleiche Ausdrucksweise vom „Schwören“ („sveria“) der Brüderschaft und das dadurch entstehende Verhältnis wird durch „eiÞr“ gestiftet.
Der in mehreren Varianten überlieferte Beleg von der Blutsbrüderschaft Sigurds mit Gunnar und Högni ist trotz des Fehlens einer detaillierten Beschreibung einer der wertvollsten, die wir für diese Institution aus dem Nordgermanischen besitzen.
3. Gísla saga Súrssonar
Der ausführlichste und zugleich auch bei weitem aufschlußreichste Bericht über den Abschluß einer Blutsbrüderschaft zwischen heidnischen Isländern findet sich in der Gísla saga Súrssonar, einer Isländersaga, die wohl im 12. Jh. gestaltet wurde und deren erhaltene Fassung eine Neubearbeitung des 13. Jh. ist37. Die Stelle im 6. Kapitel, in welcher der Abschluß der Blutsbrüderschaft zwischen den Habichtstalern auf dem Valseyrarthing beschrieben wird, wurde von Finnur JÓNSSON als der locus classicus für diesen eigentümlichen Brauch bezeichnet38.
Die Habichtstaler (Gísli, Þorgrímr, Þorkell und Vésteinn) benehmen sich auf dem Thing höchst übermütig. Während die anderen an den Verhandlungen teilnehmen, sitzen sie in der Hütte und trinken Bier. Es entsteht bei den anderen ein Gerede über ihren Übermut, und der weise Gest prophezeit, daß sie, „wenn der dritte Sommer kommt“, schon nicht mehr so einmütig sein werden wie jetzt. Die Habichtstaler erfahren von dieser Prophezeiung, und aus Trotz, um ihre Erfüllung zu verhindern, schließen sie Blutsbrüderschaft.
Gísli svarar: ‚Hér mun han mælt mál talat hafa; en vörumz
ver, at eigi verði hann sannspár; enda sé ek gott ráð til
Þessa, at vér bindum várt vinfengi með meirum fastmælum en
áðr, ok sverjumz í fóstbrœðralag fjórir.‘
En Þeim sýniz Þetta ráðligt. Ganga nú út í eyrarodda, ok
rísta Þar upp ór jörðu jarðarmen, svá at báðir endar váru
fastir í jörðu, ok settu Þar undir málaspjót, Þat er maðr
mátti taka hendi sinni til geirnagla. Þeir skyldu Þar fjórir
undir ganga, Þorgrímr, Gísli, Þorkell ok Vésteinn; ok nú
vekja Þeir sér blóð ok láta renna saman dreyra sinn i Þeiri
moldu, er upp var skorin undan jarðarmeninu, ok hrœra saman
allt, moldina ok blóðit. En síðan fellu Þeir allir á kné,
ok sverja Þann eið, at hverr skal annars hefna sem bróður
síns, ok nefna öll goðin í vitni.39
Unmittelbar nach dem Abschluß der Blutsbrüderschaft beginnen jedoch schon die Unstimmigkeiten, als Þorgrímr erklärt, daß er Vésteinn gegenüber keine Verpflichtungen haben wolle. So geht Gests Prophezeiung rascher in Erfüllung, als irgendjemand gedacht hätte.
Die Eingehung der Blutsbrüderschaft ist also kein bloßes Motiv, sondern ihr kommt eine zentrale Funktion im Rahmen der Gesamtkonzeption der Saga zu. In dieser Hinsicht steht die Gísla saga den nordischen Dichtungen von Sigurds Tod sehr nahe. Es wurde deshalb ein Einfluß der Nibelungendichtung, die „für den Aufbau der Saga bestimmend“ gewesen sei, in Betracht gezogen40; de VRIES weist darauf hin, daß „das Streitgespräch der Schwägerinnen Auðr und Asgerðr in der dyngja wie in der senna von Guðrún und
Brynhildr den Anlaß zu den tragischen Verwicklungen zwischen den durch Blutsbrüderschaft Verwandten“ bildet41. Doch müßte, falls hier wirklich ein literarischer Zusammenhang bestehen sollte, die Schilderung des Rituals, das die Saga gibt, dadurch nicht entwertet werden.
Die Gísla saga übertrifft alle anderen Belege durch die Ausführlichkeit, mit der im 6. Kapitel das Ritual der Verbrüderung beschrieben wird. Die Zeremonie des „ganga undir jarðarmen“ wird hier ganz eindeutig als ein Element des Verbrüderungsrituals ausgewiesen. Die Zeremonie wird sehr eingehend beschrieben: ein Rasenstreifen („jarðarmen“) wird aus der Erde geschnitten, jedoch so, daß beide Enden mit dem Boden verbunden bleiben („svá at báðir endar váru fastir í jrðu“); unter diesen wird ein Runenspeer („málaspjót“) gestellt, der so lang ist, daß ein stehender Mann die Schaftnägel mit der Hand erreichen kann. Unter diesen Rasenstreifen treten die Beteiligten – im geschilderten Fall sind es vier Männer – und „wecken“ sich das Blut („vekja Þeir sér blóð“). Dieses lassen sie in die unter dem jarðarmen befindliche Erde fließen („láta renna saman dreyra sinn i Þeiri moldu, er upp var skorin undan jarðarmeninu“); darauf wird es mit der Erde vermengt („… ok hrœra saman allt, moldina ok blóðit“). Dann schwören sie kniend einen Eid („ok sverja Þann eið“), einander wie leibliche Brüder zu rächen („hverr skal annars hefna sem bróður síns“) und rufen dazu alle Götter als Zeugen an („nefna ll goðin í vitni“).
Wie im Alten Sigurdlied lassen die sich Verbrüdernden auch hier ihr Blut aus dem Erdboden zusammenfließen; davon jedoch, daß die Vermischung in den Fußspuren der Beteiligten erfolgte, steht in der Gísla saga nichts. Ist das in ihr geschilderte Ritual von dem im Alten Sigurdlied erwähnten grundsätzlich verschieden?42 Dies ist eine der schwierigsten Fragen im Zusammenhang mit der Form des Rituals der germanischen Blutsbrüderschaft; von ihrer Beantwortung hängt ja die Gesamtvorstellung, die wir uns vom altnordischen fóstbrœðralag machen, weitgehend ab.
Auch die Absicht, mit der die Blutsbrüderschaft in diesem speziellen Fall geschlossen wird, wird in der Gísla saga eindeutig ausgesprochen: aus Trotz gegen ein prophezeites Schicksalsverhängnis („at eigi verði hann sannspár“) beschließen vier – teilweise sogar miteinander verwandte – Männer, ihre Freundschaft noch fester und enger zu machen als bisher („at vér bindum várt vinfengi með meirum fastmælum en áðr“); sie tun dies, indem sie Blutsbrüderschaft schließen.
Die einzige Konsequenz, die in der Gísla saga erwähnt wird, ist die gegenseitige Rachepflicht. Der eine ist verpflichtet, den anderen wie seinen Bruder zu rächen („hverr skal annars hefna sem bróður síns“).
Von ganz besonderer Bedeutung ist die Tatsache, daß diese Stelle zugleich mit einer detaillierten Beschreibung einer „echten“ Blutsbrüderschaft auch den Terminus erwähnt, mit dem im Altnordischen diese Institution bezeichnet wurde, nämlich „fóstbrœðralag“.
4. Saxo Grammaticus: Gesta Danorum
In den Gesta Danorum finden sich mehrere Erwähnungen „künstlicher“ Brüderschaften43, nur an einer einzigen Stelle wird jedoch expressis verbis gesagt, daß die Brüderschaft durch das Vermischen des Blutes begründet wurde. Dies ist vielleicht dadurch zu erklären, daß SAXO es bei der ersten Erwähnung der Institution für nötig erachtet hatte, etwas genauer darauf einzugehen (er unterstreicht ja auch besonders, daß es sich um einen Brauch vergangener Zeiten handelt), dies aber in allen weiteren Fällen verständlicherweise nicht mehr nötig war. Vermutlich ist bei einigen der in anderen Büchern seiner Gesta Danorum erwähnten Brüderschaften jedoch keine Verbrüderung durch Blutmischung gemeint, sondern es können „Eidbrüderschaften“ oder „Schwurbruderschaften“ ohne Blutritual gemeint sein.44
Im 1. Buch der Gesta Danorum wird erzählt, wie der jugendliche Hadding, nachdem er seine Pflegemutter verloren hat, Odin begegnet. Odin bedauert ihn ob seiner Einsamkeit und stiftet zwischen Hadding und einem Wikinger namens Liser Blutsbrüderschaft:
Spoliatum nutrice Hadingum grandævus forte quidam, altero orbus oculo, solitarium miseratus Lisero cuidam piratæ solemni pactionis iure conciliat. Siquidem icturi fœdus veteres vestigia sua mutui sanguinis aspersione perfundere consueverant, amicitiarum pignus alterni cruoris commercio firmaturi. Quo pacto Liserus et Hadingus artissimis societatis vinculis colligati Lokero, Curetum tyranno, bellum denuntiant.45
Die Absicht, mit der die Brüderschaft geschlossen wird, besteht also in der Schaffung eines besonders engen Freundschaftsbundes („amicitiarum pignus… firmaturi“). Die Blutsbrüder sind „artissimis societatis vinculis colligati“.
Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, daß hier Odin selbst als Stifter der Blutsbrüderschaft genannt wird („grandævus forte quidam, altero orbus oculo“).
Ähnlich wie im Alten Sigurdlied wird auch hier erwähnt, daß das Blut der Beteiligten in die „Spuren“ vergossen wurde („vestigia sua mutui sanguinis aspersione perfundere“). Der beiderseitige Charakter dieses „Bluttausches“ wird besonders hervorgehoben („mutui sanguinis aspersione“ – „alterni cruoris commercio“).
Ebenso wie im Alten Sigurdlied wird auch hier nichts davon erwähnt, daß die Blutmischung unter einem „jarðarmen“ stattgefunden habe.
SAXO bezeichnet das Verhältnis zwischen den Blutsbrüdern mit dem Ausdruck „fœdus“: der juristische Aspekt ist ihm offenbar wichtig, denn die Blutsbrüderschaft wird unmißverständlich als ein besonders feierlicher Rechtsvertrag definiert („solemni pactionis ius“).
Besonders in den Fornaldarsögur ist sehr häufig von „fóstbrœðr“ und der Institution des „fóstbrœðralag“ die Rede; nur zweimal jedoch wird erwähnt, daß das fóstbrœðralag durch Blutmischung geschlossen wurde.46
5. Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana
Ásmundr berserkjabani erzählt sein Leben: nach dem Bericht von Kindheit und Jugend schildert er, wie er sich einmal auf der Jagd verirrte und dabei mit Árán von Tattaríá zusammentraf. Nachdem sie beide miteinander gekämpft hatten, schwören sie sich Blutsbrüderschaft:
Þá talaði Árán til Ásmundar: ‚Ekki skulu vit vapnaskipti
prófa, Því Þat verðr skaði okkar beggja. Vil ek, at vit
sverjumz í fóstbrœðralag; at hvárr skal annars hefna, ok
eiga fé saman, fengit ok ófengit.‘ Þat fylgði ok svardaga
Þeirra, at hvárr sem lengr lifði, skyldi láta verpa haug
etir annan, ok láta Þar í svá mikit fé, sem Þeim pætti
sóma. Sian skal sá, sem lengr lifir, sitja hjá enum dauða
III nætr í haugi, ok fara síðan burt, ef hann vildi.
Voktu sér síðan blóð, ok létu renna saman; heldu
menn Þat Þá eiða.47
Der Vorschlag, Blutsbrüderschaft zu schließen, geht von Árán aus („vil ek, at vit sverjumz í fóstbrœðralag“). uch hier wird die Eingehung des Bundes mit der Wendung „sveria í fóstbrœðralag“ bezeichnet.
Über das Ritual wird nur gesagt, daß sie sich „das Blut weckten“ und es zusammenfließen ließen („voktu sér síðan blóð, ok létu renna saman“). Weder die Fußspuren noch das jarðarmen werden erwähnt. Mit diesen Worten war die Blutmischung schon in der bedeutend älteren Gísla saga beschrieben worden („… ok nú vekja Þeir sér blóð ok láta renna saman“). Dies könnte auf eine literarische Übernahme deuten.
Anders verhält es sich bei den Konsequenzen, die aus der Blutsbrüderschaft entspringen. Hier ist die Egils saga einhenda bei weitem ausführlicher als die Gísla saga: neben der Rachepflicht („hvárr skal annars hefna“) erwähnt sie außerdem, daß den Blutsbrüdern ihr Besitz gemeinsam gehören soll, und zwar nicht nur all das, was sie derzeit ihr Eigentum nennen, sondern auch alles, was sie erst in Zukunft erwerben werden („eiga fé saman, fengit ok ófengit“). Darüber hinaus soll der Überlebende für den Verstorbenen den Grabhügel aufwerfen lassen und ihm so viele Grabbeigaben mitgeben, als ihm geziemend erscheint („hvárr sem lengr lifði, skyldi láta verpa haug eptir annan, ok láta Þar í svá mikit fé, sem Þeim pætti sóma“) und endlich ist der Überlebende verpflichtet, drei Nächte bei seinem toten Blutsbruder im Grabhügel zu verbringen; dann kann er fortgehen, wenn er dies will („skal sá, sem lengr lifir, sitja hjá enum dauða III nætr í haugi, ok fara síðan burt, ef hann vildi“).
Dieses Motiv vom Mitbegraben, das dann in dieser Saga zu einem schrecklichen Kampf zwischen dem Toten und dem Lebenden führt, findet sich schon in der Geschichte von Asmund und Aswit, die SAXO GRAMMATICUS im 5. Buch seiner Gesta Danorum berichtet.48 Die entsprechende Erzählung der Egils saga einhenda ok Asmundar berserkjabana ist höchstwahrscheinlich aus der selben nordischen Vorform entsprungen wie die Geschichte SAXOs.49 Allerdings erwähnt SAXO nichts davon, daß die Verbrüderung durch eine Blutmischung erfolgt sei. Der Verfasser der Egils saga einhenda hat das bei SAXO geschilderte Freundschaftsverhältnis jedoch offenbar als ein solches von Blutsbrüdern aufgefaßt und es dementsprechend in seiner Erzählung mit den fast stereotyp wiederkehrenden Elementen kurz charakterisiert. Die Beschreibung dieser Blutsbrüderschaft könnte geradezu als eine Synthese zweier Vorlagen angeseen werden: der Grundstruktur des Berichts in Anlehnung an die Quelle von SAXOs Buch V, und einer Ergänzung und Verdeutlichung nach der „klassischen“ Beschreibung eines fóstbrœðralag in der Gísla saga und anderer Sogur. Sollte dies der Fall sein, dann wäre der Aussagewert dieser Stelle der Egils saga einhenda nicht sehr hoch anzusetzen. Vielleicht läßt sich aus ihr jedoch schließen, daß das bei SAXO beschriebene Freundschaftsverhältnis Asmunds und Aswits tatsächlich eine Blutsbrüderschaft war.
6. Þorsteins saga Víkingssonar, Kap. 21
Wie bei der Egils saga einhenda handelt es sich auch bei der Þorsteins saga Víkingssonar um eine junge Fornaldarsaga aus dem Spätmittelalter.50
Es war berichtet worden, wie Þorstein seinen Gegner Beli überwunden hatte, dem auf dem Boden Liegenden das Leben geschenkt und mit ihm fóstbrœðralag geschlossen hatte. Im weiteren Verlauf des Erzählgeschehens macht Þorstein den Vorschlag, daß Beli und Angantyr ebenfalls fóstbrœðr werden sollen:
Nú vil ek bjóða Þér Þann kost, ęf Þú gefr Bela líf, at
við sverjumst í fóstbrœðralag. Angantýr segir: Þat Þikki
mér jafnaðarbóð, at við Beli gerumst fóstbrœðr, en í Því
Þikki mér mikit veitt, ef ek skal vera Þinn fóstbróðir. Var
petta síðán bundit fastmælum; Þeir vöktu sér blóð í lófum,
ok gengu undir jarðarmen, ok sóru Þar eiða, at hverr skyldi
annars hefna, ef nokkur Þeirra yrði með vöpnum veginn!51
Þorsteins Angebot lautet ganz genauso wie dasjenige Árán von Tattaríás in der Egils saga einhenda („vil ek… at við sverjumst í fóstbrœðralag“ bzw. „vil ek, at vit sverjumz í fóstbrœðralag“). Beide wiederum sind der Gísla saga sehr ähnlich, wo der Vorschlag von Gisli ausgesprochen wird („… sé ek gott ráð til Þessa, at… ok sverjumz í fóstbrœðralag“).
Auch in der Þorsteins saga Víkingssonar wird – wie in der Gísla saga und der Egils saga – das Blut „geweckt“ („Þeir vöktu sér blóð“). Darüber hinaus erfahren wir an dieser Stelle, daß dies durch eine Verwundung der Innenseite der Hand geschah („í lófum“).
Weiters erscheint die Blutmischung, die zwar nicht erwähnt wird, aber für die das Blut offenbar „geweckt“ wurde, auch hier wiederum in Verbindung mit dem „ganga undir jarðarmen“ („Þeir vöktu sér blóð í lófum, ok gengu undir jarðarmen“). Wegen einer Aneinanderreihung der Satzteile durch zweimalige Verwendung der Konjunktion „ok“ wird es ziemlich schwierig, zu entscheiden, ob eine Aufeinanderfolge oder aber eine Gleichzeitigkeit der erwähnten Handlungen gemeint ist.
Der Eid jedenfalls, den die sich Verbrüdernden sich schwüren, fand zweifellos unter dem „jarðarmen“ statt („ok sóru Þar eiða“). Sein Inhalt besteht auch hier wiederum in der Pflicht zur Blutrache („at hverr skyldi annars hefna, ef nokkur Þeirra yrði með vpnum veginn“).
Wie in der Egils saga einhenda sind auch in der Þorsteins saga Víkingssonar die Schlüsselbegriffe der Beschreibung der Blutsbrüderschaft mit denen der Gísla saga so gut wie identisch:
við sverjumst í fóstbrœðralag – sverjumz í fóstbrœðralag;
gengu undir jarðarmen – jarðarmen… Þeir skyldu Þar undir ganga;
Þeir vöktu sér blóð – nu vekja Þeir sér blóð
sóru Þar eiða, at hverr skyldi annars hefna –
sverja Þann eið, at hverr skal annars hefna.
Auffällig ist allerdings die Bemerkung der Þorsteins saga, daß das Blut aus den Innenflächen der Hände der Beteiligten stamme, denn davon steht in der Gísla saga nichts.
Neben dem wohl kaum zu bestreitenden Einfluß, den die Schilderung der Blutsbrüderschaft im 6. Kapitel der Gísla saga, die in der späteren literarischen Tradition Islands offenbar exemplarischen Charakter hatte, auf die Beschreibungen der Egils saga einhenda und der Þorsteins saga Víkingssonar ausgeübt haben wird, erscheint mir die Möglichkeit, daß eine ferne – und sicherlich auch dementsprechend fragmentarische – Erinnerung an diese Institution, unabhängig von der rein literarischen Tradition, noch relativ lange weitergelebt haben könnte, doch durchaus erwägenswert.
Schließlich wird die Verwendung von Blut im Rahmen einer Verbrüderung auch noch in der
Illuga saga Griðarfóstra erwähnt.
Allerdings findet sich in dieser Saga das „Wecken des Blutes“ in keiner mittelalterlichen Handschrift, sondern in einer frühen gedruckten Ausgabe (Uppsala 1695). Offenbar hat der Herausgeber (Gudmund OLOFSSON) den Nebensatz „vökvuðu Þeir sér síðan blóð“ in Analogie zu einer der oben genannten Stellen als Kommentar hinzugefügt. Es heißt dort (Kapitel 1):
Sigurðr konungsson ok Illugi lögðu leika með sér, átti
Sigurðr marga leiksveina, ok bar ann lángt af Þeim, hvat
sem Þeir Skyldu reyna, en Illugi vann hann í öllu; ok svâ
kom at Þeir sórust í stallbrœðralag52, ok skyldi hvorr
annars hefna, ef Þeir væri með vopnum vegnir53, var nú
allkært Þeirra á milli.54
Diese Stelle sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt; als ein Beleg für eine tatsächliche Blutsbrüderschaft kann sie natürlich nicht gelten.
Ich gebe im folgenden eine tabellarische Übersicht über jene Belege, die eine Verwendung von Blut zum Zwecke der Verbrüderung expressis verbis erwähnen.
B) „KÜNSTLICHE“ BRÜDERSCHAFT IM HEIDNISCHEN SKANDINAVIEN
Nach den Belegen, in denen die Verwendung von Blut zum Zwecke der Verbrüderung tatsächlich erwähnt wird, nun zu jenen Stellen, die der Blutmischung nicht expressis verbis gedenken, die aber aufgrund verschiedener Kriterien den Schluß zulassen, daß eine regelrechte Blutsbrüderschaft oder zumindest eine ihr sehr ähnliche Institution gemeint ist.
Fóstbrœðra saga
Die Fóstbrœðra saga, eine Isländersaga, die um 1200 von einem Geistlichen, der in der Nähe von Reykjahólar lebte, geschrieben wurde, erzählt vom Schicksal der Blutsbrüder55 Þorgeirr Hávarsson und Þormóðr Bersason. Der Schauplatz des Geschehens ist der äußerste Nordwesten Islands, die Gegend am Ísafjðr.56
In dieser Gegend wachsen Þorgeirr und Þormóðr gemeinsam auf. Bald schließen sie Freundschaft. Da sie sehr kriegerisch veranlagt sind, erfaßt sie die Vorahnung, daß sie im Kampfe fallen werden. Dies ist der Grund für ihre Verbrüderung, durch die der Überlebende sich verpflichtet, den anderen zu rächen, falls dieser getötet wird:
Þvi toku Þeir Þat rað með fastmælum, at sa Þeira
skylldi hefna annars, er lengr lifði, en Þo at Þa
veri menn kristner kallaðer, Þa var Þo i Þann tið
vng kristni ok miog vanger, sva at marger gneistar
heiðinnar voru Þo Þa epter ok i uueniu lagðer.
Hafði su siduenia verit hofð fregra manna, Þeira
er Þat laugmal settu sin imilli, at sa skylldi annars
hefna er lengr lifði, Þa skilldu Þeir ganga vnder iij.
iarðar men, ok var Þat eiðr Þeira. Sa leikr var a
Þa lund, at rista skylldi . iij . torfur or ioðu
langar; Þeira endar skylldu aller faster i iorðu,
ok heimta vpp lyckiurnar sva at menn mætti ganga
vnder. Þann leik fraumdu Þeir Þormoðr ok Þorgeirr
i sinum fast mælum.57
Als Þorgeirr Þormóðr einmal fragt, wer von ihnen wohl der Stärkere wäre, wenn sie miteinander kämpften, führt dies zum Bruch der Freundschaft; Þormóðr trennt sich von seinem fóstbróðir. Þorgeirr findet nach einer langen Reihe von Gewalttaten den Tod. Aber auch durch ihre Trennung war die einstmals geschworene Rachepflicht nicht erloschen.
Das fóstbrœðralag erscheint in dieser Saga geradezu als ein Racheschwur berühmter und außerordentlicher Helden (Þormóðr Kolbrunarskáld war ein berühmter Skalde, von dem noch mehrere Lausavísur erhalten sind); alle anderen Elemente sind völlig in den Hintergrund gedrängt.
Die Verbrüderung und die vereinbarte Rachepflicht werden ausdrücklich als Bräuche der heidnischen Vergangenheit bezeichnet, als ein Überrest aus vorchristlicher Zeit, der seine Existenz nur der Unvollkommenheit verdankt, mit der das Christentum zu dieser Zeit im Volk verwurzelt war.
Auch hier wird das Ritual des „ganga undir jarðarmen“ wiederum im Zusammenhang mit der Eingehung des fóstbrœðralag genannt. Die Beschreibung unterscheidet sich aber in zwei wesentlichen Punkten von derjenigen der Gísla saga: einerseits werden nach der Fóstbrœðra saga nämlich drei Rasenstreifen von der Erde losgeschnitten und andererseits wird die Verwendung von Blut mit keinem Wort erwähnt.
Die Bedingung, daß die Rasenstreifen an ihren Enden fest mit der Erde verbunden bleiben mußten, ist offenbar keine Nebensächlichkeit. Der Umstand, daß sowohl die Gísla saga als auch die Fóstbrœðra saga besonders darauf hinweisen, läßt den Schluß zu, daß dieser Bestimmung eine tatsächliche Funktion im Rahmen des Gesamtrituals zukam, und daß sie dementsprechend einen Anhaltspunkt zum Verständnis desselben darstellen könnte.
Heðinn und Hgni
Das Motiv vom fóstbrœðralag zwischen Heðinn und Hgni findet sich sowohl bei SAXO GRAMMATICUS (Gesta Danorum Buch V) als auch in der isländischen Überlieferung (Sörla Þattr).58
In der spätisländischen Darstellung des SÖRLA ÞATTR (Kap. 4) wird erzählt, wie Heðinn König Hgni besucht und sich die beiden in allen Künsten und Fertigkeiten messen. Nachdem sich auf diese Weise herausstellt, daß sie einander ebenbürtig sind, schwören sie sich Brüderschaft und bestimmen, daß ihnen von nun an alles gemeinschaftlich gehören soll:59
Eftir Þetta geort sueriazst Þeir j fóstbrœðralag ok skylldu allt æiga at helminge60
Die Brüderschaft wird auch hier wiederum mit dem Ausdruck „fóstbrœðralag“ bezeichnet. Über die Art und Weise ihrer Entstehung werden keine Angaben gemacht, es heißt nur, daß die Brüderschaft „geschworen“ wurde. Die einzige genannte Konsequenz ist die Gütergemeinschaft.
Bei SAXO GRAMMATICUS: GESTA DANORUM 1.V (Höginus und Hithinus) wird erzählt, daß Höginus seine Tochter Hilda mit Hithinus verlobte, und daß die beiden sich gegenseitige Rache schworen; sollte der eine durch das Schwert fallen, so sei der andere verpflichtet, ihn zu rächen.
At Høginus filiam suam Hithino despondit, coniurato invicem,
uter ferro perisset, alterum alterius ultorem fore61
Von einem Zweikampf vor der Verbrüderung wird nichts gesagt. Desgleichen wird auch das Ritual nicht erwähnt.62
SAXOs Hinweis, daß Höginus und Hithinus „invicem coniurati“ waren, könnte recht gut als eine lateinische Übersetzung des altnordischen „fóstbrœðr“ angesehen werden. Die entsprechende Stelle des Sörla Þattr legt einen solchen Vergleich nahe.
Gull-Þóris saga (Kap. 2)
Die Gull-Þóris saga, eine spätisländische Saga, die in ihrer jetzt vorliegenden Gestalt dem 14. Jh. angehören dürfte,63 ist der einzige hier in Frage kommende Beleg, in dem von einer größeren Gruppe von f ó s t brœðr berichtet wird.64
Darüber hinaus ist die Stelle ein besonders gutes Beispiel für die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks „fóstbrœðr“, denn es wird gesagt, daß Þorir und neun Männer, die gemeinsam aufgewachsen waren („fóstbrœðr“), einander Blutsbrüderschaft schworen („fóstbrœðralag“):
Þar riezt til Þorir ok Þeir IX fost brædr ok suorduzt
allir i fostbrædralag. skilldi hverr Þeira annars hefna.
Þeir skilldu saman æiga feingit fé ok vfeingit. Þat ær
Þeir feingi. iafnt ok til ynne. ok var Þorir fyrir madr
Þeira.65
Neben der Rachepflicht („skilldi hverr Þeira annars hefna“) hebt die Gull-Þóris saga das „félag“ besonders hervor (Þeir skilldu saman æiga feingit fé ok vfeingit. Þat ær Þeir feingi“). Ganz genau mit den gleichen Worten war auch in der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana die Gütergemeinschaft zwischen den Blutsbrüdern Árán und Ásmundr bezeichnet worden „… eiga fé saman, fengit ok ófengit“).
Auch in einem anderen Sinn ist die Stelle der Gull-Þóris saga merkwürdig: es wird nämlich von Þórir gesagt, daß er der „fyrir madr“ der 9 fóstbrœðr gewesen sei. Dies widerspricht ganz und gar dem Eindruck von einer absoluten Gleichheit der „Brüder“, den man aus allen bisher genannten Quellen gewinnt.66
Þattr Orms Stórólfssonar
Ein fóstbrœðr-Schwur findet sich auch im Þattr Orms Stórólfssonar im Rahmen der Olafs saga Tryggvasonar.
Asbiorn und Ormr werden fóstbrœðr und verpflichten sich für den Fall, daß einer von ihnen durch Waffengewalt umkommen sollte, zur Blutrache:
… Þeir soruzst j fóstbræðralag at fornum sid at
huorr skyllde annars hefna sa er leingr lifde ef hinn
yrde uoppnndaudr.67
Sturlaugs saga Starfsama
Die Sturlaugs saga starfsama, eine späte Saga, die Jan de VRIES68 als eine „wahllose Aneinanderreihung allbekannter Motive“ charakterisierte, erzählt, daß Sturlaugr und Framar fóstbrœðr wurden und daß sie dadurch zu gegenseitiger Rachepflicht gezwungen waren:
Nu sverjast Þeir í fóstbræðralag, Sturlaugr ok Framar,
ok skal hvorr hefna annars, sem Þeir séu skilbornir bræðr.69
Mit ganz ähnlichen Worten wie in der Völsunga saga wird auch hier der brüderliche Charakter des fóstbrœðralag besonders unterstrichen („sem Þeir se sambornir bręðr“ – „sem Þeir séu skilbornir bræðr“. Die Rachepflicht wird als eine Pflicht von Brüdern hingestellt („hefna annars, sem Þeir séu skilbornir bræðr“). Allerdings heißt es an dieser Stelle „skilborinn“ (= ehelich gezeugt, geboren) anstelle des üblichen „semborinn“, das Wort will aber ebenfalls wirkliche Blutsverwandtschaft bezeichnen.
Haralds Rímur Hringsbana
In den Haralds rímur hringsbana kommt dem „brœðralag“ eine unmittelbare Funktion im Erzählungsgeschehen zu. Dies ist sonst nur bei besonders alten Belegen der Fall.
Die Rímur von Harald Hringsbani gehören zur ältesten Schicht der isländischen „rímur“. Höchstwahrscheinlich wurden sie während der ersten Hälfte des 15. Jh. geschrieben. Der Inhalt scheint auf einer verlorengegangenen Fornaldarsaga zu beruhen.70
Haraldr, der Sohn des Dänenkönigs Hringr, hat Hermóðr, den Anführer einer Kriegerschar, erschlagen. Eines Tages trifft er im Wald auf ein Zeltlager. Man teilt ihm mit, daß der Anführer des Kriegerverbandes, bei dem er sich nun befindet, Hertryggr heiße und daß er sich auf der Suche nach dem Mörder Hermóðs befinde, dem er das Leben nehmen wolle. Haraldr verschweigt daraufhin seinen tatsächlichen Namen und macht Hertryggr den Vorschlag, mit ihm Brüderschaft zu schließen; er behauptet, daß es Hertryggr nur so gelingen könne, Haraldr zu treffen:
Bræðra lag vit bryniv Þund
eg binda uil.71
Hertryggr geht auf Haralds Vorschlag ein, und mit einem gegenseitigen Racheschwur bekräftigen sie ihre Verbrüderung:
Hvor skal annars hefna bratt.
ef holdar deyda.72
Unmittelbar danach legt Haraldr seinen Kopf auf Hertryggrs Knie und gibt sich als eben jener Haraldr zu erkennen, der Hermóðr erschlagen hat. Hertryggr, in dessen Hand nun die Macht über das Leben desjenigen gelegt ist, den er zu töten beabsichtigte, verschont Haraldr und lädt ihn ein, mit ihm in den Kampf zu ziehen. Dies ist ein besonders schönes Beispiel für die unwiderrufliche Gültigkeit des (fóst)brœðralag.
Saxo Grammaticus: Asmund und Aswit
Im Zusammenhang mit der Egils saga einhenda ok Asmundar berserkjabana habe ich darauf hingewiesen, daß sich eine ganz ähnliche Erzählung auch bei SAXO GRAMMATICUS findet: die berühmte Geschichte von Asmund und Aswit.73
Asmund ist der Sohn des Herrschers von Hethmarchia,74 Aswit der Sohn des Königs von Wik. Eines Tages verirrt sich Asmund auf der Jagd. Nachdem er lange in der Wildnis herumgestreift war, gelangt er zufällig zum Hause des Königs Biorno, des Vaters von Aswit. Nachdem die beiden Königssöhne einige Zeit miteinander verbracht haben, bestärken sie ihre Freundschaft durch ein höchst eigentümliches Gelübde: derjenige von ihnen, der den anderen überlebt, soll sich mit dem anderen begraben lassen.
Prætera ipse filiusque regis, convictu paulisper
habito, ad confirmandum inter se amicitæ cultum
omnibus coniuravere votis, quemcumque eorum vita
prolixior excepisset, mortuo contumulandum fore.
Tantus enim societatis eorum atque amicitæ vigor
exstabat, ut neuter, altero fatis absumpto, lucem
progorare statueret.75
Aswit wird von einer Krankheit dahingerafft und mit seinem Hund und seinem Roß bestattet. Asmund läßt sich, dem Gelübde getreu („ob amicitæ iusurandum“), lebendig mit Aswit begraben („vivus contumlari sustinuit“).
Zufällig kommt der Schwedenkönig Erik mit seinem Gefolge zum Grab. Da er Schätze darin vermutet, wird einer der Schweden in einem Korb, den sie an einem Seil befestigen, in die Tiefe hinuntergelassen. Asmund wirft den Schweden aus dem Korb und läßt sich an seiner Stelle hinaufziehen. Sein entsetzliches Aussehen treibt die Schweden in die Flucht; Aswit war nämlich bei Nacht wieder lebendig geworden und hatte ihm in einem harten Kampfe das linke Ohr abgerissen. Zuvor hatte er schon das Pferd und den Hund verschlungen.
Der Verfasser der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana hat den Freundschaftsbund der beiden Königssöhne offensichtlich als eine tatsächliche Blutsbrüderschaft aufgefaßt. Bei SAXO jedoch wird nur gesagt, daß Asmund und Aswit „ad confirmandum inter se amicitæ cultum omnibus coniuravere votis …“, die Betonung liegt ganz auf dem ungewöhnlichen Gelübde. Auch in der Haddingsage ist es der rechtliche Aspekt des Bundes, der sich in der Terminologie widerspiegelt.76
Die Hervorhebung des sozial-rechtlichen Aspektes steht zum Ritual der Blutmischung sicherlich in keinem Widerspruch, bezieht sich allerdings nur auf einen Bereich des Ganzen, den juristischen, der dem gelehrten Historiker SAXO am nächsten lag.
Auch wenn sich über die tatsächliche Natur des Bundes zwischen Asmund und Aswit aufgrund der spärlichen Hinweise keine Sicherheit gewinnen lassen wird, scheint es mir doch gerechtfertigt, diesen Beleg zu den anderen Beschreibungen von fóstbrœðr-Verbindungen zu stellen.
Bjarnar saga hítdœlakappa
In der Bjarnar saga hítdœlakappa, deren Handlung kurz nach der Jahrtausendwende (Bjrn hítdœlakappi starb im Jahre 1024; vgl. Ausgabe R.C. BOER, S. 106) im Hítardalr im Gebiet des Borgafjords spielt, wird geschildert, wie Björn und Þorstein Kuggason Brüderschaft schließen.
Björn spricht den Wunsch aus, daß sie verpflichtet sein sollten, den anderen zu rächen, wenn er durch Waffengewalt ums Leben käme:
Nú vilda ek til Þess mæla, at hvárr okkarr hefndi annars,
sá er lengr lifði, ef vit hfum líflát af vápnum eða mannavldum.77
Þorstein ist einverstanden, doch hinsichtlich dessen, was Björn von der Rachepflicht sagt, ist er für eine Abänderung der Bestimmung; zumal – seiner Ansicht nach – die Männer nun genauer als früher wüßten, was sie zu tun hätten („Þviat nú vita menn gørr en fyrr, hvat gøra skulu“), und weil sich das besser für Christen gezieme („ok somir Þat betr kristnum mnnum“), solle kein Totschlag stattfinden (eigi sé manndráp“), sondern die Rache sollte in Friedlosigkeit oder Mannbuße umgewandelt werden:
Þorsteinn kvað sér Þykkja í hvern stað jafnboðit, er
hann bauð sitt vinfengi; ‚en gørum Þar á grein nkkura,
er Þu rœðir um hefndirnar, Þviat nú vita menn gørr en
fyrr, hvat gøra skulu, ok vil ek Þat um mæla, at hvárr
okkar taki eindœmi eptir annan eða sektir ok fébœtr,
Þótt eigi sé manndráp, ok sómir Þat betr kristnum mnnum‘.78
Tatsächlich treffen sie darauf die feste Abmachung, daß jeder von ihnen den anderen rächen oder nach ihm klagen solle, als wenn sie leibliche Brüder wären:
Nú tóku Þeir Þetta fastmælum, at hvárr Þeira skal hefna
annars eða eptir mæla, svá sem Þeir sé sambornir brœðr.79
Wie in der Fóstbrœðra saga wird auch hier die Unvereinbarkeit der Rachepflicht mit dem Christentum besonders hervorgehoben, aber während in der Fóstbrœðra saga die beiden Blutsbrüder noch bewußt an der heidnischen Sitte festhalten, haben sich Björn und Þorstein Kuggason schon so weit vom Heidentum entfernt, daß sie keinen Totschlag auf sich nehmen wollen – nicht einmal dann, wenn es um die Wahrung der Integrität des fóstbrœðralag geht.
Die Bjarnar saga hítdœlakappa erwähnt nichts von einem Ritual der Verbrüderung; es ist nur von einem „Gelübde“ die Rede, das die beiden ablegen. Auch der Ausdruck „fóstbrœðralag“ findet sich in diesem Zusammenhang nicht. Am Ende der Schilderung dieser Szene wird jedoch betont, daß die Rachepflicht – wenn auch in diesem Falle in etwas abgewandelter Form – derjenigen von Brüdern gleichkomme („svá sem Þeir sé sambornir brœðr“). Den anderen wie einen Bruder zu rächen („annars hefna sem bróður síns“) ist in der Gísla saga die hauptsächliche Folge der Blutsbrüderschaft und die Wendung „sem Þeir se sambornir brędr“ findet sich – gewissermaßen als Kommentar des Verhältnisses der Blutsbrüder Sigurd, Gunnar und Högni – wörtlich gleichlautend in der Völsunga saga. Daraus könnte man immerhin schließen, daß es sich bei der Brüderschaft Björns und des Þorstein Kuggason um ein „fóstbrœðralag“ gehandelt habe.
Þorsteins saga Víkingssonar
Im Kapitel 7 der Þorsteins saga Víkingssonar in der sich das Motiv der fóstbrœðralag ganz besonders häufig findet, wird von der Verbrüderung Víkíngs und Njörfis erzählt.
Víkíngr fragt Njörfi:
… viltu at við gerum félag með okkr?“80
Der Königssohn Njörfi stimmt dem Vorschlag zu, doch besteht er auf einer besonderen Abmachung: es soll ihm der Königstitel ungeteilt vorbehalten bleiben:
vil ek með Því fóstbrœðralag binda, at Þu heitir
jarl, en ek konúngr, sem við erum tilbornir…“81
Der Umstand, daß dies als Sonderbestimmung beim Abschluß des fóstbrœðralag ausdrücklich erwähnt wird, zeigt, wie vollständig die Gleichheit der fóstbrœðr im Normalfall gewesen sein muß.
Nach Klärung dieses Vorbehalts schwören sie sich das fóstbrœðralag („Njörfi ok Víkíngr… sórust í fóstbrœðralag“)82.
Noch eine weitere Stelle der Þorsteins saga Víkingssonar ist im Hinblick auf das fóstbrœðralag zu erwähnen, nämlich der Bericht, den die Saga in Kapitel 20 von der Verbrüderung Belis und Þorsteins gibt.83
Þorstein hat Beli im Kampf überwunden, schenkt dem Besiegten das Leben und schließt mit ihm das fóstbrœðralag:
… ek vil gefa Þér nú líf, ok Þat með at við verðum fóstbrœðr …84
Von Bedeutsamkeit ist der Hinweis, daß Þorstein die Schwester seines fóstbróðir heiraten will:
… ek vil ok biðja Íngibjargar, systar Þinnar …85
Unter diesen Bedingungen schließen sie das fóstbrœðralag
(… bundu Þeir Þetta með fastmælum …).
Snorri Sturluson: Magnúss saga blinda ok Haralds Gilla in der Heimskringla
König Erich Emune von Dänemark nahm Harald Gille nach der unglücklichen Schlacht bei Fyrileif gut bei sich auf. Er gewährte dem Harald Gille Bewirtung und Überfahrt nach Halland und gab ihm acht ungetakelte Langschiffe. Als besonderen Grund für diese außerordentliche Großzügigkeit nennt SNORRI das Bruderschaftsverhältnis, das zwischen Erich und Harald bestand:
Eiríkr konungr tók vel við honum ok mest fýrir Því, at
Þeir hfðu svarizk í brœðralag. Han veitti Haraldi at
veizlu ok yfirferð Halland ok gaf honum átta langskip reiðalaus.86
Ich gebe wiederum eine tabellarische Übersicht über die Verteilung der Motive in den oben besprochenen Quellen:
Die ziemlich häufigen Stellen, die dem von Axel OLRIK als „Fostbrodersituation“ charakterisierten Handlungstyp angehören,87 werden, wenn sie außer dieser ganz bestimmten Struktur über die Institution des fóstbrœðralag sonst weiter nichts aussagen, im Zusammenhang mit der friedenstiftenden und friedenbestärkenden Funktion des fóstbrœðralag angeführt werden.88
Es fällt auf, daß die Blutsbrüderschaft in den Rechtsbüchern kein einziges Mal erwähnt wird. Vielleicht wird der Grund dafür in ihrem frühzeitigen verschwinden zu suchen sein oder auch nur in der „Vielgestaltigkeit“ des Verhältnisses, wie Konrad MAURER meinte.89 Vielleicht ist die Ursache dafür jedoch darin zu suchen, daß diese Brüderschaft ihrem Wesen nach ursprünglich einem Bereich der vorchristlichen skandinavischen Gesellschaftsordnung angehörte, der außerhalb von Sippe und Familie lag, diesen gewissermaßen diametral entgegengesetzt, und der dementsprechend auch von den Rechtsbüchern nicht erfaßt wurde.90
Nur im § 239 des Gulathingrechtes werden „Eidbrüder“ erwähnt, und zwar wird dort ihre rechtliche Gleichstellung mit den Ziehbrüdern (fóstbrœðr) festgelegt:
Nu ero eiðbrœðr. Þeirra tecr hvárr. a œðrum. xii.
aura af viganda. Nu ero fóstbrœðr tveir fœddir upp
saman. oc hava druckit bader speina einn. Þa tecr hvarr
a œðrum .xii. aura af viganda.91
Neben der Aussage über die Höhe der Buße ist diese Stelle ein besonders deutlicher Beleg für die Bedeutungsambivalenz des Wortes „fóstbroðir“, die offenbar auch zu dieser Zeit schon zu Mißverständnissen Anlaß geben konnte.92
Weiters gibt es einige Runeninschriften, die Brüderverhältnisse zwischen einer größeren Anzahl von Beteiligten erwähnen. Daß damit „Bundbrüder“ und nicht natürliche Brüder gemeint waren, ist in einigen Fällen nicht zu bezweifeln. Als Belegen von „Brüder“bünden kommt diesen Inschriften größte Bedeutung zu, wenngleich in keinem einzigen Fall gesagt wird, daß das Verbrüderungsritual eine Blutmischung umfaßt habe.
Die wichtigste dieser Inschriften ist die des Runensteins von Rök. Aus ihr ist zu entnehmen, daß 20 Könige, die auf Seeland wohnten, in 4 Gruppen von je 5 „Brüdern“ geteilt waren. Die 4 Väter dieser vier Brüderkreise sollen ebenfalls „Brüder“ gewesen sein.93
Die Inschriften auf den Runensteinen 2 und 3 von Hällestad beziehen sich ebenfalls auf eine Gefolgschaft von „Brüdern“, einen kriegerischen „Brüder“bund.
Der Turinge-Stein in Södermanland scheint auf eine ebensolche Brüderschaftsorganisation zurückzuweisen.
Im Zusammenhang mit der Frage nach der Existenz und Organisation vorchristlicher skandinavischer Brüderbünde werde ich auf die hier nur kurz erwähnten Runeninschriften genauer eingehen.94
Wie bereits mehrfach angedeutet wurde, gab es neben dem Terminus „fóstbroðir“ auch noch die Bezeichnungen „eiðbroðir“ und „svarabroðir“. Was ist unter diesen Ausdrücken zu verstehen und wie verhalten sie sich zum Terminus „fóstbroðir“, der als einziger von ihnen zur Bezeichnung der Verbrüderung durch Blutmischung verwendet wurde?
Die Fornaldarsögur machen aber auch zwischen dem „fóstbrœðralag“, mit dem man offenbar nur mehr ziemlich unklare Vorstellungen verband, und dem „félag“95 keinen ersichtlichen Unterschied.
Eidbrüderschaft und Schwurbrüderschaft, zwischen denen sich kein Bedeutungsunterschied feststellen läßt,96 wurden im allgemeinen als spätere Entwicklungsstufen des fóstbrœðralag angesehen,97 die sich unter einem allmählichen Zurücktreten der Blutmischung und unter Verlegung des Schwergewichtes auf die Eidesleistung von der urtümlicheren Blutsbrüderschaft abzugrenzen begonnen hatten. Dies ist zweifellos richtig, denn wenn „Brüderschaft schwören“ („sveria i brœðralag“) von der Eingehung eines Erbvertrages gesagt werden konnte, den der König von Norwegen mit dem König von Dänemark im Jahre 1038 schloß, so ist in diesem konkreten Fall gewiß nicht mehr an das alte Ritual des fóstbrœðralag zu denken.98
Aufschlußreich für die späte Form der Brüderschaft sind zwei Stellen in der Þiðreks saga: die Schwurbrüderschaft wird in diesem Fall als „felagscap“ bezeichnet, und sie wird dadurch geschlossen, daß die sich Verbrüdernden ihre Hände ineinanderlegen.99
Es ist nicht möglich, den genauen Zeitpunkt dieser Umwandlung festzulegen. Wahrscheinlich war die Umstrukturierung der nordischen Bundbrüderschaft um die Jahrtausendwende schon ziemlich weit fortgeschritten.100
Die Frage, ob und wieweit die mittelalterlichen Gilden eine direkte Fortsetzung des vorchristlichen fóstbrœðralag darstellen, hat als Kernfrage zum Ursprung des Gildewesens eine große Zahl von Erörterungen dieses Problemkreises hervorgerufen. Mit der Existenz von Brüderbünden auf der Grundlage des fóstbrœðralag wie mit altgermanischen Männerbünden überhaupt wurde dabei allerdings nicht gerechnet, so daß auch Max PAPPENHEIM, der in seiner Untersuchung den altdänischen Schutzgilden den unmittelbaren Zusammenhang zwischen fóstbrœðralag und Gilde betonte, sich von vornherein zu der Einschränkung genötigt sah, daß die Blutsbrüderschaft in keinem Fall die einzige Quelle des Gildewesens gewesen sein könne.101
Ein Vergleich mit der Blutsbrüderschaft der Kelten und Südslawen zeigt, daß auch dort die Verbrüderung durch Blutmischung allmählich durch andere Verbrüderungsarten ersetzt wurde – analog der Entwicklung in Skandinavien.
Eine typische Stelle findet sich in den irischen Annalen des 13. Jahrhunderts. In den „Annals of Loch Cé“,102 den „Annals of Ulster“103 und einigen anderen Quellen wird zum Jahr 1277 folgendes berichtet: Obwohl er mit ihm Blutsbrüderschaft geschlossen hatte, machte der Sohn des Earl of Clare, Brian Ruadh O‘ Brian, den König von Munster auf verräterische Weise zu seinem Gefangenen und ließ ihn von Pferden zerreißen. Die Blutsbrüderschaft hatten sie sowohl durch Vermischen des Blutes als auch durch Schwören auf Reliquien geschlossen.104 Im 13. Jh. wurde das Schwören auf Reliquien als eine ziemlich junge Form eines Bundes in Irland allgemein üblich105 und trat funktionsmäßig an die Stelle der ehemaligen Blutsbrüderschaft.
In Serbien, Montenegro, Albanien und Teilen Bulgariens hatte sich die Sitte, Wahlbruderschaft durch Vermischen des Blutes einzugehen, noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. hinein erhalten;106 damals war sie im Aussterben begriffen. Andere Formen der Wahlbruderschaft sind nach dem Verschwinden der Blutmischung bis in die Gegenwart lebendig geblieben.107
Außer diesem diachronen Aspekt der Weiterentwicklung des fóstbrœðralag ist auch die Frage ins Auge zu fassen, inwieweit es zu einer Zeit, in der das nordgermanische Verbrüderungsritual noch eine tatsächliche Blutmischung umfaßte, neben diesem und zugleich mit ihm andere Formen institutionalisierter Verbrüderung gab, d. h., ob nicht die Eidbrüderschaft bzw. Schwurbrüderschaft zugleich mit der Blutsbrüderschaft existiert haben können.
Bei den Südslawen hat es – abgesehen von der Vielfalt der Anlässe, die zur Wahlbrüderschaft führen konnten – mehrere „Stufen“ des Pobratimstvo gegeben, die zueinander in einem gewissermaßen komplementären Verhältnis standen.
In Montenegro sah dies folgendermaßen aus:108
MALO PORATIMSTVO, „die kleine Bruderschaft“, wurde zwischen Freunden, die einander in Zukunft brüderlich helfen wollten, durch dreimaligen Kuß und den Austausch von Geschenken geschlossen. Im allgemeinen stellte sie die Vorstufe zum POBRATIMSTVO PRIČESTNO (pričestiti = kommunizieren) dar. Dieses wurde auf feierliche Weise in der Kirche geschlossen, indem der Pope die beiden sich Verbrüdernden mit der Stola bedeckte, ein bestimmtes Gebet sprach, beide gleichzeitig aus einem Kelch Wein trinken ließ,109 sie dann Kreuz, Evangelien, Ikonen und schließlich einander selbst küssen ließ.
POBRATIMSTVO NEVOLJE („Notbrüderschaft“) kam auf folgende Weise zustande: jemand, der sich in großer Gefahr befindet, ruft den Nächstbesten mit folgenden Worten um Hilfe an: „Hilf mir, bei Gott und dem hl. Johannes, ich nehme dich zum Wahlbruder!“, worauf ihm der so Angerufene seine Hilfe auf keinen Fall versagen wird und die beiden einander zum Zeichen ihres brüderlichen Verhältnisses dreimal küssen.
Über all den genannten Formen des pobratimstvo stand die Bluts brüderschaft, die durch gegenseitiges Bluttrinken geschlossen wurde.110
Sicherlich wäre es nicht gerechtfertigt, allein aufgrund der Tatsache, daß die Blutsbrüderschaft im südslawischen Raum nur eine, wenn auch die höchste und verbindlichste, Form der „Brüderschaft“ darstellte, eine derartige Komplexität oder Abstufung auch für das heidnische Skandinavien anzunehmen; eine Übergangszeit (und aus dieser stammen ja praktisch alle unsere Belege), in der verschiedene Verbrüderungsformen nebeneinander bestanden, muß es aber auch bei den Germanen gegeben haben. Eine schematische Abgrenzung halte ich für unmöglich, denn unsere Zeugnisse lassen nicht erkennen, ob es scharfe Unterscheidungen verschiedener Typen solcher Verbrüderungen gegeben hat.
Wichtiger erscheint mir folgende Überlegung: ich glaube, daß man „eiðbroðir“ und „svarabroðir“ geradezu als sprachliche Zeugnisse für die starke Aufwertung und allmähliche Verselbständigung eines Teiles (analog zu der bei den Gilden allmählich erfolgten Spezialisierung) des ursprünglichen fóstbrœðralag ansehen könnte, nämlich des rechtlichen. Die Bezeichnung „Eidbrüder“ und „Schwurbrüder“ halte ich für Belege einer Betrachtung aus „juristischer Perspektive“,111 einer Perspektive, die erst zu einem Zeitpunkt möglich geworden sein kann, an dem man den ursprünglichen Gesamtsinn einer Institution aus den Augen verloren hatte, das Wesentliche in den Konsequenzen zu erkennen vermeinte, und nun von diesen offensichtlich sekundären Elementen aus (und zudem noch unter Herauslösung eines einzelnen) eine neue (naturgemäß eingeengte) Bestimmung der weiterüberlieferten Einrichtung unternahm.
Nach diesen Bemerkungen über den weiteren Rahmen, in dem die spezielle Form der skandinavischen Blutsbrüderschaft zu sehen ist, gehe ich zu einer genaueren Analyse der verschiedenen Formen und Typen dieser Gemeinschaftsgestaltungen über.