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IV

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Das Pawlograder Husarenregiment lag zwei Meilen von Braunau im Quartier; die Eskadron, in welcher Nikolai Rostow als Junker stand, war in dem deutschen Dorf Salzeneck untergebracht. Dem Eskadronchef, Rittmeister Denisow, welcher in der ganzen Kavalleriedivision unter dem Namen Waska1 Denisow bekannt war, war das beste Quartier im Dorf zugeteilt; der Junker Rostow wohnte die ganze Zeit her, seit er das Regiment in Polen eingeholt hatte, mit dem Eskadronchef zusammen.

Am 11. Oktober, an eben dem Tag, an welchem im Hauptquartier alles durch die Nachricht von Macks Niederlage in unruhige Bewegung versetzt worden war, ging im Quartier jener Eskadron das Lagerleben noch in der alten Weise weiter. Denisow, der die ganze Nacht Karten gespielt hatte, war noch nicht nach Hause gekommen, als Rostow am frühen Morgen zu Pferde vom Furagieren zurückkehrte. Rostow ritt an die Stufen vor der Haustür heran, schwang, seinem Pferd einen Stoß versetzend, mit einer jugendlich geschmeidigen Bewegung das Bein herüber, blieb noch einen Augenblick im Steigbügel stehen, als ob er sich noch gar nicht von seinem Pferd trennen möchte, sprang endlich herunter und rief seinen Burschen.

»He, Bondarenko, lieber Freund!« rief er, und der Husar kam nun Hals über Kopf zu dem Pferd gelaufen. »Führ ihn umher, mein Lieber«, sagte er mit jener brüderlichen, heiteren Freundlichkeit, mit welcher gutherzige junge Leute, wenn sie sich glücklich fühlen, sich gegen alle Menschen benehmen.

»Zu Befehl, Euer Erlaucht«, antwortete der Kleinrusse mit vergnügtem Kopfnicken.

»Gib gut acht und führe ihn recht ordentlich herum.«

Ein anderer Husar kam ebenfalls auf das Pferd zugestürzt; aber Bondarenko hatte dem Tier schon den Zügel über den Kopf geworfen. Es war leicht zu sehen, daß der Junker gute Trinkgelder zu geben pflegte, und daß es vorteilhaft war, ihm Dienste zu leisten. Rostow streichelte dem Pferd den Hals, dann die Kruppe und blieb auf den Stufen stehen.

»Famos! Das wird ein prächtiges Pferd werden!« sagte er lächelnd zu sich selbst und lief, den Säbel festhaltend, sporenklirrend die Stufen weiter hinan. Der deutsche Besitzer des Hauses, in wollener Jacke und Zipfelmütze, die Mistgabel in der Hand, mit der er den Mist ausgeräumt hatte, sah aus dem Kuhstall heraus. Das Gesicht des Deutschen wurde auf einmal freundlich sowie er den jungen Rostow erblickte. Er lächelte vergnügt und rief, mit den Augen blinzelnd: »Schönen guten Morgen! Schönen guten Morgen!« Es machte ihm offenbar Vergnügen, den jungen Mann zu begrüßen.

»Schon so fleißig?« rief Rostow auf deutsch mit demselben harmlosen, frohen Lächeln, das auf seinem munteren Gesicht heimisch war. »Hoch die Österreicher! Hoch die Russen! Kaiser Alexander hoch!« rief er dem Deutschen zu; er wiederholte damit Worte, die der deutsche Hauswirt oft gesprochen hatte.

Der Deutsche fing an zu lachen, trat ganz aus der Tür des Kuhstalles heraus, riß sich die Mütze ab, schwenkte sie über seinem Kopf und schrie:

»Und die ganze Welt hoch!«

Ebenso wie der Deutsche seine Zipfelmütze, schwenkte auch Rostow seine Dienstmütze über dem Kopf und schrie lachend: »Vivat die ganze Welt!« Zwar hatten weder der Deutsche, der seinen Kuhstall ausgemistet, noch Rostow, der mit einem Beritt Husaren Heu geholt hatte, irgendeinen Grund zu besonderer Freude; aber doch blickten diese beiden Menschen einander ganz glückselig, ordentlich mit einer Art von Bruderliebe an, nickten sich zum Zeichen ihrer wechselseitigen Zuneigung zu und gingen dann lächelnd auseinander, der Deutsche in seinen Kuhstall und Rostow in die Stube, die er mit Denisow zusammen bewohnte.

»Was macht dein Herr?« fragte er Lawrenti, den im ganzen Regiment als durchtriebener Patron bekannten Burschen Denisows.

»Er ist seit gestern abend noch nicht wieder hier gewesen. Jedenfalls hat er verloren«, antwortete Lawrenti. »Ich kenne das schon: wenn er gewinnt, kommt er zeitig wieder nach Hause, um damit zu prahlen; aber wenn er bis zum Morgen nicht da ist, dann haben sie ihn gehörig ausgebeutelt, und wenn er dann kommt, ist er fuchswild. Befehlen Sie Kaffee?«

»Jawohl, bringe nur her!«

Nach zehn Minuten brachte Lawrenti den Kaffee. »Der Herr kommt!« sagte er. »Nun wird es schlimm.« Rostow sah durchs Fenster und erblickte den nach Hause zurückkehrenden Denisow. Denisow war von kleiner Statur und hatte ein rotes Gesicht, funkelnde, schwarze Augen, einen borstigen Schnurrbart und struppiges Kopfhaar. Er trug einen aufgeknöpften Dolman und weite, faltig herunterhängende Hosen; eine ganz verdrückte Husarenmütze saß ihm im Nacken. Mit finsterem Gesicht und gesenktem Kopf kam er zur Haustür.

»Lawrenti!« schrie er laut und zornig, mit der ihm eigenen undeutlichen Aussprache des r. »So komm doch und nimm mir die Sachen ab, du Tölpel!«

»Das tue ich ja schon ganz von selbst!« hörte Rostow den Burschen antworten.

»Ah, du bist schon aufgestanden!« sagte Denisow, ins Zimmer tretend.

»Schon lange«, erwiderte Rostow. »Ich habe schon Heu geholt und Fräulein Mathilde gesehen.«

»Na so was! Und mich haben sie gestern ausgeplündert, Bruder – wie ein Schindluder haben sie mich behandelt!« schrie Denisow. »So ein Pech! So ein vermaledeites Pech! Sowie du weg warst, da ging die Geschichte los ... Heda! Tee!«

Denisow verzog stirnrunzelnd sein Gesicht zu einer wunderlichen Art von Lächeln, bei dem seine kurzen, kräftigen Zähne sichtbar wurden, und wühlte mit den kurzen Fingern beider Hände in dem schwarzen, wirren Dickicht seines Haares.

»Mußte mich auch der Teufel plagen, zu dieser Ratte« (dies war der Spitzname eines Offiziers) »hinzugehen«, redete er weiter und rieb sich mit beiden Händen Stirn und Gesicht. »Kannst du dir das vorstellen: auch nicht eine Karte, keine einzige Karte hat er mich gewinnen lassen.«

Denisow nahm die ihm gereichte, angerauchte Pfeife, preßte die Faust fest herum, stieß mit der Pfeife auf den Fußboden, so daß das Feuer verschüttet wurde, und fuhr fort zu schreien:

»Simple gewinne ich, Paroli schlägt er; Simple gewinne ich, Paroli schlägt er!«

Er sah, daß das Feuer verschüttet war, zerbrach die Pfeife und warf sie weg. Ein Weilchen schwieg Denisow; dann sah er auf einmal mit seinen funkelnden, schwarzen Augen Rostow lustig an: »Wenn es hier wenigstens noch Weiber gäbe! Aber so kann man hier nichts weiter tun als trinken. Käme es nur bald zum Losschlagen ...! Na, wer ist denn da?« fragte er, sich zur Tür hinwendend, da er hörte, wie die Schritte schwerer Stiefel mit klirrenden Sporen vor der Tür haltmachten und jemand sich respektvoll räusperte.

»Der Wachtmeister«, antwortete Lawrenti.

Denisows Gesicht wurde wieder ganz finster.

»Verfluchte Geschichte!« murmelte er vor sich hin und warf eine Börse, in der sich einige Goldstücke befanden, auf den Tisch. »Lieber Rostow, zähle doch mal nach, wieviel noch drin ist, und stecke die Börse unter mein Kopfkissen.« Damit ging er hinaus zu dem Wachtmeister.

Rostow nahm das Geld, schichtete mechanisch alte und neue Goldstücke in kleine Häufchen auf, die er in gerader Front ordnete, und zählte sie durch.

»Ah, Teljanin! Guten Morgen! Gestern haben sie mich gut ausgebeutelt«, hörte man Denisows Stimme von draußen.

»Bei wem denn? Bei Bykow, der Ratte ...? Das dachte ich mir gleich«, sagte eine andere, hohe Stimme, und gleich darauf trat der Leutnant Teljanin ins Zimmer; er gehörte zu derselben Eskadron und war von kleiner Gestalt.

Rostow schob die Börse unter das Kopfkissen und drückte die ihm entgegengestreckte kleine, feuchte Hand. Teljanin war vor dem Feldzug zur Strafe für irgend etwas, was er begangen hatte, von der Garde zu diesem Regiment versetzt worden. Er hielt sich hier durchaus tadellos; aber er war nicht beliebt, und namentlich Rostow konnte seinen eines greifbaren Grundes ermangelnden Widerwillen gegen diesen Offizier weder bezwingen noch verbergen.

»Nun, junger Kavallerist, wie macht sich bei Ihnen mein ›Rabe‹?« fragte Teljanin. »Rabe« war der Name des Extrapferdes, welches Teljanin an Rostow verkauft hatte.

Der Leutnant blickte demjenigen, mit dem er sprach, nie in die Augen; seine Augen liefen beständig von einem Gegenstand zum andern umher.

»Ich sah Sie, wie Sie heute vorbeiritten«, fügte er noch hinzu.

»Nun, es ist nichts dagegen zu sagen; es ist ein gutes Pferd«, antwortete Rostow, trotzdem das Pferd, für welches er siebenhundert Rubel gegeben hatte, nicht die Hälfte dieses Preises wert war. »Es hat auf dem linken Vorderfuß etwas zu lahmen angefangen«, fuhr er fort.

»Der Huf hat einen Riß bekommen! Das hat nichts zu bedeuten. Ich werde Ihnen zeigen, wie man da ein Niet macht.«

»Ja, bitte, zeigen Sie mir das«, erwiderte Rostow.

»Gewiß, das will ich tun; ein Geheimnis ist es nicht. Und für das Pferd werden Sie mir noch dankbar sein.«

»Dann werde ich also das Pferd vorführen lassen«, sagte Rostow, der gern von Teljanins Gesellschaft loskommen wollte, und ging hinaus, um anzuordnen, daß das Pferd gebracht werden sollte.

Im Hausflur saß Denisow, mit einer andern Pfeife, zusammengekrümmt auf der Schwelle; vor ihm stand der Wachtmeister und rapportierte etwas. Als Denisow den Junker erblickte, runzelte er die Stirn, zeigte mit dem Daumen über die Schulter nach dem Zimmer, in welchem Teljanin saß, und schüttelte sich voll Widerwillen.

»Ich kann diesen Burschen nicht leiden«, sagte er, ohne sich wegen der Gegenwart des Wachtmeisters Zwang aufzuerlegen.

Rostow zuckte die Achseln, wie wenn er sagen wollte: »Es geht mir ebenso; aber was ist zu tun?« und kehrte, nachdem er die erforderliche Anweisung gegeben hatte, zu Teljanin zurück.

Teljanin saß in derselben lässigen Haltung da, in der ihn Rostow verlassen hatte, und rieb sich die kleinen, weißen Hände.

»Was es doch für widerwärtige Physiognomien gibt«, dachte Rostow, als er in das Zimmer trat.

»Nun, haben Sie das Pferd bringen lassen?« fragte Teljanin, indem er aufstand und mit gleichgültiger Miene um sich blickte.

»Ich habe es angeordnet.«

»Ach, wir wollen lieber gleich selbst hingehen. Ich bin eigentlich nur mit herangekommen, um Denisow nach der gestrigen Order zu fragen. Haben Sie sie bekommen, Denisow?«

»Nein, noch nicht. Wohin gehen Sie denn jetzt?«

»Ich will dem jungen Mann zeigen, wie der Huf seines Pferdes behandelt werden muß«, sagte Teljanin.

Sie traten vor die Haustür und gingen in den Pferdestall. Der Leutnant zeigte, wie das Niet angebracht werden müsse, und ging weg nach Hause.

Als Rostow wieder ins Zimmer zurückkehrte, stand eine Flasche Branntwein auf dem Tisch, und eine Wurst lag dabei. Denisow saß am Tisch und schrieb kritzelnd mit einer Feder auf einem Blatt Papier. Er blickte dem jungen Rostow mit düsterer Miene ins Gesicht.

»Ich schreibe ihr«, sagte er.

Er stützte sich, die Feder in der Hand haltend, mit dem Ellbogen auf den Tisch, und offenbar froh über die Möglichkeit, das, was er schreiben wollte, schneller mündlich zu sagen, teilte er seinem Junker den beabsichtigten Inhalt seines Briefes mit.

»Siehst du wohl, mein Freund«, sagte er, »solange wir nicht lieben, schlafen wir, sozusagen. Wir sind Kinder des Staubes; aber wenn man sich verliebt, wird man ein Gott; man wird rein, wie am ersten Tag nach der Geburt ... Wer ist denn da schon wieder? Jag ihn zum Teufel! Ich habe keine Zeit!« schrie er seinem Burschen Lawrenti zu, der ohne eine Spur von Schüchternheit zu ihm trat.

»Nun, wer wird es denn sein? Sie haben es ja selbst befohlen. Der Wachtmeister ist gekommen, um das Geld zu holen.«

Denisow runzelte die Stirn, wollte eine Erwiderung herausschreien, schwieg aber doch still.

»Verdammte Geschichte!« murmelte er dann vor sich hin. »Wieviel Geld war denn noch in der Börse drin?« fragte er Rostow.

»Sieben neue und drei alte.«

»Ach herrje, verdammte Geschichte! Na, was stehst du da wie ein Ölgötze? Ruf den Wachtmeister herein!« schrie Denisow seinen Burschen an.

»Bitte, Denisow, nimm von mir Geld, wenn du welches brauchst; ich habe ja«, sagte Rostow errötend.

»Ich mag nicht von meinen Freunden borgen; ich mag das nicht«, brummte Denisow.

»Du kränkst mich, wenn du nicht von mir Geld annimmst, wie das unter Kameraden Sitte ist. Ich habe wirklich hinreichend Geld.«

»Nein, nein!«

Denisow trat an das Bett, um die Börse unter dem Kopfkissen hervorzuziehen.

»Wo hast du sie hingelegt, Rostow?«

»Unter das untere Kissen.«

»Da ist sie nicht.«

Denisow warf beide Kissen auf den Fußboden. Die Börse war nicht da.

»Na, das ist doch aber seltsam!«

»Warte mal, hast du sie auch nicht mit den Kissen heruntergeworfen?« sagte Rostow, hob die Kissen einzeln auf und schüttelte sie.

Er nahm auch das Deckbett ab und schüttelte es. Die Börse war nicht da.

»Habe ich auch nicht etwa vergessen, wo ich sie hingelegt habe?« sagte Rostow. »Aber nein, ich dachte noch, daß du die Börse wie einen Schatz unter dem Kopf liegen haben wolltest. Hier habe ich die Börse hingelegt. Wo ist sie nun?« wandte er sich an Lawrenti.

»Ich bin nicht ins Zimmer gekommen. Wo Sie sie hingelegt haben, da muß sie auch noch sein.«

»Aber sie ist nicht da!«

»Ja, so sind die Herren immer; sie werfen ihre Sachen irgendwohin und vergessen es dann. Sehen Sie doch einmal in Ihren Taschen nach!«

»Nein, wenn ich nicht an den Schatz gedacht hätte«, erwiderte Rostow; »aber so besinne ich mich ganz bestimmt, daß ich sie hierher gelegt habe.«

Lawrenti durchwühlte das ganze Bett, er sah auch unter die Bettstelle und unter den Tisch, er durchsuchte das ganze Zimmer und blieb schließlich mitten im Zimmer stehen. Denisow hatte schweigend alle Bewegungen Lawrentis mit den Augen verfolgt, und als nun Lawrenti in ratlosem Staunen die Arme auseinanderbreitete und erklärte, die Börse sei nirgends zu finden, da richtete er seinen Blick auf Rostow.

»Rostow, mach keine törichten Späße!«

Rostow fühlte Denisows Blick auf sich gerichtet, blickte auf und schlug in demselben Augenblick die Augen wieder nieder. Alles Blut, das irgendwo unterhalb der Kehle eingeschlossen gewesen war, drang ihm plötzlich ins Gesicht und in die Augen.

Er war nicht imstande Atem zu holen.

»Und im Zimmer ist ja doch niemand gewesen als der Leutnant und Sie selbst. Sie muß doch also hier irgendwo sein«, sagte Lawrenti.

»Nun, du verfluchter Kerl, dann rühr dich und such!« schrie Denisow plötzlich und stürzte mit drohender Gebärde auf den Burschen los. »Die Börse muß gefunden werden, oder ich lasse dich totpeitschen. Alle lasse ich totpeitschen!«

Rostow vermied es, Denisow anzusehen, knöpfte sich die Jacke zu, schnallte den Säbel um und setzte die Mütze auf.

»Ich sage dir, die Börse muß gefunden werden!« schrie Denisow, indem er den Burschen an den Schultern schüttelte und ihn gegen die Wand stieß.

»Laß ihn, Denisow; ich weiß, wer sie genommen hat«, sagte Rostow und ging, ohne aufzublicken, nach der Tür hin.

Denisow stand einen Moment regungslos und dachte nach; dann, nachdem er offenbar verstanden hatte, worauf Rostow hindeutete, ergriff er ihn bei der Hand.

»Unsinn!« schrie er so heftig, daß ihm die Adern an Hals und Stirn anschwollen. »Ich sage dir, du bist verrückt geworden. Ich dulde das nicht. Die Börse ist hier. Ich werde diesem Schurken das Fell abziehen, dann wird sie schon zum Vorschein kommen.«

»Ich weiß, wer sie genommen hat«, sagte Rostow noch einmal mit bebender Stimme und ging zur Tür.

»Und ich sage dir: untersteh dich nicht, das zu tun!« schrie Denisow und stürzte auf den Junker los, um ihn zurückzuhalten.

Aber Rostow riß seinen Arm los und blickte ihm mit solchem Ingrimm gerade und fest ins Gesicht, als ob Denisow sein Todfeind wäre.

»Verstehst du auch, was du sagst?« sprach er mit zitternder Stimme. »Außer mir war niemand im Zimmer als er. Also, wenn er es nicht gewesen ist, so ...«

Er war nicht imstande, den Satz zu Ende zu sprechen, und lief aus dem Zimmer.

»Ach, hol dich der Teufel! Euch alle soll der Teufel holen!« Das waren die letzten Worte, die Rostow hörte.

Rostow kam zu Teljanins Quartier.

»Der Herr ist nicht zu Hause; er ist nach dem Quartier des Regimentsstabes geritten«, sagte Teljanins Bursche zu ihm. »Ist etwas passiert?« fragte der Bursche, verwundert über das verstörte Gesicht des Junkers.

»Nein, gar nichts.«

»Wenn Sie ein klein wenig früher gekommen wären, hätten Sie ihn noch getroffen«, sagte der Bursche.

Das Quartier des Regimentsstabes befand sich drei Werst von Salzeneck. Ohne erst noch einmal nach seiner Wohnung zurückzukehren, nahm sich Rostow ein Pferd und ritt dorthin. In dem Dorf, in dem der Stab lag, war ein Wirtshaus, in dem die Offiziere verkehrten. Als Rostow bei dem Wirtshaus anlangte, erblickte er vor der Tür das Pferd Teljanins.

Im zweiten Zimmer des Wirtshauses saß der Leutnant bei einem Teller mit Bratwürstchen und einer Flasche Wein.

»Ah, Sie sind auch hergekommen, junger Mann!« sagte er lächelnd und zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Ja«, antwortete Rostow, als ob es ihn eine große Anstrengung kostete, dieses Wort herauszubringen, und setzte sich an den benachbarten Tisch.

Beide schwiegen; im Zimmer saßen außer ihnen noch zwei Deutsche und ein russischer Offizier. Aber auch diese redeten nicht, und es war weiter nichts zu hören als das Klappern des Messers und der Gabel auf dem Teller des Leutnants und das Geräusch seines Kauens. Als Teljanin mit seinem Frühstück fertig war, zog er eine Doppelbörse aus der Tasche, schob mit seinen nach oben gekrümmten, kleinen, weißen Fingern die Ringe zurück, zog ein Goldstück heraus und gab es, die Augenbrauen hochziehend, dem Kellner.

»Bitte, möglichst schnell«, sagte er.

Das Goldstück war ein neues. Rostow stand auf und trat zu Teljanin hin.

»Erlauben Sie mir, die Börse anzusehen«, sagte er so leise, daß es kaum zu hören war.

Teljanin, dessen Augen im Zimmer umherhuschten, während seine Brauen in die Höhe gezogen blieben, reichte die Börse hin.

»Ja, es ist eine hübsche Börse ... Ja ... ja«, sagte er und wurde auf einmal blaß. »Besehen Sie sie sich, junger Mann«, fügte er hinzu.

Rostow nahm die Börse in die Hand und besah sowohl die Börse als auch das darin befindliche Geld und richtete dann seinen Blick auf Teljanin. Der Leutnant ließ nach seiner Gewohnheit seine Augen wieder nach allen Seiten umherschweifen und schien plötzlich sehr heiter zu werden.

»Wenn wir erst in Wien sind, werde ich mein Geld bis auf den letzten Groschen verjubeln; aber jetzt in diesen elenden Nestern hier weiß man gar nicht, wie man es ausgeben soll«, sagte er. »Nun, dann geben Sie wieder her, junger Mann; ich möchte gehen.«

Rostow schwieg.

»Und was wollen Sie anfangen? Wollen Sie auch frühstücken? Man bekommt hier ganz gut zu essen«, fuhr Teljanin fort. »Geben Sie her.«

Er streckte die Hand aus und faßte die Börse an; Rostow ließ sie los. Teljanin nahm die Börse und schob sie in die Tasche seiner Reithose; seine Brauen zogen sich lässig in die Höhe, und sein Mund öffnete sich ein wenig, wie wenn er sagen wollte: »Ja, ja, ich stecke meine Börse in die Tasche; das ist eine ganz natürliche, einfache Sache und geht niemand etwas an.«

»Nun, junger Mann?« sagte er tief atmend und blickte unter den hinaufgezogenen Brauen hervor dem jungen Rostow in die Augen.

Eine Art von Lichtschein lief mit der Geschwindigkeit eines elektrischen Funkens aus Teljanins Augen in die Augen Rostows hinüber und wieder zurück, und nochmals hin und zurück, alles in einem Moment.

»Kommen Sie hierher«, sagte Rostow leise, ergriff Teljanin bei der Hand und führte oder zog ihn vielmehr an ein Fenster. »Dieses Geld gehört Denisow; Sie haben es genommen«, flüsterte er dicht an dessen Ohr.

»Was ...? Was ...? Wie können Sie es wagen? Was?« erwiderte Teljanin undeutlich.

Aber diese Worte klangen wie ein kläglicher, verzweifelnder Aufschrei und wie ein Flehen um Verzeihung. Sowie Rostow diese Stimme hörte, schwand ihm jeder Zweifel, und es fiel ihm ein schwerer Stein vom Herzen. Er empfand Freude; aber zu gleicher Zeit ergriff ihn ein tiefes Mitleid mit dem unglücklichen Menschen, der da vor ihm stand. Jedoch mußte er zu Ende führen, was er begonnen hatte.

»Die Leute hier können sich ja Gott weiß was für Gedanken machen«, murmelte Teljanin, griff nach seiner Mütze und ging voran in ein kleines, leeres Zimmer. »Wir müssen uns miteinander aussprechen ...«

»Ich weiß es, und ich werde es beweisen«, sagte Rostow.

»Ich ...«

In Teljanins blassem, erschrockenem Gesicht begannen alle Muskeln zu zucken; die Augen liefen noch ebenso unstet umher wie vorher, aber jetzt am Boden, und er schlug sie nicht zu Rostows Gesicht auf. Ein schluchzender Ton wurde vernehmbar.

»Graf ...! Stürzen Sie einen jungen Menschen nicht ins Verderben ... Da ist das unselige Geld; nehmen Sie es hin ...« Er warf die Börse auf den Tisch. »Ich habe einen alten Vater, eine Mutter ...!«

Rostow nahm das Geld, wobei er Teljanins Blick vermied, und ging, ohne ein Wort zu sagen, zur Tür. Aber an der Tür blieb er stehen und wandte sich wieder um. »Mein Gott«, sagte er mit Tränen in den Augen, »wie konnten Sie das nur tun?«

»Graf ...«, begann Teljanin und näherte sich dem Junker.

»Rühren Sie mich nicht an!« sagte Rostow und wich ihm seitwärts aus. »Wenn Sie in Not sind, so nehmen Sie dieses Geld hier.« Er warf ihm seine eigene Börse hin und verließ eilig das Wirtshaus.

Fußnoten

1 Koseform für Wasili.

Anmerkung des Übersetzers.

Krieg und Frieden

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