Читать книгу Krieg und Frieden - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 35

V

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Am Abend desselben Tages führten in Denisows Quartier die zu seiner Eskadron gehörenden Offiziere untereinander ein sehr lebhaftes Gespräch.

»Und ich sage Ihnen, Rostow, daß Sie den Regimentskommandeur um Entschuldigung bitten müssen«, sagte ein hochgewachsener Vizerittmeister mit schon ergrauendem Haar, gewaltigem Schnurrbart und grobgeschnittenem, runzligem Gesicht zu dem jungen Rostow, der einen dunkelroten Kopf hatte und sich in höchster Aufregung befand.

Dieser Vizerittmeister Kirsten war zweimal wegen seiner Ehrenhändel zum Gemeinen degradiert worden und hatte sich zweimal wieder heraufgearbeitet.

»Ich lasse mir von niemand sagen, daß ich löge!« rief Rostow. »Er hat zu mir gesagt, ich löge, und ich habe zu ihm gesagt, daß er lügt. Und dabei bleibt es. Meinetwegen kann er mir alle Tage Strafdienst aufpacken und mich in Arrest setzen; aber um Entschuldigung zu bitten, dazu kann mich niemand zwingen; denn wenn er als Regimentskommandeur es seiner für unwürdig hält, mir Satisfaktion zu geben, so ...«

»Nun warten Sie mal, lieber Freund, und hören Sie mich an«, unterbrach ihn der Vizerittmeister mit seiner tiefen Baßstimme und strich sich ruhig seinen langen Schnurrbart glatt. »Sie haben in Gegenwart anderer Offiziere zu dem Regimentskommandeur gesagt, ein Offizier hätte gestohlen ...«

»Ich kann nichts dafür, daß das Gespräch in Gegenwart anderer Offiziere diese Wendung nahm. Es mag sein, daß ich in ihrer Gegenwart nicht hätte davon sprechen sollen; aber ich bin eben kein Diplomat. Gerade darum bin ich Husar geworden, weil ich dachte, daß man in dieser Stellung keine subtilen Rücksichten zu nehmen braucht. Aber er hat zu mir gesagt, ich löge ... und da verlange ich Satisfaktion ...«

»Alles sehr schön; niemand glaubt, daß Sie feige wären; aber darum handelt es sich gar nicht. Fragen Sie einmal Denisow, ob das jemals dagewesen ist, daß ein Junker vom Regimentskommandeur Satisfaktion verlangt.«

Denisow hörte, auf den Schnurrbart beißend, mit finsterer Miene das Gespräch mit an und hatte augenscheinlich keine Lust, sich daran zu beteiligen. Auf die Frage des Vizerittmeisters schüttelte er verneinend den Kopf.

»Sie haben dem Regimentskommandeur in Gegenwart anderer Offiziere gesagt, daß eine solche Gemeinheit vorgekommen wäre«, fuhr der Vizerittmeister fort. »Bogdanowitsch« (so wurde der Regimentskommandeur Karl Bogdanowitsch Schubert genannt) »hat Ihnen deswegen einen Verweis erteilt.«

»Er hat mir nicht einen Verweis erteilt, sondern gesagt, ich spräche die Unwahrheit.«

»Nun ja, und da haben Sie ihm sehr ungehörig geantwortet und müssen nun um Entschuldigung bitten.«

»Um keinen Preis!« rief Rostow.

»Ein solches Benehmen hätte ich nicht von Ihnen erwartet«, sagte der Vizerittmeister in ernstem, strengem Ton. »Sie wollen nicht um Entschuldigung bitten, und doch haben Sie, lieber Freund, sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen das ganze Regiment, gegen uns alle, arg vergangen. Und das will ich Ihnen klarmachen. Sie hätten die Sache doch ordentlich überlegen und Kameraden um Rat fragen sollen, wie Sie sich in dieser Angelegenheit verhalten müßten; aber statt dessen rufen Sie ohne weiteres in Gegenwart von Offizieren einen solchen Skandal hervor. Was soll der Regimentskommandeur jetzt tun? Soll er den betreffenden Offizier vor Gericht stellen und über das ganze Regiment Unehre bringen? Um eines Nichtswürdigen willen das ganze Regiment an den Pranger stellen? Das ist ja wohl Ihre Meinung, nicht wahr? Aber unsere Meinung ist das nicht. Bogdanowitsch ist ein braver, tüchtiger Mann; er hat Ihnen gesagt, Sie sprächen die Unwahrheit. Das ist ja unangenehm; aber da ist weiter nichts zu machen, lieber Freund: Sie haben sich das durch Ihren Übereifer selbst zugezogen. Jetzt aber, wo man die Geschichte still beilegen will, weigern Sie sich aus eigensinnigem Dünkel, um Entschuldigung zu bitten, und wollen die Sache breittreten. Sie empfinden es als ein Unrecht, daß Sie Strafdienst bekommen und daß Sie einen alten, ehrenhaften Offizier um Entschuldigung bitten sollen! Mag Bogdanowitsch im übrigen sein, wie er will, aber jedenfalls ist er ein ehrenhafter, tapferer, alter Oberst. Also das erscheint Ihnen als ein Unrecht; aber das Regiment an den Pranger zu stellen, daraus machen Sie sich kein Gewissen!« Die Stimme des Vizerittmeisters begann zu zittern. »Sie, lieber Freund, geben ja bei unserm Regiment nur eine Art Gastrolle; heute sind Sie hier, morgen werden Sie irgendwo anders Adjutant; was scheren Sie sich darum, wenn man nachher sagt: ›Unter den Pawlograder Offizieren gibt es Diebe!‹ Uns aber ist das nicht so gleichgültig. Nicht wahr, Denisow, uns ist das nicht gleichgültig?«

Denisow schwieg noch immer, rührte sich nicht und blickte nur ab und zu mit seinen blitzenden schwarzen Augen Rostow an.

»Ihnen geht Ihr Dünkel über alles, und darum wollen Sie nicht um Entschuldigung bitten«, fuhr der Vizerittmeister fort; »aber uns alten Offizieren, die wir im Regiment aufgewachsen sind und, so Gott will, auch darin sterben werden, uns liegt die Ehre des Regiments am Herzen, und das weiß Bogdanowitsch. Ja, sehr, sehr liegt sie uns am Herzen, lieber Freund! Aber wie Sie handeln, das ist nicht schön, nicht schön! Ob Sie es mir nun übelnehmen oder nicht: ich sage immer die Wahrheit geradeheraus. Es ist nicht schön!«

Der Vizerittmeister stand auf und wandte sich von Rostow ab.

»Hol's der Teufel, er hat recht!« schrie Denisow aufspringend. »Na also, Rostow! Na!«

Abwechselnd errötend und erbleichend, sah Rostow bald den einen, bald den andern der Offiziere an.

»Nein, meine Herren, nein ... Glauben Sie das nicht von mir ... Ich sehe sehr wohl ein ... Sie tun mir mit Ihrem Urteil über mich unrecht ... Ich ... um meinetwillen ... ich werde für die Ehre des Regiments ... Nein, ich werde es im Kampf zeigen, daß auch für mich die Ehre der Fahne ... Nun ja, ich gebe es zu, es ist richtig, ich habe einen Fehler begangen ...!« Die Tränen standen ihm in den Augen. »Ich habe einen Fehler begangen, einen argen Fehler ...! Nun, was verlangen Sie noch weiter?«

»Sehen Sie, so ist's recht, Graf!« rief der Vizerittmeister, indem er sich wieder zu ihm umdrehte und ihm mit seiner großen Hand auf die Schulter schlug.

»Ich habe es dir ja gesagt«, schrie Denisow, »er ist ein prächtiger Bursche!«

»Das ist brav von Ihnen, Graf«, sagte der Vizerittmeister noch einmal, wie wenn er Rostow für sein Eingeständnis durch die Anrede mit dem Titel belohnen wollte. »Gehen Sie hin und bitten Sie um Entschuldigung, Euer Erlaucht; vorwärts!«

»Meine Herren, ich werde alles tun, niemand soll von mir auch nur ein Wort weiter über diese Sache hören«, sagte Rostow in flehendem Ton, »aber um Entschuldigung bitten kann ich nicht; bei Gott, das kann ich nicht; machen Sie mit mir, was Sie wollen! Ich kann doch nicht wie ein Knabe um Entschuldigung und um Verzeihung bitten!«

Denisow fing an zu lachen.

»Sie werden den Schaden davon haben«, sagte Kirsten. »Bogdanowitsch trägt einem dergleichen nach; Sie werden für Ihren Eigensinn büßen.«

»Bei Gott, es ist von mir nicht Eigensinn! Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was es für ein Gefühl ist; aber ...«

»Na, tun Sie, was Sie wollen«, sagte der Vizerittmeister. »Wo ist denn aber dieser schändliche Mensch geblieben?« fragte er Denisow.

»Er hat sich krank gemeldet; es ist Order da, ihn morgen aus der Liste zu streichen«, antwortete Denisow.

»Es muß bei ihm Krankheit gewesen sein; anders ist es gar nicht zu erklären«, meinte der Vizerittmeister.

»Krankheit oder nicht, aber mir soll er nicht unter die Augen kommen ... ich schlage ihn tot ...«, schrie Denisow blutdürstig. Da trat Scherkow ins Zimmer.

»Wie kommst du hierher?« fragten die Offiziere sofort den Ankömmling.

»Es geht los, meine Herren. Mack mit seiner ganzen Armee hat kapituliert.«

»Du schwindelst uns etwas vor!«

»Ich habe ihn selbst gesehen.«

»Wie? Du hast Mack lebendig gesehen? Mack in eigener Person?«

»Es geht los! Es geht los! Gebt ihm eine Flasche Wein für diese Nachricht. Wie kommst du aber eigentlich hierher?«

»Wegen dieses dummen Kerls, des Mack, bin ich wieder zum Regiment zurückgeschickt worden. Ein österreichischer General hat sich über mich beschwert. Ich hatte ihm zu Macks Ankunft Glück gewünscht ... Was ist denn mit dir, Rostow? Du siehst ja so rot aus, als ob du eben aus dem Schwitzbad kämst?«

»Hier ist eine sehr widerwärtige Geschichte passiert, Bruder.«

Der Regimentsadjutant trat ein und bestätigte die von Scherkow gebrachte Nachricht. Für morgen war der Aufbruch befohlen.

»Es geht los, meine Herren!«

»Nun, Gott sei Dank! Wir haben schon zu lange stillgelegen.«

Krieg und Frieden

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