Читать книгу Auferstehung - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 22
ОглавлениеSiebzehntes Kapitel.
So verging der ganze Tag und die Nacht brach herein. Der Arzt ging schlafen. Auch die Tanten legten sich zu Bette. Nechljudow wußte, daß Matrjona Pawlowna jetzt im Schlafzimmer der Tanten war und daß er Katjuscha im Mädchen zimmer allein treffen würde. Er ging wieder hinaus auf die Treppe. Draußen war es dunkel, feucht und warm. Jener weißliche Nebel, der im Frühling den letzten Schnee zerrinnen macht oder selbst durch den schmelzenden letzten Schnee entsteht, er füllte die ganze Luft. Vom Flusse her, der ungefähr hundert Schritt weit unterm Abhang am Hause vorbeifloß, vernahm man seltsame Töne: es war das berstende Eis.
Nechljudow stieg die Treppe hinunter und ging über Pfützen und übereisten Schnee zum Fenster des Mädchenzimmers. Das Herz klopfte ihm in der Brust so stark, daß er es hörte; der Atem stockte ihm bald, bald entrang er sich in einem schweren Seufzer. Im Mädchenzimmer brannte eine kleine Lampe und Katjuscha faß allein am Tisch und sah in Gedanken versunken vor sich hin. Nechljudow betrachtete sie lange, ohne sich zu rühren; er wollte wissen, was sie wohl thun würde, während sie sich unbeobachtet glaubte. Etwa zwei Minuten blieb sie regungslos, dann erhob sie die Augen, lächelte und schüttelte wie im Selbstvorwurf den Kopf. Plötzlich änderte sie ihre Stellung, legte stürmisch, beide Arme auf den Tisch und begann wieder vor sich hinzustarren.
Er stand da und betrachtete sie. Unwillkürlich hörte er zugleich das Pochen seines Herzens und die vom Fluß her kommenden Töne. Dort auf dem Fluß im Nebel ging eine rastlose langsame Arbeit vor sich, bald hörte man ein Schnaufen, bald ein Krachen und Rieseln und das gläserne Klirren der dünnen Eisschollen.
Er blickte auf das verträumte, von innerer Arbeit gemarterte Gesicht Katjuschas und sie dauerte ihn; aber seltsamerweise verstärkte dieses Mitleid nur sein Begehren.
Er klopfte ans Fenster. Wie von einem elektrischen Schlage zuckte sie mit dem ganzen Körper zusammen und Entsetzen zeigte sich auf ihrem Antlitz. Dann sprang sie auf, trat an das Fenster heran und drückte das Gesicht an die Scheibe. Der Ausdruck des Entsetzens verließ ihr Gesicht auch dann nicht, als sie ihn erkannte, indem sie die beiden Handflächen wie Scheuklappen an die Augen hielt. Sie hatte ein ungewöhnlich ernstes Aussehen — so ernst war sie ihm noch nie vorgekommen. Sie lächelte nur, weil sie sein Lächeln gesehen, sie that es, als unterwürfe sie sich ihm, aber in ihrer Seele war kein Lächeln, da war nur Furcht. Er winkte ihr mit der Hand, hinauszukommen. Aber sie schüttelte den Kopf und blieb am Fenster stehen. Er näherte sein Gesicht noch einmal dem Fenster und wollte ihr sagen, daß sie kommen solle, aber in diesem Augenblick drehte sie sich nach der Thür um — offenbar hatte jemand nach ihr gerufen.
Nechljudow trat vom Fenster zurück. Der Nebel war so dicht, daß Nechljudow, als er kaum fünf Schritt gemacht hatte, das Fenster nicht mehr erblicken konnte, sondern nur eine schwarze Masse sah, aus der die Flamme der Lampe rot und riesenhaft glühte. Vom Flusse her tönte dasselbe Schnaufen und Rieseln, das Klirren und Krachen des Eises. Nicht weit auf dem Hofe schrie aus dem Nebel heraus ein Hahn, in der Nähe antwortete ein anderer und weither aus dem Dorfe hörte man einander über tönende und in eins verschmelzende Hahnenrufe. Im übrigen war rings umher alles außer dem Flusse still. Die Hähne aber hatten bereits zum zweiten Male gekräht.
Nechljudow ging hinter der Hausecke ein paar mal hin und her, wobei er zuweilen in Pfützen geriet und kehrte wieder zum Fenster zurück. Die Lampe brannte noch immer und Katjuscha saß wieder wie unschlüssig am Tisch. Kaum hatte er sich dem Fenster genähert, als sie zu ihm hinblickte. Er klopfte ans Fenster. Und ohne hinzusehen, wer da klopfte, lief sie sogleich zum Mädchenzimmer hinaus. Nechljudow hörte, wie die Thür sich mit einem Schnalzen loslöste und dann knarrte. Er erwartete sie bereits auf der Treppe und empfing sie stumm. Sie drückte sich fest an ihn, erhob das Köpfchen und fing mit den Lippen seinen Kuß auf. Sie standen auf einer aufgetauten trockenen Stelle hinter der Ecke. Er war erfüllt von einem quälenden, unerfüllten Verlangen.
Plötzlich schnalzte und knarrte die Thür mit demselben Ton und die ärgerliche Stimme Matrjona Pawlownas ließ sich hören:
»Katjuscha!«
Sie riß sich von ihm los und lief ins Mädchen zimmer zurück. Nechljudow hörte wie der Riegel zuschlug. Dann wurde alles still, das rote Auge im Fenster verschwand, es blieb nur der Nebel und das Treiben auf dem Fluß.
Nechljudow trat ans Fenster heran, aber es war niemand zu sehen. Er klopfte, keine Antwort. Dann kehrte er von der Paradetreppe ins Haus zurück, aber legte sich nicht zu Bett. Er zog die Stiefel aus und ging barfuß auf dem Korridor zu Katjuschas Thür, deren Zimmer sich neben dem Matrjona Pawlownas befand. Er hörte, wie Matrjona Pawlowna ruhig schnarchte und wollte eintreten, als sie plötzlich zu husten begann und sich in dem knarrenden Bett umdrehte. Wie erstarrt hielt er inne und blieb so etwa fünf Minuten stehen. Als wieder alles still wurde und das ruhige Schnarchen von neuem ertönte, ging er weiter, indem er vorsichtig die nicht knarrenden Dielenbretter aussuchte. Er stand vor Katjuschas Thür, alles war still. Sie schien nicht zu schlafen, wenigstens konnte man ihren Atem nicht hören. Kaum aber hatte er ihre Namen flüsternd gerufen, als sie schon aufgesprungen war und ihn hinter der Thür, wie es ihm schien mit ärgerlicher Stimme, zu bereden suchte, wegzugehen.
»Was soll denn das sein? Wie kann man nur? Die Tanten könnten es hören . . . « — so sprach ihr Mund, während ihr ganzes Wesen ihm sagte: »ich bin Dein, Dein!«
Und Nechljudow verstand nur dieses Letztere.
»Nur auf einen Augenblick . . . öffne . . . Ich bitte dich . . . « stammelte er leidenschaftlich.
Sie regte sich nicht. Dann hörte er das Geräusch einer Hand, die den Thürhaken suchte. Der Haken klirrte und er drang durch die geöffnete Thür ein.
Er ergriff sie, wie sie war, hob sie empor und trug sie fort.
»Ach! Was thun Sie?« flüsterte sie.
Aber er beachtete ihre Worte nicht und trug sie in sein Zimmer.
»Ach nein . . . Lassen Sie mich«, sprach sie, während sie sich selbst fester an ihn schmiegte.
Als sie zitternd und schweigend, ohne auf seine Worte zu antworten, ihn verlassen hatte, trat er auf die Treppe hinaus und blieb stehen.
Draußen war es heller. Unten auf dem Fluß hatte sich das Krachen und Klirren und Schnaufen noch verstärkt, nur war jetzt das Rieseln vernehmlicher. Der Nebel senkte sich und hinter der Nebelwand hervor tauchte die abnehmende Sichel des Mondes auf. Sie beleuchtete etwas Schwarzes und Fürchterliches.
»Was ist das nun: ist mir ein großes Glück, oder ein großes Unglück begegnet?« so fragte er sich. »Alle machen’s so, alle«, war seine Antwort. Dann ging er schlafen.