Читать книгу Auferstehung - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 21

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Sechzehntes Kapitel.

Nach Rückkehr aus der Kirche nahm Nechljudow mit den Tanten das nächtliche Ostermahl ein. Um sich zu stärken, trank er nach der im Regiment angenommenen Gewohnheit einige Schnäpse und Wein und ging dann auf sein Zimmer, wo er sogleich unausgekleidet einschlief. Er erwachte erst, als an seine Thür geklopft wurde. Er erkannte am Klopfen, daß sie es war, rieb sich die Augen und erhob sich, den müden Körper streckend.

»Bist du es, Katjuscha? Tritt ein«, sagte er aufstehend.

Sie öffnete ein wenig die Thür.

»Man ruft Sie zum Essen«, sagte sie.

Sie war im selben weißen Kleide, aber ohne die Schleife im Haar. Als sie ihm in die Augen sah, erstrahlte sie, als hätte sie ihm etwas ungewöhnlich Freudiges mitgeteilt.

»Ich komme gleich«, sagte er und nahm den Kamm, um sich das Haar zu ordnen.

Sie blieb einen Augenblick länger als nötig stehen. Er bemerkte es, warf den Kamm beiseite und ging auf sie zu. Aber in demselben Moment drehte sie sich schnell um und schritt mit ihrem leichten behenden Gang über den Korridor den Dielenläufer entlang.

»Ich Dummkopf, daß ich sie nicht aufgehalten habe«, sagte Nechljudow zu sich selbst.

Und er holte sie laufend im Korridor ein.

Was er von ihr wollte, wußte er selbst nicht. Aber er hatte die Empfindung, als sie zu ihm ins Zimmer getreten war, etwas thun zu müssen, was alle in solchen Fällen zu thun pflegten und was er unterlassen hatte.

»Katjuscha, wart’ . . . « sagte er.

»Was ist?« fragte sie und blieb etwas stehen.

»Nichts, nur . . . «

Und er that sich einen Zwang an, als er in Gedanken daran, was alle Leute in solchen Fällen zu thun pflegen, Katjuscha um die Taille faßte.

Sie blieb stehen und sah ihm in die Augen.

»Nein, nein . . . wozu, Dmitrij Iwanowitsch . . . « stammelte sie bis zu Thränen errötend, und entfernte mit ihrer rauhen, starken Hand den sie um fassenden Arm.

Nechljudow ließ sie los und ward für einen Augenblick vom Gefühle nicht nur der Verlegenheit und Scham, sondern geradezu des Ekels vor sich selbst befallen. Er hätte sich selbst glauben sollen, aber er begriff nicht, daß diese Verlegenheit und Scham gerade die besten Gefühle seines Herzens waren, die sich geltend machten. Er meinte im Gegenteil, daß es nur die Dummheit sei, die in ihm spräche und daß er handeln müsse, wie alle thun.

Und er holte sie nochmals ein, umarmte sie wieder und küßte sie auf den Hals. Dieser Kuß war bereits von ganz anderer Art, als jene zwei ersten: der eine unbewußte hinter dem Syringenstrauch und der andere heute früh in der Kirche. Dieser Kuß war beängstigend und sie fühlte es.

»Was thun Sie denn?« rief sie mit einer Stimme, als hätte er etwas unendlich Kostbares unwiederbringlich zertrümmert, und lief im Trabe von ihm fort.

Er kam in das Speisezimmer. Die auf geputzten Tanten, der Arzt und eine Nachbarin standen vor der »Sakuska«. Alles war so gewöhnlich, während in Nechljudows Seele ein Sturm tobte. Er verstand nicht, was man zu ihm sprach, antwortete falsch und dachte nur an Katjuscha. Die Empfindung jenes letzten Kusses, als er sie im Korridor einholte, war ihm fort während gegenwärtig. Er konnte an nichts anderes denken. Wenn sie in das Zimmer trat, empfand er ohne sie anzusehen mit seinem ganzen Wesen ihre Gegenwart und mußte sich Gewalt anthun, um nicht auf sie zu blicken.

Nach dem Mittag begab er sich sogleich auf sein Zimmer und ging dort aufgeregt lange auf und ab. Er horchte auf jeden Ton im Hause und hoffte, ihre Schritte zu vernehmen. Jener animalische Mensch, der in ihm wohnte, erhob jetzt nicht nur sein Haupt, sondern trat den geistigen Menschen, der er während seines ersten Aufenthaltes und sogar noch heute früh in der Kirche war, einfach mit Füßen. Dieser fürchterliche animalische Mensch herrschte jetzt allein in seiner Seele.

Obgleich Nechljudow nicht aufhörte, Katjuscha aufzulauern, so gelang es ihm dennoch während des ganzen Tages nicht, sie allein zu treffen. Wahrscheinlich mied sie ihn. Am Abend aber geschah es, daß sie in das Zimmer neben dem seinen gehen mußte. Der Arzt war zur Nacht dageblieben und Katjuscha mußte dem Gast das Bett zurecht machen. Als Nechljudow ihre Schritte vernahm, schlich er ihr leise, den Atem anhaltend nach, als ginge er auf ein Verbrechen aus.

Sie hielt mit beiden in den frischen Überzug gesteckten Händen das Kissen an den Ecken, blickte sich nach ihm um und lächelte. Aber ihr Lächeln war nicht mehr heiter und fröhlich, wie früher, sondern trübe und erschrocken. Dieses Lächeln schien ihm sagen zu wollen, daß das, was er that, etwas Schlechtes sei. Er blieb einen Augenblick stehen. Die Möglichkeit eines Kampfes war noch vorhanden. Die Stimme der wahren Liebe, die ihm von ihr, von ihren Gefühlen, ihrem Leben sprach, war, wenn auch nur schwach, immerhin noch hörbar. Schon aber sprach eine andere Stimme: paß auf, laß dir dein Vergnügen, dein Glück nicht entgehen. Und diese zweite Stimme übertönte die erste.

Entschlossen näherte sich Nechljudow Katjuscha. Und ein furchtbares, überwältigendes, tierisches Gefühl bemächtigte sich seiner.

Ohne sie aus seinen Armen zu lassen, setzte er sie auf das Bett, und da er fühlte, daß er noch etwas machen müsse, so setzte er sich neben sie hin.

»Dmitrij Iwanowitsch, Lieber, bitte lassen Sie mich«, sprach sie mit kläglicher Stimme. »Matrjona Pawlowna kommt!« rief sie sich freimachend aus. Und wirklich näherte sich jemand der Thür.

»So komm ich in der Nacht zu Dir . . . Du bist doch allein? . . . « sagte Nechljudow.

»Was denken Sie? Auf keinen Fall! Nein, nein . . . « sprach sie, aber nur mit den Lippen, denn ihr ganzes aufgeregtes, erschüttertes Wesen sagte etwas anderes.

Matrjona Pawlowna näherte sich in der That der Thür. Sie trat mit einer Decke in der Hand ins Zimmer und verwies Katjuscha ärgerlich, mit einem vorwurfsvollen Blick auf Nechljudow, daß sie nicht die richtige Decke genommen hätte.

Nechljudow ging schweigend hinaus. Er schämte sich nicht einmal. Zwar sah er am Gesicht Matrjona Pawlownas, daß sie sein Benehmen mißbilligte und fühlte, daß sein Vorhaben ein schlechtes und ihre Mißbilligung eine berechtigte war. Aber das tierische Gefühl, das aus der früheren, reinen Liebe herausgewachsen war, hatte sich seiner bereits völlig bemächtigt und erkannte neben sich nichts mehr an. Er wußte jetzt, was er zur Befriedigung dieses Gefühls zu thun hatte und suchte nur nach einer Gelegenheit dazu.

Den ganzen Abend war er außer sich, bald kam er zu den Tanten, bald ging er auf sein Zimmer oder auf den Flur und dachte nur daran, wie er sie allein treffen könnte. Aber sie mied ihn und Matrjona Pawlowna versuchte, sie nicht aus den Augen zu lassen.

Auferstehung

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