Читать книгу Auferstehung - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 14

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Neuntes Kapitel.

Nachdem der Präsident seine Rede beendet hatte, wandte er sich den Angeklagten zu.

»Simon Kartinkin, stehen Sie auf«, sagte er. Simon sprang nervös auf. Die Muskeln seiner Wangen begannen sich noch heftiger zu bewegen.

»Ihr Name?«

»Simon Petrow Kartinkin«, klapperte er schnell die offenbar vorbereitete Antwort herunter.

»Ihr Stand?«

»Bauer.«

»Welches Gouvernement, welcher Kreis?«

»Das Tulasche Gouvernement, der Krapiwensche Kreis, die Kupjanskische Gemeinde, das Borkische Kirchdorf.«

»Wie alt sind Sie?«

»Im vierunddreißigsten, geboren tausendacht hundert . . .

»Welcher Konfession?«

»Wir sind russisch, rechtgläubig.«

»Verheiratet?«

»Zu Befehl, nein.«

»Womit beschäftigen Sie sich?«

»Wir waren auf dem Korridor in »Hotel Mauritanien« beschäftigt.«

»Vorbestraft?«

»Niemals war ich vor Gericht, denn da wir früher lebten . . . «

»Also nicht vorbestraft?«

»Gott beschütze, nie.«

»Haben Sie die Kopie der Anklageschrift er halten?«

»Jawohl.«

»Setzen Sie sich. Jewfimia Iwanowa Botschkowa«, wandte sich der Präsident an die folgende Angeklagte.

Aber Simon blieb stehen und verdeckte die Jewfimia.

»Kartinkin, setzen Sie sich.«

Kartinkin blieb immer noch stehen.

»Kartinkin, setzen Sie sich!«

Aber Kartinkin stand immer noch und setzte sich erst dann, als der herbeigelaufene Gerichtskommissar, mit zur Seite gebeugtem Kopf und unnatürlich aufgerissenen Augen ihm in tragischem Flüsterton zuraunte: sitzen, sitzen!

Kartinkin setzte sich eben so hastig, wie er auf gestanden war und begann, seinen Schlafrock zu ziehend, wieder lautlos die Wangen zu bewegen.

»Ihr Name?« wandte sich der Präsident mit einem Seufzer der Ermüdung zu der zweiten Angeklagten, ohne sie anzusehen und irgend etwas in dem vor ihm liegenden Papier aufsuchend. Die Beschäftigung war dem Präsidenten eine so gewohnte, daß er, zur Beschleunigung des Verfahrens, zwei Sachen zugleich machen konnte.

Die Botschkowa war drei und vierzig Jahre alt, Stand — Kleinbürgerin aus Kolomna, Beruf — Stubenmädchen in dem nämlichen »Hotel Mauritanien.« Angeklagt und in Untersuchung war sie früher nicht gewesen, die Kopie der Anklageschrift hatte sie erhalten. Ihre Antworten brachte die Botschkowa außerordentlich keck heraus und mit einer Betonung, als wollte sie jeder Antwort hin zusetzen: »jawohl Jewfimia, und Botschkowa, die Kopie hab ich erhalten, bin stolz darauf und werde niemandem erlauben, sich über mich lustig zu machen.«

Die Botschkowa setzte sich, ohne eine Aufforderung abzuwarten, sofort hin, sobald alle an sie gerichteten Fragen erledigt waren.

»Ihr Name?« wandte sich der Präsident an die dritte Angeklagte. »Man muß aufstehen«, fügte er weich und freundlich hinzu, als er bemerkte, daß die Maslowa sitzen geblieben war.

Die Maslowa erhob sich schnell und sah, mit vorgestreckter Brust und dem Ausdruck der Bereitwilligkeit, ohne zu antworten, dem Präsidenten, lächelnd, mit den etwas schielenden schwarzen Augen gerade ins Gesicht.

»Wie nennen Sie sich?«

»Man nannte mich Ljubowj«, sagte sie schnell.

Nechljudow betrachtete unterdessen mit aufgesetztem Pincenez die einzelnen Angeklagten, je nach dem sie aufgerufen wurden. — »Nicht möglich«, dachte er, ohne von der Angeklagten die Augen zu wenden.

»Wie kann sie denn Ljubowj heißen«, dachte er, als er ihre Antwort hörte.

Der Präsident wollte weiter fragen, aber das Mitglied in der Brille unterbrach ihn und raunte ihm etwas mißmutig zu. Der Präsident nickte zustimmend mit dem Kopf und wandte sich wieder an die Angeklagte.

»Wieso denn Ljubowj?« sagte er. »Sie sind hier anders eingetragen.«

Die Angeklagte schwieg.

»Ich frage Sie, wie Ihr wirklicher Name ist?«

»Wie getauft?« fragte das finstere Mitglied.

»Früher hieß ich Katharina.«

»Es ist nicht möglich«, fuhr Nechljudow fort sich einzureden. Trotzdem aber wußte er jetzt ohne alle Zweifel, daß sie es war, dasselbe Mädchen, Ziehkind und Stubenmagd, in welches er eine Zeit lang verliebt, richtig verliebt gewesen, es dann in einem wahnsinnigen Taumel verführt und verlassen hatte. Später hatte er niemals mehr an sie gedacht, weil die Erinnerung daran zu qualvoll war, ihn zu deutlich überführte und ihm zeigte, daß er, der so stolz auf seine Anständigkeit und Korrektheit war, diesem Weibe gegenüber sich nicht nur unkorrekt, sondern geradezu niederträchtig und gemein benommen hatte.

Ja, sie war es. Er sah jetzt deutlich jene exzeptionelle, geheimnisvolle Besonderheit, die den einen Menschen vom andern unterscheidet, ihn zu etwas Apartem, Einzigem, Unwiederholbarem macht. Trotz der unnatürlichen Blässe und Fülle des Gesichts befand sich jene aparte, liebe Besonderheit in dem Gesicht, in den Lippen, in den etwas schielenden Augen und namentlich in diesem naiven, lächelnden Blick und in dem Ausdruck der Bereitwilligkeit, der nicht nur im Gesicht, sondern auch in der ganzen Figur lag.

»So hätten Sie gleich sagen sollen«, sagte wieder ganz besonders weich der Präsident. »Ihr Vatername?«

»Ich bin — eine Uneheliche«, stammelte die Maslowa.

»Doch, wie nannte man Sie nach dem Taufvater?«

»Michajlowa.«

»Und was konnte sie verbrochen haben?« fuhr unterdes Nechljudow, schwer atmend, zu denken fort.

»Wie ist Ihr Familienname, Ihr Zuname?« fragte der Präsident weiter.

»Nach der Mutter wurde ich Maslowa genannt.«

»Ihr Stand?

»Kleinbürgerin.«

»Rechtgläubig?«

»Rechtgläubig.«

»Ihr Beruf? Womit beschäftigten Sie sich?«

Die Maslowa schwieg.

»Womit beschäftigten Sie sich?« wiederholte der Präsident.

»Ich war in der Anstalt«, sagte sie.

»In welcher Anstalt?« fragte streng das Mitglied mit der Brille.

»Sie wissen es ja selbst«, sagte die Maslowa lächelnd und begann, nachdem sie einen schnellen Blick um sich geworfen, wieder den Präsident gerade anzusehen.

Es lag etwas so Ungewöhnliches in ihrem Gesichtsausdruck, etwas so Fürchterliches und Trauriges in der Bedeutung ihrer Worte, ihres Lächelns und des schnellen Blickes, mit dem sie dabei den ganzen Saal überschaut hatte, daß der Präsident seine Augen senkte und im Saal auf einen Augenblick tiefe Stille entstand. Diese Stille wurde nur durch das Gelächter irgend eines der Zuschauer unterbrochen. Ein anderer fing an zu zischen. Der Präsident erhob das Haupt und fuhr fort zu fragen.

»In Untersuchung und vorbestraft waren Sie nicht?«

»Nein«, antwortete die Maslowa leise mit einem Seufzer.

»Haben Sie die Kopie der Anklageschrift er halten?«

»Jawohl.«

»Setzen Sie sich«, sagte der Präsident.

Die Angeklagte hob ihren Rock hinten mit der Bewegung auf, mit welcher geputzte Frauen ihre Schleppe zurückzuschlagen pflegen, und setzte sich, die kleinen Hände in den Ärmeln des Schlafrocks bergend, die Augen unverwandt auf den Präsidenten gerichtet.

Es folgte die Überzählung und Abführung der Zeugen, die Verhandlung bezüglich des medizinischen Sachverständigen und seine Vorladung in den Gerichtssaal. Dann stand der Sekretär auf und begann die Verlesung der Anklageschrift. Er las vernehmlich und laut, aber so schnell, daß seine Stimme, die die Laute L. und R. fehlerhaft aussprach, in ein ununterbrochenes, einschläferndes Getöne zusammenfloß.

Die Richter stützten sich bald auf die eine, bald auf die andere Armlehne, bald auf den Tisch, bald auf die Rücklehne, bald schlossen sie die Augen, bald öffneten sie sie und warfen sich flüsternde Bemerkungen zu. Ein Gendarm hielt mehrere Mal einen beginnenden Gähnkrampf zurück.

Unter den Angeklagten bewegte Kartinkin unaufhörlich seine Wangenmuskeln, während die Botschkowa sich aufrecht und vollständig ruhig hielt, und nur von Zeit zu Zeit sich den Kopf unterm Tuch mit dem Finger kratzte.

Die Maslowa saß bald unbeweglich, dem vorlesenden Sekretär unverwandt zuhörend, bald fuhr sie auf und schien etwas einwenden zu wollen; dann wieder wurde sie rot und seufzte schwer auf, änderte die Lage der Hände, blickte umher, um ihre Augen von neuem auf den Vorleser zu heften.

Nechljudow saß in der ersten Reihe auf seinem hohen Stuhle und blickte, ohne daß Pincenez abzunehmen, auf die Maslowa. In seiner Seele ging eine komplizierte und qualvolle Arbeit vor sich.

Auferstehung

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