Читать книгу Auferstehung - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 12
ОглавлениеSiebentes Kapitel.
Endlich erschien auch Matwej Nikititsch, und der Gerichtskommissar, ein magerer langhalsiger Mensch, mit schrägem Gange und ebenso schräg zur Seite vorgeschobener Unterlippe, trat in das Zimmer der Geschworenen.
Dieser Gerichtskommissar war ein ehrlicher Mann, besaß akademische Bildung, konnte sich aber in keiner Stellung dauernd halten, da er einer periodischen Trunksucht ergeben war. Erst vor drei Monaten hatte eine Gräfin, die seine Frau protegierte, ihm diesen Posten verschafft, und er hielt sich bis jetzt auf ihm und freute sich dessen.
»Nun, meine Herren, sind Sie alle versammelt?« fragte er, seine Pincenez aufsetzend, während sein Blick über dasselbe hinwegschweifte.
»Ich glaube, alle«, sagte der lustige Kaufmann.
»So, sehen wir ’mal nach«, sagte der Gerichtskommissar, holte aus der Tasche eine Liste hervor und begann, die Anwesenden bald über das Pincenez hinweg, bald durch dasselbe musternd, die Namen aufzurufen.
»Staatsrat I.M. Nikiforow.«
»Ich«, sagte der repräsentable Herr, der über alle Gerichtsangelegenheiten so gut unterrichtet war.
»Oberst a. D. Iwan Ssemjonowitsch Iwanow.«
»Hier«, antwortete der magere Herr in Uniform.
»Der Kaufmann 2. Gilde Pjotr Baklaschow.«
»Jawohl«, sagte der freundliche Kaufmann, über das ganze Gesicht lächelnd. »Zu Diensten!«
»Gardelieutenant Fürst Dmitrij Nechljudow.«
»Ich«, antwortete Nechljudow.
Der Gerichtskommissar verbeugte sich, über das Pincenez hinwegblickend, besonders höflich und liebenswürdig, um den Fürsten gleichsam von den anderen zu unterscheiden.
»Kapitän Jurij Dmitrijewitsch Dantschenko, Kaufmann Grigorij Jefimowitsch Kuleschow u.s.w. u.s.w.«
Alle, außer zweien, waren zur Stelle.
»Jetzt, meine Herrn, bitte ich Sie in den Saal«, sagte, mit einer verbindlichen Handbewegung auf die Thür weisend, der Gerichtskommissar.
Alle setzten sich in Bewegung und traten, einer dem andern den Vortritt in der Thür lassend, zuerst in den Korridor und dann in den Saal ein.
Der Gerichtssaal war ein großes langes Zimmer, auf dessen einem Ende ein Podium, zu welchem drei Stufen führten, aufgebaut war. In der Mitte des Podiums stand ein mit grünem, etwas dunkler befranztem Tuch bedeckter Tisch. Hinter dem Tisch standen drei Lehnstühle mit sehr hohen, eichenen, geschnitzten Rücklehnen. Hinter den Lehnstühlen sah man im goldenen Rahmen ein lebensgroßes grelles Porträt des Kaisers, der mit vorgestrecktem Fuß, die Hand auf den Säbel gestützt, in Generals uniform mit Ordensband dastand. In der rechten Ecke hing ein Heiligenschrein mit einem dornengekrönten Christusbilde und befand sich ein Betpult. Auf der rechten Seite stand auch der Tisch des Staatsanwalts. Links, gegenüber diesem Tisch, stand mehr im Hintergrunde ein kleinerer für den Sekretär, und, etwas näher zum Publikum zu, befand sich ein gedrechseltes Eichenholzgitter, hinter welchem die noch unbesetzte Bank der Angeklagten war. Rechts auf dem Podium standen in zwei Reihen Stühle mit ebenso hohen Rücklehnen, für die Geschworenen, und unten Tische für die Advokaten.
Alles das befand sich im vorderen Teil des von einem Gitter durchquerten Saales. Der hintere Teil war ganz mit Bänken besetzt, die, immer höher aufsteigend, bis an die Rückwand reichten. Im hinteren Teile des Saales saßen nicht weit von der Barriere vier Frauen, etwa Fabrikarbeiterinnen oder Mägde, und zwei Männer, ebenfalls Arbeiter. Sie waren offenbar erdrückt von der großartigen Ausstattung des Saales und flüsterten darum nur schüchtern miteinander.
Bald nach den Geschworenen trat der Gerichtskommissar mit seinem einseitigen Gang mitten in den Saal hinaus und verkündete mit lauter Stimme, als wollte er die Anwesenden erschrecken, das übliche:
»Das Gericht!«
Alle erhoben sich von den Plätzen und auf dem Podium erschienen die Richter.
Zuerst kam der Präsident mit den muskulösen Armen und dem prächtigen Backenbart.
Dann kam das finstere Gerichtsmitglied mit der goldenen Brille. Es sah jetzt noch finsterer aus, denn kurz vor der Sitzung hatte er seinen Schwager, den Gerichtsamtskandidaten getroffen, der ihm mitteilte, daß er bei der Schwester gewesen sei und sie auch ihm erklärt hätte, daß es heute kein Mittagessen gäbe.
»Wir werden also in irgend ein Lokalchen fahren müssen«, sagte lachend der Schwager.
»Dabei ist nichts Lächerliches«, meinte das finstere Gerichtsmitglied und wurde noch finsterer.
Und endlich erschien das dritte Gerichtsmitglied, derselbe Matwej Nikititsch, der immer zu spät kam; er war ein bärtiger Mann mit großen, zu Boden gesenkten, gutmütigen Augen. Er litt an einem Magenkatarrh und hatte mit dem heutigen Morgen, auf Anraten des Arztes, ein neues Regime begonnen. Und dieses neue Regime hatte ihn heute noch länger als gewöhnlich zu Hause aufgehalten. Jetzt, als er auf das Podium hinauf stieg, hatte er ein konzentriertes Aussehen, da er nämlich die Gewohnheit besaß, in allen Fragen, die er sich stellte, auf jede erdenkliche Weise das Orakel zu befragen. Jetzt hatte er mit sich aus gemacht, daß, wenn die Anzahl der Schritte von der Kabinettthür bis zu seinem Lehnstuhl durch drei teilbar sein wird, ihn sein neues Regime vom Katarrh befreien wird, geht aber drei in der Zahl nicht auf — dann nicht. Es kamen sechs und zwanzig Schritte heraus, aber er machte noch ein kleines Schrittchen und setzte sich genau nach dem sieben und zwanzigsten in den Lehnstuhl.
Die Gestalten des auf dem Podium erschienenen Präsidenten und der Mitglieder waren in ihren goldgestickten Uniformen sehr imposant. Sie fühlten das selbst und beeilten sich alle drei, mit gesenkten Lidern, als wären sie durch ihre Großartigkeit er drückt, sich auf ihre hinter dem grünen Tisch befindlichen Sitze niederzulassen. Auf dem Tische prangten ein dreieckiges mit einem Adler gekröntes Instrument, der s. g. »Gerichtsspiegel«, und zwei Vasen, wie sie auf den Kredenzen der Restaurants, mit Konfekt gefüllt stehen; ferner stand da ein Tintenfaß und lagen frisch angespitze Bleifedern von verschiedener Länge sowie weißes Papier. Mit den Richtern zugleich war auch der Staatsanwaltsadjunkt eingetreten. Er schritt ebenso schnell, mit dem Portefeuille unter dem Arm und mit der Hand fuchtelnd, auf seinen Platz am Fenster zu, und versenkte sich sogleich in das Durch blättern und Lesen der Akten, indem er jede Minute zur Präparation auszunutzen suchte. Dieser Staatsanwaltsadjunkt führte die Anklage erst zum vierten Mal. Er war sehr ehrgeizig und hatte den festen Vorsatz, Karriere zu machen, weswegen er es für unerläßlich hielt, in jedem Prozeß, in welchem er die Anklage vertrat, auch eine Verurteilung zu erwirken. Das Wesentliche des Giftmordprozesses kannte er in allgemeinen Umrissen und hatte den Plan zu seiner Rede bereits entworfen, aber er brauchte noch einige genauere Daten und die exzerpierte er sich jetzt eilig aus den Akten.
Der Sekretär saß am entgegengesetzten Ende des Podiums und sah, nachdem er alle, vor kommenden Falles nötigen Papiere bereit gelegt hatte, einen verbotenen Aufsatz durch, den er gestern erhalten und gelesen hatte. Er hatte die Absicht, wegen dieses Aufsatzes mit dem Gerichtsmitglied mit dem großen Barte, das seine Ansichten teilte, zu sprechen und wollte sich nun, vor der Unterhaltung, den Aufsatz wieder ins Gedächtnis rufen.