Читать книгу Auferstehung - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 17

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Zwölftes Kapitel.

Ja, es war Katjuscha.

Die Beziehungen Nechljudows zu Katjuscha waren folgende:

Zum ersten Mal hatte er sie gesehen, als er im sechsten Universitätssemester, während er seinen Aufsatz über den Grundbesitz schrieb, den Sommer bei den Tanten zubrachte. Gewöhnlich hielt er sich den Sommer über mit Mutter und Schwester auf dem in der Nähe Moskaus gelegenen mütterlichen Gut auf. Aber in diesem Jahr hatte sich seine Schwester verheiratet und die Mutter war in ein ausländisches Bad gereist. Nechljudow jedoch mußte seinen Aufsatz schreiben und entschloß sich daher, den Sommer bei den Tanten zu verbringen. Bei ihnen in ihrer Weltabgeschiedenheit war es still und gab es keine Zerstreuungen. Die Tanten liebten ihren Neffen und Erben zärtlich, und auch er liebte sie, liebte sie wegen ihrer Altväterlichkeit und der Schlichtheit ihrer Lebensweise.

Nechljudow durchlebte diesen Sommer bei den Tanten jenen begeisterungsvollen Zustand, da der Jüngling zum ersten Mal aus eigener Erkenntnis und nicht nach fremden Anweisungen die ganze Schönheit und Wichtigkeit des Lebens und die ganze Bedeutung der Aufgaben, die dasselbe an den Menschen stellt, erfaßt. Er erkennt die Möglichkeit der unendlichen Vervollkommnung seiner eigenen sowohl als auch der ganzen Welt. Und er giebt sich diesem Streben nach Vervollkommnung voll Hoffnung und mit der tiefsten Überzeugung von der Erreichbarkeit jener eingebildeten Vollkommenheit hin.

In diesem Jahre las Nechljudow noch auf der Universität die »Soziale Statik« Spencers, und Spencers Ausführungen über den privaten Grundbesitz machten auf ihn besonders darum den größten Eindruck, weil er selbst der Sohn einer Großgrundbesitzerin war. Sein Vater war nicht reich gewesen, aber seine Mutter hatte als Mitgift gegen zehn taufend Deßjatinen Land erhalten. Damals erkannte er zum ersten Mal die ganze Ungerechtigkeit des privaten Grundbesitzes, und da er einer von jenen Menschen war, denen ein den sittlichen Forderungen gebrachtes Opfer den höchsten geistigen Genuß gewährt, so entschloß er sich, von seinem Rechte auf Grundbesitz keinen Gebrauch zu machen, und verteilte damals schon das vom Vater geerbte Land an die Bauern. Derselbe Stoff bildete auch den Gegenstand seiner wissenschaftlichen Arbeit.

Sein Leben auf dem Lande bei den Tanten verlief folgendermaßen: er stand sehr früh auf, zuweilen um 3 Uhr, und ging hinunter zum Flusse, um zu baden, manchmal noch im Morgennebel; wenn er zurückkehrte, lag noch der Tau auf dem Grase und den Blumen. Nachdem er am Morgen Kaffee getrunken hatte, pflegte er seine Arbeit vorzunehmen oder die Quellen zu derselben zu studieren, sehr oft aber auch statt dessen in Wald und Feld umherzuschweifen. Vor dem Mittag machte er irgendwo im Garten ein Schläfchen, zu Mittag belustigte und animierte er dann mit seinen Spaßen die Tanten, hernach ritt er oder fuhr im Boot und am Abend las er wieder oder saß mit den Tanten und legte Patience aus. Oft konnte er in der Nacht, besonders bei Mondschein, nur darum nicht schlafen, weil er eine zu große und aufregende Freude am Leben empfand. Und statt zu schlafen ging er dann mit seinen Träumen und Gedanken bis zum Morgengrauen im Garten umher.

So glücklich und ruhig verlebte er den ersten Monat seines Aufenthaltes bei den Tanten, ohne die schwarzäugige, schnellfüßige Katjuscha, das Pflegekind und Stubenmädchen, auch nur zu beachten.

Nechljudow, der unter dem schützenden Flügel der Mutter erzogen war, war mit 19 Jahren noch ein vollständig unschuldiger Jüngling. Das Weib erschien ihm in seinen Gedanken nur als Gattin. Alle Frauen aber, mit denen er nach seinem Begriff keine Ehe eingehen konnte, waren für ihn nicht Frauen sondern Menschen.

Es geschah, daß in diesem Sommer am Himmelfahrtstage zu den Tanten eine Nachbarin mit ihren Kindern, zwei jungen Mädchen und einem Gymnasiasten auf Besuch kam. Auch ein junger Maler aus dem Bauernstande, der bei ihr den Sommer verbrachte, war mitgekommen.

Nach dem Thee spielte man auf der abgemähten Wiese vor dem Hause Haschhasch. Auch Katjuscha beteiligte sich daran. Nachdem einige Paare gewechselt hatten, mußte Nechljudow mit Katjuscha laufen. Nechljudow hatte Katjuscha immer gern gesehen, aber daß zwischen ihm und ihr irgendwelche besonderen Beziehungen entstehen könnten, war ihm niemals in den Sinn gekommen.

»Die beiden wird man nicht so leicht fassen können«, meinte der haschende lustige Maler, der auf seinen kurzen und krummen aber starken Bauernbeinen sehr schnell lief.

»Nur wenn sie stolpern sollten.«

»Sie sollten die nicht fangen können?«

»Eins, zwei, drei!«

Es wurde drei Mal in die Hände geklatscht. Katjuscha, die kaum das Lachen verbeißen konnte, wechselte mit Nechljudow schnell den Platz, drückte mit ihrem festen, rauhen Händchen seine große Hand und stürmte vorwärts nach links, mit den gestärkten Röcken raschelnd.

Nechljudow konnte schnell laufen und, da er sich von dem Maler nicht fangen lassen wollte, stürmte er aus allen Kräften vorwärts. Als er sich umschaute, sah er, wie der Maler Katjuscha verfolgte. Aber mit ihren jungen, elastischen Beinen lief sie schnell und nahm dem Maler entweichend die Richtung nach links. Vorn stand ein Fliedergebüsch, hinter welches sonst niemand gelaufen war. Katjuscha sah sich nach Nechljudow um und gab ihm ein Zeichen, sich dort zu vereinigen. Er verstand sie und lief hinter die Sträucher. Nun war aber hinter den Sträuchern ein kleiner, mit Nesseln überwucherter Graben, den er nicht kannte: er stolperte hinein und verbrannte sich die Hände in den vom Abendtau befeuchteten Nesseln. Schnell jedoch sprang er unter Lachen auf, machte sich zu recht und lief auf den freien Platz hinaus.

Katjuscha, deren Augen wie taufrische Johannisbeeren glänzten, lief ihm mit strahlendem Lächeln entgegen. Sie kamen zusammen und faßten sich an den Händen.

»Sie haben sich wohl verbrannt«, sagte sie und ordnete mit der freien Hand den sich auf lösenden Zopf. Und schwer atmend blickte sie ihm lächelnd, von unten herauf gerade in die Augen.

»Ich wußte gar nicht, daß hier ein Graben ist«, sagte er ebenfalls lächelnd, ohne ihre Hand loszulassen.

Sie rückte zu ihm heran, und ohne zu wissen, wie es geschah, näherte er sich ihrem Gesicht. Sie zog sich nicht zurück, er aber drückte ihre Hand fester und küßte sie auf den Mund.

»Nanu!« rief sie, und mit einer schnellen Bewegung ihre Hand freimachend lief sie von ihm weg.

Als sie an den Fliederstrauch kam, brach sie sich zwei Zweige von den weißen, schon abfallen den Fliederblüten. Sie peitschte sich mit den Blüten das erhitzte Gesicht, blickte sich nach Nechljudow um und ging, mit den Händen fuchtelnd, zu den Spielenden zurück.

Von dieser Zeit an veränderten sich die Beziehungen zwischen Nechljudow und Katjuscha und nahmen jenen besonderen Charakter an, wie sie ihn zwischen einem unschuldigen Jüngling und einem ebenso unschuldigen jungen Mädchen, die sich beide zueinander hingezogen fühlen, zu haben pflegen.

Sobald Katjuscha das Zimmer betrat oder Nechljudow auch nur aus der Ferne ihre weiße Schürze sah, wurde für ihn alles wie von der Sonne beleuchtet, alles wurde interessanter, heiterer, bedeutsamer, das ganze Leben wurde freudevoller. Dasselbe empfand auch sie. Aber nicht nur die Anwesenheit oder Nähe Katjuschas übten auf Nechljudow diese Wirkung aus; von ebensolcher Wirkung war für ihn das bloße Bewußtsein, daß Katjuscha, und für sie, daß Nechljudow existierte. Erhielt Nechljudow einen unangenehmen Brief von der Mutter, oder ging es mit seiner Arbeit nicht recht vorwärts, oder wurde er von jenem grundlosen Trübsinn der Jugend befallen, — er brauchte blos daran zu denken, daß Katjuscha existierte und daß er sie sehen würde, und sogleich hob sich jede Verstimmung.

Katjuscha hatte im Hause viel zu thun, aber sie verstand es, mit allem schnell fertig zu werden und pflegte dann in den freien Augenblicken zu lesen. Nechljudow gab ihr Dostojewskij und Turgenew, die er selbst soeben erst gelesen hatte. Am meisten gefiel ihr »Das Stillleben« von Turgenew. Gespräche gab es zwischen ihnen nur gelegentlich, bei Begegnungen im Korridor, auf der Veranda, auf dem Hof und zuweilen im Zimmer des alten Stubenmädchens der Tanten, Matrjona Pawlownas, mit der Katjuscha zusammen lebte. Dorthin kam Nechljudow bisweilen zu einen Gläschen Thee. Und diese im Beisein Matrjona Pawlownas geführten Gespräche waren die angenehmsten. Waren sie allein, so wurde ihnen das Sprechen schon viel schwieriger. Sogleich begannen die Augen etwas ganz anderes und wichtigeres zu sagen, als der Mund; die Lippen zogen sich zusammen, es wurde den beiden unheimlich mit einander und sie trennten sich schleunigst.

Solche Beziehungen blieben zwischen Katjuscha und Nechljudow während der ganzen Zeit seines ersten Aufenthalts bestehen. Die Tanten bemerkten diese Beziehungen, erschracken und schrieben sogar darüber ins Ausland an Nechljudows Mutter, die Fürstin Jelena Iwanowna. Tante Marja Iwanowna fürchtete, daß Nechljudow mit Katjuscha ein Verhältnis eingehen könnte. Aber ihre Befürchtungen waren grundlos: Nechljudow liebte Katjuscha ohne es selbst zu wissen mit der Liebe der Unschuld, und diese Liebe schützte sowohl ihn als auch sie am besten vor einem Fehltritt. Es fehlte ihm nicht nur jedes physische Verlangen nach ihrem Besitz, sondern der bloße Gedanke an die Möglichkeit solcher Beziehungen zu ihr erfaßte ihn mit Schaudern.

Viel begründeter waren dagegen die Befürchtungen der poetisch angehauchten Sofja Iwanowna, daß Nechljudow mit seinem ungebrochenen, entschlossenen Charakter, wenn er einmal ein Mädchen liebte, es auch ohne Rücksicht auf dessen Herkunft und Stellung heiraten könnte.

Wenn sich Nechljudow damals klar seiner Liebe zu Katjuscha bewußt gewesen wäre und besonders wenn man ihn zu überzeugen gesucht hätte, daß er sein Schicksal mit dem dieses Mädchens nicht verbinden könne und dürfe, — dann hätte es leicht geschehen können, daß er mit seiner Geradlinigkeit zu der Entscheidung gekommen wäre, daß es keine Gründe dagegen gäbe, ein Mädchen zu heiraten, welches man liebe, wer sie auch sei. Aber die Tanten sagten ihm nichts von ihren Befürchtungen, und so fuhr er denn ab, ohne sich seiner Liebe zu Katjuscha bewußt geworden zu sein.

Er war überzeugt, daß seine Neigung zu Katjuscha nur eine der Betätigungen jener damals sein ganzes Wesen erfüllenden Lebensfreudigkeit sei, an der auch das anmutige, heitere Mädchen teilnehme.

Als er aber abfuhr und Katjuscha, die mit den Tanten auf der Freitreppe stand, ihn mit ihren schwarzen, thränenerfüllten, etwas schielenden Augen begleitete, da fühlte er doch, daß er etwas Schönes und Teueres verlasse, was sich nie mehr wieder holen würde. Und es wurde ihm sehr traurig zu Mut.

»Leb wohl, Katjuscha, und hab Dank für alles«, rief er, den Wagen besteigend, über die Haube Sofja Iwanownas hinweg.

»Leben Sie wohl, Dmitrij Iwanowitsch«, sagte sie mit ihrer angenehmen, schmeichelnden Stimme. Sie hielt die Thränen, die ihr in die Augen traten, zurück und lief in den Hausflur, wo sie sich ungestört ausweinen konnte.

Auferstehung

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