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5. Immunität gegen Gifte.
ОглавлениеAuf dem so vielgestaltigen Boden des Individualismus im weitesten Sinne des Begriffes erwächst bei bestimmten Lebewesen die Erscheinung einer deutlich angeborenen, bisweilen, dem Anscheine nach, absoluten Immunität gegen bestimmte Vollbringer von Giftwirkungen und andersartige Schädiger, die, wie auf den vorstehenden Blättern ausgeführt wurde, wenn überhaupt, so doch nur bis zu gewissen Grenzen durch allmähliche Gewöhnung an steigende Dosen erreichbar ist. Es sieht fast so aus, als ob nicht nur in einzelnen Tierklassen, sondern auch bei Menschen derartiges vorkommen könne, z. B. in Bezug auf das Unterbleiben von Wirkungenbei solchen, die in großen, gefährlichen Epidemien den Umständen nach Krankheitsstoffe in sich haben aufnehmen müssen und dennoch gesund geblieben sind. Ich habe mich jedoch bisher nicht davon überzeugen können, dass bei Menschen eine Immunität von vornherein für bekannte chemische Gifte bestände. Wo man glaubte, eine solche an[37]nehmen zu dürfen, waren es wohl, wie z. B. bei der Einwirkung giftiger Gase, äußere Umstände, die auf das Nichtentstehen von Vergiftung bestimmend wirkten oder es handelte sich um Mengen, die nicht ausreichten, um bei den Betreffenden, Unterempfindlichen, akute, in die Augen fallende Störungen hervorzurufen. Solche hochgradigen Unterempfindlichkeiten, wie sie z. B. für Äthylbromid, Äthylchlorid, Chloroform vorkommen, sind nicht den Immunitäten gleichzusetzen, die man bei manchen Tieren gegenüber Giften wahrnehmen kann, die unter allen Umständen bei Menschen Wirkungen zu veranlassen geeignet sind. In der Organisation solcher Tiere müssen in dieser Beziehung bestimmende Eigenheiten liegen, die sie manche Gifte – soweit dies erkennbar ist – unbeschadet aufnehmen lassen.
Von dem Igel, der bisher als ein in mancher Beziehung „giftfestes“ Tier gegolten hat, erbrachte ich den Nachweis,16 dass er in der Tat z. B. große Mengen von spanischen Fliegen oder Kreuzottergift verträgt, dass diese Widerstandskraft jedoch nur eine relative ist. Ja, die Kreuzotter selbst erwies sich in meinen Versuchen nicht absolut immun gegen ihr eigenes Gift, sondern nur in einem bestimmten Mengenverhältnis. Außerdem zeigte sich bei ihr unter solchen Umständen eine beträchtliche Wirkungsverzögerung.
Auf diesem Gebiete gibt es jedoch so bestimmte weitere Beobachtungen auch über absolute Immunitäten gegen starke Gifte, dass man – die Richtigkeit vorausgesetzt – annehmen muss, dass dann eben bei solchen Lebewesen die Angriffsflächen dafür so anders als bei anderen Tieren und Menschen sind, dass eine toxische Reaktion nicht auslösbar ist. So wirkt z. B. Mucor rhizopodiformis, ein Schimmelpilz, auf Kaninchen giftig ein, auf Hunde gar nicht. Das Weizenälchen, Tylenchus tritici, lebt in Glyzerin vortrefflich und [38] Belladonna, Morphin, Atropin, Strychnin sind für dasselbe unschädlich. Dagegen geht es durch Metallsalze, Säuren und Alkalien zugrunde. Enten, Hühner und Tauben werden durch innerlich gereichtes Opium nicht vergiftet. Der Nashornvogel frisst die Samen von Strychnos nux vomica, Mäuse die des Taumellolches, Amseln Tollkirschen, Meisen die Samen von Stechapfel, Staare die Schierlingsamen, Kaninchen und Meerschweinchen Blätter und Früchte von Belladonna,17 Kühe, Schafe, Schweine angeblich Bilsenkraut, Schnecken Belladonnablätter, die Larve von Deϊopeϊa pulchella nährt sich von der sehr stark giftigen Calabarbohne, die Raupen von Ornithoptera darsius von einer giftigen Aristolochia, deren Gift sich, wie es scheint, dem Schmetterling mitteilt, die Oleanderraupe frisst die giftigen Oleanderblätter und Cimex hyoscyami die Bilsenkrautblätter. Wildschweine sollen begierig die Farnwurzel fressen, Kaninchen gegen Haschisch refraktär sein und Pferde in Guadeloupe begierig die bei Menschen Entzündung erzeugenden Blätter von Rhus Toxicodendron aufnehmen. Ziegen und Schafe verzehren im Kaukasus Veratrum, die Nieswurz, während Pferde und Kühe dort dadurch Giftwirkungen bekommen.
Zu solchen Rätseln gehört auch das Verhalten mancher Tiere gegen niedere Temperaturen. Kann doch der Gletscherfloh, Desoria glacialis, nicht nur auf den Firnfeldern umherspringen, sondern sogar wochen- und monatelang bei – 110 einfrieren, ohne an Lebensenergie einzubüßen, was im Flachlande auch der Schneefloh, Degeeria, kann. Und dabei bestehen sie doch aus Eiweiß! Andererseits vertragen die gewöhnlichen Flöhe nicht das Klima von Feuerland und gehen, dorthin eingeführt, zugrunde. Welche Annehmlichkeit für die Feuerländerinnen!
[39] Allenthalben auf diesem großen Gebiete, der Reaktivität, der Nichtreaktivität und der Andersreaktivität von Lebendem auf körperfremden oder körperheimischen Einfluss starren uns unlösbare Lebensrätsel entgegen. Sie zu lösen ist unmöglich, sie in ihren wechselvollen Äußerungsformen kennen zu lernen notwendig. Die auf die betäubenden und erregenden Genussmittel sich beziehenden gehen alle Menschen, auch diejenigen von selbstzufriedener Gleichgültigkeit, an. Sie gehören zu den Weltfragen, an deren Beantwortung ein jeder der Beteiligten – und wohl alle Menschen sind daran beteiligt – automatisch oder bewusst teilnehmen muss.
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