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Drittes Kapitel

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Ungefähr zwei Meilen südöstlich von Bethlehem liegt eine Ebene, die durch einen Gebirgszug von der Stadt geschieden ist. Gegen die Nordwinde wohl geschützt, war das Tal dicht mit Maulbeerbäumen, Zwergeichen und Fichten bewachsen, während die angrenzenden Schluchten mit Oliven- und Maulbeergebüsch bestanden waren. Alles das war um diese Jahreszeit von unschätzbarem Werte für die Schafe, Ziegen und Rinder, aus denen die wandernden Herden zusammengesetzt waren.

Am äußersten Ende des Tales befand sich unter einer schroffen Felswand eine geräumige, Jahrhunderte alte Schafhürde. Hirten, die am Tage vorher auf diese Ebene hinaufgezogen waren, um neue Weideplätze zu suchen, hatten bei Sonnenuntergang ihre Herden hineingetrieben, weil sie dort vor wilden Tieren in Sicherheit waren. Am Eingange zündeten sie ein Feuer an und nahmen ein einfaches Mahl, dann setzten sie sich zur Ruhe und Unterhaltung nieder, während einer Wache halten mußte. Nach einer Weile legten sie sich zum Schlafe nieder, und nur der Wächter schritt draußen auf und ab.

Die Nacht war, wie die meisten Winternächte in dem hügeligen Lande, hell und frisch; zahllose Sterne funkelten am Himmel. Kein Lüftchen regte sich. Nie schien die Luft so rein, und die Stille der Nacht war mehr als Schweigen; es war eine heilige Stille, ein Wink, daß der Himmel sich niederneigte, um der lauschenden Erde etwas Freudiges zuzuflüstern.

Langsam verstrich die Zeit. Endlich war es Mitternacht, und der Wächter wollte schon seine Ablösung wecken, um sich selbst zur Ruhe zu legen, als er plötzlich überrascht stehen blieb. Ein heller Lichtstrahl umgab ihn wie sanftes Mondlicht. Atemlos wartete er. Aber das Licht wurde immer heller, bis es die ganze Umgebung blendend erleuchtete. Von Schrecken erfaßt, rief er:

»Wacht auf, wacht auf!«

Die Hunde sprangen auf und liefen heulend davon. Die Herden rückten erschrocken eng zusammen. Die Männer standen auf und griffen zu den Waffen.

»Was ist's?« riefen sie wie aus einem Munde.

»Seht!« rief der Wächter, »der Himmel steht in Flammen!«

Der Glanz des Lichtes blendete sie so, daß sie ihre Augen verdeckten. Von Furcht und Schrecken erfaßt, warfen sie sich halb ohnmächtig mit dem Angesichte zur Erde nieder, wie um zu sterben. Eine Stimme aber sprach zu ihnen:

»Fürchtet euch nicht!«

Sie horchten auf.

»Fürchtet euch nicht! denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke zuteil werden soll!«

Die Stimme klang so sanft und weich, daß sie keines Menschen Stimme sein konnte, und zugleich so hell, daß sie ihr ganzes Wesen durchdrang und sie mit Zuversicht erfüllte. Sie erhoben sich auf die Knie, und wie sie voll Ehrfurcht aufblickten, sahen sie in der Mitte des Lichtscheines die Erscheinung eines Mannes in glänzend weißem Gewande. Über seinen Schultern leuchteten die Spitzen zusammengefalteter Flügel hervor, über dem Haupte strahlte ein Stern in ruhigem Glanze wie der Abendstern. Und die Hirten erkannten, daß ein Engel Gottes zu ihnen herabgestiegen war.

Der Engel aber fuhr fort:

»Denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren worden, welcher ist Christus, der Herr!«

Abermals schwieg er, während seine Worte sich tief in ihre Herzen senkten.

»Und dies soll euch zum Zeichen sein,« sagte der Himmelsbote weiter: »Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln eingewickelt und in einer Krippe liegend.«

Der Engel sprach nicht mehr; seine frohe Botschaft war verkündet; dennoch blieb er eine Zeitlang.

Plötzlich begann das Licht, dessen Mittelpunkt er zu sein schien, sich rosig zu färben und zu zittern; in hoher Ferne erschienen glänzende Flügel, und eine Menge strahlender Gestalten und viele Stimmen erschallten und sangen zu gleicher Zeit:

»Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!«

Als die Hirten wieder zu sich gekommen waren, blickten sie einander wie traumverloren an, bis einer von ihnen sagte:

»Es war Gabriel, der Bote des Herrn an die Menschen.«

Keiner antwortete.

»Christus der Herr ist geboren; sagte er nicht so?«

Nun erlangte ein anderer die Sprache wieder und antwortete:

»Ja, das sagte er.«

»Und sagte er nicht auch: in der Stadt Davids? Das ist ja unser Bethlehem dort! Und wir würden ihn als Kind finden, in Windeln eingewickelt?« »Und in einer Krippe liegend.«

Der, welcher zuerst gesprochen hatte, starrte nachdenklich ins Feuer; wie wenn er zu einem plötzlichen Entschlusse gekommen wäre, sagte er endlich:

»Es gibt nur einen Ort in Bethlehem, wo Krippen sind; nur einen, und zwar in der Höhle dort bei der alten Herberge. Brüder, laßt uns hingehen und sehen, was sich zugetragen hat. Die Priester und Schriftgelehrten erwarten schon lange den Messias. Jetzt ist er geboren, und der Herr hat uns ein Zeichen gegeben, an dem wir ihn erkennen können. Laßt uns hingehn und ihn anbeten.«

»Aber die Herden!«

»Der Herr wird sie in seine Obhut nehmen. Beeilen wir uns!«

Sie standen alle auf und verließen die Hürde. Sie gingen um den Berg herum und sodann durch die Stadt der Herberge zu. Am Tor angelangt, wurden sie vom Wächter angehalten.

»Was wünschet ihr?« fragte er.

»Wir haben heute nacht wunderbare Dinge gesehen und gehört,« antworteten sie.

»Nun, auch wir haben etwas Merkwürdiges gesehen, gehört aber nichts. Was habt ihr gehört?«

»Gehn wir zuerst zur Höhle in der Einfriedigung, um Gewißheit zu erlangen. Der Messias ist geboren!«

»Der Messias! Woher wißt ihr das?«

»Er wurde heute nacht geboren und liegt nun in einer Krippe; so wurde uns verkündet. Es gibt in Bethlehem nur einen Ort mit Krippen.«

»Die Höhle?«

»Ja! Komm mit!«

Sie durchschritten den Hof, ohne beachtet zu werden, obgleich dort noch einige wach waren und über das wunderbare Licht sprachen.

Die Tür der Höhle war offen, eine Laterne brannte im Innern. Sie traten ohne weiteres ein. »Friede sei mit dir!« grüßte der Torwächter Josef. »Es sind Leute hier, die ein Kind suchen, das diese Nacht geboren worden sei. Sie wollen es daran erkennen, daß es in Windeln eingewickelt ist und in einer Krippe liegt.«

Josef war gerührt; er wandte sich um und sprach: »Das Kind ist hier.«

Sie wurden zu einer der Krippen geführt, dort lag das Kind. Das Licht wurde herbeigebracht, sodann betrachteten die Hirten in stummer Andacht das Kind.

»Es ist der Messias!« sagte endlich einer von ihnen.

»Der Messias!« wiederholten alle und fielen anbetend auf die Knie.

Die schlichten Männer küßten den Saum des Kleides der Mutter und entfernten sich dann mit freudestrahlendem Gesicht. In der Herberge weckten sie die Leute und erzählten ihnen, was sie gesehen und gehört hatten. Auf dem ganzen Wege durch die Stadt und bis zur Hürde zurück sangen sie das Loblied der Engel: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!«

Die Erzählung der Hirten verbreitete sich rasch und wurde durch das Licht, das weit und breit gesehen wurde, bestätigt. An den folgenden Tagen wurde die Höhle von einer Menge Neugieriger besucht, von denen manche glaubten, aber mehr noch lachten und spotteten.

Ben Hur

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