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Kapitel 2: Geschenk

Die Dunkelheit wird langsam von hellem Licht verdrängt und ich werde von den warmen Strahlen der Morgensonne geweckt. Ich blinzle und öffne meine Augen. Während ich aus dem Fenster sehe, wird mir bewusst, dass der Regen aufgehört hatte. Ich musste schon wieder auf dem Bauch geschlafen haben. Klar, durch die Wunden ist es fast unmöglich, auf dem Rücken zu liegen. Gähnend suche ich mein Handy unter dem Polster, in der Hoffnung, dass er es mir nicht schon wieder abgenommen hatte. Himmel sei Dank, es ist noch da!

09: 35 Uhr

“Uff, ich bin noch gut in der Zeit“, murmle ich nachdenklich und reibe mir die Augen. Ich will gerade aufstehen, als es an der Tür klopft. Verdammt! Ich springe auf, schnappe mir das nächstgelegene Shirt, laufe zur Tür und kann sie noch im letzten Moment zuhalten.

“Alex, ich bin es! Ich wollte dich nur wecken“, höre ich meine Mutter besorgt erklären. Vorsichtig öffne ich die Tür und vergewissere mich, ob es wirklich Mom ist, oder ob ich mich doch täusche. Ich sehe sie erleichtert und doch verschlafen an.

“Was ist los mit dir?“, fragt sie verwundert, “Ich wollte dir nur sagen, dass ich jetzt losmuss. Wir können dein Geschenk erst am Nachmittag abholen.“

Sie sieht mich besorgt an. Ob sie anfängt zu zweifeln ? “Ach, ich bin nur verdammt müde. Könntest du mir einen Kakao machen? Ich… ich zieh mich nur noch schnell an!“, bitte ich sie gelassen. Sie nickt und steigt die Treppe wieder hinunter. Einmal blickt sie noch zurück und wirft mir einen besorgten Blick zu. “Alles ok!“, rufe ich lächelnd und verschwinde in mein Zimmer. Herr im Himmel… Ich lehne mich mit dem Rücken an die Tür, vergrabe mein Gesicht in den Händen und versuche mir die Tränen zu verkneifen.

Irgendwann finde ich etwas Passendes zum Anziehen und begebe mich schnell ins Bad. Kaltes Wasser fließt vom Hahn herunter, dann wasche ich mir damit das Gesicht. Ich kann mich kaum im Spiegel ansehen, so sehr schäme ich mich. So viele Vorwürfe gehen mir durch den Kopf, so viele Sorgen. Wie lange wird das noch gehen? Tut er meiner Mutter dasselbe an? NeinDas hätte ich schon längst mitbekommen. Kann ich ihn nicht doch irgendwie loswerden?

Immer wieder habe ich dieselben Gedanken und nie komme ich zu einer Antwort. Ich schaffe es meine Haare irgendwie zu richten und bemerke, dass sie etwas länger geworden sind. Dunkle Strähnen hängen mir ins Gesicht. Schwarze Strähnen, blaue Augen. Gedankenverloren schlendere ich in die Küche und versuche wieder ein bisschen in die Realität zurück zu kehren.

“Tisch… dein…Kakao“, höre ich Mama sagen.

“Bitte?“, wie gesagt: Ich versuche es.

“Auf dem Tisch steht dein Kakao, Schatz.“

Ich bedanke mich und setze mich auf den Stuhl daneben.

“Ich muss jetzt los, ich ruf dich später an!“, sagt sie und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. “Tschau!“, rufe ich ihr nach und starre dabei auf meine alte Tasse. Eigentlich will ich keine Zeit verlieren. Wer weiß schon, wann Sebastian aufwachen wird? Also trinke ich den heißgeliebten Kakao einigermaßen genussvoll aus und begebe mich zur Haustür. Mit der Tasche und dem Türschlüssel in der Hand verlasse ich das Haus, jedoch fällt mir ein, dass der Vollidiot meine Kette gestern aus dem Fenster geworfen hat und schleiche deshalb zuerst in den Garten. Sie muss dort liegen! Die Sonnenstrahlen lassen ein kleines Objekt im Gras reflektieren. Ich hebe den Anhänger auf und knöpfe die dabei hängende Kette zusammen. Himmel… habe ich eine Wut auf den Typen! So, wie der angerissen hatte, war es kein Wunder, dass der Verschluss riss. Da das Schmuckstück wieder um meinen Hals liegt, kann ich schleunigst zur Bushaltestelle laufen. Nach einer ewiglangen Fahrt erreiche ich endlich die Stadt und steige, wie gewohnt, bei der Brücke aus. Schnell erreiche ich das Sperling Café und beginne langsam, aber sicher, die üblichen Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Ach, hatte ich damals Angst, auch nur ansatzweise irgendetwas in diesem Job falsch zu machen. Klar, Meike war echt cool und total nett, aber die Gäste sind oft echt unglaublich nervig und launisch. Damals war es noch so eine Zeit, wo ich es jedem recht machen wollte, aber was tut man nicht alles für Geld? Ich lege die Tasche auf eine Kiste im hinteren Bereich des Kaffees und binde mir meine weinrote Schürze um. Schnell noch den Gürtel und- in diesem Moment biegt Meike um die Ecke:

“Alex! Da bist du ja! Mensch, danke, dass DU zumindest verlässlich bist. Tobias hat mich schon wieder hängen gelassen!“

“Kein Problem, Tante! Entschuldige mich, aber ich muss los.“

Ich komme langsam in die Routine rein und kann mich tatsächlich etwas ablenken. Es ist nicht viel, aber etwas.

Die Zeit vergeht und es ist Mittag. Ich weiß, dass die Bestellungen am Nachmittag immer mehr werden und fange jetzt schon an alles zu ordnen und einen Gang zuzulegen. Ich komme zu einem kleinen Tisch am Zaun und frage einen alten Herrn um seine Bestellung:

“Entschuldigung. Wollen Sie noch etwas trinken? Oder vielleicht noch einen Kuchen?“

Er sieht betrübt in die Tiefe, beginnt dann aber zu lächeln und bittet mich freundlich:

“Bitte bringen Sie mir noch einen kleinen Kuchen.“

“Sehr gerne! Welche Sorte soll ich Ihnen bringen? Wir haben Sachertorte, Käsekuchen, Tiramisu, …“, ich räume das Geschirr auf und blicke dabei immer wieder auf die Stehtische am Zaun.

Als ich einen Jungen bemerke, der mir verdächtig bekannt vorkommt, halte ich den Atem an.

“Kay?“, kommt es aus mir heraus.

“Tut mir leid. Ich kenne diese Sorte nicht. Könnte ich ein Tiramisu haben?“, fragt der alte Mann verwirrt. Hoppla. Ich bin ja noch mitten in einem Gespräch.

“Ehm, klar! Gerne!“, antworte ich peinlich berührt. Mit dem gesamten Geschirr laufe ich zur Theke zurück und behalte dabei immer den jungen Mann im Auge. Ich bemerke kaum, dass Meike neben mir steht:

„Alles ok?“

“Jaja“, sage ich und hole die Torte aus der Vitrine. Ich schneide gedankenverloren ein Stück heraus und richte weiterhin die Bestellung. Meike sieht mir dabei mit einem schiefen Blick zu, aber sie fragt nicht weiter nach. Ich habe den Teller fertig, stütze mich mit den Handflächen ab und erkundige mich verzweifelt:

“Wieso ist Kay hier?!“

Schnell versteht sie, warum ich so durch den Wind bin und lacht:

“Die haben seit neustem früher Mittagspause! Peter ist überglücklich darüber. Ihr Chef macht ihnen ja die Hölle heiß.“

Ich überdrehe die Augen und begebe mich zurück zum alten Mann.

“Hier, bitteschön“, ich bin immer extra freundlich und es zahlte sich aus. Der Herr gibt mir Trinkgeld. Es ist nicht viel, aber wenn man das gesamte Trinkgeld zusammenlegt, kommt eine schöne Summe dabei raus. Ich will gerade zur Theke zurückkehren, als die Gruppe von Kay mich zu sich winkt. Zögerlich komme ich zu ihnen.

“Hey… Hat die Werkstatt wieder Pause?“, frage ich verwirrt und bekomme von Peter gleich eine Antwort:

“Ja! Wir mussten nur ein bisschen nerven und dann bekamen wir endlich unsere wohlverdiente Mittagsruhe!“

Er prallt wirklich oft damit, fast schon zu oft. Ich nehme ihre Bestellungen auf, die eigentlich immer gleich sind. Als aber Kay anfängt zu bestellen, beginnt meine Hand mit dem Kugelschreiber zu zittern. Ich werde immer nervöser und beeile mich, um weg zu kommen. Als ich dann endlich fertig bin, hoffe ich nichts vergessen zu haben und bereite die Bestellung zu. Nachdenklich stehe ich bei der alten Kaffeemaschine und verliere mich selbst in den Gedanken. Hat er was gemerkt? Ach…. Wie denn auch? Hoffnungslos komme ich zum Platz der Arbeiter zurück. Sie wollen alle gleich bezahlen. Die Typen sind gerade wieder in ihren Gesprächen vertieft, aber als ich mich umdrehen will, hält mich jemand am Oberarm zurück. Erschrocken drehe ich mich um und sehe direkt in dunkle Augen mit leichtem Rotschimmer.

“Hey, kommst du heute noch in die Werkstatt? Würde dir gerne was zeigen, wenn die anderen weg sind.“

Mein Herz stoppt kurz nachdem ich Kays Stimme erkenne. Ich antworte mit einem ,Klar‘, kann aber nichts mehr hinzufügen. Die Worte sind stecken geblieben. Weiß der hinterlistige Fuchs eigentlich, wie leicht er mich ausschalten kann? Er steckt mir noch ein paar Münzen in die Schürzentasche und dreht sich wieder um. Ich hatte eine komplette Herzattacke, weswegen ich mich den ganzen Mittag über wenig bis gar nicht konzentrieren kann. Was wollte er von mir? Habe ich das letzte Mal etwas vergessen?

Wieso „…, wenn die anderen weg sind“? Soll ich ihn dort etwa alleine treffen?! Großer Gott! Ich schüttele heftig meinen Kopf und versuche die Arbeit nur irgendwie hinzubekommen.

Die Zeit vergeht und irgendwann ist Schichtende. Ich kontrolliere mein Handy die ganze Zeit, um keinen Anruf von Mom zu verpassen, aber das war dann nicht mehr nötig: Jenny, eine Kellnerin von Meike, kommt auf mich zu und erklärt gelassen:

“Du kannst ruhig gehen! Ich und Meike schaffen das schon. Deine Mama wartet eh schon vorne im Auto.“ “Danke“, rufe ich und lege meine Sachen ab.

Ich beeile mich, um zu meiner Mutter ins Auto zu steigen. Mit einem Kuss auf die Wange begrüße ich sie und hoffe zudem, dass sie endlich wieder Zeit für mich hat. Leider erzählt sie mir herzlich wenig während der Autofahrt, denn es soll ja eine Überraschung sein. Naja, dafür habe ich genug Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. War… war ich wirklich so sehr verstreut wegen Kays Worten? Wieso? Klar, er ist echt nett und cool und loyal und…. gutaussehend… Was denk ich mir bitte nur?! Bin ich jetzt total übergeschnappt? Die ganze verdammte Fahrt versuche ich ihn aus meinem Kopf zu verbannen, was mir jedoch nicht gelingt. Als Mom endlich einmal stehen bleibt, springe ich wie ein kleines Kind aus dem Wagen und sehe mich neugierig um. Wir stehen auf einem Parkplatz direkt neben einem Wald.

“Komm“, meint sie glücklich und streckt mir ihre Hand entgegen.

Fragend starre ich sie an, gebe ihr aber die Hand. Wir gehen in den Wald hinein. Die Sonnenstrahlen glitzern durch die Kronen der Bäume hindurch. Es ist herrlich!

“Ich kann mich nicht erinnern, mir einen Spaziergang gewünscht zu haben“, lass ich sie spaßeshalber wissen.

Sie kontert direkt:

“Oh doch! Du sagtest »ich wünsche mir mehr Zeit mit meiner Mama«!“

Punkt für sie. Wir wandern eine ganze Weile und reden über Dinge, die wir schon immer mal besprechen wollten. Geschichten und Erinnerungen werden geteilt. Auch, wenn es nur ein Augenblick ist: Wir sind tatsächlich frei. Frei von Sorgen. Und das ist das Einzige, wonach ich mich so lange sehne.

Nach einer Stunde kehren wir dann doch zum Auto zurück.

“Darf ich fahren?“, frage ich spontan.

Ich meine, es ist mein Geburtstag und abgesehen davon bin ich schon lange nicht mehr gefahren. Ich bemerke den überlegenden Ausdruck in ihrem Gesicht, aber dennoch erlaubt sie es nicht. Klar, es ist Sebastians Karre, aber er hätte es eh nie gemerkt… Ich verstehe zwar nicht, wieso sie mich nicht fahren lässt, aber ich soll die Antwort schon bald bekommen. Schnell wird mir klar, dass sie nicht nach Hause fahren will. Krampfhaft versuche ich mich zu erinnern, wo die Straße hinführt, aber mir fällt es einfach nicht ein. Nach einigen Minuten kommen wir an einer uralten Werbetafel vorbei. Olli’s Motor? Die Werkstatt! Aber was will meine Mutter dort? Ob Sebastian wieder was bestellt hat? Wohl kaum… Nachdem er sich mit dem Chef, Kays Vater, gestritten hatte - oder besser ihn verprügelt hatte - hat er keinen Fuß mehr dort hineingesetzt. Klar, Herr Fuchs hat ihn natürlich angezeigt und ihm Hausverbot erteilt. Obwohl… Wenn ER nicht reindarf, wäre es dann tatsächlich viel logischer, dass meine Mutter alles für ihn besorgt. Da es nur eine Vermutung ist, frage ich sie zur Sicherheit, was sie dort wolle. Alles, was sie sagt, ist:

„Mein Auto wird repariert, ich muss nur was nachfragen. Dauert nicht lange.“ Standartsatz.

Wir erreichen tatsächlich die Werkstatt, meine Mutter steigt aus und bittet mich, im Auto zu warten. Es vergehen keine zwei Minuten, da kurbele ich das Fenster hinunter. Einerseits ist es warm und andererseits bin ich derbe neugierig. Plötzlich höre ich meine Mom schreien:

“WAS?! Nein! Das darf nicht wahr sein! Gestern war der doch noch in Ordnung!“ Meine Sinne melden sich, ich steige aus dem Wagen, schließe vorsichtig die Tür und schleiche mich zum offenen Garagentor. Sie befindet sich anscheinend gleich um die Ecke. Schnell bemerke ich, dass sie sich mit Kays Vater unterhält, wobei das Gespräch dadurch viel interessanter wird.

“Oliver? Sag mir bitte nicht, dass das jetzt wahr ist!“, sie ist völlig aus der Fassung.

“Leider doch. Die Teile sind völlig hinüber, es wird Monate dauern, bis sie überhaupt geliefert werden können.“ Toller Chef. Der heitert echt jeden auf.

Ich spähe um die Ecke und entdecke Kay, wie er gelassen im Fahrersitz eines glänzenden Fords gesackt ist. Er lässt ein Bein aus der Autotür heraushängen und checkt gerade sein Handy. Die Krise bei meiner Mutter wird immer schlimmer und bevor sie vor Entsetzen umfällt, bittet Oliver ihr einen Stuhl an. Sein Sohn jedoch springt mit einem Grinser aus dem Wagen und erklärte voller Stolz:

“Jetzt ist alles nur mehr halb so schlimm! Ich habe gerade mit einem Bekannten in Schaffertal geschrieben. Er meinte, er könne mir die Ersatzteile in den nächsten zwei Monaten liefern!“

Mom blickt zwar auf, aber vor lauter Staunen weiß sie nicht mehr, was sie sagen soll. Ich bin echt froh, dass Kay da ist. Er hat immer einen Geistesblitz. Ich hoffe echt, sie bekommen ihr Auto wieder zum Laufen.

“Jetzt müssen wir nur schauen, dass Alex nichts mitbekommt“, gesteht Mom.

WAS ?! Ich steige vor Schreck zurück und stoße dabei einen Eimer mit Eisenteilen um. Wie konnte ich den übersehen ?! Im nächsten Augenblick steht Herr Fuchs direkt vor mir:

“Wer schleicht denn da herum?“

Ich erschrecke erneut und verbleibe wie vereist. Sofort kommen Kay und Mom um die Ecke, gleichermaßen überrascht von meinem Dasein.

“Alex! Ich…ich…“, stottert sie mit den Händen im Gesicht.

Kay aber packt mich an den Schultern und sagt beruhigt:

“Gut, dass du da bist! Komm, ich glaube deine Mama will dir was zeigen.“

Sanft schiebt er mich in die Richtung des neuen Wagens.

“Tada! Alles Gute zum Geburtstag, Alex.“

Mir wird auf einen Schlag warm, das Blut fließt in den Kopf. Mein Körper wird immer steifer und dann beginne ICH zu stottern:

“I-Ist… ist der…f-für mich?“

Langsam drehe ich mich zu Mama um und blicke sie entsetzt an. Sie scheint zu weinen, schreitet zu mir und nimmt mich in den Arm, als hätte sie mich seit Jahren nicht mehr so gesehen. Mir blieb die Spucke weg. Ich…. Ich habe von meiner eigenen Mutter ein neues Auto bekomme… aber …aber wieso? Ich brauche eine ganze Weile, bis ich mich wieder sammeln kann, dann schiebe ich sie vorsichtig von mir und frage entsetzt:

“Bist du des Wahnsinns?! Ich meine…. Weißt du eigentlich wie viel der gekostet hat?! Wir sind ohne den Alten sowas von pleite! Ich meine… das ganze Geld! Das- Mom… Nein. Ich kann das nicht annehmen!“

Sie sieht auf und lächelt so unschuldig und beruhigt, als wäre alles ok:

“Genau deswegen will ich ja, dass du ein Auto hast. Damit du jederzeit wegfahren kannst.“

Diesmal nehme ich sie in den Arm und lasse ein paar einzelne Tränen fließen. Ein ,Danke‘, so stumm und doch hörbar, verlässt meine Lippen. Trotzdem werde ich sie niemals mit diesem Arsch alleine lassen.

Meine Sünde

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