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Kapitel 3: Ruhe

Wir verbringen noch eine ganze Weile bei Olli’s Motor, da uns der Chef auf einen Kaffee eingeladen hat. Es ist echt angenehm. Mama und ich haben es auf der Couch sehr gemütlich, Herr Fuchs, der Chef, sitzt im abgenutzten Stuhl daneben und Kay hockt locker auf einem Bürosessel. Tatsächlich ist sonst niemand mehr in der Werkstatt, der uns stören könnte. Die Arbeiter sind alle schon gegangen. Ich zeige Kay meine neue Kette mit dem gerissenen Verschluss und er bietet mir an, sie zu reparieren. Tatsächlich kommt er nach ein paar Minuten zurück und das Silberkettchen sieht wie neu aus. Es wird geredet und gelacht, erzählt und gekichert.

„Ich hoffe, ich hab‘ die Fotos noch. Nein, warte. Das war ja Kathis Kamera. Die müsste noch welche haben!“

„Von der Wasserschlacht? Ernsthaft?“, ungläubig traue ich mich nachzufragen, aber meine Mutter hat tatsächlich den Ausflug ans Meer vor drei Jahren gemeint. Oder waren es zwei Jahre? Noch weniger traue ich meinem Gehör, als Kay Geschichten auspackt, von denen ich nur mehr Bruchteile weiß. Wann um Himmels Willen bin ich in einem Ziegengehege stecken geblieben? Seine Behauptungen und Erzählungen bringen unsere Eltern zu lachen. Irgendwie beginne ich selber hier und da zu kichern. Wahrscheinlich deshalb, weil diese Momente genau so passiert sind. Ich werde zwar immer nervös, wenn Kay mich anspricht, aber trotz des Herzrasens in meiner Brust, bleibe ich außergewöhnlich locker. Jedes Mal, wenn ich in seine Augen blicke, fallen mir all die schönen Erinnerungen ein, die wir zusammen in unserer Kindheit gesammelt haben. Wir kennen uns schon seitdem meine Mutter und ich zu Sebastian gezogen sind. Besser gesagt, seit zehn Jahren. Der Fuchs hat mich witzigerweise gleich von Anfang an gemocht, er wollte mich immer in die Gruppe miteinschließen.

„Komm mit, wir spielen ,Piraten‘!“, sagte er zu mir, „wir haben einen Schatz versteckt.“

Natürlich war er Kapitän Fuchs und ich durfte Matrose Hase sein. Eigentlich lächerlich, wenn man so darüber nachdenkt, aber wir waren ja noch Kinder. Dennoch hielt unsere Freundschaft auch die nächsten Jahre an. Egal, ob in der Stadt, am See, am Meer, bei den Partys und auf Feiern jeglicher Art: Er war immer da. Oft kam es mir so vor, als ob Kay mich beschützen wollte. Er war… er ist wie ein großer Bruder für mich. Ich weiß nicht, was in mir vorging, aber ich habe vor einem Jahr angefangen etwas für ihn zu empfinden. Habe angefangen Abstand zu halten, was mit seinem stressigen Job bei seinem Vater nicht wirklich auffiel. Wir redeten kaum mehr. Ob er es

trotzdem gemerkt hat, dass ich mich zurückgezogen habe?

Es vergehen Stunden bis einer von uns einen Blick auf die Uhr wagt. Dieser jemand ist natürlich meine Mutter.

“Ach, du Heiliger! Alex! Beeil dich! Wir müssen nach Hause, bevor dein Vater was mitbekommt!“, ruft sie und zieht ruckartig ihre Jacke an. Seufzend stehe ich auf und bedanke mich sogleich äußerst freundlich bei Oliver für den Kaffee. Wir verabschieden uns und schließlich klopft mir Kay nochmal sanft auf die Schulter.

“Denk, was du willst“, wiederspreche ich seinen Gedanken, “er wird niemals mein ,Vater‘ sein.“

Den Grinser kann er sich unmöglich verkneifen. Er hat ja keine Ahnung, wie warm mein Herz wird, wenn er mich anlächelt. Auf der Rückfahrt reden meine Mutter und ich erneut über alles Mögliche. Vernünftigerweise beschließen wir, Sebastian nichts vom Auto zu erzählen und versuchen deshalb, eine Ausrede zu erfinden, die hoffentlich idiotensicher ist. Früher oder später erreichen wir sowieso das Haus und begegnen dem grummelnden Sack in der Küche.

“Wo wart ihr?!“, schnauft er und stellt sein Bier gereizt am Tisch ab.

“In der Kirche“, antworte ich gelassen.

Diese Antwort ist bombensicher. Wenn es einen Menschen gibt, der die Kirche meidet, dann Sebastian. Das Thema ist somit gegessen und er verlässt ohne weitere Fragen den Raum. Plötzlich fliegt mir Mom nochmals um den Hals, küsst mich auf die Stirn und lacht dabei zufrieden. Mein Herz erwärmt sich erneut.

Ich lasse noch schnell ein Gebäck von der Küche mitgehen und schleiche mich rasch auf mein Zimmer. Sicherheitshalber schließe ich die Tür ab und starte meinen etwas älteren Computer. Eigentlich will ich nur den von Meike geschickten Arbeitsplan von nächster Woche checken und so bald wie möglich schlafen gehen. Mal sehen… Morgen ist Samstag. Ja, ich habe frei. Sie hat mich erst am Montag wieder eingeteilt. Umgezogen und halbtot lege ich mich in mein Bett. Die Arbeit hat mir heute die ganze Kraft geraubt, aber ich bin noch nie ein Freund von Ausdauer gewesen. Ich schalte das Licht aus und schließe müde die Augen. Gerade als ich mich umdrehen will, beginnt mein Handy zu klingeln. Also: Wieder umdrehen, Augen auf, Licht an und Handydisplay anschauen. ,Unbekannte Nummer‘ steht da.

Als ob ich jetzt noch Bock hätte.

Nachdem ich, ohne zu antworten, auflege und mich umdrehen will, ruft der Typ nochmal an.

„Man! Gib doch einen Frieden, Junge!“, ich lege erneut auf und drehe mich genervt um.

Keine 5 Sekunden später klingelt es erneut.

“Jetzt reicht es mir“, murmele ich und beschließe dem Vollpfosten meine Meinung zu sagen, mitten in der Woche um 10 Uhr nachts anzurufen. Ich hebe ab, aber was meine Meinung betrifft, ist er schneller und fängt an zu brüllen:

“Wenn du Depp JETZT auflegst, komm ich persönlich vorbei und SCHELLE dir eine! Hast du das kapiert?!?!“

“Kay?!“, verwirrt setze ich mich auf, “Was zum Teuf…? Warum rufst du mich jetzt noch an?“

Er wird schnell wieder ruhig und redete gelassen, wie sonst immer:

“Sorry, mein Akku ist tot. Steh grad in 'ner Telefonzelle. Wollte nur wissen, ob du das mit deinem Alten überlebt hast?“

Man, bin ich genervt:

“Ja. Gott sei Dank hat der Typ keine so schlimme Neugierde.“

“So wie DU?“, ich höre wie Kay anfängt zu lachen.

Mein Gesicht wird wieder rot, bin aber dennoch ermüdet von seinen Witzen. Am liebsten hätte ich auf der Stelle aufgelegt, aber er redet schnell weiter, lässt mir kaum Zeit:

“Sorry, Alex. Ich weiß, dass Seb ein Arsch ist, aber ich hab‘ das heute echt amüsant gefunden.“

Das Schweigen meinerseits hält weiterhin an.

“He, komm schon… Das war echt nicht böse gemeint! Komm! Wie wär’s, wenn du morgen mit kommst zum ,Kellinger-Fest‘? Na? Was haltest du davon?“

Dieser plötzliche Vorschlag macht mich unsicher: “Ich überlege es mir noch…“

“Spitze! Kathi und die Jungs kommen auch! Ich melde mich morgen nochmal. Übrigens… die 2€, die ich dir heute gegeben habe, könntest du sie mir wieder zurückgeben?“

In diesem Moment komme ich mir vom Schicksal verarscht vor.

“ Wieso?“, frage ich unglaubwürdig.

“Du Vollidiot hast mich vorhin zweimal weggedrückt. Das hat mich jedes Mal 50 Cent gekostet…“

“Hoppla…. Klar, gebe ich dir morgen…“

“Klasse! Dann. Gute Nacht und schlaf gut!“

Ich liebe es, wenn er mir mit seiner dunklen Stimme ins Ohr redet. Jedes Wort klingt so ruhig und warm, aber er weiß rein gar nichts von meinen Gefühlen. “Gute Nacht.“

Verdammt. Es dauerte lange, bis ich mir im Klaren über meine Gefühle war. Aber jetzt scheint es so einfach zu sein. Es ist Liebe, oder? Kann man es so nennen? Ich bin mir nicht sicher. Lieber würde ich verbrennen, als ihm die Wahrheit zu sagen. Ist es denn wirklich so einfach, wie alle behaupten? Es sind doch nur drei kleine Wörter, oder? Ein kurzer Satz. Ein kurzer Satz, der mich vielleicht vom inneren Druck befreien kann. Er kann aber auch alles zu Nichte machen. Alles, was wir aufgebaut haben. Scheiße, ich hasse es.

Ich werde erneut von den Strahlen der Sonne geweckt. Erstaunt, dass ich schon um 7: 00 Uhr morgens wach bin, blicke ich auf die Handyuhr. Ich richte mich auf und sehe zum Fenster, auf dem ein großer, blauer Schmetterling seine wunderschönen Flügel von der Morgensonne aufwärmen lässt. Es ist ein herrlicher Anblick, dieses Geschöpf so nah zu sehen. Ich beneide den kleinen Kerl, denn er kann sich frei bewegen und überall hingehen, wo und wann er nur will. Nach einer Weile stehe ich auf und ziehe mein Shirt aus, um die Kratzer und Flecken im Spiegel zu betrachten.

“Zumindest ist auch mein Rücken blau…“, stelle ich fest.

Als ich mich wieder zum Fenster umdrehe, sehe ich, dass der Schmetterling Gesellschaft von einem Artgenossen bekommen hat. Ein zweiter, genauso schöner, Schmetterling sitzt ihm gegenüber. Da weiß ich, es ist Frühling. ,Pärchen-Zeit‘.

Ich schleiche mich unbemerkt aus dem Haus, um einen Spaziergang zu machen. Schlafen kann ich ja eh nicht mehr und bevor mein Stiefvater aufwacht… Ne… hab gerade echt andere Probleme. Ich schlendere den Feldweg entlang und denke über so manches nach. Am meisten Sorgen macht mir aber das Fest am Abend. Ich freue mich zwar wiedermal mit Kathi, Jakob und Kay zu feiern, aber ich habe dennoch ein verdammt ungutes Gefühl dabei. Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist da. Nach einer Weile spaziere ich am Waldrand entlang und setze mich auf die nächstgelegene Bank. Es ist angenehm warm und der kühle Wind, der hin und wieder vorbeizieht, macht diesen Moment noch idyllischer, als er eh schon ist. Einfach herrlich. Ich höre, wie sich mir schnelle Schritte nähern und wage einen Blick zur Seite. Eine erschöpfte Joggerin kommt aus dem Wald gelaufen und verlangsamt ihr Tempo, als sie in meine Richtung einschlägt.

“Alex? Lange nicht gesehen!“, es ist Kathi, meine gute alte Freundin.

Sie umarmt mich und lässt sich neben mir nieder. “Du schwitzt aber ganz schön. Wie lange bist du denn schon unterwegs?“, frage ich besorgt und bekomme eine Handfläche als Antwort.

Sie zeigt mir damit, etwas zu warten, da sie erst Luft holen muss, um reden zu können. Kathi schnauft ganz schön und ich mache mir langsam ernsthaft Sorgen um ihren Kreislauf.

“Ich bin schon seit 'ner Stunde am Rennen. Bergauf, bergab, hin und her“, gesteht sie, lächelt aber zufrieden. Ich überdrehe die Augen, belasse es aber dabei. Mittlerweile weiß ich ja, wie stur sie sein kann. Kathi ist so ein Typ, der sich auspowern muss, um Stress abzubauen. Vielleicht sind ja wieder mal die Fetzen bei ihr zu Hause geflogen. Wer weiß?

“Kommst du heute mit zum Feiern?“, erkundigt sie sich, als hätte sie mich total vergessen zu fragen.

“Ja… Kay holt mich ab“, behaupte ich gelassen. Kathi jedoch hebt die Augenbrauen und blickt mich verwundert an.

“Was ist?“

“Ach…nichts“, sagt sie unschuldig und dreht ihren Kopf auf die andere Seite.

Sogleich stelle ich sie zur Rede:

“Na hör mal, ich kenne diesen Blick. Du verheimlichst mir doch etwas!“

Ich werde wütend und fordere eine klare Antwort. Kathi wirkt nervös und läuft nach einem “Ich muss weiter, bis heute Abend!“ wieder los. Sprachlos bleibe ich zurück und wundere mich regelrecht über diese Aktion. Was war plötzlich los mit ihr? Und wieso hat sie mir keine Antwort gegeben? Ich bin mir sicher, dass es um Kay geht und ich noch am Abend aufgeklärt werde. Während ich nach Hause spaziere, zerbreche ich mir regelrecht den Kopf darüber. Erfolglos.

“Nur Geduld, Alex“, rede ich mir selber ein und begebe mich in den Garten des Hauses.

Dort finde ich meine liebliche Mutter an und frage sie, ob ich zum Fest gehen kann. Sie nickt mit dem Kopf und ist sogleich wieder in ihre Arbeit bei den Blumen vertieft.

“Ach, Alex! Sei so gut und komm VOR Mitternacht heim!“, betont sie und ich lächle als Antwort.

Ich stapfe ins Badezimmer im oberen Stock und ziehe mich aus, um zu duschen. Ordentlich gefaltet lege ich meine Kleidung auf einen Stuhl und hänge die Kette auf die Lehne. Noch bevor ich in die Kabine steige, tippe ich eine Nachricht in mein Handy ein und schicke es an den Fuchs. Der Inhalt lautet:

„Ich kann heute Abend kommen. Wann holst du mich ab?“

Nach dem Duschen greife ich nach meiner Unterwäsche, werde aber von einem Anruf unterbrochen. Beim Abheben erwarte ich ein warmes ,Hallo‘ oder ein ,Hi‘ … stattdessen bekomme ich eine hektische Antwort:

“Ich kann dich nicht holen. Fahr mit dem Bus!“

“Hä? Kay? Was? Warte!“, frage ich …vergebens.

Was zum …? Ich rubbele meine Haare im Handtuch ab und probiere ihn nochmals anzurufen, aber es ist immer die Mailbox zu hören. Zwar mache ich mir ernsthaft Sorgen, kann aber auch nichts machen, außer zu warten. Ich hasse warten.

Meine Sünde

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