Читать книгу Flirt, Flucht & Fiasko - Liane Leicht - Страница 5

Ein unglaubliches Angebot

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Im Einkaufszentrum war die Hölle los. Es war Samstagmorgen. Alle waren unterwegs. Aber Annika brauchte unbedingt noch ein Kleid für das große Volksfest nächste Woche. Ich hatte nachgegeben und eingewilligt ihr bei der Suche zu helfen. Ich hätte mir das nicht antun müssen. Schließlich ging ich noch nicht einmal selbst hin. Ich war in keiner Beziehung und jemand anderes hatte mich nicht gefragt, ob wir gemeinsam hingehen könnten. Alleine dort aufzukreuzen würde ich nicht wagen. Niemand würde das. Damit würde man ja zeigen, dass man Single war und keine Begleitung fand. Dann lieber gar nicht.

Außerdem machte das Fest nur dann Spaß, wenn man ein Liebespaar war. Denn das Highlight des Abends war die romantische Bootsfahrt unter dem Vollmondhimmel über den mit Kerzenschein beleuchteten See.

Annika würde natürlich mit Dominik, ihrem Freund, dort sein. Aber ich? Ich würde mal wieder zu Hause sitzen. Es war nichts Besonderes, ich war nie auf dem Fest gewesen. Ich kannte das alles nur aus den Erzählungen von anderen. Es hörte sich toll an und ich würde wirklich liebend gerne hingehen, aber was sollte ich machen? Alleine? Niemals!

„Glaubst du, wir finden was?“, fragte ich gerade meine Freundin.

„Wir müssen, Miriam!“, erklärte mir Annika mit Verzweiflung in der Stimme und zerrte mich in ein Geschäft zu unserer Rechten.

Wir waren ungefähr eine geschlagene halbe Stunde darin, ohne fündig zu werden. An jedem Kleid hatte sie etwas auszusetzen. Es war nicht festlich genug. Die Farbe stand ihr nicht. Es saß nicht richtig. Es hatte zu viele Rüschen (Annika fand, dass sie in einem Rüschenkleid wie eine 3-jährige wirkte, deren Mutter ihr das Kleidchen aufgezwängt hätte). Falls dann doch alles passte, gab es noch immer Dominik, dem es angeblich aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen nicht gefallen würde.

Nichts stellte sie auch nur annähernd zufrieden. Ich hatte gewusst, dass es schwierig werden würde mit Annika einkaufen zu gehen, doch nach zwei Stunden und gefühlt zehn Läden gab ich die Hoffnung auf, dass wir je etwas finden könnten.

Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und betrachtete meine Freundin missmutig. Mit unermüdlicher Energie verschwand sie in der Umkleidekabine, eine Handvoll Kleider auf dem Arm. Kurze Zeit später kam sie wieder heraus. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, drehte sich einmal vor mir im Kreis und fragte: „Wie sehe ich aus?“

„Toll.“ Das war inzwischen zu meinem Standardspruch geworden. Man hörte es mir vielleicht nicht an, aber ich meinte es immer ehrlich.

Annika hatte lange seidig-glänzende Haare und ein hübsches Porzellangesicht. Sie sah in jedem Kleid umwerfend aus. Ich verstand gar nicht, welches Problem sie hatte.

„Meinst du nicht, es ist ein bisschen zu weit ausgeschnitten?“

„Blödsinn. Das steht dir gut.“

„Aber dann glaubt Dominik vielleicht, ich würde aufreizend erscheinen wollen.“

„Das ist dein gutes Recht als Frau!“, kofferte ich mich auf. „Er soll froh sein, dass er so eine gutaussehende Freundin hat. Dann muss er auch riskieren, dass dir andere Männer einen Blick zuwerfen. Aber da auf dem Fest sowieso alle als Paar unterwegs sein werden, halte ich die Chance für relativ gering.“

Annika ging gar nicht auf meine Rechtfertigungen ein. „Ich glaube, der Rock ist zu lang. Ich werde die ganze Zeit über den Saum stolpern und ihn dreckig machen.“

„Du brauchst höhere Schuhe, dann ist er gleich viel kürzer.“

„Aber da ist so eine komische Schleife am Rücken. Sieht das nicht zu verspielt aus?“

Ich gab auf. „Nein“, erwiderte ich einsilbig, mir der Tatsache bewusst, dass ich nichts tun oder sagen könnte, um sie dazu zu bringen, das Kleid zu kaufen.

Nach weiteren vier Anproben ließ sie sich neben mich plumpsen. „Kannst du mir ‘nen Kaffee holen? Es gibt hier, glaube ich, einen Automaten. Zumindest sehe ich ständig Leute mit Pappbechern durch die Gegend laufen. Ich geh so lange in den Laden gegenüber und schau mich ein bisschen um.“ Sie holte ihren Geldbeutel heraus und drückte mir einen Euro in die Hand. „Sei so lieb, ja?“, sagte sie in einem zuckersüßen Tonfall, dem ich nicht wiedersprechen konnte. Tatsächlich war ich sogar ganz froh über die Ablenkung.

Wir verließen gemeinsam das Geschäft und fanden uns sogleich im allgemeinen Samstagmorgengewühl wieder. Dann trennten sich unsere Wege. Sie ging in den Laden gegenüber und ich stand ziemlich hilflos da und schaute mich um. Wo um alles in der Welt sollte ich jetzt diesen Kaffeeautomaten finden? Völlig orientierungslos bog ich nach links ab und trottete den dichtgedrängten Gang entlang.

Mein Blick streifte einen Typen. Er kniete auf dem Boden und wischte mit einem Stapel Papiertücher eine braune Flüssigkeit auf. Seine schulterlangen blonden Haare verdeckten dabei zur Hälfte sein Gesicht, doch ich schätzte, dass er in meinem Alter war. Neben ihm stand ein fast leerer Pappbecher. Scheinbar hatte er Kaffee verschüttet. Das war meine Chance!

Ich ging auf ihn zu und fragte ihn freundlich, wo denn der Kaffeeautomat wäre. Er musste es ja schließlich wissen.

Schwer in seine Arbeit vertieft, deutete er nach rechts und meinte: „Da hinten irgendwo.“

Wow, wie präzise!

Er sah kurz auf, zögerte. Seine blauen Augen musterten mich ein paar Sekunden lang. „Ich kann es dir zeigen, wenn du willst“, bot er an. „Ich brauch‘ sowie einen neuen Kaffee.“ Seine veränderte Haltung irritierte mich, aber ich nickte trotzdem. So würde ich den Automaten wenigstens finden.

Ich schaffte es sogar noch ein „Das wäre nett“ hervorzubringen.

Er hob seinen Pappbecher auf, trank schnell den letzten Schluck aus und stopfte die feuchten Papiertücher hinein. Dann stand er auf und spazierte voraus. Ich folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Vielleicht wollte er meine Orientierungslosigkeit ausnutzen und mich ganz wo anders hinlocken? Aber wie viele Möglichkeiten gab es denn in einem Kaufhaus schon und vor allem: Warum sollte er?

Trotzdem war mir nicht ganz wohl bei der Sache. Schließlich hatte er am Anfang überhaupt nicht den Eindruck erweckt, mich irgendwo hinführen zu wollen.

Nur mit Mühe schaffte ich es mit seinen langen Beinen Schritt zu halten und ihn nicht in der Menge zu verlieren. Er führte mich im Zick-zack-Kurs durch die Gänge, bis wir nach etwa fünf Minuten tatsächlich vor dem Kaffeeautomaten standen. Er befand sich etwas Abseits von dem Gedränge, direkt neben der Fluchttür.

Der Junge warf seine schulterlangen strähnigen Haare nach hinten und lächelte mich leicht überheblich an. So als wolle er dafür gelobt werden, dass er mir den richtigen Weg gezeigt hatte.

Wahrscheinlich traute er mir nicht zu, die Maschine ohne seine Anleitung bedienen zu können, denn er warf etwas Geld ein, drückte einen Knopf und wartete, bis ein Pappbecher mit Flüssigkeit gefüllt wurde. In der Zwischenzeit schmiss er den bisherigen Becher in den nebenstehenden Mülleimer.

Der Junge nahm das dampfende Gefäß in die Hände, lehnte sich lässig gegen den Automaten und beobachtete mich von der Seite. Überprüfte er, ob ich aus alles richtig machte?

Ich versuchte ihn, so gut es ging zu ignorieren, fütterte das Gerät mit Annikas Euro und drückte die Taste für den Kaffee.

„Gehst du zu diesem sagenumwobenen Fest nächstes Wochenende?“, wollte der Blonde unvermittelt wissen.

Augenblicklich hatte er meine gesamte Aufmerksamkeit. Nur vage bekam ich mit, wie ein Pappbecher herausploppte und sich schwarzbraune Flüssigkeit hineingoss.

Ich wirbelte herum und starrte den Jungen mit geweiteten Augen an. Warum fragte er mich so was? Nur, um Konversation zu machen? Er könnte auch einfach verschwinden. Er hatte bereits seinen Kaffee und ich den Automaten.

Ich schluckte und versuchte mich wieder etwas zu beruhigen. „Weiß ich noch nicht“, murmelte ich. Ich wollte gleichgültig klingen, fürchtete jedoch, dass mir das nicht sonderlich gut gelang. Gleichzeitig beabsichtigte ich, auf keinen Fall zuzugeben, dass ich keine Begleitung hatte.

„Geh mit mir hin“, bat er mich. Meine Augen wurden - wenn das möglich war - noch größer. Er merkte wohl selbst wie verrückt er klang und verbesserte sich rasch: „Ich meine, du könntest mit mir hingehen.“

Es war nun ein Angebot, machte den Satz aber kein Stück harmloser.

„Ich kenne dich doch überhaupt nicht“, wich ich aus.

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ich hab dich heute auch zum ersten Mal gesehen. Aber das Fest hat so einen fantastischen Ruf, willst du wirklich wegen einer Kleinigkeit darauf verzichten?“

Kleinigkeit? Man konnte doch unmöglich mit einem Unbekannten auf einer Veranstaltung für Liebespaare auftauchen!

„Ich heiße Finn“, erklärte er und streckte mir die Hand entgegen.

Ich starrte ihn immer noch an, unfähig etwas zu erwidern.

Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen, ließ die Hand wieder sinken und fragte: „Und du?“

„Miriam“, gab ich widerwillig preis.

„Siehst du, jetzt kennen wir uns schon ein bisschen. Und auf dem Fest haben wir jede Menge Zeit noch mehr voneinander zu erfahren.“

Ich betrachtete ihn zweifelnd. Etwas in mir warnte mich. Es erschien mir grundverkehrt mit jemandem fortzugehen, den ich gar nicht kannte. Dabei war es gar nichts Schlimmes. Einfach nur ein Date. Und wenn ich dafür endlich selbst die Bootsfahrt erleben könnte, wäre es das doch wert. Egal mit wem. Oder?

Eine fremde Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Gehört der Kaffee euch?“ Erschrocken wirbelte ich herum. Ein Mann mittleren Alters war plötzlich aufgetaucht und deutete auf den Automaten, in dem noch immer mein Pappbecher stand. Die Flüssigkeit war inzwischen durchgelaufen und kühlte ab. Ich hatte ihn in all der Aufregung total vergessen. Ich merkte, wie ich knallrot anlief, schnappte mir hektisch den Becher und machte dem Fremden Platz.

„Sehen wir uns dann am Freitag?“, zog Finn meine Aufmerksamkeit wieder an sich. „Vor dem Eingang?“

„Ähm...“ Ich hatte noch immer keine Entscheidung getroffen. Das plötzliche Auftauchen des fremden Mannes hatte mich zusätzlich durcheinandergebracht. „Eigentlich...“ Ich wich Finns Blick aus, drehte den Pappbecher nervös in den Händen. Was sollte ich sagen? Mein Kopf war wie leergefegt. Mir fiel nicht einmal eine glaubhafte Ausrede ein. Dabei konnte ich sonst immer Gründe finden - egal ob dafür oder dagegen.

„Ach komm schon. Ich möchte wirklich hingehen. Alle anderen Mädchen, die ich gefragt habe, hatten bereits eine Begleitung. Du bist wahrscheinlich das einzige Mädchen, das nicht dort sein wird.“

„Wie beruhigend!“, murmelte ich. Dabei sprach er genau das aus, was ich mir schon seit Wochen dachte. Jeder redete nur von diesem dummen Fest. Was er anziehen würde, was er dort tun würde und welche traumhafte Person ihn begleiten würde.

„Wenn du mit mir hingehst, bist du auch dort“, versuchte Finn, mich zu überzeugen.

„Vielleicht gehe ich ja hin.“

„Keiner geht alleine zu dem Fest.“

Als ob ich das nicht selbst wüsste.

„Bitte, Miriam.“ Er sah mich so flehentlich an wie ein Teddybär, der Angst hatte, im Stich gelassen zu werden. Ich brachte es nicht übers Herz, ihm einen Korb zu geben. Ich konnte ohnehin nicht recht begreifen, warum ich mich so zierte. Ich wollte unbedingt zu dieser Veranstaltung. Wen kümmerte es, ob ich meine Begleitung kannte?

„Na schön, ich komme mit.“

Finn lächelte. „Cool.“ Er stieß sich vom Automaten ab und wandte sich zum Gehen. Aber bevor er ganz verschwand, sagte er noch: „Bis dann, Miriam“ und winkte mir zu.

Meine Hand hob sich wie von selbst zum Abschied. Ich sah ihm fassungslos hinterher, wie er in der Menschenmenge verschwand. Das war total verrückt. Ein wildfremder Typ fragte mich, ob ich ihn zum Fest begleiten würde. Ich musste lächeln, so absurd war das. Aber wahr!

Eine Welle von Glück breitete sich in mir aus. Ich würde zum Fest gehen!! Ich konnte es noch gar nicht richtig glauben. Was würde Annika sagen, wenn ich ihr das erzählen würde?

Mit wesentlich besserer Stimmung als vor einer Viertelstunde kehrte ich zu dem Geschäft zurück, in das meine Freundin verschwunden war. Ich fand sie, wie sie gerade ein viel zu langes violettes Kleid anprobierte, reichte ihr den inzwischen leicht abgekühlten Kaffee und fragte: „Und, hast du was gefunden?“

Annika seufzte. „Nichts Perfektes“, gab sie zu.

„Egal“, entgegnete ich fröhlich. „Wir müssen sowieso noch mal von vorn anfangen. Ich brauch jetzt nämlich auch was für’s Fest.“

Flirt, Flucht & Fiasko

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