Читать книгу Flirt, Flucht & Fiasko - Liane Leicht - Страница 7
Abstecher in die Abstellkammer
ОглавлениеFasziniert sah ich mich um. Es war fast noch mehr los, als vor einer Woche im Einkaufszentrum. Nur mit dem Unterschied, dass es hier hauptsächlich Jugendliche gab. Alles war feierlich geschmückt. Überall hingen bunte Luftballons und Tücher. Plakate klebten an den Wänden, an denen die Aufenthaltsorte der jeweiligen Buden und die einzelnen Programmpunkte erläutert waren. Auf dem Boden war mit Straßenkreide der Weg zu den Toiletten aufgezeichnet.
Finn und ich entschieden uns, zuerst das Hauptgebäude zu betreten. Dort gab es Essen, Trinken, eine Tanzfläche und den ein oder anderen Verkäufer romantischer Liebesbeweise. - Nicht, dass diese bei uns große Chancen hätten.
Das Licht war gedimmt und ich fühlte mich sofort fehl am Platz. Eine fingierte Beziehung war einfach nicht dasselbe wie eine richtige. „Und? Wohin gehen wir?“, erkundigte ich mich betont lässig bei meiner Begleitung.
„Geradeaus?“, schlug er vor. Und das taten wir dann auch.
Nach wenigen Metern entdeckte ich im Gewühl ein Mädchen aus meiner Klasse, die ich eigentlich nicht besonders gut leiden konnte. Ramona.
„Hi Miriam“, rief sie mir auch sofort zu. „Du musst unbedingt zu dem Stand mit den Cocktails.“ Sie wies auf das Glas in ihrer Hand, in dem eine blutrote Flüssigkeit schwamm. Am Rand hing eine Scheibe Blutorange zur Dekoration und natürlich steckte auch ein Strohhalm darin.
„Der hier heißt ‚karibische Küsse‘“, klärte sie mich auf, „und ich muss sagen, genauso schmeckt es auch.“ Sie grinste.
Ich überlegte, sie zu fragen, woher sie so gut über karibische Küsse Bescheid wusste, kam jedoch nicht dazu, denn in diesem Moment bemerkte Ramona Finn.
„Gehört der zu dir?“, erkundigte sie sich unverblümt.
„Hm“, machte ich vorsichtig, unsicher, was ich von dieser Frage halten sollte.
„Krass. Hätte ich dir echt nicht zugetraut.“ Sie schwieg ungefähr eine Sekunde lang, dann: „Wollen wir tauschen?“
Ich starrte sie an. Was? Tauschen? Finn gegen einen Typen, den ich noch weniger kannte?
„Wen würde ich denn dafür kriegen?“, fragte ich scheinbar interessiert.
„Paul, meinen Freund. Steht da hinten irgendwo und unterhält sich mit ein paar Kumpels.“ Ramona deutete in eine Menge voller Menschen. Ich hatte keine Ahnung, wer von denen jetzt dieser Paul sein sollte. Aber im Prinzip war es mir auch egal.
Ich schaute das Mädchen misstrauisch an. Meinte sie das wirklich ernst? Bei ihr konnte man sich nie so sicher sein.
Ich war noch immer am Überlegen, ob ihr Angebot nun ein Kompliment für Finn war oder ein schlechtes Zeichen für ihre Beziehung, da erklärte sie bereits: „War ‘n Scherz. Ich würde dir doch nie Paul überlassen!“ Sie feixte, verabschiedete sich und zog ab. Zum Glück. Ich mochte das Mädchen nicht und daran würde sich auch nie etwas ändern.
„Ist die immer so?“, fragte Finn mich, während ich noch meiner Schulfeindin hinterherstarrte.
„Meistens“, antwortete ich ihm mit Bitterkeit in der Stimme. „Ich gehe ihr lieber aus dem Weg.“
„Aber die Idee mit den Cocktails hat mir gefallen.“
Also suchten wir die Cocktailbar. Sie war nur ein paar Meter entfernt den Gang entlang auf der linken Seite. Man erkannte sie schon von weitem an der riesigen Warteschlange. Ich seufzte. Ich hatte den Eindruck an diesem Abend sehr viel Zeit mit Anstehen verbringen zu müssen.
Als wir nach 20 Minuten endlich an der Reihe waren, entschied ich mich für den Südfruchtmix „Der Traum vom Süden“ und Finn nahm – zu meinem Ärger – auf Ramonas Empfehlung hin die „Karibischen Küsse“. Ich konnte nicht verhindern, dass ich ihn finster anblickte, als hätte er das schlimmste Verbrechen der Welt begangen.
„Willst du auch mal?“, fragte er mich unschuldig.
„Nein!“, fauchte ich entschlossen.
„Weißt du, nur weil dieses Mädchen es mag, heißt das nicht, dass es giftig ist.“
Der Blick, den ich ihm daraufhin zuwarf, sprach Bände.
Er zuckte mit den Schultern. „Dann halt nicht. War ja nur ein Vorschlag.“
Stillschweigend schlürften wir unsere Cocktails. Obwohl niemand etwas sagte, war es eine friedliche Stimmung und ich genoss es wirklich, auf dem Fest zu sein.
Als die Gläser nur noch halb gefüllt waren, erkundigte sich Finn unvermittelt: „Hättest du mich vorhin eigentlich gegen diesen Paul eingetauscht, wenn das Mädchen keinen Rückzieher gemacht hätte?“
Ich brauchte eine Weile, bis mir klar wurde, von wem er redete. Schulterzuckend erwiderte ich: „Ich kenne den Typen ja gar nicht. Noch weniger als dich.“
„Das war keine Antwort.“
Ich schlürfte schweigend an meinem Cocktail, während ich darüber nachdachte. „Ich glaube, Paul ist eine miese Begleitung, nachdem er schon nach kurzer Zeit seine Freundin hat stehen lassen, um mit seinen Kumpels zu plaudern. Und Ramonas Reaktion nach zu schließen, sieht er auch wesentlich schlechter aus als du. Zusammenfasssend würde ich also sagen, dass ich bei dem Tausch den Kürzeren gezogen hätte.“
Finn grinste mich an und wollte offensichtlich etwas erwidern. Aber dann fiel sein Blick auf irgendetwas in meinem Rücken und seine Gesichtszüge entgleisten.
„Scheiße“, murmelte er geschockt. Er stellte sein inzwischen leeres Cocktailglas auf den nächstbesten Tisch, packte mich am Arm und sah mir fest in die Augen. „Ich hoffe, du siehst das am Ende des Abends immer noch so. Aber jetzt müssen wir hier weg.“
Noch während er das sagte, drehte er sich um und rannte den Gang entlang. Mich zog er ungefragt einfach mit.
Unbewusst stellte ich mein Glas, das inzwischen zum Glück fast leer war, neben seines, dann stolperte ich auch schon hinter dem blonden Jungen her.
Er rannte ziemlich schnell, sodass ich kaum hinterherkam. Sport war nicht unbedingt mein Lieblingsfach.
Mir war flau im Magen. Irgendetwas war geschehen. Ich spürte deutlich, wie jeder Nerv von ihm bis zum Zerreißen gespannt war. Angespannt warf ich einen Blick über meine Schultern. Wen oder Was hatte er gesehen, das ihn so erschüttert hatte?
Ich konnte meinen Kopf nicht lange in dieser Stellung belassen, da es mir so erst recht unmöglich war, mit dem Jungen Schritt zu halten. Doch in diesen zwei Sekunden entdecke ich nichts Auffälliges. Jeder außer uns verhielt sich normal.
Finn drängte mich in die nächstbeste Tür und schloss sie hinter uns. Es war eine Abstellkammer, soweit ich das erkennen konnte, allerdings groß genug, um darin zu zweit zu stehen. Und eigentlich war es auch recht geräumig. Es hätte schlimmer kommen können.
„Was…“, begann ich diesen mysteriösen blonden Typen zu fragen, aber ich kam nicht weiter. Er hielt mir sofort den Mund zu.
Angestrengt lauschte er in die Stille. Ich beobachtete ihn mit einer Mischung aus Angst und Interesse. Was wurde hier gespielt? Ich suchte seinen Blick, aber der war auf die Tür geheftet, als könne er hindurchsehen.
Allmählich bekam ich wirklich Panik. Irgendetwas musste passiert sein. So fremd mir Finn auch war, grundlos würde er doch niemals in diesen Raum ihr flüchten. Oder?
Einige Zeit später - ich hatte in den spannungsvollen Minuten jegliches Zeitgefühl verloren – entspannte er sich wieder und nahm seine Hand von meinem Mund.
Ich schaute ihn verwirrt an. „Was sollte diese Aktion?“, fragte ich ihn. Ich sprach automatisch leise, dennoch konnte ich nicht verhindern, dass die Worte härter, anklagender klangen, als ich es beabsichtigt hatte.
Er schüttelte nur den Kopf. „Vergiss es.“
„Ich will es aber wissen!“ Ich blieb eisern. Ich ließ mich doch nicht durch die Gegend schleifen, ohne zumindest eine Erklärung dafür zu bekommen!
„Stell dich einfach mal drauf ein, dass du dich heute möglicherweise noch öfters wirst verstecken müssen.“
„Aber findest du nicht, dass ich wenigstens wissen sollte, warum?“
„Weil du den Fehler begangen hast mit mir hierherzukommen“, klärte er mich auf.
„Aha. Irgendeinen Haken musste die Sache ja haben“, stellte ich verbittert fest. „Wäre auch zu einfach gewesen.“
„Stimmt“, gab er mir Recht, während er die Tür einen Spalt breit öffnete und hinauslugte. Ich kam auf ihn zu und spähte ebenfalls nach draußen.
Mit einem erstickten Aufschrei schlug ich die Tür wieder zu. Finn schaute mich irritiert an. „Was?“
„Da war Annika!“
„Und?“, fragte er verständnislos.
„Meine beste Freundin“, half ich ihm auf die Sprünge. „Wenn sie uns aus… diesem Raum kommen sieht, dann… dann wird sie alles Mögliche denken, aber nicht, dass wir uns hier versteckt haben. Das nimmt sie mir nie ab. Annika glaubt nämlich nur das, was sie glauben will.“
„Verstehe.“ Ein leichtes Lächeln bildete sich auf Finns Gesicht. „Ehrlich gesagt, ist es mir völlig egal, was andere Leute denken. Ich bin nicht hier, um den Abend in einer Abstellkammer zu verbringen“, teilte er mir mit, drückte die Klinke nach unten und schob mich auf den Gang hinaus.
Erleichtert stellte ich fest, dass Annika inzwischen weitergezogen war. Und Dominik war auch nirgends zu sehen. Gut.
„Ich dachte, wir machen den ganzen Abend nichts anderes“, antwortete ich meiner Begleitung.
Er lächelt gequält. „Ich hoffe doch sehr, dass wir zumindest die meiste Zeit das Fest genießen können.“