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Drittes Kapitel.

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Joachim hatte seine Arbeit eher noch unterschätzt. Er war noch längst nicht fertig, als es Zeit zum Diner war. Seine geheime Hoffnung, Beate Meredith noch bei Tisch zu sehen, hatte sich nicht erfüllt. Als er kurz nach sieben Uhr hastig aus seinem Zimmer herunterkam, sah er Beate Meredith gerade durch die Halle gehen. Sie hatte ein sehr blasses, verschlossenes Gesicht. Noch blasser schien es ihm als sonst. Aber selbst hier in dem eleganten Hotel, in dem sich die ganze reiche Gesellschaft der Welt ein Stelldichein zu geben pflegte, fiel Beate Meredith auf.

Sehr gross und sehr schlank ging sie, eingehüllt in ein weisses Hermelincape. Sie hielt es mit der Hand zusammen. Darunter schimmerte ein Kleid, das eine Farbe hatte wie Wasser, wenn das Mondlicht darauf fällt. Es war ein unbestimmtes zärtliches Silberblau, etwas Weiches, Rieselndes. Es war etwas Unwirkliches. Es passte zu ihrer herben Kühle, zu diesem blonden Kopf mit den beinah griechischen Zügen. Sehr abwesend und sehr hochmütig sah sie aus, wie sie durch die Halle schritt.

Ein paar Herren, die im Abendanzug durch die Drehtür kamen, machten ihr ehrerbietig Platz. Die Frauen in der Halle, elegante, sehr geschminkte Geschöpfe mit schmalen, getuschten Brauen, getuschten Wimpern und sehr roten Mündern sahen ihr nach.

„Die Frau vom Oel-Meredith!“ hörte Joachim eine Dame der andern zuflüstern.

„Elegant — nicht wahr? Aber gar nicht ein bisschen make up“, gab die andere zurück. „Sie sieht schauderhaft farblos aus.“

Joachim musste lächeln. Dieses geschminkte, auf Puppenschönheit zurechtgemachte Wesen da konnte natürlich keinen Sinn haben für diese Vornehmheit Beate Merediths.

Schnell eilte er Beate nach. Ehe der kleine Boy in der gläsernen Drehtür ihr öffnen konnte, war Joachim an ihrer Seite.

„Gestatten Sie, Mistress Meredith?“

Beate schrak auf. Sie schien mit ihren Gedanken gar nicht hier gewesen zu sein.

„Oh, Herr von Retzow!“ Ihre Stimme war von einer unpersönlichen Freundlichkeit.

„Darf ich Sie an den Wagen begleiten, Mistress Meredith?“

„Danke, Herr von Retzow — ja!“

Sie ging vor ihm her. Er folgte ihr. Zwischen den kleinen Abteilungen der Drehtür lag noch ihr Parfüm wie von frischen Wiesenblumen.

Beates Wagen, langgestreckt, schneeweiss mit dem weissgekleideten Chauffeur, wartete vor dem Portal des Hotels. Es war ein prachtvoller Wagen. Er war erst vor ein paar Wochen gekauft. Joachim war bei dem Kauf zugegen gewesen. Beate hatte einen anderen Wagen haben wollen.

„Der sieht aus wie von einer Filmdiva!“ hatte sie ihrem Mann erklärt. „Du weisst, ich liebe so etwas Auffallendes nicht!“

„Aber ich!“ war Merediths kurze Antwort gewesen. „Ich will, dass man deinen Wagen kennt. Du hast gar keinen Sinn dafür, dass man nach aussen hin auftreten muss.“

Nie im Leben würde Joachim dies ganz leise, unsäglich hochmütige Lachen Beate Merediths vergessen.

„Nein! Dafür habe ich vielleicht keinen Sinn!“ hatte sie gesagt, sich umgedreht und eilig den Verkaufsraum verlassen.

Auf Merediths Gesicht erschien jene finstere Röte, die stets Vorbote eines rasenden Zornausbruchs war. Wäre nicht der Geschäftsführer so äusserst verbindlich gewesen, es hätte einen Skandal hier mitten in den Verkaufsräumen des eleganten Geschäfts gegeben. Jedenfalls war der Wagen gekauft worden und stand nun draussen, von ein paar neugierigen Jungen bestaunt.

Der Chauffeur öffnete den Schlag. Er wollte Beate hineinhelfen. Joachim kam ihm zuvor.

„Danke, Herr von Retzow! Hätten Sie nicht auch Lust gehabt, die Meistersinger‘ zu hören?“

„O ja, gnädige Frau! Aber ich weiss nicht, ob Mister Meredith nicht noch Aufträge für mich hat.“

Schon im Anfahren, beugte Beate ihren blonden, schmalen Kopf heraus.

„Also, wenn Sie Zeit haben, ich habe die zweite Karte noch frei. Lady Sumerset hat abgesagt. Ich würde mich freuen, Sie in der Loge zu sehen. Ich weiss doch, Sie sind ein Wagner-Schwärmer wie ich. Auf jeden Fall bitte ich Sie, mich abzuholen.“

Sie nickte noch einmal. Joachim stand da und schaute ihr nach. Sein Herz war voll Schmerz und Sehnsucht.

Das Auto Beates fuhr schnell und lautlos durch die Strassen Londons. Sie sass in die Ecke gedrückt, die Augen geschlossen. Warum hatte sie eigentlich Retzow freigestellt, die Karte von Lady Sumerset zu benutzen? Es war Wohl die Angst in ihr, dass es Meredith einfallen könnte, in die Loge zu kommen, und dass sie mit ihm allein würde heimfahren müssen. Nur das nicht!, dachte sie. Nach dieser Szene, vor dem Essen, nun mit ihm allein zusammen ... Sie konnte nicht ... Sie konnte nicht mehr!

Joachim von Retzow war wie ein Schutzwall vor Meredith. Sie seufzte zitternd auf. Aber war er ihr auch ein Schutzwall für sie selbst? Man durfte nicht nachdenken, nicht fühlen, wie beruhigend und erwärmend Joachim von Retzows Nähe war in der harten Grausamkeit ihrer Ehe. Aber an diesem Abend hatte sie nicht anders gekonnt. Mit Meredith allein — es hätte ein Unglück gegeben. Es gab Augenblicke, wo die Verzweiflung über den Rand der Seele hinwegbrach und alles fortschwemmte: Ueberlegung, Selbstzucht und Vernunft.

Als Joachim ins May-Fair zurückkehrte, fand er Meredith im Rauchzimmer mit Tschaltikjanz und ein paar anderen Geschäftsfreunden. Sie brachen im Gespräch ab, als Joachim herankam.

„Haben Sie noch Befehle, Mister Meredith?“

„Nein, danke! Ich brauche Sie heute abend nicht mehr. Gehen Sie mal los, Retzow! Amüsieren Sie sich! Sehen Sie sich mal London bei Nacht an!“

Meredith lachte. Er schien bei guter Laune zu sein. Sein massiges Gesicht war rot. Er schien reichlich getrunken zu haben.

„Wo ist denn Mistress Meredith?“ fragte plötzlich Ambarzum Tschaltikjanz. Er warf einen schnellen, gleitenden Blick auf Retzow.

„In der Oper. Deutsches Gastspiel. Da kann sie natürlich nicht fehlen!“ meinte Meredith wegwerfend. „Ich glaube, sie ist mit Lady Sumerset dort.“

„So?“ Ambarzum Tschaltikjanz schien von dieser Auskunft irgendwie befriedigt zu sein. Es lag Joachim auf den Lippen, dass Lady Sumerset abgesagt und Mistress Meredith ihn aufgefordert hätte. Aber er schwieg. Er hatte plötzlich ein unangenehmes Gefühl, vor Ambarzum Tschaltikjanz zu erwähnen, dass er in die Oper gehen wollte. Schliesslich war er ja dem Armenier gegenüber sein eigener Herr.

„Vielen Dank, Mister Meredith. Ich bin also morgen früh um zehn Uhr mit der Post bei Ihnen.“

Meredith hielt ihn noch einmal zurück:

„Ich habe ja ganz vergessen, Ihnen zu sagen: wir reisen morgen abend — Mistress Meredith und ich!“

„Wohin, Mister Meredith?“

„Nach Borschom — Kaukasus! Mister Tschaltikjanz war so freundlich, beim Portier bereits die Karten zu bestellen. Sorgen Sie dafür, dass morgen die Rechnungen zur rechten Zeit vorliegen. Wir arbeiten von zehn Uhr bis zum Abgang des Zuges. Er geht um sechs Uhr von Centralstation.“

„Hübscher Bursche!“ Ambarzum Tschaltikjanz sah Retzow nach.

„Und zuverlässig!“ fügte Meredith hinzu.

„Inwiefern zuverlässig?“

Meredith sah Ambarzum Tschaltikjanz erstaunt an.

„Natürlich im Geschäftlichen.“

Der Armenier lächelte dünn.

„Wenn er das nicht wäre, glauben Sie, er würde einen Tag bei mir bleiben? Ich kenne meine Leute.“

Selbstgefälligkeit sprach aus Merediths Worten.

„Warum denn eigentlich ein Deutscher, Meredith? Sie konnten doch Privatsekretäre in Hülle und Fülle bekommen.“

„Wegen der russischen Geschäfte. Retzow stammt aus dem Baltikum, spricht russisch wie seine Muttersprache. Ausserdem ist er ehrlich wie — nun eben wie ein Deutscher. Man kann sich blindlings in allem auf ihn verlassen. Vor allem ist er so wenig auf seinen Vorteil bedacht, dass es beinah an Dummheit grenzt. Das finden Sie bei keinem anderen Volke.“

Ambarzum Tschaltikjanz machte eine kleine Bewegung mit den Achseln. Er sah Joachim von Retzow nach; der ging, sehr gross, sehr schlank und sehr blond, gerade dem Portal zu.

Dem Licht entgegen

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