Читать книгу Brücken, die die Sehnsucht schlug - Liane Sanden - Страница 5

Zweites Kapitel

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Ein Dampfer, der mit lautem Tuten dem Hafen drüben zulenkte, riss die beiden jungen Menschenkinder auf Vilm aus ihren Träumen.

„Schon der Mittagdampfer, Märta“, sagte Jürgen erschrocken, „wenn wir uns nicht beeilen, sind wir nicht zur Zeit beim Essen. Na, und was es dann an Strafpredigten und Schelte setzt, das weisst du ja.“

Auf seinem hageren Jungensgesicht stand beinahe etwas wie Angst. Märta sah den Freund an: „Du, Jürgen, kommt es mir nur so vor, oder ist dein alter Herr jetzt viel gereizter und unduldsamer als früher? Ein wenig poltrig war er ja schon immer — aber so wie jetzt? Ich war früher so gern bei euch auf Scholtenkamp, obwohl die ganze Art deiner Eltern so himmelweit verschieden ist von der Art meines Vaters — aber jetzt bin ich beinahe froh, dass meine Lehrlingszeit zu Ende geht.“

„Froh, Märta?“ fragte der junge Mensch bitter — „und ich —? Weisst du, dass ich traurig bin, wenn du gehst? Du bist doch der einzige Mensch hier, der mich versteht — den ich —“

Er wollte sagen: „den ich lieb habe . . .“ Aber die tiefe Scheu einer Jünglingsseele, die noch nicht zum wahren Bewusstsein ihrer Empfindugen gekommen ist, oder die nicht wagt, sich diese Empfindugen einzugestehen, hinderten ihn weiterzusprechen.

Er sah Märta nur an. Etwas Hilfloses war in seinen Augen.

„Armer Jürgen“, Märta fugr ihm leicht und liebevoll durch die Haare, „natürlich bin ich auch traurig, von dir wegzugehen, aber pass nur auf“, fuhr sie schnell fort, als er heiss nach ihrer Hand griff, „die Zeit geht auch bald hin, du machst dein Abitur, dann bist du ein freier Student und gehst auf die Universität. Kannst reisen, vielleicht besuche ich dich auch einmal in Heidelberg oder wo du sonst sein wirst. — Oder du kommst zu uns nach Schweden. Du, das wird ein schönes Leben für dich werden, wenn du erst aus alledem hier heraus bist. —“

„Ein schönes Leben ohne dich“, wollte Jürgen sagen, aber er verschluckte auch das — und statt dessen meinte er nur, „ich glaube, Märta, das sind Zukunftsträume, die sich nicht erfüllen werden. Natürlich, ich werde das Abitur machen, sogar gut, denke ich, denn ich will meinen alten Herrschaften zeigen, dass ich trotz ihrer ewigen Ermahnungen doch etwas leiste, und ich werde auch auf die Universität gehen . . . Das hat mir der Vater versprochen — und sein Wort hält er immer, so wunderlich er auch sonst ist. Aber im übringen — mit dem freien Studentenleben und Lebengeniessen wird es nicht viel werden. Ich weiss durch Zufall, dass der Vater bei dem letzten Zusammenbruch der Landesbank grossen Geldverlust gehabt hat. Scholtenkamp wirst nichts ab —.“ Ein finsterer Blick kam in seine Augen. Wieder strich Märta ihm wie in Mitleid über die sonnengebräunte Hand. Sie wusste, wie Jürgen im geheimen über die altmodische Bewirtschaftung des Gutes und den Oberinspektor insbesondere dachte, ohne dass seine bescheidenen Hinweise den Vater hätten umstimmen können. Er lachte den Sohn als einen Klugschnack nud dummen Jungen aus und schwor auf seinen Oberinspektor. „Ja, da werde ich mich wohl sehr nach der Decke strecken müssen, kleine Märta.“

„Tut auch nichts, Jürgen“, tröstete sie, „denke daran, wieviel schwerer es andere junge Menschen haben, die sich ein Studium Pfennig für Pfennig selber verdienen müssen. Denk an Vic, dem es sicher auch nicht zum besten geht.“

Ihr feines, seelenvolles Gesicht nahm einen sorgenvollen Ausdruck an. „Ich habe Angst um Vic“, gestand sie leise, „ich habe so lange nichts von ihm gehört.“

Da war es denn jetzt Jürgen, der Märta zu trösten hatte. „Sag’ einmal“, meinte er, um sie abzuleneken, „so herrlich es auch ist, dass du bei uns bist — aber wozu lernst du mit deinem grossen zeichnerischen Talent hier eigentlich die Landwirtschaft, wenn du doch einmal in die Welt gehen und Illustrationszeichnerin werden willst?“

„Das geschieht auf Wunsch meines Vaters, der selbst grosse Ländereien besitzt, die er von seinen Eltern ererbt hat. Gelbstverständlich wäre es mir auch lieber, schon heute hier und morgen dort zu sein, aber ich muss meinem Vater recht geben, dass man zuerst irgendeine handfeste Tätigkeit so auszuüben verstehen soll, dass man sich dadurch zu ernähren vermag. Weisst du, meine zeichnerischen Fähigkeiten in allen Ehren — aber das ist doch mehr Luxussache, und ich kann froh sein, wenn ich dadurch einmal soviel verdiene, wie neine Reisespesen ausmachen werden. Denn die Welt will ich sehen“, schloss sie begeistert. „Meine Schwester Thora denkt übrigens ähnlich wie ich. Sie möchte leidenschaftlich gern Filmschauspielerin werden, wofür ich nun keinerlei Eignung hätte. Aber Vater hat darauf bestanden, dass sie erst ihr Examerals Zahnärztin macht — ein Beruf, für den sie sich auch sehr interessiert. Was ihr später tut, Mädels, ist eure Sache!ʻ sagt er immer. Ihr sollt aber eurem alten Herrn nie vorwerfen können, das ser euch nicht etwas lernen liess, was vielleicht seinen Mann besser ernährt wie allerhand Faxereien. Findest du diese Ansicht nicht äusserst vernünftig, Jürgen?“ schloss sie mit einem Seitenblick auf ihren Kameraden, und dieser nickte. Inzwischen war es Zeit geworden, dass sie endlich in höchster Eile ihr Motorboot bestiegen und den Gute Scholtenkamp zusteuerten.

„Du, Jürgen“ — Märta kam nochmals auf das Gespräch über die veränderte Stimmung Malte Hauers zurück — „vielleicht ist dein Vater deshalb jetzt so leicht böse und gereizt, weil ihn ausser den Geldverlusten der Gedanke an deine Zukunft bedrückt. Hältst du das nicht auch für möglich?“ Dabei spähte sie sorglich voraus, ob auch kein Segelboot ihre Fahrtrinne kreuzte. „Wenn er eine bessere Wirtschaft auf Scholtenkamp führte“, gab Jürgen hart zur Antwort, „dann hätte er weder das eine noch das andere nötig. Na, jedenfalls heute hagelt es uns gehörig in die Suppe, Märta — aber sie sollen mich nicht zu sehr quälen“, brach er plötzlich aus, „ich bin schliesslich kein kleines Kind mehr, und wenn es mir zu dumm wird —“ er sprach nicht weiter — aber seine Gedanken gingen einen bestimmten Weg. — — —

Schweigend fuhren sie dahin, Jürgen sass am Steur. Seine Augen waren zusammengepresst; scharf wie ein Falke spähte er — die Fahrtrinne hier war nur schmal, ein wenig zu weit nach links, und man kam auf Grund. Märta sass träumerisch in dem Boot, Jürgen musste sich mit aller Macht bezwingen, seinen Blick aufs Wasser zu richten, aber immer wieder musste er Märtas feines, süsses Jungmädchengesicht auschauen. Der Gedanke, dass er sie morgen nicht mehr sehen würde, brannte wie ein glühendes Feuer in seinem einsamen Herzen. Märta hielt den schönen gemmenhaften Kopf leicht erhoben, sie dachte hinaus weit über die blaue Flut — weit über das Weltmeer, dort, wo in einer unbekannten Ferne, in einem unbekannten Leben ein schlanker, dunkeläugiger, verwegener Junge um seine Leben kämpfte. Und eine Sehnsucht kam über sie, einmal dies Land drüben mit eigenen Augen zu sehen, das Vic Fischer magisch angezogen hatte — um dessentwillen er hier die lachende, sonnige Heimat zwischen den dunklen Buchenwäldern und den blauen Meeren verlassen. —

— — — — — — — — — —

Auf Scholtenkamp war es still geworden. Märta war längst wieder in Schweden auf den Besitzungen des Vaters, von denen sie Jürgen erzählt, und versuchte dort das bei Frau Renate Erlernte zu verwerten. Oft, wenn die Sonne unterging, sass sie auf der Terrasse, die zum Park führte, und dachte an die beiden jungen Menschen, die ihr so teuer waren. Dann griff sie selbstvergessen zum Skizzenbuch und zeichnete immer wieder dieselben Jünglingsköpfe. Aber Vics Porträt war immer viel feiner durchdacht, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, der von ganz besonders tiefer Empfindung sprach. Fuhr Märta dann aus ihren Träumerein auf, so vernichtete sie gewöhnlich das Blatt, das ihr klarer als ihr eigenes Herz zeigte, wie es um ihr Gefühl für den fernen Kameraden eigentlich bestellt war.

Jürgen Hauer hatte nicht nur das Abiturium, sondern auch den landwirtschaftlichen Doktor auf der Universität Greifswald mit Auszeichnung bestanden. Er hatte sich ein paar Studiensemster in Heidelberg erkämpft, denn der Vater hielt nicht viel von Ländern, die ausserhalb seiner engen pommerschen Heimat lagen. Dazu kam, dass sich die immer schlechter werdende wirtschaftliche Lage auch bei dem Vater sehr auswirkte, ihn verbitterte und die Heftigkeit seines Charakters ins Unerträgliche steigerte. Er wollte oder konnte nich einsehen, dass seine veraltete Wirtschaftsmethode das Wenige, was man aus Scholtenkamp hätte herausholen können, immer mehr verringerte. Er war alt geworden, sehr alt und eigensinnig, der Herr auf Scholtenkamp. — Und immer mehr geriet er in die Hände seines Inspektors, eines zähen, bauernschlauen Mannes, gegen den Jürgen immer ein instinktives Misstrauen gehabt. Wenn er aber einmal vorsichtig die Rede darauf gebracht hatte, ob die geradezu lächerlichen Ernteerträge mit rechten Dingen zugingen — oder ob Inspektor Schlinker vielleicht ein wenig in die eigene Tasche wirtschafte, war der Vater wie ein Rasender aufgefahren. Er hatte Jürgen einen frechen Grünschnabel geheissen, „der erst trocken hinter den Ohren werden sollte, ehe er es wagte, alte und erfahrene Männer, denen sein Vater Vertrauen schenke, zu verdächtigen.“

Da war Jürgen still hinausgegangen, seinen Zorn in sich hineinwürgend. Oh, er wusste wohl, womit der scheinheilige Inspektor sich das Vertrauen des alten Herrn erkauft — mit seinem glänzenden Whyst- und Kartenspiel — und mit der Geschmeidigkeit, mit der er allen Launen des Scholtenkamper Herrn nachgab. Er redete ihm in allem zu Mund, schimpfte mit ihm über die schlechten Zeiten und tat nichts, um die Abneigung des alten Herrn gegen neumodische Betriebsmethoden zu überwinden. Er hatte es verstanden, alle wichtigen Posten mit seinen Leuten zu besetzen, der Oberschweizer, die Vorarbeiter waren seine Kreaturen, Jürgen fühlte es, ohne es doch beweisen zu können, und er hätte darauf schwören mögen, dass der Vater nach allen Regeln der Kunst betrogen wurde. Aber wie sollte er es ihm nachweisen, so dass der Vater es ihm glauben musste? Alles, was nötig gewesen wäre, um einen rationellen Betrieb zu sichern, Dampfpflüge, Sämaschinen, elektrisch betriebene Dreschapparate, hygienisch einwandfreie Vorrichtungen zum Melken, alles erklärte der Herr auf Scholtenkamp für neumodisches Teufelszeug, und der Oberinspektor pflichtete ihm bei. Es war ein eigentümlicher Einfluss, den dieser dunkeläugige, gelbgesichtige Inspektor Schlinker auf den Vater ausübte. Jürgen zerbrach sich schon lange den Kopf darüber. Als er einmal die Mutter fragte: „Sag mal, Mutter, was hat der Vater eigentlich an dem Inspektor gefunden, dass er sich ihm so blindlings in die Hände gibt?“ war das müde Gesicht Frau Renates schneeweiss geworden.

„Kümmere dich nicht darum, mein Sohn“, hatte sie erregt erwidert, und dann, als wollte sie das Schroffe ihrer Worte abschwächen, hatte sie leichter hinzugefügt: „Der Vater findet gar nichts Besonderes an ihm, er hat nur mehr Menschenkenntnis als du und weiss, was der Oberinspektor wert ist. Im übrigen hast du deinen Vater nicht zu kritisieren.“

Da hatte Jürgen geschwiegen. Aber mit Sehnsucht dachte er an den Tag, an dem er hier einmal vollberechtigter Mitarbeiter sein würde. Dann wollte er dem Inspektor und auch dem Vater zeigen, wie man ein Gut rationell bewirtschaftete. Denn auch der Wald, der zu Schlotenkamp gehörte, wurde nicht mehr regelmässig durchforstet. Hauers Oberförster war alt und liess drei gerade sein. Renate wuchsen alle diese Dinge über den Kopf, vielleicht aber verstand sie auch nicht allzuviel von der Aussenwirtschaft. In ihrer ureigensten Domäne hingegen, im Haus, Garten und Hühnerhof, war sie eine anerkannte, weit und breit berühmte Meisterin. Freilich, allmählich wurde sie auch müde, zu schaffen und zu streben, wenn sie immer wieder sah, sie konnte es allein mit den Erzeugnissen ihrer Kleinvieh-, Geflügel- und Gartenwirtschaft nicht schaffen. Wenn nicht auch der Grossbetrieb ebenso musterhaft organisiert war und gute Erträgnisse abwarf, dann war auch die grösste Mühe einer Landfrau umsonst. Als Jürgen das letztemal von der landwirtschaftlichen Schule in Greifswald kam, hatte er dem Vater glühend zugeredet, die alten, unzulänglichen Viehställe niederzureissen, neue, moderne Baulichkeiten an ihre Stelle zu setzen und die ganze Milchwirtschaft von Grund auf fachmännisch aufzubauen. Aber es hatte einen furchtbaren Auftritt gegeben, und Inspektor Schlinker hatte mit einem hämischen Lächeln dabeigestanden, als der alte Scholtenkamp seinen Sohn wie einen Schuljungen abkanzelte. Wären nicht Frau Renates Bitten und Beschwörungen gewesen — es wäre in dieser Stunde schon zu einem unheilbaren Bruch zwischen Vater und Sohn gekommen. Aber dieser Bruch konnte nicht ausbleiben — und er kam schneller, als Frau Renate selbst in ihren schlimmsten Angstträumen gefürchtet.

Es war ein heisser, schwüler Sommerabend. Die ganze Zeit schon hatte ein schieferfarbener Gewitterhimmel über der Insel gestanden — und ein dumpfes Schweigen lag drohend über dem sommerträchtigen Lande. Jürgen war an seinem letzten Ferientage mit dem Boot auf dem Meer gewesen. Aber er war bald heimgekehrt. Unheimlich dünkte ihn die bleierne Stille, in der das dunkle Wasser der See unter einem drohenden Himmel lag. Nur ein leises empörtes Murmeln war hörbar, wenn die weissen Wogenkämme gegen den weissen Strand gischten. Mit einem eigentümlichen Gefühl der Bedrückung hatte Jürgen gestanden und über die weite Wasserfläche hinweggesehen. Wie oft war er mit Märta hier gewesen. Sie liebte diesen kleinen Wasserarm, der zwischen dem Schilf eines kleinen Wasserlaufs, wie abgeschlossen, ein winziger Binnensee, hier träumte. Damals war blühender, lichter Frühling gewesen, vor wieviel Jahren. — Es waren erst zwölf Monate her, dass sie hier auf Scholtenkamp zu Besuch war, als er auch Ferien hatte — und die glücklcihe, unbeschwerte Jugendzeit war mit ihr zu dem Einsamen zurückgekehrt. Nur stiller war Märta geworden, und sie gestand ihm auch den Grund: Vic war verschollen . . .

Seit Monaten hatte sie nichts mehr von ihm gehört, auch ihre Verwandten in Amerika wussten nichts. Flüchtig hatte sie einmal aus der Ferne seine Mutter gesehen — Donna Carola — eine alte, müde, gramgebeugte Frau war sie seit der Flucht des Sohnes geworden, während der alte Herr von Fischer in seinen andern, kräftigen, robusten Söhnen längst einen Ersatz für den Tunichtgut gefunden, wie er allenthalben dröhnend verkündet. Aber ein Mutterherz konnte wohl nicht vergessen, und angesichts der gramgebeugten Frau überkam es Märta wie ein Gefühl der Reue — hatten sie und der Vater damals recht gehandelt, als sie Vic zur Flucht verhalfen? Hätte man nicht doch seine Eltern benachrichtigen und versuchen sollen, einer Aussöhnung zu ermöglichen? Aber Jürgen, mit dem sie damals von ihren Zweifeln gesprochen, hatte ihr das alles energisch augeredet. „Nie wäre es gut geworden zwischen Victor und seinem Vater“, hatte er gesagt. „Wie Feuer und Wasser nicht zusammenkommen können und eins dem andern weichen muss, so ist es auch mit dem heissen Herzen Vics und dem eiskalten Verstande des Vaters gewesen. Ausserdem — die Abenteuerlust in Victor wäre nicht einzudämmen gewesen. Er kannte genau den Lebensplan, der vor ihm lag — landwirtschaftliche Schule, dann aufs Gut, Heirat mit einer der zahlreichen Fischerschen Kusinen — und dann, in immer gleichem Trott — bis zum Sterben. Glaubst du, dass Victor ein solches Leben ausgehalten hätte, ohne auszubrechen?“

„Nein, das glaube ich nicht“, hatte Märta leise gesagt. „Das Blut seiner schönen Mexikanischen Mutter rumort wohl zu sehr in ihm.“

„Und darum musste er fort. Hier wäre er erstickt oder hätte mit seiner überschüssigen Kraft nur Unheil angerichtet. Draussen wird er seinen Mann stehen, auch wenn er jetzt verstummt ist.“ Jürgen hatte das so warm, so überzeugend gesagt, dass Märta ihm plötzlich um den Hals gefallen war, und er hatter zitternd, glühend heiss vor Glück, diesen ersten Kuss von ihr empfangen. Seitdem hatte er sie nicht wiedergesehen. Aber noch immer musste er an diesen Kuss denken. Auch jetzt. Ja, damals war eine reine, helle Sonne über Land und Meer gewesen; jetzt hüllten schwer herniedergehende Wolken die Ferne ein, die Ferne, wo auch Märta weilte. Wie er sie liebte, wie er sich nach ihr sehnte . . . Sie war der Stern, der über seinem einsamen Leben leuchtete, sie war der Talisman, der gute Schutzgeist, der ihn in der unruhigen Studentenzeit vor sich selbst bewahrt hatte. Märta — um sie allein war es wert, zu leben . . .

Der erste grelle Blitz, herniederzuckend aus dunklem Gewölk, weckte ihn aus seiner Träumerei. Eilig sprang er ins Boot und stellte den Motor auf höchste Tourenzahl — er musste zu Hause im Hafen sein, ehe das Gewitter mit voller Gewalt losbrach. Durch das wütend und wütender aufbrausende Meer jagte von der Insel Vilm aus das kleine Motorbootchen, in das Brummen des Motors grollte bald das Geräusch des Donners. — Immer schneller zuckten die grellen Blitze vom Himmel hernieder, — und gerade als Jürgen den schützenden Hafen von Scholtenkamp erreicht hatte, brach das Gewitter mit einer geradezu urwelthaften Wut los. Blitz auf Blitz fuhr zuckend hernieder, der Donner brüllte um dei Wette mit dem empörten Meere, es schien fast dunkle Nacht, obwohl es erst gegen Abend war — und nur die grellen Blitze erhellten das Land. Dabei fiel keinTropfen Regen, als ob selbst die Wolken, gelähmt vor Entsetzen. Sich zusammenballten. Das Vieh in den Scholtenkamper Ställen brüllte und rasselte mit den Ketten, Mägde und Knechte flohen von den Feldern und aus dem Hof in die Gesindestuben, und bald lag das ganze Gehöft leer unter den unaufhörlich herabprasselnden Donnerschlägen und den grüngelben Blitzen.

Jürgen stand in seinem Zimmer am Fenster und sah das empörte Toben der Elemente. Er liebte es, wenn die Natur sich ihrer ganzen grandiosen Majestät offenbarte. Er liebte den Aufruhr der Elemente, weil in ihm selbst etwas Aufrührerisches war. Da — ein Zischen, ein Licht, so jäh, dass er zurücktaumelte — nun ein Krachen, als ob die Erde auseinanderbersten wollte — Jürgen schrie auf — aus dem Dach des Schullehrerhauses, dort gegenüber im Dorf, schlug eine brennend rote Lohe, wuchs in den fahlen Himmel. „Feuer!“ schrie Jürgen, „Feuer!“, rannte die Treppe hinunter und: „Feuer!“ schrie es aus den Gesindestuben.

Wenige Minuten später war alles auf den Beinen. Die Knechte von Scholtenkamp rasten hinunter ins Dorf, wo sie die rote Lohe aus dem Dach des Lehrerhauses höher und höher zum Himmel steigen sahen. Ein Wind hatte sich aufgemacht, drohte, den roten Feuervogel weiterzutreiben zu den benachbarten Häusern . . . Die Glocke der kleinen Holzkirche, vom alten Küster geläutet, wimmerte kläglich in das Brüllen des Donners. —

Brücken, die die Sehnsucht schlug

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