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Viertes Kapitel

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Das Fährschiff, das am kommenden Morgen Schweden verliess, sah einen jungen Menschen unter seinen Passagieren, in dessen braungebranntem Gesicht, in dessen hellen, blauen Augen ein schwerer Ernst stand.

Einsam oben an der Reling des Schiffes lehnte Jürgen Hauer, um dessen jungen Mund sich die ersten schweren Falten des Grams geprägt hatten. Er sah mit starren Augen hin über die blauen Fluten der Ostsee — über das Meer, das seine Jugend und das Land seiner Väter umschlossen. Als fern, nur wie ein Hauch, eine Fata Morgana — Rügen auftauchte, die Insel, auf der das Vaterhaus stand, verdunkelte sich trotz des strahlenden Sommermorgens sein Blick. Unter heissen Tränen nahm Jürgen Abscheid von seiner Heimat, von seiner Jugend. Was aus ihm werden würde, er wusste es nicht. Ob er je Heimat und Eltern wiedersehen würde, auch das lag dunkel in der Zukunft verhüllt. Aber das schwor er sich in dieser einsamen Stunde, er würde nur wiederkehren als ein ganzer Mann, der vor sich selbst Achtung haben konnte, und dem auch der Vater schliesslich würde Achtung schenken können. In Märtas Hände hatte er einen Brief an die Eltern gelegt, in dem er um Verzeihung gebeten für seine Heftigkeit und seine Flucht. Jetzt wie vorgestern, als er von Schlotenkamp fortging, war es ihm klar, dass es sein musste. Mit ruhigem Blute hätte er die Misswirtschaft daheim nicht länger ansehen können. Die rätselhafte Abhängigkeit des Vaters von diesem Inspektor Schlinker wäre ihm immer unerträglicher geworden — es hätte stets zu erneuten Auftritten geführt. All das schrieb er in ruhigen Worten den Eltern. Gegen den Vater war auf einmal, nun Jürgen vor so entscheidender Veränderung des Lebens stand, jeder Groll gewichen. Vielleicht würde er auch draussen, in dem ungewissen Dasein, mehr Verständnis für den alten Mann finden. Wohin er zunächst gehen wollte, wusste er noch nicht. Erst galt es zu versuchen, Victor aufzufinden. Aber wire würde das möglich sein? Eher konnte man schliesslich eine Stecknadel in einem Heuhaufen finden, als einen Menschen, von dem man nichts weiter wusste, als dass er seit seinen Knabentagen eine romantische Sehnsucht nach den Gefilden von Texas hatte. — Doch wie er mit seinen geringen Ersparnissen, dem Inhalt einer Sparbüchse, dei seit Kinderzeiten zu allen Geburtstagen und bei guten Zeugnissen gefüllt wurde, bis nach Texas kommen sollte, das schien ihm selbst das räteselhafteste von allem, genau so unwahrscheinlich wie das Wiederauffinden von Vic. Wäre Märtas Vater dagewesen, vielleicht hätte er ihm hinübergeholfen wie seinerzeit dem Freunde. Aber Märta hatte diese Möglichkeit entschieden abgelehnt. Sie besass einen klaren Verstand und sah die Dinge, wie sie wirklich waren.

„Mein prachtvoller alter Herr würde niemals seine Hand zu deiner Flucht bieten, Jürg“, belehrte sie ihn. „Vei Victor war das etwas ganz anderes. Den kannte der Vater vorher ebensowenig wie seine Eltern. Bei den freundschaftlichen Beziehungen indessen, die sich zwischen unseren Familien angebahnt haben, ist seine Beihilfe für dich einfach ausgeschlossen, mein Junge. Es ist beinah ein Glück, dass Vater unterwegs ist. Er würde sofort deinen Eltern Nachricht gegeben haben, und eigentlich hätte ich’s auch tun müssen!“ hatte sie grübelnd hinzugefügt, „aber ich tu’s nicht. Ich kenne dich zu gut. Wenn du glaubst, es daheim nicht mehr aushalten zu können, dann ist es höchste Zeit, dass du fortgehst. Wenn du dir erst einmal in einem fremden Lande hast den Wind um die Nase wehen lassen, dann wirst du alles anders ansehen — und auch zu deinem Vater eine richtige Einstellung gewinnen.“

So kam denn Jürgen in Hamburg an. Er wollte dort sehen, ob sich eine billige Passage nach Amerika gegen Arbeitsleistung finden lassen würde. Er stieg in einem kleinen, bescheidenen Hotel ab, das man ihm im Verkehrsbüro empfohlen hatte. Und alsbald machte er sich auf den Weg, um die ersehnte Heuer zu finden. Aber der erste Versuch, ein selbständiges Leben zu beginnen missglückte. Bei dem Darniederliegen der Handelschiffahrt gab es eine unendliche Anzahl arbeitsloser Matrosen, die die Heuerbüros belagerten. Da hatten die Reedereien Auswahl an geschulten und seetüchtigen Leuten. Man brauchte nicht auf Menschen wie Jürgen zurückzugreifen, die wohl Diplome aufzuweisen hatten, aber keine Ahnung von dem, was sie an Bord zu leisten hätten. Jürgen begriff zum ersten Male, dass die Bildung und die gesellschaftliche Stellung, die er bisher genossen, für sein neues Dasein eher ein Hindernis denn ein Vorteil waren. Das Herz ward ihm immer schwerer; aber sein Wille blieb zähe. Er musste fort, musste sich auf eigene Füsse stellen, musste dem Vater beweisen, dass er kein grüner Junge mehr wäre, der vor einem Inspektor Schlinker zurückzuweichen hatte. Er musste hinüber nach Amerika, mochte kommen, was da wolle. — Er hatte Märta gebeten, ihm postlagernd nach dem Hamburger Hauptbahnhof zu schreiben. Er hoffte, noch eine Nachricht von ihr zu erhalten, wie die Eltern auf Scholtenkamp seine Flucht aufgenommen. Am zweiten Tage seiner Anwesenheit in der Alsterstadt wurde ihm denn auch ein Schreiben Märtas ausgehändigt.

„Lieber Jung“, schrieb die Jugendfreundin, „ganz schnell jage ich diese Zeilen hinter Dir her. Geh’ sofort ins Hotel Atlantic, und melde Dich auf Empfehlung von mir dort bei Mr. Henderson. Denke nur, welches Glück in allem Unglück! Mir schreibt eine ehemalige Schulkameradin und fragt an, ob ich zufälligerweise einen gebildeten, deutschsprechenden jungen Mann in meinem Bekanntenkreise habe, der sich die Ueberfahrt nach San Francisco auf einer Privatjacht als Sekretär des Besitzers verdienen möchte. Die ,Winnetou’ gehört einem reichen deutschamerikanischen Selfmademan, der mit seiner Tochter, die den gleichen indianischen Namen trägt wie das Schiff, nach den Staaten zurückkehrt. Der Sekretär ist in Hamburg erkrankt und muss dort zurückbleiben. Mr. Henderson arbeitet an einem wirtschaftlichen Werk, das in Deutsch und Englisch erscheint und täglich aus dem stenographischen Diktat in die Maschine übertragen werden muss — Künste also, die Du beherrschst — und Miss Winnetou sucht einen sehr guten Tennis- und Schwimmpartner. Feine Sporthalle und heizbares Bassin gibt’s an Bord — ausserdem wöchentlich 20 Dollar Taschengeld, bei einer auf zwei Monate berechneten Reisedauer! Sigrid, meine Kameradin, ist Winnetous Freundin und Begleiterin; sie fleht mich geradezu an, mich nach Ersatz für das Unglückswurm von Sekretär umzusehen, da sie nicht den ersten Besten an Bord nehmen wollen und können . . .“

Sobald Jürgen sich zurechtgemacht hatte, galt sein erster Besuch den Hendersons, angenehmen, natürlichen Menschen, die dem jungen Landwirtssohne, der gesellschaftlich auf gleicher Stufe mit ihnen stand, schnell über das Peinliche der Situation hinweghalfen. Auch Sigrid Martensson erwies sich als nette, höchst umgängliche junge Dame. Als Jürgen die drei wieder verliess, einen Hundertmarkschein für noch nötige Anschaffungen in der Tasche, tat er es in dem angenehmen Bewusstsein, nun erst einmal geborgen zu sein.

Am nächsten Tage sollte er alles erledigen, was noch mit seiner Ausreise im zusammenhang stand. Da nichts Nachteiliges über ihn bekannt war, würde das amerikanische Generalkonsulat, dem der Name Sam Hendersons, des grossen Dollarmillionärs, eine Macht bedeutete, seinem Sekretär mit den Einreisepapieren keine Schwierigkeiten machen. „Wir können solange zusammenarbeiten, wie es Ihnen passt, Mr. Hauer, wenn Sie die an Sie gestellten Ansprüche erfüllen, denn mein ehemaliger Mitarbeiter bleibt auf alle Fälle hier!“ waren Hendersons Worte gewesen, als Jürgen nach seinem ersten Besuch im Hotel Atlantic sich vor ihm zum Abschied verneigte. „Alle Reiseanschaffungen, die Sie machen müssen, junger Mann, lassen Sie mit quittierter Rechnung hierherkommen. Der Hundertmarkschein ist nur für solche Dinge bestimmt, die Sie allein angehen“, hatte Henderson bestimmt. Selbstverständlich belegen wir hier ein Zimmer für Sie, müssen Sie aber leider gerade den ersten Abend sich selbst überlassen, da wir bei hiesigen Freunden eingeladen sind!“ Jürgen hatte aufgeatmet. Er wäre in seiner jetzigen Gemütsverfassung völlig ausserstande gewesen, den angenehmen Gesellschafter zu spielen.

Aber er setzte sich sofort nach seiner Uebersiedelung ins Atlantic hin und schrieb einen langen, dankbaren Brief an Märta. Genau schilderte er alles, seinen ersten Empfang bei den Hendersons, die freie, herzliche Art, mit der sie ihn als Freund Märtas sofort aufgenommen, und die grosszügige Weise, in der sie ihm seine Stellung erleichterten.

„Ich werde mich wirklich nicht wie ein Angestellter fühlen“, schrieb er, „denn man behandelt mich schon jetzt, als wäre ich ein Kamerad. Besonders Deine Freundin Sigrid ist so herzlich, so zutraulich, sie erinnert mich in ihrer ganzen Art manchmal stark an Dich, liebe Märta — und Du kannst Dir denken, wie schön, aber wie wehmutsvoll zugleich diese Erinnerung für mich ist. Liebe, geliebte Märta, lass es mich Dir noch einmal sagen, wie teuer Du mir bist. Ich weiss, dass Dein Herz einem anderen gehört — und ich will alle Kraft daransetzen, über den Schmerz hinwegzukommen. Das Leben liegt ja noch vor mir, und es wird gerade jetzt tausend Schwierigkeiten für mich bieten. Aber immer wird Dein liebes Bild um mich sein, mich trösten und halten, wenn ich einmal straucheln sollte. Hab Dank für all Deine Freundschaft, liebe Märta, die mir wieder einmal die Wege so geebnet hat. Ich fühle nur den einen heissen Wunsch in mir: Dir alles einmal vergelten zu können und Deinen Vic drüben zu finden. Vergiss meine Eltern nicht, Märta, wenn ich sie zu sehr betrübt habe, so versuche, ihnen meine Handlungsweise menschlich näherzubringen. Fahre einmal zu ihnen, ich bin ja auch nicht aus der Welt — und so Gott will, kehre ich als ein anderer wieder . . .“

Lange sass Jürgen dann noch und dachte an Vergangenheit und Zukunft. Aber er hätte kein junger Mensch in den schönsten Jahren sein müssen, wäre die Zukunft nicht jetzt in seinen Gedanken lichter und stärker geworden. Würde er Victor finden — und würde sich etwas von dem romantischen Abenteurerleben erfüllen, wie er es sich einst in glücklichen Jugendträumen mit dem Freunde zusammen ausgemalt hatte? . . .

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Der, an den er jetzt dachte und der sich drüben in Anlehnung an seinen deutschen Namen Vic Fisher nannte, lebte freilich ganz anders als er und seine Kameraden es sich in den heimischen Wäldern ausgemalt hatten; besonders von einem Dasein als „einsamer Wolf“ konnte nicht die Rede sein. Während Jürgen sich spielend leicht auf Abitur und Studium vorbereitet hatte, schuftete Vic für 30 „Dollys“ monatlich bei „Wannenmakers“ als Liftboy. Kein Mensch hatte ihn nach seinen Papieren gefragt, als er sich mit einer Reihe einheimsicher Arbeitsloser in New York um den Posten in Amerikas grösstem Warenhause bewarb. Für sein Leben gern wäre er natürlich sofort nach „Wild West“ gegangen. Aber erst hiess es, die englische Sprache ebenso fliessend zu beherrschen wie Deutsch und Spanisch. Dass er den Job bei Wannemakers bekam, verdankte er sowieso nur der Tatsache, dass er wenigstens einigermassen sprachkundig war, gut aussah, gewandt und von bester Erziehung schien. Beseelt von eiserner Energie nahm er — abends, nach dem anstrengenden Dienst müde zum Umfallen — noch englischen Unterricht und kam nach und nach langsam im Leben vorwärts. Freilich war die Zeit hart gewesen, doch als „seine“ Putbuser Gymnasiumskalsse ein Jahr vor dem Abschlussexamen stand, gab Vic bereits Reitstunden im vornehmsten New Yorker Tattersall. Nichts hatte ihm so sehr gefehlt, wie die Beschäftigung mit seinen besten Freunden, den Pferden, deren wilde Vettern, die Mustangs, er gar zu gerne in ihrer texanischen Heimat gefangen hätte. Aber noch mangelte es ihm an Mitteln dazu, denn wenn er nach diesem Teile Amerikas ging, wollte er für alle Fälle einen Notpfennig auf der Bank und eine gewisse Summe bei sich haben. Auch die Ausrüstung — selbstverständlich eine alte, damit man ihm um keinen Preis das Greenhorn, den Neuling, anmerke, würde nicht ganz billig sein, und Vic beschloss, nichts zu übereilen.

Als einer seiner prominentesten Reitschüler, bevor er eine Weltreise antrat, dem liebenswürdigen jungen Lehrer 25 Dollars als Abschiedspende in die Hand drückte, war er nicht schlecht erstaunt, als der Beschenkte ihn höflich bat, für ihn diese Summe in Indien, oder wo es ihm sonst gerade passen würde, an Donna Carola einzuzahlen. Niemand, ausser Märta und Jürgen, sollte wissen, wo Vic sich aufhielt, und nicht einmal das Mädchen, dessen lichtes Bild sich in seiner Seele unauslöschlich festgesetzt hatte, kannte seine genaue Adresse. In der Annahme, dass Vic dort auch wohne, richtete Märta stets ihre Briefe an: Mrs. Marn Parr, for Mr. Vic, Lexington Aveneue, New York. Das war die Boardinghousewirtin, bei der ihr Freund seit seiner Ankunft in Amerika zu speisen pflegte. In Wirklichkeit lebte Mr. Fisher am anderen Ende der riesigen Stadt — das war ein wenig umständlich und zeitraubend, aber seinen Plänen durchaus angepasst. Durch die Geldsumme, die eines Tages auf einer Auslanspostanweisung: „im Austrage von Mr. Victor Fischer“ aus Bangkok bei den alten Fischers auf Buchenhorft eintraf und dort grosse Sensation auslöste, fühlte sich Vic erstens gänzlich von dem Vorwurf des Diebstahls gereinigt. Zweitens aber war er sicher, auf diese Weise auch die letzte seiner Spuren gänzlich verwischt zu haben.

Nach und nach glaubte er, die Korrespondenz mit dem Mädcehn, das er liebte, sei völlig unsinnig. Würde er Märta jemals ein Heim bieten können? Wusste er überhaupt, ob sie seine Gefühle erwiderte? Er besass keinerlei Rechte an Märta und nichts, was die Zukunft sicherte. Wenn er sich in schlaflosen Nächten an das Fenster des Zimmers setzte, das er im 35. Stockwerk eines neu errichteten Wolkenkratzers bewohnte. Und in den leuchtenden Sternenhimmel starrte, den das milde, silberne Licht des Mondes überflutete, so packte ihn oft ein bitteres Heimweh. — Stand er jedoch am Morgen auf, wenn die Sonne grell auf den Dächern brannte und die steinerne Wüste New Yorks sich zu beleben begann, so fasste ihn ebenso wilde Gehnsucht nach den freien Steppen des westlichen Amerika, fern der steinernen, grellen Zivilisation. Der Rio Grande stand vor seinem Geiste, mit seinen gewaltigen Cannons und wilden Schluchten, dem weidenden Vieh und den edlen Pferden.

Eines Tages hielt er es nicht mehr aus. Sien Boss, der ihn ausserordentlich schätzte und seine Sehnsucht kannte, hatte dem bescheidenen deutschen Jungen zugesagt, ihn nach Pasadena zu schicken, wenn er neue Gäule für seinen Handel, den er neben der Reitschule betrieb, benötigte. Pasadena — das war Texas — Wild-West — das bedeutete die Erfüllung von Vic Fishers kühnsten Träumen. Er sollte auf dem dortigen berühmten Pferdamarkt, wo es hiess: die Augen offen, Brieftasche fest und Revolver, den Vic meisterhaft zu beherrschen gelernt hatte, locker! eine Anzahl geeigneter Tiere auswählen und sie mit einem Begleitmanne zusammen nach New York verladen lassen. Damit sollte Vics Tätigkeit für den freundlichen Boss erledigt und der junge Reitlehrer fortan sein eigener Arbeitgeber sein. Es wurde noch verabredet, dass Vic die 500 Dollars, die er sich nach und nach erspart hatte, in den gewinnbringenden Unternehmen Mr. Petterfields anlegen, dass die Zinsen solange zum Kapital geschlagen werden sollten, bis der „Geldgeber“ anders disponierte. Die andere Hälfte der zurückgelegten Summe, in gleicher Höhe, nahm Vic in Scheinen und Mexikanischen Silberdollars mit, um an Ort und Stelle nicht nur seine Ausrüstung zu erwerden, sondern auch das beste Reitpferd, das es zwischen dem mexikanischen Golf und den Staaten gab. Den Rest wollte er bei sich behalten oder auf einer Bank einzahlen, um sich endlich — Hals über Kopf — in ds Abenteuer zu stürzen.

Das Abenteuer . . . Die Träume seiner Jugend tauchten wieder vor ihm auf. Er sah sich am Strande, dicht bei den Felsen von Stubbenkammer, deren kreidiges Weiss sich in dem leuchtenden Blau des Meeres widerspiegelte, geheimnisvolle Sandbauten errichten. Er ahmte die alten Paläste und Schatzkammeren der Inkas nach, jener Ureinwohner Mexikos, die Donna Carola zu ihren Vorfahren rechnete. Sogar ein königlicher Azteke sollte sich unter ihnen befunden haben. Vic lächelte ein wenig bitter bei dem Gedanken, welch unkönigliche Beschäftigungen er, der Nachfahre so erlauchten Bluts, in den letzten Jahren ausgeübt hatte. Aber das war wohl nicht das Ausschlaggebende. Stets war er auf saubere und ehrliche Weise seinem Beruf nachgegangen, und auch das Abenteurerleben, dem er jetzt mit heissem Herzen entgegensah, sollte ihn moralisch nicht unterkriegen. Darauf gab er sich selbsr sein Ehrenwort . . .

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Nun befand er sich schon seit Tagen auf einem Steamer zwischen New York und Galveston. Es war die Einfallspforte in das Land Texas, nicht allzuweit von Pasadena entfernt, wo Vics Auftrag ausgeführt werden musste. Dann lag jede Pflicht hinter ihm; als freier Mann konnte er die freie Prärie lieben oder hassen lernen — ganz wie das Glück ihm günstig war.

Das Glück — Vic lächelte bitter bei dem Gedanken an Glück. Dass er das doch immer und immer noch nicht vergessen konnte! Dabei hätte er doch inzwischen in seinem harten Leben hier draussen lernen können, dass die ganze Welt in Ungerechtigkeit bestand, und dass viele Menschen härter waren als seien Eltern. Vielleicht waren sie gar nicht einmal so erbarmungslos gewesen, wie er es, in seinem jungendlichen Zorne, gesehen. Vielleicht waren alle Menschen, denen es gut ging, geneigt, über das Elend anderer hinwegzusehen. Man musste wohl erst einmal selbst im Unglück gewesen sein, um das anderer mitzuempfinden. Warum nur konnte er seinen Eltern das alles nicht vergessen? Vielleict deshalb nicht, weil er immer zu ihnen aufgesehen, und weil sie ihm in der Jugendzeit, mehr noch in seiner ersten Kinderzeit. ebenso allmächtig erschienen waren wie der liebe Gott? Darum hatte ihn die Enttäuschung doppelt hart getroffen, und deshalb wohl musste er immer und immer noch über all das längst Vergangene nachgrübeln. Aber selbst, wenn er die Heimat und die Eltern hätte vergessen können, zwei Menschen vergass er nicht. Seinen Jugendfreund Jürgen — was mochte aus dem weichen, schmiegsamen Jungen für ein Mann geworden sein — Märta — seine erste heisse Liebe. Aus ihren früheren Briefen wusste er, welch gute Kameraden die zwei geworden waren, und vielleicht wollte es das Schicksal, dass sie einander einmal mehr wurden. Er biss bei diesen Gedanken die Zähne zusammen und umklammerte das morsche Holz der Reling. Aber er kannte die Seele der schwedischen Mädchen nicht, die er zwar für herbe und tief helte, deren unverbrüchliche Treue ihm jedoch noch nicht aufgegangen war. Er lag mit sich selbst in verzweifeltstem Kampfe, dass er mit dem letzten Schreiben aus New York an Märta erneut alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte — dass er von diesem Tage an ein Verschollener für die war, die in der Heimat oder anderswo voller Freundschaft seiner gedachten. Trug ihn das Glück nach oben — ja, dann konnte man immer noch sehen, ob Märta ihn wollte. Seine Chancen standen 1: 100 — er konnte nur verlieren und nicht gewinnen — oder vielleicht doch?

Um sich aus seinen nutzlosen Gedanken zu befreien, mandte sich Vic seufzend einem jungen Texaner zu, mit dem er sich an Bord angefreundet hatte und der ihm ein echter Revolvermann zu sein schien. Jim Lightfoot — ein angenommener Name — war jeden Tag gewisse Zeit damit beschäftigt, den neuen Kameraden in die Geheimnisse des „Ziehens“ einzuweihen. Denn in Wildwest behält bekanntlich bei Streitereien nur der die Oberhand, der, ohne die Waffe in Anschlag zu bringen, sie fixer zieht als sein Gegener . . .

Brücken, die die Sehnsucht schlug

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