Читать книгу Die Weltenwanderin - Liara Frye - Страница 5

Kapitel 1

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Maya

Die Sonne prallte auf die Menschen nieder und ließ die Gebäude große Schatten werfen. Abgase stiegen auf und sorgten für eine stickige Luft. Kein Wunder, heute war viel Verkehr. Die Menschen zog es an diesem Samstagmorgen in die Stadt wie Bienen zum Honig, und die Frauen sorgten mit den schillernden Farben ihrer Röcke und Kleider für eine willkommene Abwechslung in dem sonst so grauen Alltagsleben.

Mayas Haare wurden kräftig nach hinten gewirbelt, als sie über den Zebrastreifen lief. Sicher, im Zentrum der Stadt wehte in der Deckung der vielen Kaufhäuser nur ein zartes Lüftchen, aber hier, wo sich nur wenige Häuser und mehr Bäume fanden, blies der Wind schon etwas stärker.

Maya machte sich gerade auf den Weg nach Hause, die braune Ledertasche hatte sie über ihren rechten Arm gehängt.

Der Autofahrer, der vor dem Zebrastreifen gehalten hatte, hupte wie wild. Ein Mann, vielleicht Anfang vierzig, steckte den Kopf aus seinem schwarzen Lamborghini und schrie ihr etwas entgegen, das sich nicht besonders freundlich anhörte. Zum Glück konnte sie ihn nicht verstehen, er schien eine andere Sprache zu sprechen.

Stattdessen schrie Maya zurück: »Ich geh' ja schon, nur Geduld!«, und marschierte schneller über den Zebrastreifen, um dem Mann mit der Halbglatze eine schnelle Weiterfahrt zu gewähren.

Ein Glück, dass sie ihren kleinen Bruder nicht mitgenommen hatte. Mit ihm in der Stadt hätte sie an jedem Spielzeugladen Halt machen müssen. Leo war nicht nur unglaublich nervig, er besaß auch eine große Ausdauer, wenn es ums Einkaufen ging.

Aber nicht heute! Heute hatte Maya ihre Lieblingsstifte nachgekauft, mit denen sie neue Bilder malen würde. Landschaften, Portraits, Szenen aus Filmen – es war alles dabei. Schon immer war das Zeichnen und Malen ihre große Leidenschaft gewesen. Früher hatte sie noch ganze Leinwände beklecksen können, doch seitdem ihre Mutter mit zwei Kindern allein auskommen musste, nicht mehr. Für solchen Luxus war nicht mehr genug Geld da, sowohl Leo als auch Maya mussten sich einschränken. Sie selbst verdiente etwas dazu, indem sie Zeitungen austrug. Später würde sie wieder mit einem dicken Stapel auf dem Arm durch die Straßen rennen. Zuerst würde sie jedoch ihre neuen Stifte einweihen.

Bald kam sie an dem Park an, dessen wenige Bäume nicht viel Schatten boten. Ihn und den angrenzenden Wald zu durchqueren war stets der schnellste Weg nach Hause. Anfangs gab es noch viele Besucher, aber je weiter Maya ging, desto weniger Menschen begegneten ihr.

Sie lauschte den Vögeln, die ihr ein Lied vom Frühling sangen und strich sich ständig die braunen Haare zurück, die ihr immer wieder ins Gesicht fielen. Einen Moment lang vernahm sie ein leises Geräusch. Es hörte sich an, als würde jemand etwas flüstern, ganz nah. Irritiert ließ Maya ihren Blick umher wandern, konnte aber niemanden entdecken, der sich in unmittelbarer Nähe befand.

Einige Meter hinter ihr lief ein hagerer Mann im grauen T-Shirt und ausgeblichener Jeans und links von ihr entdeckte sie zwei schnatternde Frauen, die ihre Einkaufstüten vor sich herschwenkten. Maya schüttelte den Kopf. Vermutlich hatte sie sich das eingebildet.

Wenige Augenblicke später konnte sie das Flüstern erneut hören. Nun klang es drängender, lauter.

Maya biss die Zähne zusammen. Nein, ich bin nicht verrückt. Ich höre keine Stimmen, sagte sie sich. Sie konnte die Worte auch nicht deuten, sie schienen einer anderen Sprache zu entstammen.

Als das Flüstern aufdringlicher wurde, warf sie noch einmal einen Blick nach hinten. Der Mann lief noch immer hinter ihr her, die Frauen waren nicht mehr in Sicht. Wenn dieser Mann sie nun verfolgte ...?

Sie beschleunigte die Schritte und schaute gen Himmel. Die Bäume standen dichter, immer weniger Sonnenlicht flutete zwischen ihnen hindurch und immer mehr Schatten tanzten über den Boden.

Die Tasche schien zunehmend schwerer zu werden, dabei war außer den Stiften nur ein neuer Block für die Schule darin. Nochmals beschleunigte sie ihre Schritte, mittlerweile nicht mehr sicher, ob die Stimmen wirklich um sie herum oder nur in ihrem Kopf waren.

Die Gedanken überkreuzten sich und schwirrten in ihrem Kopf umher. Was war mit ihr los? Halluzinierte sie? Wurde sie allmählich verrückt? Wie, zum Teufel, sollte sie diese Stimmen aus ihrem Kopf bekommen? Und warum passierte das gerade jetzt?

Maya hatte gar nicht gewusst, wie laut Geflüster sein konnte. Das Schlimme war: Diese Stimmen schienen einen direkten Einfluss auf sie zu haben. Maya achtete nun nicht mehr wirklich darauf, wo sie lang ging, sie versuchte nur, zu entkommen.

Sie fing an zu rennen, die freie Hand an ihr Ohr gepresst. Es half nichts. Immer weiter rannte sie in den Wald hinein, floh vor etwas, von dem sie noch nicht einmal wusste, ob es real war.

Irgendwann war sie aus der Puste. Sie nahm die Hand herunter, legte die Tasche neben sich ab und hielt sich die Seiten. Einige Male holte sie tief Luft, und schloss die Augen, um sich besser auf ihren Atem konzentrieren zu können.

Sie öffnete die Augen. Direkt vor ihr lag ein See, ein paar Meter weiter führte eine Brücke über das Wasser. Panik schlug wie eine Welle über ihr zusammen und die eben gewonnene Ruhe verflog im Nu. Mayas Hände begannen zu zittern. Sie ballte sie zu Fäusten, um sie kontrollieren zu können. Gleichzeitig wich sie zurück, kämpfte mit ihrem Gleichgewicht.

Der See rief Erinnerungen wach. Ein Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Sie war mit Justus hierhergekommen und hatte sich dann geweigert, auch nur einen weiteren Schritt auf den See zu zugehen. Sie hatte die Brücke noch nicht einmal betreten wollen. Justus hatte das nicht verstanden.

Maya spürte eine leichte Berührung an ihrem Handgelenk. Überrascht sah sie nach unten und verschränkte ihre Finger mit seinen. Justus‘ grüne Augen schauten tief in ihre blauen, als wollten sie ihre Seele ergründen.

Sie schlenderten gelassen nebeneinander her, während er sie über das kommende Wochenende ausfragte.

»Und am Samstag, da bist du also zu Hause?«

»Ja, genau«, antwortete Maya. »Keine Ahnung, was ich da mache. Aber ehrlich gesagt finde ich es mal schön, frei zu haben und entspannen zu können.«

Sie musterte seine roten Haare, die wild von seinem Kopf abstanden. Sie kannte ihn erst seit ein paar Monaten, als Justus in ihre Klasse gekommen war. Er war schüchtern gewesen, aber Maya wusste, wie es sich anfühlte, wenn man niemanden kannte. Und so hatte sie ihm den Ort gezeigt, in dem sie lebten, bis sie sich schließlich immer öfter getroffen hatten. Sicher, Justus hatte nun auch andere Freunde. Aber aus irgendeinem Grund hatte ihre Freundschaft gehalten.

»Oder um mit einem Freund etwas zu unternehmen?« Er sah sie bei der Frage nicht an, aber Maya konnte bemerkte, wie er leicht errötete.

»Ja, zum Beispiel.« Sie grinste ihn an und blickte wieder gerade aus. Dann wurde ihr klar, wo sie sich befanden.

»Ist das ...?«

»Ja, der See von Loch Ness.« Er grinste über seinen eigenen Scherz, aber als Maya plötzlich stehen blieb, legte er seine Stirn in Falten. »Was ist los?«

»Ich kann nicht weitergehen.« Sie biss sich auf die Unterlippe, ließ seine Hand los und ballte sie in ihren Hosentaschen zu Fäusten. Ihre Stimme klang kalt, ihr Blick war in die Ferne gerichtet. Die Erinnerung zwängte sich in ihren Kopf und ließ sie erstarren.

»Wie, du kannst nicht weitergehen?«, fragte Justus entgeistert und vollkommen verständnislos.

»Ich kann es einfach nicht.«

»Schön, und wieso nicht?« Plötzlich war sein Tonfall harsch und fordernd geworden.

Wahrscheinlich war das auch ihm aufgefallen, denn er hängte noch ein mitfühlendes: »Maya, was ist los?« daran. Er versuchte, ihr beschützend eine Hand auf ihre Schulter zu legen, aber sie wich noch einmal zurück.

»Das Wasser«, antwortete sie schlicht und hielt den Blick starr auf die glitzernde Oberfläche gerichtet, damit Justus die Verletzlichkeit in ihren Augen nicht sehen konnte.

Ihr Freund seufzte leise und hob ratlos die Hände. »Das ... Wasser also ...«

Kurz blieb es still, dann erklang seine Stimme erneut. »Hey Maya, was ist mit diesem See? Willst du mir sagen, dass du Angst vor Wasser hast?«

Noch immer konnte sie den Blick nicht von dem Gewässer abwenden. Ihre Schultern begannen vor Anspannung zu schmerzen.

»Ja. Gewissermaßen.« Ihre Stimme zitterte.

»Aber dein Körper besteht aus mindestens achtzig Prozent aus Wasser. Vor Regen hast du doch auch keine Angst. Und trinken musst du ja auch irgendwie.«

»Das hier ist was anderes.«

»Was Anderes? Okay ... Komm, Maya, wir gehen nur über die Brücke, dann sind wir da. Das Wasser tut dir doch ni-«

Doch ehe er seinen Satz vollenden konnte, hatte sich Maya umgedreht und war in die entgegengesetzte Richtung losgerannt. »Es tut mir leid ... Ich muss hier weg.«

Sie wusste nicht, ob er sie verstanden hatte oder wie er sich fühlte, jetzt, da sie ihn einfach stehen gelassen hatte. Doch die Emotionen, die über sie hereinbrachen, schwemmten die Schuldgefühle weg. Sie musste fort. So weit weg wie nur möglich.

Und hier stand sie nun, ein paar Monate später. Wieder vor dem See, wieder voller Angst. Justus hatte ja nicht wissen können, was hier einst geschehen war. Sie war nicht mehr baden gegangen, seit es passiert war, zu tief saß die Angst, sie könne das gleiche Schicksal ereilen wie ihren Vater. Immer hatte das Wasser sie daran erinnert, was sie nicht rückgängig machen konnte.

Ihr Herz schlug schneller. Sie versuchte ruhig zu atmen. Die Stimmen drangen wieder zu ihr vor, flüsterten ihr Dinge zu, die sie nicht verstand. Unruhig, drängend.

Das Wasser vor ihr hätte ruhig wirken können, aber für Maya war es bedrohlich.

Trotzdem bewegte sie sich darauf zu, als zöge es sie an. Innerlich stemmte sie sich dagegen, leistete Widerstand. Ohne Erfolg. Immer weiter wurde sie gezogen. Was ging hier vor? Wieso hatte sie ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle?

Bald berührten ihre Sneakers das Wasser. Maya spürte, wie es durch den Stoff sickerte, während sie immer weiter hineinging. Ihr Atem ging schwer, sie war noch immer panisch. Bald stand sie bis zu den Knien im Wasser.

Sie konnte nicht fassen, was hier geschah. Seit Jahren hatte sie sich nicht mal in die Nähe großer Wasserflächen gewagt und nun ging sie tiefer und tiefer in den See hinein, ohne es verhindern zu können. Ihr Gesicht glühte vor Anstrengung, ihre Fäuste waren schmerzhaft geballt, doch sie konnte sich dem Sog nicht widersetzen, der sie so fest im Griff hatte, dass es ihr wehtat. Sie wollte sich losreißen, gleichzeitig den Gefühlen entfliehen, die in ihr hochkamen und Erinnerungen mit sich brachten. Erinnerungen an ihren Vater, gegen die sie sich ebenso wehrte.

Vergeblich. Der Sog machte sie zu seiner Marionette, nahm ihr den Willen, der um sein Überleben kämpfte. Mit jedem Schritt bohrte sie die Fingernägel tiefer in die Handflächen hinein, bis sie nicht mehr konnte. Die Stimmen wurden leiser. Sie schienen zufrieden mit etwas zu sein. Maya schnappte nach Luft, ehe sie untertauchte.

Wie von selbst lösten sich ihre Fäuste. Entsetzt stellte sie fest, dass ihr Körper die Tiefe ansteuerte. Mayas Herz pochte rasend schnell, als wäre es das einzige, das sich ihr nicht widersetzte. Der Sauerstoff wurde knapp, sie musste Luft holen … Jetzt!

Ruckartig atmete sie ein … Und stellte fest, dass sie atmen konnte. Mit jedem Zug wurde ihr Herz ruhiger, ihr Kopf nebeliger. Wie in Trance glitt sie hinab, auf ein mächtiges Licht zu. Eine Stimme lullte sie ein, sagte ihr, wie sehr sie auf sie gewartet hatte. Maya kam dem Licht immer näher, wollte auf einmal so dringend zu ihm … Von Sehnsucht getrieben wollte sie die Hände nach ihm ausstrecken, doch sie gehorchten ihr noch immer nicht.

Und dann tauchte sie hindurch.

Der Nebel verschwand so schnell, wie er gekommen war. Das Wasser färbte sich dunkel, riss sie herum wie ein Spielball. Maya wollte schreien, aber es fehlte ihr plötzlich die Luft zum Atmen. So kräftig sie konnte, strampelte sie mit den Beinen und ruderte mit den Armen. Atemlos durchstieß sie die Wasseroberfläche und schnappte nach Luft. Sie schwamm hektisch auf das Ufer zu, das im Dunkeln lag. Erst als ihre Füße den warmen Sand berührten und sie tief ein- und ausatmen konnte, fiel die Anspannung von ihr ab. Erschöpft wischte sie sich die klebenden Haare aus dem Gesicht und sah sich um. Sie richtete sich wieder auf und blickte entgeistert auf das Meer, durch das sie gekommen war. Die Panik kehrte zurück, ballte sich in ihr zusammen und brachte ihren Puls auf Hochtouren. Wo zum Teufel war sie gelandet? Wo war der Wald hin und was war gerade mit ihr geschehen? Ein warnendes Ziehen machte sich in ihrer Magengegend bemerkbar. Die salzige Luft zerrte an ihr. Mächtige Wellen richteten sich drohend auf und peitschten gegen die angrenzenden Felsen. Die Finsternis, an die sich Mayas Augen schnell gewöhnt hatten, färbte alles in ein dunkles Blau.

Sie wünschte sich zurück nach Hause. Dorthin, wo sie hingehörte. Maya atmete einmal tief durch und zwang sich dazu, einen ruhigen Gedanken zu fassen. Vielleicht träumte sie das Alles nur. Vielleicht war es gar nicht die Realität, die sie hier erfuhr. Wie sonst konnte man an einem hellen Tag in einen See steigen und bei Nacht aus einem Meer herauskommen?

Auf einmal legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter. Mayas Herz machte einen Satz. Hinter sich hörte sie ein tiefes Brummen. »Wen haben wir denn da?«

Schlagartig fuhr sie herum.

*

»Ach komm, mach der Kleinen keine Angst«, beschwerte sich jemand hinter dem Typen, den sie trotz der anbrechenden Dunkelheit als recht stämmig und kräftig vor sich stehen sah. Weg war die Ruhe. Stattdessen machte sich ein unangenehmes Prickeln in ihrem Nacken breit. Ihr Herz donnerte ihr schmerzhaft gegen die Rippen, das Ziehen in ihrem Bauch nahm zu. Ihr ganzer Körper schrie vor Angst. Wer zum Teufel sind diese Typen? Reichte es denn nicht, dass sie keine Ahnung von dem Ort hier hatte? War sie jetzt auch noch Gefahr durch Fremde ausgesetzt?

Was sie wohl mit ihr anstellen würden … Sie war nur ein kleines Mädchen. Denn so hatte er sie genannt: klein. Doch genau den Eindruck durfte sie niemals vermitteln. Keinen dahergelaufenen Fremden, wenn sie die Gelegenheit hatte, sich zu verteidigen. Binnen einer Sekunde hatte sie einen Entschluss gefasst: Sie würde ihnen nicht die Genugtuung geben und ihre Angst zeigen.

Also schnaufte Maya demonstrativ. »Ich und klein? Ich habe keine Angst. Und ihr steht mir im Weg.«

Sie machte Anstalten, an diesem Fels von Mann vorbei zu kommen, doch er hielt sie mit einer Hand zurück. Sie schielte an ihm vorbei und sah einen Jungen auf einem der größeren Steine sitzen. Er hatte die Beine ausgestreckt und kämmte sein Haar durch. Er erinnerte sie an einen Popstar, der es sich gut gehen ließ, und war ihr von Anfang an unsympathisch.

Trotzdem machte sie seine Anwesenheit nervös. Immerhin waren die Beiden zu zweit und sie allein.

Gleichzeitig kramte der andere Mann in seinen Taschen und richtete eine Lampe auf sie. »Zuerst müssen wir wissen, wer du bist.«

Ruckartig kniff Maya die Augen zusammen und legte so viel Wut in ihre Stimme, wie sie konnte. »Was spielt das für eine Rolle? Und halt gefälligst dieses Licht nicht in meine Augen!«

Tatsächlich gab der stämmige Mann nach. Nun wurde ihr Hals angestrahlt, aber ihr Gesicht konnte er bestimmt noch gut erkennen. Sie biss sich auf die Unterlippe, wie immer, wenn sie nervös war.

»Beantworte einfach die Frage. Nicht jeder läuft einfach aus dem Wasser heraus und wir haben dich auch nicht hineinlaufen sehen. Also, wer bist du?«

Das konnte nicht gut sein. Gar nicht gut. Sie wusste ja noch nicht mal selbst, wie sie hier her gekommen war … Und jetzt von zwielichtigen Typen ausgehorcht zu werden, die ihre Schritte überwachten, machte es nicht besser. Bestimmt träumte sie, hoffentlich träumte sie nur …

»Ich bin Maya. Und nun lasst mich durch, ich äh ...« Sie schaute hinunter zu ihren Schuhen, die sie in der Hand hielt. Wo sollte sie jetzt hin? »... muss nach Hause.«

Mit einem Mal rammte sie ihrem Gegenüber den Ellbogen in den Bauch und spurtete los. Der Bauch war nicht ganz so muskulös gewesen, wie sie vermutet hatte. Vielleicht hatte sie eine Chance und war schneller als dieser große Typ.

Hinter ihr knirschte der Sand und sie wusste, dass ihr jemand auf den Fersen war. Also rannte sie schneller, kam vom Strand runter auf eine schwach beleuchtete Straße und wollte gerade um die Ecke biegen, als …

Jemand packte sie am Arm. Da sie an den starken Mann gedacht hatte, verblüffte sie nun der Anblick ihres Verfolgers.

»Hast wohl noch nie so einen gutaussehenden Typen wie mich gesehen, oder?« Seine Zähne blitzten.

Natürlich, der Junge vom Felsen. Er war einen Kopf größer als sie und sein Haar schimmerte silbern im fahlen Licht der Straßenlaternen.

Rasch wandte sie den Blick ab. »Das glaubst du doch selbst nicht. Ich fasse es nicht, dass dein Kumpel und du nachts ein einsames Mädchen verfolgen.«

Er runzelte die Stirn. Hinter ihm konnte sie ein Schnaufen vernehmen. Der andere war also wirklich nicht so gut in Form. Zwar stark, aber auch ohne Kondition. Anders als der vor ihr. Leider.

Jetzt blieb ihr nur noch eins. Sie musste in die Offensive gehen, Fragen stellen, von sich ablenken. Vielleicht wollten sie ja wirklich nichts Böses von ihr, aber dass sie sie nicht gehen ließen, machte es nicht besser …

Sie schluckte die Panik hinunter und gab sich einen Ruck. »Jetzt beantworte mir doch mal die Frage, was ihr hier macht. Habt ihr gecampt? Auf etwas gewartet? Oder auf jemanden? Ich muss euch sehr enttäuschen, aber ich bin es jedenfalls nicht. Und -«

Aber die tiefe Stimme unterbrach sie. »Es tut mir leid.« Er ließ ihren Arm los. »Wir wollten dich nicht so erschrecken ...«

Erstaunt blinzelte sie. Meinte er das ernst? »Erschrecken? Ihr habt -«

»Und ich glaube, dass du wahrscheinlich wirklich aus dem Wasser gekommen bist, wie Ercan es gesagt hat. Du wirst keine Vorstellung davon haben, wo du bist.«

Mit einem Mal verrauchte ihre Wut. Sie schaute die verlassene Straße entlang. Ein Windstoß kam und brachte einen unangenehmen, jedoch wohlbekannten Geruch mit sich: Abgase, Metall, Staub. Auf einmal kam sie sich verloren vor. Verloren wie ein Kind. Die Erkenntnis traf sie mitten ins Gesicht. Sie war in einer Stadt gelandet, die sie nicht kannte und sie konnte nicht zurück.

»Wo sind wir?«

Sie konnte die Besorgnis in seinen Augen erkennen, aber da war noch etwas Anderes. Überlegenheit. Er wusste etwas, das sie nicht wusste. Und das gefiel ihr nicht.

»Wir sind in Kaltru. Und nicht in deiner Welt.«

Die Weltenwanderin

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