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4. Die Inseln im Nebel

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Fast eine Woche war seit den Ereignissen in Irland vergangen. Ohne Zwischenfälle erreichten sie die Orkney-Inseln im Norden Schottlands. Die See war für die Jahreszeit ausgesprochen ruhig. Trotzdem war der Rumpf des Schiffs ständig in Bewegung.

Je weiter sie in den Norden vorstießen, desto häufiger trafen sie auf Nebelfelder. Zunächst waren es nur vereinzelte Bänke. Stündlich aber wurden diese größer und dichter, bis der kaum zu durchdringende Dunst zu ihrem ständigen Begleiter wurde.

Eine Veränderung ging vor sich.

Der Nebel schien alle Geräusche um sie herum zu verschlucken: Das Plätschern der Wellen, die unablässig gegen den Bug schlugen, das Geschrei der Vögel, deren Zahl in Küstennähe eigentlich hätte zunehmen müssen, und die Signalhörner fremder Schiffe, deren Kurs den ihren kreuzte. Nichts davon war mehr zu hören.

Es dauerte nicht lange, dann hatte das große Schweigen sich auch auf die Leute an Bord übertragen. Sie gingen zwar nach wie vor ihrer Arbeit nach, sprachen dabei aber nur das Nötigste. Es war, als befänden sie alle sich auf einer endlosen Totenmesse, und jeder von ihnen hätte Angst, die Ruhe der Seelen durch den Lärm seiner Stimme zu stören.

Hin und wieder, sehr selten, zeichnete sich ein schwacher Lichtpunkt an jener Stelle ab, an der sich, weit über ihnen, der Himmel befinden musste. Die Sonne und ein freier Horizont kamen ihnen wie verblassende Erinnerungen an eine längst vergangene Epoche vor. Wegen der schlechten Sicht hatte Mousson die Geschwindigkeit auf ein Minimum drosseln lassen. Das bis dahin monotone Brummen der Bordmaschine war somit ebenfalls verstummt.

Die Gegend, in der sie sich nun aufhielten, war wegen ihrer Untiefen, Sandbänke und Riffe gefürchtet. Beim Manövrieren galt deshalb höchste Vorsicht. Zu allem Überfluss hatte das Sonar nur Tage zuvor den Dienst quittiert. Die Bestimmung der Wassertiefe musste nun, wie in alten Tagen, mit einem Senklot vorgenommen werden.

So sah man, wenn man durch eine der beiden Luken an Deck trat, die Schemen Moussons und Mommsens über die Reling am Bug gebeugt, wo sie Fahrmeter für Fahrmeter ihre mit Blei beschwerte Leine zu Wasser ließen und wenig später wieder einholten. Stunde für Stunde ging das so, ohne dass sich eine Verbesserung der Witterungsverhältnisse abzeichnete.

»3,50«, hörte man die fahle Stimme des Stewarts, und der Steuermann notierte die Angabe mit Bleistift in ein von Feuchtigkeit gewelltes, blaues Vokabelheft.

»3. -- 2,50. -- 3,20.«

Beide Männer kannten den Tiefgang ihres Schiffs und wussten, wieviel sie riskieren konnten. Ab und zu drehte Mousson sich um und signalisierte dem Kapitän auf der Brücke per Handzeichen, wie er das Steuerruder zu bewegen hatte. Sollte er in diesen Momenten von Sorge erfüllt gewesen sein, war nach außen hin nichts zu erkennen.

***

Die an Bord eingetretene Stille machte allerdings Keiner mehr zu schaffen als Kreszentia Rausch. Sie war eine Seele von Mensch, wenn es ihr gut ging; doch gut ging es ihr nur, wenn sie sich in einem lebhaften Umfeld bewegte. Was andere Menschen als Lärm empfanden, war für sie Quelle innerer Ausgeglichenheit und Ruhe. Das plötzliche Fehlen der gewohnten Klänge verursachte ihr körperliches Unwohlsein. In ihre Seele ließ sie ohnehin niemanden blicken.

Seit dem frühen Vormittag war auch der Empfang ihres geliebten Radios gestört. Für Kreszentia Rausch war damit die Grenze des Erträglichen erreicht. Niedergeschlagen schlich sie in der Küche auf und ab, rührte gedankenverloren in einem großen Kessel mit Suppe, ohne zu merken, dass sie die Herdplatte überhaupt nicht angestellt hatte. Als ihr dafür zum zweiten Mal Rosinas heiße Schokolade anbrannte, brach sie in Tränen aus.

Daraufhin stand Rosina auf, verließ, sehr zu Kreszentia Rauschs Verwunderung, die Kombüse und kehrte wenig später mit ihrem Vater zurück, der sich, mit einem Schraubenzieher bewaffnet, umgehend der Reparatur des defekten Apparats widmete.

Kreszentia Rausch lächelte verheult. Dieses Kind war wirklich ein Engel. Während Brovny arbeitete, leisteten sie ihm gemeinsam vom Küchentisch aus Gesellschaft.

»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Herr Brovny, Sie haben in Ihrem Maschinenraum doch sicher alle Hände voll zu tun.«

»Na ja«, entgegnete Brovny, ohne aufzusehen. Er löste vier Schrauben und nahm die Frontverkleidung des Radios ab. Dann griff er nach dem Schraubenzieher und fuhr damit zwischen einen Strang bunter Kabel. Kreszentia Rausch sah ihm interessiert zu. »Glauben Sie nicht, es ist besser, wenn Sie zuerst den Stecker ziehen, bevor sie da so herumstochern?«

Brovny blickte missmutig auf. »Was halten Sie davon, wenn ich das mache, wovon ich etwas verstehe, und Sie das, wovon Sie etwas verstehen? Gegen schwarzen Tee hätte ich nämlich überhaupt nichts einzuwenden«, raunte er in seinem kantigen Deutsch. Mit der Spitze des Schraubenziehers prüfte er klopfend zwei nebeneinander liegende Platinen.

Kreszentia Rausch spürte, wie ihr Blutdruck stieg. Was bildete sich dieser ungehobelte Russe ein? Es mochte ja sein, dass man dort, wo er herkam, so mit Frauen umging. In ihrer Küche allerdings würde er sich andere Umgangsformen angewöhnen müssen.

Ihr Gedankengang wurde jäh unterbrochen.

Im selben Moment nämlich tat es einen gewaltigen Schlag. Aus dem geöffneten Radio schoß eine Stichflamme. Brovny brüllte kurz auf. Dann wurde es Nacht in der Küche.

Mit pochendem Herzen tastete Kreszentia Rausch sich bis zum Lichtschalter neben der Tür vor. Klick. Klack. Nichts.

Zum ihrem Glück verfügte die Kombüse über ein umfangreiches Arsenal an Kerzen. Kreszentia Rausch entzündete ein halbes Dutzend Teelichter auf dem Esstisch. Im zuckenden Licht der kleinen Flammen sahen sie die massige Gestalt des Maschinisten ausgestreckt auf dem Boden liegen. Besorgt beugten sie sich über den reglosen Körper.

»Herr Brovny?«

»Papa?”

***

»Was ist denn das?«

Johnny hatte in seiner Kabine auf dem Bett gelegen und in einem alten Anatomiebuch geschmökert, einer teuren Rarität, die seine Kollegen ihm zum Abschied geschenkt hatten. Ihm war ein wenig langweilig.

Medizinisch gesehen legten Lorna und er gerade eine Durststrecke zurück. Niemand hatte sich in letzter Zeit verletzt oder war anderweitig krank geworden. Auch das Meer war seit ein paar Tagen vollkommen ruhig.

Nach dem mehr als kräftezehrenden Einstieg war er jedoch keineswegs enttäuscht über die ruhigere Gangart. Die nächste Herausforderung käme bestimmt bald auf sie zu.

Er hatte ohnehin eine Weile gebraucht, sich von den Ereignissen in Cork und auch den verstörenden Erfahrungen mit dem mysteriösen Amulett zu erholen. Seitdem Mommsen ihn davor gewarnt hatte, es aus der Hand zu geben oder einem Fremden auch nur zu zeigen, hatte er es nicht mehr hervorgeholt. Es war besser so.

Baronesse von Adler hatte er seit dem Zwischenfall vor ihrer Kabine ebenfalls nicht mehr zu Gesicht bekommen. Nicht, dass es ihn zu einem Wiedersehen drängte. Die Macht, die allein ihr Blick auf sein Empfinden ausgeübt hatte, brachte ihn noch immer zum Schaudern, wenn er daran dachte.

Was waren dies nur für sonderbare Menschen? Was war dies für ein sonderbares Schiff?

Soeben hatte er sich in eine Übersicht des menschlichen Skeletts aus dem Jahr 1888 vertieft, als mit einem Mal das Licht ausfiel.

Johnny legte den abgegriffenen Wälzer beiseite, stand auf und prüfte den Sitz der Glühbirne in ihrer Fassung. Er fand keine Auffälligkeit.

Woran lag es dann? Stromausfall?

Ohne Deckenlampe jedenfalls war es in der Kabine zu dunkel zum Lesen. Er überlegte. Dann würde er eben eine Weile an Deck gehen und sich dort die Zeit vertreiben. Frische Luft schadete nie.

Er griff nach seiner Jacke, die über dem Stuhl hing, und machte sich auf den Weg. Der Korridor lag ebenfalls im Dunkeln. An der Wand entlang arbeitete er sich Schritt für Schritt vorwärts. Noch kannte er den Flur nicht gut genug. Hinter der nächsten Ecke stieß er mit Lorna zusammen, die, mit einer Stabkerze bewaffnet, das selbe Ziel hatte.

»Auf diesem Schiff wird es irgendwie nie langweilig«, begrüßte sie ihn.

***

»2,90. -- 2,10. -- 1,80.«

Mommsen ließ ein ums andere Mal das Senklot ins Wasser gleiten, um es gleich darauf wieder einzuholen. Was er Mousson verkündete, gefiel diesem gar nicht.

»Noch ein paar verfluchte Zentimeter und wir hängen auf Grund. Da vorne, Mommsen, sehen Sie, wo das Wasser dunkler wird, verläuft die alte Fahrrinne. Wenn wir bis dort hin kommen, haben wir es geschafft.« Seine Miene verfinsterte sich. »Jemand, Mommsen, meint es nicht gut mit uns. Es ist, als söffe er uns das Wasser direkt unter dem Arsch weg.«

»2,50. -- 2,80. -- 3,40«, murmelte der Stewart.

Moussons Augenlid zuckte. »Hm«, sagte er überrascht, »sieht wohl doch so aus, als hätten wir diese verfluchten Untiefen endlich hinter uns.« Ein letztes Mal ließ Mommsen die Leine zu Wasser.

»4,80… ja, scheint mir auch so.«

Erleichtert rieb sich Mousson mit der Hand über das Kinn.

***

Im selben Moment, als Johnny und Lorna durch die enge Luke das Vorderschiff betraten, gingen im ganzen Schiff die Lichter wieder an. Sie tauschten verwunderte Blicke aus. Lorna löschte ihre Kerze, steckte sie, als sie ausgehärtet war, in die Jackentasche und schlenderte mit Johnny hinüber zur Reling, wo Mousson und Mommsen damit beschäftigt waren, die Schnur des Senklots über einer Spule aufzurollen. Der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet. Von den nahen Inseln allerdings war nach wie vor nichts zu sehen.

Die Tür der Luke schepperte erneut.

Brovny enterte mit Rosinas Hilfe das Oberdeck. Johnny ging lächelnd auf ihn zu. »Ihre phänomenale Heilung ist mir nach wie vor ein großes Rätsel, lieber Herr Brovny…«

Brovny starrte desorientiert an ihm vorbei.

Johnny fuhr fort: »Womit ich keinesfalls zum Ausdruck bringen möchte, dass ich mich nicht sehr darüber freue.« Er reichte Brovny die Hand, drückte sie fest und wunderte sich, dass sein Gegenüber kaum darauf reagierte. Brovnys Pranke steckte wie ein toter Fisch zwischen seinen Fingern. »Geht es Ihnen nicht gut, Herr Brovny?«

Der schüttelte den Kopf. »Alles gut.«

»Sind Sie sicher? Sie machen mir, ehrlich gesagt, einen etwas geschwächten Eindruck. Dafür brauchen Sie sich nicht zu schämen. Bei ihrer Vorgeschichte grenzt es ohnehin an ein Wunder, dass Sie überhaupt aufrecht gehen können. Legen Sie sich lieber ein bisschen hin.« Er schickte sich an, Brovny stützend unter den linken Arm zu greifen. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen wieder nach unten.«

»Nein, Doktor, lassen Sie, wirklich, es ist alles in Ordnung. Das macht… macht nur das Wetter.« Brovny löste sich aus seinem Griff und stapfte, die eine Körperhälfte auf seine verdrehte Gehhilfe gestützt, hinüber zu Rosina, die in einem dunkelblauen Kleid und mit einer roten Strickmütze auf dem Kopf über die Aufbauten des Vorderdecks turnte.

Johnny kehrte zurück zu Lorna. Sie betrachteten abwechselnd die silberglatte Oberfläche des Meeres und das ausgelassen spielende Kind. Mousson und Mommsen machten sich mit ihrer Ausrüstung auf den Weg zur Brücke. Neben Johnny und Lorna blieben sie kurz stehen. Mousson kniff die Augen zusammen und sah schweigend auf das Wasser.

»Wenn ich mich nicht irre, sind wir nicht mehr weit entfernt von Scapa Flow

»Scapa Flow

»Ja, Doktor, Scapa Flow. Schon einmal gehört?”

»Wenn ich ehrlich bin, nein.«

»Scapa Flow heißt die Bucht, die von den Inseln Mainland, Hoy und South Ronaldsay eingeschlossen wird. Gehören alle drei zu den südlichen Orkneys, ganz hier in der Nähe. Eigentlich ein beschaulicher Flecken Erde… wenn… ja, wenn da nur diese Dinge nicht wären…«

»Dinge?«

»Lassen Sie es mich so sagen: Die Bucht von Scapa Flow hat eine lange und… bewegte Geschichte. Schon die Wikinger hatten dort eine Art Hafen. Im Ersten… und im Zweiten Weltkrieg dann hatten die Briten an selber Stelle ihre Flotte stationiert. Die deutsche Marine hat mehr als einmal versucht, mit ihren U-Booten in die Bucht vorzudringen. Erfolglos. Bis auf ein einziges Mal.« Moussons Augen begannen, seltsam zu leuchten. »Kapitänleutnant Prien, dem der Angriff damals gelungen ist, war ein guter Freund unseres Captains… selbe Kadettenanstalt.

Aber schon lange vorher, im Sommer 1919, hat die deutsche Admiralität in Scapa Flow über 70 Schiffe der eigenen Flotte versenkt, damit sie nicht den Engländern in die Hände fallen. Ein Wahnsinn. Sie liegen noch heute dort unten. Was ich damit sagen will: Scapa Flow ist verantwortlich für eine Menge toter Seeleute und gesunkener Schiffe… eine ganze Menge… und das ist nie gut… für einen Ort… so viele Tote…«

Er machte eine Pause und starrte über die Reling ins nebelverhangene Nichts. Die anderen schwiegen. Mousson schob seine Offiziersmütze in den Nacken. »Ich bin selbst mehrmals unter verschiedenen Flaggen in Scapa Flow eingelaufen. Oberflächlich betrachtet eine Bucht wie jede andere. Aber ich müsste lügen, wenn ich sage, dass ich nicht jedesmal froh war, wenn wir dort wegkamen…« Er fuhr sich, wie es eine seiner Gewohnheiten war, über das zerfurchte Gesicht. »Es ist kein guter Ort… ein verwunschener Ort… die ganze Gegend rund um die Orkneys ist es…« Er machte eine Pause. Man hätte in diesem Moment eine Stecknadel fallen hören können. »Manche sagen, dass hier das wahre Tor nach Avalon zu finden sei… andere behaupten, dass die Seelen der Ertrunkenen sich an diesem Ort in denen der Lebenden einnisten, weil sie nicht verstehen wollen, dass ihrem eigenen Leben so lange vor der Zeit ein Ende gesetzt wurde… und wieder andere berichten von Booten, mit Feen und Elfen an Bord, die mit ihren Laternen den Schiffern den Weg ins Verderben leuchten…«

Er verstummte. Niemand sagte etwas. Kaum hörbar gluckste das Wasser gegen die Bordwand.

Lorna war es schließlich, die das bedrückte Schweigen brach.

»Was ist das?«, fragte sie gepresst, »hört Ihr das auch?« Sie lauschten. Tatsächlich. Sie hörten es auch.

Ein merkwürdiges, sphärisches Singen schien direkt aus dem Meer zu kommen. Sie richteten ihre Blicke auf das Wasser und wurden Zeuge, wie das dunkle Grau mit einem Mal grün zu leuchten begann. Ein Licht drang von irgendwo tief unten zu ihnen herauf. Das Singen schwoll an und ab, als brächte man ein Glas mit dem Finger zum Schwingen.

Unwillkürlich zogen alle sich ein Stück von der Reling zurück. Was war das?

Lorna erschrak. Sie hatte Rosina zwischen den vorderen Deckaufbauten entdeckt. Das Kind schien vom Locken des Meeres magisch angezogen. Behände kletterte es von einem der Luftschächte herunter und hangelte sich am Ladekran vorbei zum Bug. Dort streckte es die Hand nach der Gischt aus, die mit weißschäumenden Fingern nach ihm griff.

Lorna bekam es mit der Angst zu tun. Was, wenn Rosina sich zu weit über die Reling beugte und ins Wasser fiel? Sie wollte dem Mädchen zur Hilfe eilen, aber Etwas hielt sie zurück. So sehr sie es auch versuchte, sie kam nicht von der Stelle.

»Rosina! Pass auf! Das ist gefährlich!”, wollte sie rufen. Doch aus ihrer Kehle kam kein einziger Laut.

Das Wasser hatte inzwischen zu glühen begonnen, und ihre Ohren schmerzten von dem durchdringenden Ton.

Wieso taten die anderen denn nichts?

Sie sah sich um und erkannte, dass es denen genau so zu ergehen schien wie ihr. Was war das? Und wer löste es aus?

»Das Meer verlangt ein Opfer.«

Die Stimme, die das sagte, war tief. Sie war laut. Und sie schien von überall her zu kommen. Alle Köpfe fuhren herum. Hinter ihnen stand, nein, erschien in diesem Moment, ganz in Schwarz, Baronesse von Adler. Ihr Gesicht lag hinter einem blickdichten Schleier.

Johnny spürte, wie jene innere Kälte, die ihn an Bord bereits mehrmals heimgesucht hatte, sich erneut in ihm ausbreitete. Langsam neigte er seinen Kopf in den Nacken. Wie groß von Adler plötzlich war. Die Spitze ihres Huts lag auf einer Höhe mit der Top des Ladebaums.

Es war gewaltig, furchteinflößend, verstörend.

»Das Meer verlangt ein Opfer«, wiederholte die Stimme. »Was steht ihr also?« Von Adler hob den Arm und deutete auf Rosina, die reglos vorne am Burg verharrte. Wortlos sah sie der riesenhaften Gestalt entgegen. Kein Zeichen von Angst war an ihr zu erkennen.

Das Glühen des Meeres war inzwischen so stark, dass es in den Augen brannte. Das Singen ließ beinahe ihre Trommelfelle reißen.

»Ein Opfer…« Von Adler richtete ihren Arm weiter auf, und wie von Geisterhand ergriffen, begann Rosina, in die Luft zu steigen.

Niemand sah sich in der Lage, etwas zu unternehmen. Brovnys Gesicht war eine Grimasse der Angst.

Lorna spürte, wie Tränen der Verzweiflung über ihr Gesicht liefen. Johnny, der neben ihr stand, war blass wie der Tod selbst. Allein Moussons Miene zeigte keine Regung.

Rosina stieg höher und höher. Bald schwebte ihr zierlicher Körper über den Bugsteven hinaus auf das Wasser, weiter, immer weiter.

Eine herrische Geste von Adlers schließlich brachte sie mit einem Ruck zum Stehen. Weit unter ihr brodelte das Wasser, als würde es kochen. Alle hielten den Atem an.

»Nex Osan!«, tönte von Adlers Stimme, und im selben Moment sauste die kleine Gestalt in dem blauen Kleid in die Tiefe. Das unerträgliche Singen übertönte das Geräusch des Aufpralls. Im Nu schlossen sich die Fluten über Brovnys Tochter. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Johnny noch, das Rot einer Strickmütze aufleuchten zu sehen. Dann war alles vorbei. Der mörderische Ton verklang. Das Leuchten in der Tiefe erlosch. Alles wurde schwarz.

Elmsfeuer

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