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2. Ein Ring auf Abwegen
ОглавлениеDominic
Ich liebe den Regen. Ich könnte stundenlang hier stehen und die Szenerie einfangen. Die Einfamilienhäuser auf der anderen Straßenseite lassen mit ihrer bunten Dekoration den Herbst schillern. Zwischen den Igeln, Rehen und Blattgirlanden leuchten die Kürbisse. Durch ihre geschnitzten Gesichter flackert das Kerzenlicht. Ich atme tief durch und lausche dem Prasseln über unseren Köpfen.
Dort drüben steht ein Mädchen. Sie lässt sich von dem Herbststurm um sie herum nicht beeindrucken und trägt stolz ihr pinkes Sommerkleid und ihren Beutel für die süßen Gaben. Ich lächle, als ich sehe, dass die Herrin des Hauses dem Kind maskiert öffnet und sie reich beschenkt.
Warum ist Halloween eigentlich immer an mir vorbeigezogen?
Doch ehe ich mich in Gedanken an meine Kindheit verliere, stößt Leni mich versehentlich an. Ich merke, wie aufgeregt sie ist. Sie spielt nervös mit ihren Fingern.
Die Tür geht auf.
Schade, ich hätte gern noch länger ihr peinlich berührtes Lächeln eingefangen.
„Auf ins Verderben, Dracula!“
Ich öffne meinen Mund und lecke provokant über meinen Eckzahn. Leni lacht. Eigentlich sind Partys überhaupt nicht mein Ding. Aber ich konnte einfach nicht nein sagen, als sie mich so lächelnd gefragt hat, ob ich mitkommen möchte. Irgendwie kommt sie mir mit ihrer aufgedrehten Art vor, wie ein kleiner Wirbelwind und irgendwie schafft es dieser Wind, mich mitzureißen.
Ein blonder Wuschelkopf drückt Leni mit ganzer Euphorie. Das muss wohl Mia sein. Sie trägt eine blutige Schürze mit einem roten Kreuz darauf. Sie ist wohl die böse Halloween-Krankenschwester.
Ich räuspere mich leise. Irgendwie versagt mir meine Stimme.
„Leni! Endlich! Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.“ –
„Sorry. Mein Auto hat wieder Probleme gemacht.“ –
„Du musst dich endlich darum kümmern.“ –
„Zu spät.“
Leni schnaubt und schaut mich verschwörerisch an.
„Hallo, ich bin Dominic. Ich bin Lenis Retter in der Not“, stelle ich mich schmunzelnd vor und reiche dem quirligen Blondschopf die Hand.
Sie strahlt.
„Ich habe gar nicht gewusst, dass du jemanden mitbringst.“
Leni wird rot. Mia legte ihre ganze Betonung mit einem verschmitzten Lächeln auf das Jemand.
„Was war denn mit deinem Wagen wieder?“, fragt Mia, doch noch bevor Leni antwortet, zischt sie davon.
„Wir sprechen später, ja? Ich bin so aufgeregt!“
Sprachlos bleiben wir zurück, doch Leni nickt und lacht.
„Ich wäre genauso aufgeregt.“ –
„Wirklich? Du würdest also auch einem Mann den Antrag machen? Muss es nicht andersrum sein?“
Ich suche ihren Blick und für einen Moment schaffe ich es, ihren festzuhalten. Sie sucht nach Worten. Ihr Mund ist leicht geöffnet. Einen flüchtigen Moment verliere ich mich in ihren schmalen Lippen und ihren grünen Augen.
„Ich denke gar nicht erst übers Heiraten nach.“ –
„Okay.“
Das ist doch mal eine entschlusssichere Antwort.
Ich schaue mich in dem Zimmer um, in das wir nun treten. Das Licht in dem Raum ist gedämpft. Totenköpfe strahlen grünes und oranges Licht aus. Wie kitschig!
Hier scheint das Wohnzimmer zu sein. Ich muss schmunzeln und fühle mich gerade, als betrete ich irgendeine Welt zwischen Märchen und Aberglaube.
Dort drüben an einer provisorisch eingerichteten Bar, der ein halb leergefegtes Bücherregal als Grundlage dient, steht ein Gnom mit düsterer Miene und krausem grauen Haar. Und auf der Couch sitzt doch tatsächlich ein leibhaftiger Kürbis mit Beinen und Armen und Gesicht. Er nickt mir zu. Ich erwidere.
„Ich glaube, ich werde den Abend überleben“, raune ich Leni zu.
Sie kichert.
„Sei dir da nicht so sicher. Der Kürbismann ist sehr gefährlich.“ –
„Oh, gewiss! Aber du beschützt mich sicher oder?“
Flüchtig berühre ich Lenis Arm. Sie tritt sofort zurück. Ich glaube, sie ist nervös. Ich brenne ja darauf, das noch einmal zu tun.
„Wie wäre es mit einem Drink?“, stammelt sie.
„Gerne.“
Doch schon ist Mia wieder da.
„Ich bin so aufgeregt“, wiederholt sie und strahlt über das ganze Gesicht.
Sie wirkt viel jünger als Leni.
„Wo ist denn Greg?“ -
„Hinten mit Harry.“ –
„Räumen die Küche auf, was?“ –
„Ganz bestimmt.“
Die Mädels werfen sich verschwörerische Blicke zu. Gelten sie mir?
„Du weißt aber schon, dass hier Kostümpflicht ist?“, richtet sich Mia an mich und mustert mich.
Ich öffne meinen langen Mantel. Er ist triefend nass. Wie muss sich erst Leni in ihren Klamotten fühlen? Aber sie lässt sich nichts anmerken. Vielleicht trocknet ihr Wollponcho ja fixer als meine schwere Robe.
„Den kannst du mir geben“, sagt Mia sofort und nimmt mir den Mantel ab.
„Aber dann kommst du mit mir“, richtet sie sich an mich.
Irritiert blicke ich Leni an. Sie zuckt mit den Schultern und schaut mich genauso friedvoll lächelnd an, wie ich sie vorhin.
„Was hat sie vor?“
Doch keine Zeit für Antworten. Mia greift bereits nach meinem Arm und führt mich durch das Zimmer in einen Flur und in ein kleineres Zimmer.
„Dein Zimmer?“ –
„Ja.“ –
„Was hast du mit mir vor?“
Doch ich sehe es schon. Sie ist voller Energie und greift nach Stiften, die auf einem Schminktisch verteilt liegen.
„Wenn schon kein Kostüm, dann doch mit Farbe.“
Oh nein! Ich ahne nichts Gutes.
Und schon beginnt Mia, meine Brauen mit einem schwarzen Stift zu verbreitern. Sie zaubert dunkles Puder auf meine Augenlider und umrandet sie mit einer schmalen Feder oder irgendetwas Ähnlichem.
„Das ist also der Halloween-Trendlook?“ -
„Ja.“ –
„Ich fühle mich jetzt eher wie ein Rockstar.“ –
„Jeder, wie er möchte“, lacht sie.
Sie braust wieder aus dem Zimmer heraus und vergisst mich dabei doch glatt. Ich schüttele schmunzelnd den Kopf. War ich damals auch so durcheinander? Ich will nicht darüber nachdenken. Diesen Antrag habe ich für immer verdrängt.
Ich schlurfe in den Flur und kehre zurück in den Partyraum. Die Musik, die nun läuft, passt gar nicht zur gespenstischen Deko. Es sind noch mehr Gäste gekommen. Sie tanzen und prosten sich zu.
Ich suche Leni. Sie steht neben einem großen Glas grüner Bowle mit dezent wabbeliger Einlage. Sie nickt mir zu und greift nach zwei gefüllten Gläsern, die auf dem Tisch stehen.
„Du siehst heiß aus“, raunt sie mir grinsend zu und deutet auf meine Gesichtsbemalung.
„Jetzt erst oder vorher auch schon?“
Sie wird rot. Es macht Spaß, sie sprachlos zu machen.
„Dir fehlt eindeutig der Umhang“, kontert sie dann.
„Du musst schneller werden“, gebe ich auf ihr zögerndes Kontern zurück.
Sie versteht, was ich damit meine und seufzt kaum hörbar. Ich nehme ihr mein Glas ab. Flüchtig berühre ich ihre Hand. Sie zuckt zurück.
Ich muss sagen, nun still neben ihr zu stehen, macht auch mich nervös. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich suche nach kecken Worten, aber ich finde gerade keine.
„Erzähl mir von dir und Mia.“–
„Was möchtest du hören?“ –
„Ihr seid die besten Freundinnen?“ –
„Oh ja!“
Und jetzt merke ich, wie sich Lenis Anspannung löst. Sie lässt lässig ihr Glas sinken und strahlt.
„Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten. Wir sind ein Herz und eine Seele. Wir haben schon so viel miteinander durch, gelacht, verbotene Sachen gemacht.“
Ich runzele amüsiert die Stirn. Ihre Augen leuchten, wenn sie von Mia spricht. Habe ich jemals so von einem Freund geschwärmt?
„Die verbotenen Sachen?“ –
„Die bleiben verboten und geheim“, winkt sie schnell ab.
Ich wische flüchtig über ihre rote Wange.
„Du musst dich doch nicht schämen.“
Ich lächle sie an, doch Leni weicht meinem Blick aus. Nun lässt sie ihre Finger nervös über den Rand ihres Glases fahren.
„Sieht gefährlich aus. Kann ich das trinken?“ –
„Probiere es! Du wirst schon sehen, was du davon hast“, flüstert sie mir geheimnisvoll zu und tritt so nah an mich heran, dass ich ihren Atem spüren kann.
Ich schlucke.
Eins zu null für dich, Leni.
Ich schweige und lasse meinen Blick durch den Raum wandern.
„Oh nein!“, zischt Leni leise.
„Was denn?“
Doch ich sehe schon, was sie plötzlich so aus der Fassung bringt, dass sie ihr Glas energisch auf den Tisch stellt. Ein Mann kommt auf uns zu.
Er trägt ein grünes Koboldkostüm. Glöckchen an seinen Füßen klingeln bei jedem Schritt und das sehr ungleichmäßig. Er muss getrunken haben.
„Wer ist das?“
Leni bleibt stumm. Ich sehe, wie sich ihre Finger verkrampfen.
„Wer hat ihn eingeladen?“, flucht sie.
Der Fremde hebt eifrig sein Glas, während er vor uns zum Stehen kommt.
„Leni, Leni. So sieht man sich wieder“, sagt er.
Sie tritt einen Schritt zurück und ich weiß nicht, warum ich plötzlich näher an sie heranrücke.
„Deshalb also?“, herrscht er sie plötzlich an.
Ich bin verdutzt. Ich sehe, wie sich auch auf Lenis Stirn Falten legen. Der Kobold wird richtig wütend.
Blonde Haare lugen unter seiner grünen Spitzmütze hervor.
„Wegen dem hast du mir einen Korb gegeben? Wegen dem Idioten?“
Er hebt sein Glas.
Was passiert hier?
Nass!
Ich kann gar nicht so schnell gucken. Er kippt mir den grünen Inhalt seines Glases über mein dunkles Hemd.
„Kann er es besser oder was ist es?“
Er stammelt. Er hätte die letzten Drinks besser sein lassen.
Schützend stelle ich mich vor Leni. Ihr Mund steht offen, doch in diesem Moment schaffen es ihre zarten Lippen nicht, die Magie des Augenblicks zurückzuholen.
„Was willst du?“, zische ich den Koboldfreak an.
Er stößt mit der Hand gegen meine Schulter.
„Lass es, Twix!“, ruft Leni.
Ich lege meinen Arm um ihre Taille. Verstört schaut sie mich an. Ich weiß nicht, was mich gerade antreibt, aber ich führe meine Hand auf ihre Wange. Ich schenke ihr einen Kuss, weil ich glaube, dass sich der Kobold dann verzieht.
Ich höre, wie er hinter mir zischt, während ich Lenis Lippen und die Wärme ihres Körpers einfange.
Leni ist reglos, doch ich halte sie sanft.
Nur langsam löse ich mich wieder von ihr.
Ich atme schwer. Wie sie mich anschaut!
Twix zischt lautstark ab.
„Alles gut?“, frage ich Leni.
Ihre Lippen sind noch immer leicht geöffnet. Frech streiche ich darüber.
„Sorry, aber es hat gewirkt.“, schmunzle ich sie an.
Sie lässt ihre Finger nervös über ihr Handgelenk gleiten.
„In der Tat“, stammelt sie.
„Mach dich locker!“, lächle ich und will ihr ihre Befangenheit nehmen.
Ich stoße sie von der Seite her an und streiche noch einmal flüchtig über ihre Wange.
„Ich glaube, er hat es verstanden, dein Twix. Dein Exfreund?“
Leni nickt. Sie ist noch immer etwas perplex von meiner Überraschungstat und ich eigentlich auch. Aber es fühlte sich gut an, wenn auch irgendwie gar nicht nach mir, wo ich doch sonst so kontrolliert handele.
„Tut mir leid wegen deinem Hemd.“ –
„Schon okay.“ –
„Du solltest es wenigstens abwischen. Die Bowle hinterlässt bestimmt unschöne Flecken.“ –
„Das ist das Risiko von Halloween.“
Sie lacht.
„Da hinten ist die Küche, rechts.“ –
„Okay, bin gleich wieder da.“
Eigentlich will ich sie jetzt gar nicht aus den Augen lassen, aber okay.
Ich sehe, wie der grüne Ärgerwicht sich zum Kürbis auf die Couch gesellt. Sie scheinen ein Herz und eine Seele zu sein.
Ich folge dem Flur und biege statt in Mias Zimmer in das gegenüberliegende ab.
Doch bevor ich eintrete, höre ich Stimmen. Ich schaue vorsichtig hinein. Ich glaube, ich störe.
Dort unterhalten sich zwei Männer. Sie haben die Köpfe dicht zusammengesteckt und schauen auf etwas, das auf dem Tisch liegt.
Ich weiß nicht, was mich daran hindert, hineinzugehen.
„Lass das Ding verschwinden! Verkaufe ihn meinetwegen oder bringe ihn an die Frau, nur raus aus diesem Haus.“
Ich wundere mich. Ist das ein Ehering?
Der blonde Typ schließt eine kleine Schmuckschatulle. Will er Mia auch einen Antrag machen? Na das wird ja ein Schauspiel.
Ich ziehe die Tür leise wieder heran und kehre wieder um. Auf dem schwarzen Hemd fällt der Fleck doch ohnehin nicht groß auf und was ist schon ein Hemd? Ich kann es jederzeit ersetzen.
„Leni!“
Oh nein!
Der Kobold schreitet stolzen und unsicheren Schrittes wieder auf sie zu.
Ich beschleunige meine Schritte und lege wieder meinen Arm um Lenis Taille. Ich spüre, dass sie zittert.
„Macht dich der Typ so nervös?“, ziehe ich sie auf.
„Ich kann nicht verstehen, warum man ihn eingeladen hat.“ –
„Ärgere dich nicht über ihn. Willst du mir mehr davon erzählen?“ –
„Nein. Frische Luft wäre jetzt nicht schlecht. Kommst du mit?“
Ich nicke und löse mich von ihr. Sie geht voran und erst jetzt bemerke ich die Tür rechts am Ende des Zimmers. Leni öffnet sie und führt mich in einen Garten. Ein traumhafter Pavillon ziert die Mitte des Rasens. Auch er wird von Kürbislaternen erleuchtet.
Leni seufzt und setzt sich. Ich geselle mich zu ihr. Hier draußen ist die Musik nur noch schwach zu hören. Der Regen hat aufgehört, aber es ist recht frisch.
Leni schlägt ihren Poncho etwas zurück. Ich helfe ihr dabei. Tatsächlich ist der Wollstoff trocken.
Irgendwie gehen mir meine kecken Sprüche in der Stille des Augenblicks aus. Dort oben am Himmel leuchten die ersten Sterne. Die dunklen Wolken haben sie freigegeben.
„Schön hier.“ –
„Ja, bis auf die Kobolde.“ –
„Kobolde waren schon immer fies“, flüstere ich.
Leni lacht.
Ich beuge mich vor und stütze meine Hände auf meine Beine. Schwach berührt mein kleiner Finger dabei ihren Schoß. Mein Herz schlägt unkontrolliert.
Eigentlich sollte ich jetzt an meinem Schreibtisch sitzen und die letzten Dinge erledigen, die dem Großprojekt noch entgegenstehen. Aber nun verliere ich mich in diesem Moment der Zeitlosigkeit. Aber es ist schön.
„Ja“, seufzt Leni nur und ich schmunzle, weil sie genauso nach Worten sucht, wie ich.
Sie zuckt mit den Schultern und grinst. Sie hält meinem Blick stand.
Endlose Sekunden.
Plötzlich wird es laut.
Die Tür muss aufgegangen sein.
Jemand kommt.
Mia!
Sie wirkt gehetzt und ihr Gesichtsausdruck ist ernst.
„Der Ring!“, ruft sie.
„Leni, ich kann den Ring nicht mehr finden. Er ist verschwunden!“
Das Entsetzen steht ihr ins Gesicht geschrieben.
Leni runzelt die Stirn und rutscht ein Stück von mir ab.
„Wie kann denn dein Ring verschwinden? Du bist bestimmt zu aufgeregt und hast ihn irgendwohin gelegt.“ –
„Nein! Er ist nicht mehr da! Ich habe überall gesucht. Er ist weg!“ -
„He, Süße! Wir schauen gemeinsam noch einmal nach“, baut Leni sie auf.
„Bringt nichts. Er ist weg“, wiederholt Mia sich zornig.
Mir kommt ein ganz böser Gedanke, während ich an meine Beobachtung in der Küche denke. Kann das sein?