Читать книгу Herodes der Große - Linda-Marie Günther - Страница 8

I. Salome

Оглавление

Ohne die Mythen und Legenden des klassischen Altertums, ohne die Gestalten der Bibel ist die europäische Kultur undenkbar. Malerei, Literatur und Musik schöpfen aus dem so überreichen Reservoir der alt- und neutestamentlichen sowie der heidnisch-antiken Überlieferung – sei es zurückgreifend auf diese selbst, sei es in Anverwandlung bereits vielfach verarbeiteten Materials. Von der Renaissance bis in die Gegenwart setzt sich diese vielschichtige Rezeption fort, selbst in Zeiten reduzierter christlicher wie humanistischer Kenntnishorizonte. Auch in der Wissenschaft, die zur Kultur in ihrer spezifisch europäischen Ausprägung gehört, spiegelt sich jener kreative Prozess.

Insbesondere gilt dies für die Geschichtsschreibung mit ihrer Ergebnisdarlegung, der Historiographie: Sie steht der literarischen Kunst nahe – nicht zufällig ist Klio eine der neun Musen! Gerade die antike – heidnische wie christliche – Geschichtsschreibung verstand sich als literarisches Genre und nahm daher Darstellungsforme(l)n ihrer Zeit und ihres spezifischen intellektuellen Umfeldes auf.

Der moderne Historiker, von dem zumindest gelegentlich noch erwartet wird, dass er berichtet ‘wie es denn eigentlich gewesen sei’, sieht sich in einem Dilemma, zumal bei der Untersuchung großer Gestalten in ihren jeweiligen Ereignis- und Interpretationszusammenhängen: Je bekannter die Person, die er als historischen Protagonisten erforscht, desto mehr ist ihm gerade durch die Vielzahl der Quellen und vor allem der bereits vorhandenen Deutungen die eigenständige Wahrnehmung des so genannten Faktischen verstellt. Dabei sind ihm nicht immer alle Bilder bewusst, die durch die vielfältigen früheren Betrachtungen und Bewertungen, künstlerische wie analytische, nachwirken. Man denke an die komplexen Assoziationen, die historische Helden wie Alexander III. (der Große) hervorrufen und von denen sich nicht einmal der Wissenschaftler umfassend freimachen kann.

Auch der judäische König Herodes wird in der Historiographie „der Große“ genannt. An ihm als einer bedeutenden Figur auf der politischen Bühne der letzten Jahrzehnte des 1. Jahrhunderts v. Chr. sind diverse Perspektiven der heidnisch-antiken, der christlich-antiken und nicht zuletzt der jüdisch-antiken Überlieferung zu beobachten. Das Geschehen seiner Zeit stellt sich als ein extrem komplexes Gewirr von Ereigniszusammenhängen dar: Historische Prozesse der griechisch-hellenistischen, der römischen und der judäischen Geschichte fließen hier zusammen, so dass von den verschiedenen Standorten her die Vorgänge samt ihrer Bewertung und ihres Begründungskontextes ganz unterschiedlich gesehen werden können – und gesehen wurden.

Dass bei alledem der heutige Betrachter des großen Herodes und seiner Zeit eingebunden ist in europäisch-abendländische Wahrnehmungstraditionen, soll einleitend an einem Beispiel skizziert werden, dessen Protagonisten der herodianischen Familie angehören.

Herodes – hieß so nicht auch der judäische Herrscher, der Johannes den Täufer töten ließ, weil die schöne Salome bei seinem berühmten Gastmahl vor ihm getanzt und zum Lohn den Kopf des Propheten gefordert hatte? Und hatte nicht Johannes sich dadurch bei dem Herrscher unbeliebt gemacht, dass er dessen Ehe mit der Schwägerin Herodias getadelt hatte? War es nicht der besondere Hass dieser Frau, die den Tod des frommen Mannes heraufbeschworen hatte – und die sogar noch das Haupt des Täufers misshandelt haben soll?

Schlagen wir nach beim Evangelisten Markus: König Herodes, heißt es dort, hatte zwar den Johannes inhaftiert, doch fürchtete er den frommen Mann, „gehorchte ihm in vielen Sachen und hörte ihn gern“. Es war jedoch Herodias, „seines Bruders Philippus’ Frau“, die dem Johannes nach dem Leben trachtete und zunächst seine Einkerkerung, dann durch ihre Tochter seinen Tod erreichte. Sie ließ nämlich das Mädchen, das bei einem großen Festmahl des Herodes als Tänzerin auftrat, als ihre Belohnung den Kopf des Asketen fordern. Markus berichtet, wie der König – von der Darbietung ebenso begeistert wie seine hochrangigen Gäste – dem Mädchen unter Eid versprach: „Was du von mir erbitten wirst, will ich dir geben, bis an die Hälfte meines Königsreichs.“ Auf Anraten der Mutter Herodias lautete die Forderung: „Ich will, dass du mir jetzt zur Stunde auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers gibst.“ Gebunden an seinen Schwur beauftragte Herodes den Henker, den Gefangenen zu köpfen und das Haupt wie verlangt herbeizubringen – das Mädchen „gab’s ihrer Mutter“ (Markus 6,14 – 29).

Den Namen der folgsamen Tochter nennt auch Matthäus nicht, der in seinem Evangelium (14,1 – 12) dieselbe Geschichte in kürzerer Form und mit minimalen Varianten erzählt. Wie kommt es also, dass die Tänzerin, deren Darbietung zumal als verführerisch im Sinne von lasziv und sexuell erregend gedacht wird, unter dem Namen Salome in die abendländische Kunst eingegangen ist?

Informationen über eine Tochter der Herodias namens Salome gibt Flavius Josephus, der in den letzten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts n. Chr. in seinem Werk über die Jüdischen Altertümer schreibt, dass Herodias durch ihren Vater Aristobul eine Enkelin Herodes’ des Großen war; ebenso erfahren wir dort, dass sie verheiratet war „mit Herodes, dem Sohn Herodes’ des Großen und der Mariamne, der Tochter des Hohepriesters Simon“ und ihm eine Tochter Salome gebar (AJ 18, 5,4 / 136). Demnach war Salome, Stieftochter desjenigen Herodes, der im Evangelistenbericht über Galiläa herrschte, mütterlicherseits eine Urenkelin, väterlicherseits eine Enkelin des Königs Herodes. Ist auch die weitverzweigte herodianische Sippe ein vertracktes Thema, soll doch an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass der bei Markus genannte König Herodes ein Sohn jenes „großen“ Herodes war und zunächst Antipas hieß. Mit seinem Herrschaftsbeginn in Galiläa nahm er dann den Namen Herodes Antipas an, führte allerdings nicht den Königstitel, sondern war Tetrarch (Vierfürst), Herrscher über einen Landesteil des Reiches Judäa.

Herodes der Große

Подняться наверх