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1. Tanz durch die Rezeptionsgeschichte

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Warum wir die in den Evangelien namenlos bleibende Tochter der Herodias als Salome kennen, ist damit zwar beantwortet; offen bleibt aber die Frage, wie sich das Bild der Tänzerin zu dem einer femme fatale entwickelt hat, als welche Salome gerade auch im 20. Jahrhundert gesehen wird. Werfen wir also einen Blick auf die nachantike Rezeption dieser Figur.1

Da bereits in der theologischen Literatur des 4. Jahrhunderts n. Chr. die Verwerflichkeit jenes Tanzes thematisiert wurde, erscheint in Darstellungen sowohl der abendländisch-katholischen wie der byzantinisch-orthodoxen Kunst Salome als akrobatisch sich verrenkende Figur. In den mittelalterlichen Darstellungen vom Tod des Johannes übergibt der Henker der Salome direkt eine Schüssel mit dem Haupt. Die barocke Malerei dagegen bevorzugte drastischere Themen wie die Enthauptung des Johannes im Kerker.

Ein Beispiel hierfür ist das monumentale Fresko des Giovanni Battista Tiepolo in der Capella Colleoni zu Bergamo (von 1732 / 33) mit einer neuartigen Figurengruppe aus Henker, Rumpf des Täufers, dem Mädchen und einer Alten. Das vornehme Paar im rechten Vordergrund neben dem Steinsockel mit dem Geköpften gilt gemeinhin als Salome und Herodes, doch ist diese herrisch posierende Frau Herodias, die eigentlich Verantwortliche für die grausame Tat. Salome wird hier dagegen marginalisiert, was ihre Unschuld betont: Sie wendet sich im Hintergrund der linken Bildhälfte vom Geschehen ab. Dabei verhüllt sie ihre als spezifisch gedachte Nacktheit mit einem weißen lakenartigen Umschlagtuch, ihr linker Oberschenkel bleibt unbedeckt, was sie als die Tänzerin charakterisiert.

Zum Mittelpunkt der künstlerischen Wahrnehmung wird Salome erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Dort nahm zum einen der Orientalismus infolge der napoleonischen Feldzüge in der Levante starken Einfluss auf Literatur und Malerei, zum anderen die frühe Fin-de-Siècle-Stimmung. In Paris beschäftigte sich 1875 / 76 bis 1878 der Maler Gustave Moreau mit dem Thema Salome in einem allein dieser Figur gewidmeten Zyklus. Dessen berühmtestes Bild „Die Erscheinung“, ein großes Aquarell, das im Pariser Salon 1876 ausgestellt wurde, zeigt die Tanzende im linken Bildfeld. Im Hintergrund sitzen Herodes und Herodias, deren rostrotes Kleid mit dem gleichfarbigen Gewand des Henkers korrespondiert, welcher sich am rechten Bildrand auf sein langes Schwert stützt. In der Bildmitte hat sich auf dem Boden des orientalischen Raumes eine Blutlache gebildet, darüber schwebt der Kopf Johannes’ des Täufers mit einem edelsteinverzierten Nimbus im Strahlenkranz, in den mit ihrer linken erhobenen Hand hineingreifend Salome auf ihre Vision verweist. Sie selbst ist unbekleidet bis auf ihren überaus reichen, mit Edelsteinen verzierten Schmuck und ein üppig gemustertes, aber dünnes, schleierartiges Tuch hinter ihrem Körper. Mit seiner mystischen Stimmung verleiht das Bild der Salome eine völlig neue Dimension morbider Erotik.


Abb.1: Die Enthauptung Johannes des Täufers, Fresko in der Cappella Colleoni, Bergamo, von G. B. Tiepolo.

Gustave Moreau hat unmittelbar Gustave Flaubert zu seiner Novelle „Hérodias“ inspiriert, die 1877 in seinen „Trois Contes“ erschien und die Moreau’sche schwüle Mystik ironisiert.

Die Hauptperson der Erzählung ist Herodias, deren Tochter Salome zwar überraschend auftritt, deren wahre Identität Herodes unbekannt bleibt. Der für seine „Salammbô“ berühmte Romancier soll hier seine Inspiration sowohl aus der Darstellung vom Johannestod an der Kathedrale seiner Heimatstadt Rouen bezogen haben als auch aus einer Orientreise. Seine dort bei erotischen Tanzdarbietungen gewonnenen Eindrücke fanden ihren Niederschlag in der brillanten Schilderung von Salomes Tanz, die schließlich Richard Strauss in seiner „Salome“ im Tanz der sieben Schleier kongenial in Musik umsetzte. Bereits die Oper „Hérodiade“ von Jules Massenet – 1881 uraufgeführt und von umstrittener musikalischer Qualität – berief sich auf Flauberts Erzählung. Ihr eigenwilliges Libretto deformiert die Geschichte vom Tod des Täufers in abstruser Weise: Die Tänzerin Salome, längst in Johannes verliebt und angesichts des für ihn beschlossenen Todes verzweifelt, wird von Herodes begehrt; die eifersüchtige Herodias weiß als Einzige um die verwandtschaftliche Identität des Mädchens. Da in diesem ‘plot’ kein Platz war für den kanonischen Tanz der Salome, hat der Komponist mit Blick auf die Erwartungen des französischen Publikums als Balletteinlage einen babylonischen Tanz von Sklavinnen zugefügt. Einmalig ist in der „Hérodiade“ eine große jüdische Gottesdienst-Szene auf der Opernbühne, die kirchliche Kreise so schockiert hat, dass eine Exkommunikation von Komponist und Librettist bei Papst Leo XIII. beantragt wurde!

Gleichfalls von Moreau und Flaubert angeregt und gleichfalls von einem langjährigen Aufführungsverbot – nämlich in London – betroffen war die in Paris entstandene Tragödie „Salomé“ aus der Feder des englischen Dichters Oscar Wilde. Sie wurde 1893 in französischer, 1894 in englischer Sprache publiziert und schließlich 1896 in Paris uraufgeführt – mit der berühmten Sarah Bernhardt in der Titelrolle.

Nicht zuletzt wegen der großen Resonanz beim Publikum während der deutschen Erstaufführung 1901 in Breslau folgte 1905 in Dresden die gefeierte Uraufführung der einaktigen Oper „Salome“ von Richard Strauss, deren Libretto die gekürzte deutsche Übersetzung jenes Dramas ist. Hier ist Salome nicht einfach Werkzeug ihrer Mutter, sondern wird von ihrer eignen Hassliebe zum keuschen Johannes getrieben. Der Komponist, der durch Klangmagie und raffiniertes musikalisches Farbenspiel eine adäquate Verdichtung der überhitzten Atmosphäre der Wilde’schen Tragödie erreicht, hat mit der musikdramatischen Geschlossenheit dieses Werkes seinen Ruhm als Meister der modernen Oper begründet. Seit 100 Jahren gehört „Salome“ zum Repertoire aller namhaften Opernhäuser – welch ein globaler Erfolg für eine Story, deren Historizität äußerst fragwürdig ist!

Herodes der Große

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